Psychosomatik & Psychotherapie. Somatoforme Störungen

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Prof. Dr. Eric Leibing Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie Georg-August-Universität Göttingen Lernziele Krankheitsbilder / Klassifikation Ätiologische Modelle Umgang mit Patienten / Behandlung

Begriffsbestimmung Körperliche Symptome ohne ausreichende körperliche Ursache. Hartnäckige Forderung nach Untersuchungen trotz Versicherung, daß Beschwerden nicht körperlich begründbar sind (somatisches Krankheitskonzept). Beginn und Verlauf zeigen meist enge Beziehung zu Konflikten und Lebensereignissen, dieses wird von Patienten meist negiert. Psychische Auffälligkeiten Leidensdruck hoch Aufmerksamkeit hoch Inanspruchnahme hoch Weitere somatoforme Symptome ( ~ 80%) Komorbide psychische Störungen (60-70%)

Klassifikation ICD-10 F 45.0 Somatisierungsstörung F 45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung F 45.2 Hypochondrische Störung F 45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung.30 kardiovaskuläres System ( Herzneurose ).31 oberer Gastrointestinaltrakt ( Reizmagen ).32 unterer Gastrointestinaltrakt ( Reizdarm ).33 respiratorisches System ( psychog. Husten ).34 urogenitales System ( Reizblase ) F 45.4 Somatoforme Schmerzstörung Klassifikation ICD-10 Somatisierungsstörung F 45.0 Somatisierungsstörung Multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome. Diese können sich auf jeden Körperteil oder jedes Körpersystem beziehen. Chronisch-fluktuierender Verlauf. F 45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung Unvollständiges oder untypisches Bild.

Klassifikation ICD-10 Hypochondrie F 45.2 Hypochondrische Störung Beharrliche Überzeugung an einer / mehreren schweren körperlichen Krankheiten zu leiden. Interpretation normaler Empfindungen als Beleg. Fokussierung auf Organ bzw. Erkrankung - diese kann allerdings wechseln. Chronisch-wechselhafter Verlauf, unterschiedliche Beeinträchtigung im Alltag. Klassifikation ICD-10 Somatoforme autonome Funktionsstörung F 45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung Symptome wie bei körperlicher Erkrankung. Vegetative Innervation des Organs. Vegetative Stimulation: Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Erröten. Subjektives Klagen: Brennen, Schmerzen, Schwere, Enge, Aufgebläht-Sein. Chronischer Verlauf, zunehmende Beeinträchtigung.

Abgrenzung zur Konversion F 44 dissoziative Störungen (Konversion) Kennzeichen ist der Verlust von: Integration der Erinnerung (Amnesie), Sinnesempfindungen (Sensibilität), Kontrolle über Körperbewegungen (Motorik). Plötzlicher Beginn, häufig Spontanremission, enge Verbindung zu psychischen Traumatisierungen, kommunikativer Aspekt. Abgrenzung zur Konversion Konversionskonzept (Freud 1895) Umsetzung eines unbewußten Konfliktes (Trieb- Triebabwehr) in Körpersprache (Symbolisierung). Ziel: Freihalten des Bewußtseins von belastenden Gefühlen (Spannungsreduktion). Vermittelt durch Willkürmotorik / Sensorium Es handelt sich um eine symbolische Handlung mit kortikaler Repräsentanz.

Somatoforme Störung Subcortical verschaltet Vegetativ vermittelt Meist Affektkorrelat bzw. -äquivalent Bedeutung Hohe Prävalenz in der Bevölkerung Prävalenz bis zu 20% in Hausarztpraxen Sehr hohe Inanspruchnahme Sozioökonomische Kosten hoch Lebensqualität niedrig Lebenserwartung unverändert

Prävalenz ca. 20% in hausärztlicher Patienten 10% - 40% bei stationärer Klinikpatienten (chronische Schmerzen zu 40% somatoform) Bevölkerungsprävalenzen 1% - 10% ( : =10:1) Physiologische Grundlagen Gefühl und körperliche Veränderungen sind grundsätzlich wahrnehmbar. Jeder Affekt (Angst, Wut, Ärger, Neid,... ) hat ähnliche physiologische Korrelate. Diese können aber individuell verschieden sein. Im Normalfall nimmt mit dem Abklingen des Affektes auch die physiologische Reaktion ab.

Modell des Reizdarm-Syndroms Auslöser Darm-Infekt / Angst Lebensereignisse Motilitätsänderung Darmkrämpfe Diarrhoe / Obstipation Somatische Disposition Viscerale Hyperalgesie Komorbide psychische Störung Fehlinterpretation Krebs? / Colitis? Symptomverstärkung Aufmerksamkeit Erregung Krankheitsverhalten doctor-shopping Schonung Physiologische Aspekte Keine eingebildeten Symptome, sondern real gestörte Funktionsabläufe Pathologische Funktionsdiagnostik schließt funktionelle Störung nicht aus Koexistenz und wechselseitige Verstärkung von organischer und funktioneller Störung nicht ungewöhnlich

Chronifizierung > 50 % Beschwerdepersistenz nach 2 Jahren > 50 % Einnahme von Medikamenten hohe Behinderungen bei täglichen Aktivitäten hohe Quote von Erwerbsunfähigkeit eher schlechtere Verläufe als bei körperlich Kranken zahlreiche weitere Probleme einschließlich anhaltender psychischer Beeinträchtigungen Psychotherapie im Mittel nach 8 Jahren Umgang mit Patienten Beschwerden ernstnehmen Erweiterte Anamnese (psychosozial) Eindeutige diagnostische Abklärung Vermeiden unnötiger Untersuchungen Information über die Erkrankung geben Psychosomatische Wechselwirkung Erkennen psychischer Störungen

Interaktionsprobleme schwierige Patienten durch: - Inkonsistenz zwischen Beschwerden und Befund - Fixierung aufs Organische Beruhigung oder Bestrafung durch unnötige / invasive Diagnostik oder Pseudobehandlung Nicht-Ernstnehmen, Entwerten, Wegschicken Psychotherapie Psychotherapie gut bewährt - Verhaltenstherapie und psychodynamische Th. Priorität komorbider psychische Störungen bei der Behandlung beachten Motivationsförderung durch Erstbehandler wichtig

Therapie Reizdarmsyndrom Auslöser Darm-Infekt / Angst Lebensereignisse Motilitätsänderung Darmkrämpfe Darmkrämpfe Diarrhoe / Obstipation Somatische Disposition Hyperalgesie Komorbide psychische Störung Fehlinterpretation Krebs? / Colitis? Symptomverstärkung Aufmerksamkeit Erregung Krankheitsverhalten doctor-shopping Schonung Zusammenfassung Keine biochemische/strukturelle Normabweichung Häufung komorbider psychischer Störungen Prävalenz, Kosten, Leidensdruck, Lebenserwartung = Ernstnehmen und Rückversichern rasche und klare diagnostische Abklärung Gestuftes ärztliches Vorgehen (Beratung, Entspannung, Psychotherapie)

Folien, Verweise und Literatur unter www.psychosomatik.uni-goettingen.de