Tipps für das tägliche Üben von Qigong & Taijiquan Beim täglichen Taijiquan oder Qigong-Training lohnt es sich, auf gewisse Punkte zu achten, damit regelmässiges Üben auch Sinn macht. Der Aufbau des Trainings Am Anfang widme ich mich dem Fang Song Gong. Durch einfache Übungen wie Rotationen der Gelenke, Dehn- und Atemübungen öffnen sich die Gelenksysteme, Muskelfaszien und Sehnen. Dadurch wird der Körper flexibel und durchlässig für die Lebensenergie Qi, das Blut und die Säfte. Nach dem Aufwärmen durch das Fang Song Gong kann die stehende Säule Zhan Zhuang in das Training integriert werden. Sie nährt unser Qi und Blut und lässt uns die Körperstruktur optimal ausrichten. Die stehende Säule hilft uns Anspannungen im Körper wahrzunehmen, um diese durch den Prozess des inneren Lösens abzubauen. Durch das Stehen kommen wir in unserem Körper an und entspannen uns. Nun widme ich mich einer Übungssequenz des Taijiquan oder Qigong. Hierbei geht es nicht darum einfach Übungssequenzen lustlos abzuspulen, sondern während dem Training möglichst wachsam und bewusst zu bleiben. Wo bin ich? Was mache ich gerade? In welcher Qualität übe ich? Worauf lege ich meinen Fokus beim Üben? Bei sehr langen Übungssystemen ist es manchmal von Vorteil nur einen Ausschnitt zu nehmen und diesen durch Wiederholungen zu vertiefen. Am Tag danach kann mit einer weiteren Sequenz fortgefahren werden. Es lohnt sich, an einem Thema länger dran zu bleiben. Wir entdecken dann mit der Zeit neue Schichten, die wir vorher so nicht wahrgenommen haben.
Anfang, Mitte und Ende Rituale helfen uns, einen guten Einstieg in das Taijiquan- oder Qigong-Training zu finden. Das Anzünden einer Kerze, die mentale Verbindung mit einer Kraftquelle, oder dieselben Anfangsübungen helfen uns, mit unserer Mitte in Verbindung zu treten und in das Training einzutauchen. Während dem Üben gilt es immer wieder innezuhalten und unsere Gedanken, Emotionen und den Körper verbunden mit der Atmung zu beobachten. Durch das Beobachten der inneren und äusseren Bewegung kann der Geist mit der Zeit ruhiger und klarer werden. Der Körper kann dadurch besser entspannen. Diese Qualität der Ruhe und Entspannung wird durch regelmässiges Training immer weiter vertieft. Manchmal werden wir jedoch von Gedanken oder Emotionen oder physischem Unwohlsein besetzt. Auch hier gilt es, eine beobachtende Haltung einzunehmen und dabei die Erscheinungen nicht zu bewerten. Wir versuchen, uns viel Raum zu geben. Das Bild des weiten offenen blauen Himmels kann hier als Inspiration dienen. Manchmal hilft es auch, kurze Pausen zu machen; das Fenster zu öffnen und durchzulüften, oder einen kurzen Spaziergang zu machen. Wir versuchen während dem Training immer wieder, den Geist mit der Atmung und dem Körper zu verbinden. Verlieren wir uns in Gedankenmustern und nehmen wir dies wahr, so kehren wir einfach immer wieder zurück zu Körper und Atmung. Dadurch verankern wir uns mehr im Moment, im Jetzt. Am Schluss des Trainings ist es gut, noch einmal inne zu halten. Wir können noch einmal kurz in die stehende Säule stehen und der Qualität lauschen, die sich durch das Üben entwickelt hat. Zum Abschluss ist es wichtig, das Qi im Unterbauch zu sammeln und mit den Händen eine Weile dort zu verweilen. Nach dem Training ist es von Vorteil, langsam und behutsam in den Alltag zurückzukehren und nicht direkt hektischen Aktivitäten nachzugehen. Trainingsthemen Es ist sinnvoll, sich während dem Training einem Thema zu widmen. Vergleichbar ist dies mit einer Reise von einem Herkunftsort zu einem Zielort. Der Weg, wie ich zum Zielort gelange, sollte einigermassen klar sein. Ich kann nicht gleichzeitig an verschiedenen Orten sein, sondern begebe mich auf die Reise und entscheide mich für einen momentan möglichen Weg. Ich muss jedoch keinesfalls immer auf derselben Schiene üben. Ich darf verschiedene Wege erkunden, die meine Reise bereichern. Es ist wie das Erforschen einer Landschaft. Obwohl ich diese schon einige Male durchschritten habe, kann ich immer wieder neue Nuancen in der Topographie entdecken. Zentral bei dieser Art zu Üben ist, den Fokus auf ein Übungsthema zu richten.
Hier einige Vorschläge: Am Scheitelpunkt wie aufgehängt sein Mitte (unteres DanTian ) führt die Bewegung Die Qualität der Füsse, deren Struktur und Verbindung mit dem Boden Lösen, entspannen Atem beobachten oder Atem führen Die drei äusseren Zusammenschlüsse Wai San He integrieren In einer Bewegung innehalten und die Qualität der stehenden Säule suchen Die Phasen der Lösungsübungen in die Bewegung integrieren Die Phasen der Seidenübungen in die Bewegung integrieren Die Bewegungen ohne Unterbruch fliessen lassen Die Form extrem langsam ausführen Die Form schnell und dynamisch ausführen usw. Was hilft mir, dass ich ohne Ablenkung trainieren kann? Der Ort, an dem ich trainiere, ist wichtig. Es sollte ein Ort sein, an dem ich zur Ruhe kommen kann, und an dem ich mich wohl fühle. Ein Ort, wo ich nicht zu stark von äusseren Reizen abgelenkt werde. Kehre ich täglich an denselben Ort zurück, so fällt mir der Einstieg ins Training mit der Zeit leichter. Es baut sich an diesem Ort eine Kraft auf, die meine Übungen unterstützt. Übe ich in einem Raum, so hilft es diesen vor dem Training gut durchzulüften. Das Telefon sollte uns während dem Training nicht stören. In häuslicher Umgebung sollten Familienmitglieder wissen, dass ich mir eine Auszeit zum Üben gönne und während dieser Phase ungestört sein möchte. Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung Ressourcen können Bücher, Skripte, Notizen oder DVDs sein. Der Austausch mit Lehrpersonen oder Mitschülern kann auch als wertvolle Ressource dienen. Eine Ressource hilft mir, mich mit einem Thema auseinanderzusetzen um ein tieferes Verständnis zu erlangen und auf dem Weg zu bleiben. Widerstände während dem Training Auf dem Pfad des Qigong und Taijiquan können wir immer wieder Phasen erleben, in denen wir das Gefühl haben, nicht vom Fleck zu kommen. Unser Bemühen scheint vergeblich zu sein und innere Zweifel nagen an unseren Fortschritten. Weswegen diese Mühsal? Was bringt eigentlich dieses komische
chinesische Zeugs, welches ja nichts mit unserer Kultur zu tun hat? Was strenge ich mich an, wenn dabei doch nichts rauskommt? Es gibt zu viele, die Qigong oder Taijiquan besser praktizieren als ich. Ich werde nie ihre Fähigkeiten erreichen. Dies sind einige Stimmen, die uns das letzte Quantum an Motivation stehlen können und uns davon abhalten auch in erschwerten Phasen unser Training weiter zu führen. Wenn wir zu stark darauf fixiert sind, dass unser Training reibungslos ablaufen sollte und es uns «gut gehen» sollte, so erzeugt diese Einstellung in uns einen Konflikt. Wenn unsere Erwartungen und Ziele an uns selber zu hoch gesteckt sind, so wirkt dies kontraproduktiv auf unsere natürliche Entwicklung, die nicht in vorgefassten Schemen abläuft. Oft haben wir beim Üben Ziele vor Augen. Ziele sind mit Erwartungen verbunden und wenn unsere Erwartungen nicht so erfüllt werden, wie wir uns dies vorstellen, verlieren wir oft den Mut. Unter Umständen werden wir frustriert, da wir trotz längerem Üben nicht dort sind, wo wir sein möchten. Es gibt zahlreiche Faktoren, die uns motivieren Taijiquan oder Qigong zu trainieren. Vielleicht wollen wir einfach unsere Gesundheit pflegen, es mag sein dass wir uns erhoffen kräftiger zu werden, oder wir wollen eine Übung so meistern, dass sie in ihrem Ausdruck so harmonisch und anmutig aussieht wie bei unserem Lehrer / unserer Lehrerin. Vielleicht suchen wir nach innerem Frieden und geistiger Klarheit. Diese Bestrebungen sind in Ordnung und doch sollten wir nicht zu stark an ihnen anhaften. Wenn wir regelmässig trainieren, wird sich unsere Übungspraxis in unseren Alltag integrieren lassen. Dies ist manchmal wie nach der Verliebtheitsphase in einer Partnerschaft, wo allmählich keine rosa Elefanten mehr durch die Luft schweben. Wir wundern uns dann, wo all die Kraft und Inspiration, die wir aus dieser Beziehung gewonnen haben plötzlich geblieben ist. Aber wir können auch ohne euphorische Gefühle weiter auf dem Weg bleiben. In der Meditation, dem Qigong oder Taijiquan beobachten wir die Regungen unseres Geistes, ohne von ihnen davongetragen zu werden. Ich glaube es bleibt uns auf unserem Übungsweg nichts anderes übrig, als unsere Widerstände mitzunehmen. Wir beobachten unseren Körper, die Emotionen und Gedanken ohne in die Etiketten von gut und schlecht zu verfallen. Wenn wir lernen zu beobachten und ihnen genug Raum zu geben, entsteht ein Gewahrsein indem sich allmählich Gedanken und Gefühle im offenen Raum unseres Geistes auflösen. So wie Wolken am Himmel, die sich bewegen und verändern. Dabei bleibt der Himmel stets offen und klar. Fortschritte während dem Üben Mit regelmässigem Üben schreiten wir auf dem Weg des Taijiquan und Qigong gemächlich voran. Wir können unseren Fortschritt nicht erzwingen. Oft üben wir über eine längere Zeit an Themen, ohne dass wir dabei eine grosse Veränderung beobachten können. Dies ist normal. Vor einem Fortschritt kann das Gefühl entstehen, einen Rückschritt gemacht zu haben. Wenn wir jedoch manchmal inne halten und in die Vergangenheit zurückblicken, so wissen wir, dass wir auf dem Weg vorangekommen sind. Diese Entwicklung kann sich beispielsweise dadurch äussern, dass gewisse Übungen müheloser ablaufen. Wir müssen nicht
dauernd an einem Ablauf herumstudieren, sondern können in den natürlichen Bewegungsfluss einer Übung eintauchen. Wir fühlen uns nach dem Training frisch und wach. Wir entdecken vielleicht, dass wir in alltäglichen Situationen gelassener sind. Vielleicht haben sich durch das Üben körperliche Symptome verbessert. Eigene Wertschätzung Als wichtig erachte ich auch die eigene Wertschätzung. Obwohl unser Training oft normal ist und darin nichts Weltbewegendes passiert, dürfen wir es wertschätzen. Durch das Training baue ich immer wieder eine Beziehung zu mir selbst auf. Diese Beziehung darf wachsen, gedeihen und tiefer werden. Ich nehme meine Licht- und Schattenseiten wahr. Beide gehören zum Leben, wie die zwei Seiten einer Münze. Ich darf lernen mich anzunehmen, wie ich bin. Durch beharrliches Üben gewinnen Taijiquan und Qigong an Tiefe und Kraft. Diese Kraft kann uns im Alltag unterstützen. Sie durchdringt unser Leben. Ich erachte es als wichtig, sich immer wieder zu fragen, was Qigong und Taijiquan einem an Lebensqualität schenken. In diesen wilden Zeiten, in denen wir leben, kann es uns sehr viel an Einsicht, Verständnis, Geduld, Ruhe, Klarheit, Mitgefühl und Gesundheit schenken. Viel Freude auf dem Weg wünscht Ihnen Piet Haeuser