6. Fachtagung des Programms "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" zum Thema "Berufsorientierung Berufsvorbereitung Berufsausbildung vom 15.05. bis 16.05.2006 in Hamburg Dr. Alfred Lumpe, Behörde für Bildung und Sport, Hamburg Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Namen der Behörde für Bildung und Sport in Hamburg darf ich Sie ganz herzlich willkommen heißen. Ich hoffe, dass die Fachtagung uns die Gelegenheit gibt, Berufsorientierung Berufsvorbereitung Berufsbildung in einem neuen Kontext zu sehen. Anschlussfähigkeit sichern, das ist nicht nur eine Aufgabe der allgemein bildenden Schulen oder der anschließenden Berufsschulen oder all derjenigen, die in Betrieben und Institutionen mit der Gestaltung der Übergänge zu tun haben. Anschlussfähigkeit sichern ist auch eine Herausforderung der Akteure in den jeweiligen Systemen, eine neue Philosophie, ein neues Denken, eine neue Lernkultur zu entwickeln. Denn unter dieses Motto will ich meine einleitenden Worte stellen die Zeit der Abschlussorientierung geht zu Ende und es kommt darauf an, ein Umdenken zu organisieren, das mit dem Begriff Anschlussorientierung die neuen Kernaufgaben und Kernprozesse treffend beschreibt. Nun kann man sagen, dies sei kein großer Unterschied, es ist nur ein einziger Buchstabe. Das ist auf dieser Ebene in der Tat nicht viel, aber wenn man in allen Bereichen versucht, auch umzusetzen, was den eigentlichen Unterschied zwischen einer Abschlussorientierung und einer Anschlussorientierung ausmacht, dann kommt es einem Paradigmenwechsel gleich. Denn dahinter steckt die Frage, welches Ziel verfolgen die Akteure in den jeweiligen Institutionen, welches Ziel verfolgt eine Lehrerin oder ein Lehrer, wenn sie bzw. er sich auf Unterricht vorbereitet und diesen organisiert? In der Vergangenheit wenn man es schlagwortartig sagen möchte war das Handeln eher an der Abschlussorientierung ausgerichtet. Das heißt, der Deutschlehrer um ein Beispiel zu nehmen hatte sein Hauptinteresse darauf gerichtet, dass seine Schülerinnen und Schüler im Fach Deutsch gut sind und den Abschluss mit einer möglichst guten Note erzielen. Man ging davon aus, dass mit einem guten Abschluss auch der Anschluss gesichert ist. Ich behaupte
aber und ich stehe damit nicht allein, Frau Brüntink hat es eben auch schon angesprochen Übergänge sind heute keine vorbereiteten Wege, die man nur wie Karrieren oder Berufslaufbahnen abschreiten muss. Übergänge sind differenzierte Übergangssysteme. Es kommt darauf an, in diesen Systemen den jeweiligen Anschluss zu finden und zu gestalten. Um dabei erfolgreich sein zu können, reicht es nicht aus, sich auf den Abschluss vorzubreiten und gute Ergebnisse in den Abschlussverfahren zu erzielen. Eine Abschlussorientierung ist nicht mehr ausreichend, erst eine Anschlussorientierung sichert den Übergang und damit eben den Anschluss. Ich will kurz mit zwei Schlagworten verdeutlichen, warum Anschlussorientierung heute so wichtig ist. Ich gehe nicht so sehr auf die veränderten Rahmenbedingungen in der Berufs- und Arbeitswelt ein, da werden wir heute Nachmittag noch viel über Veränderungen und Konsequenzen hören. Dass die Qualifikationsanforderungen gestiegen sind, dass die Wege vielfältiger geworden sind, dass man nicht mehr von Lebensberuf sprechen kann, dass Erwerbsarbeit verschiedene Beschäftigungsformen umfassen, die in Lebensläufen mit unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen bewältig werden müssen, davon wird Herr Ulrich in seinem Beitrag berichten. Ich will mich hier beschränken auf die Schulseite und fragen, was hat sich im System Schule verändert, welche Veränderungen finden hier statt, die eine Anschlussorientierung nicht nur notwendig, sondern auch möglich machen? In Hamburg wird morgen z.b. das Schulreformgesetz in der zweiten Lesung höchstwahrscheinlich verabschiedet werden. Damit werden in Hamburg wichtige Konsequenzen vollzogen, die in ähnlicher Weise auch in anderen Bundesländern vollzogen werden oder in Vorbereitung sind. Die Rahmenbedingungen für die Schulentwicklung werden verändert. Ich will das mit zwei Begriffen verdeutlichen. Die Steuerung der Bildungssysteme ist im Wandel. Die Ziele des Unterrichts und damit die Vorgaben für das Handeln der Lehrerinnen und Lehrer sind durch kompetenzorientierten Bildungsstandards festgelegt. Für Deutsch und Mathematik in der Grundschule und für Deutsch, Mathematik und Englisch für den Hauptschulabschluss sowie für den Mittleren Bildungsabschluss wurden nationale Bildungsstandards festgelegt. Das sind Beschreibungen der Kompetenzen, die die Schülerinnen und Schüler am Ende des Bildungsganges beherrschen müssen. Unterricht wird nicht mehr über Lehrpläne gesteuert, in denen festgelegt wird, welche Inhalte Gegenstand des Unterrichts sein müssen. Unterricht wird über Ziele gesteuert, und diese wer-
den als nationale Bildungsstandards für alle 16 Bundesländer einheitlich vereinbart. Die Länder haben sich verpflichtet, diese Standards zu übernehmen. Hamburg hat in seinen Bildungsplänen, die fast zeitgleich entstanden sind, diese nationalen Bildungsstandards bereits umgesetzt. In Hamburg sind die alten Lehrpläne schon zu neuen Bildungsplänen geworden. Bildungsplan ist nicht nur ein neuer Begriff. Der neue Begriff steht für die Veränderung der Philosophie: statt über Inputsteuerung wird über eine Outcome- oder Outputsteuerung versucht, eine möglichst hohe Qualität der Bildungssysteme zu erreichen. Damit ist gemeint: in früheren Lehrplänen stand sehr dezidiert, welche Inhalte Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht behandeln müssen, in der Hoffnung, dass am Ende über die Bearbeitung der Inhalte die gewünschten Kompetenzen erreicht werden. Heute werden wesentlich weniger Inhalte, nur noch ein Kerncurriculum, vorgegeben, weil man weiß, dass über Inhalte die Ergebnisse nicht gesichert werden können. Heute wird über die Vergabe von Zielen gesteuert, über die Bildungsstandards. Die Verantwortung darüber, über welche Inhalte diese Kompetenzen erworben werden, übernimmt die einzelne Schule. Die Länder haben sich auch dazu verpflichtet, die Erreichung der nationalen Bildungsstandards länderübergreifend zu überprüfen. Zurzeit werden Hunderte von Aufgaben entwickelt und erprobt. Diese Aufgaben werden künftig als Vergleichsarbeiten länderübergreifend geschrieben und bieten damit der jeweiligen Schule einen Referenzrahmen für die eigene Leistungsfähigkeit und den Ländern wichtige Rückmeldungen für Qualität ihrer Bildungssysteme. Mit dem Schulreformgesetz in Hamburg wird die selbstverantwortete Schule flächendeckend eingeführt. Die Bildungsbehörde gibt nur noch Ziele und den Rahmen vor, die einzelne Schule erhält mehr Verantwortung bei der Umsetzung ihrer Bildungsaufgaben. Die neuen Rahmenbedingungen, kompetenzorientierte Bildungsstandards, länderübergreifende Prüfungen und zentrale Abschlussprüfungen verdeutlichen, dass der Freiheitsraum und damit auch die Gestaltungsaufgabe vor Ort an den Schulen größer werden. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass Anschlussorientierung bei der Vervielfältigung der möglichen Anschlussalternativen besser gelingen kann. Damit verbunden sind auch Konsequenzen für die Aufgabenstellung und die Weiterentwicklung der Berufsorientierung, der Berufsvorbereitung und der Berufswahlvorbereitung. Welchen Stellenwert hat Berufsorientierung unter den neuen Rahmenbedingungen? Berufswahl ist heute keine einmalige Entscheidung mehr, mit der sich die Jugendlichen für den Lebensberuf entscheiden. Wenn die Ausbildung zu Ende ist, hat man nicht ausgelernt. Vor diesem Hintergrund muss Berufsorientierung als Entwicklung einer Kompetenz, sich unter ver-
ändernden Bedingungen immer wieder neu beruflich orientieren zu können, eine andere Aufgabe lösen oder übernehmen. Es geht nicht mehr um die Vorbereitung auf die eine Wahl, sondern es geht um die Vorbereitung darauf, kontinuierlich seinen Weg gestalten und ggf. immer wieder eine Wahl treffen zu können. Das heißt, es geht darum, die eigenen Stärken und Interessen, die eigenen Kompetenzprofile kontinuierlich wahrnehmen und zielgerichtet weiterentwickeln zu können. Damit hat Berufsorientierung aus meiner Sicht eine neue Aufgabe, die hier in den nächsten zwei Tagen im Mittelpunkt stehen wird. Es geht erstens um die Vorbereitung auf Übergangssituationen, auf Übergangssituationen an verschiedenen Stellen und zu verschiedenen Zeiten, schon von der Vorschule in die Grundschule oder von der Grundschule in die weiterführende Schule oder von einem Kurs in den nächsten. Es geht nicht um eine einmalige Übergangssituation am Ende der jeweiligen Schulzeit. Und die zweite Kernaufgabe, die Berufs- und Arbeitsorientierung zu leisten hat, ist die Etablierung eines Managements dieser Übergangssituationen. Wenn die Wege so vielfältig geworden sind und die Möglichkeiten so differenziert sind, dann müssen die Akteure mehr denn je ein Managementsystem eingebunden sein und sie müssen sich darauf verlassen können, dass die Akteure die abgestimmten Teilleistungen auch erbringen. Über diese einzelnen Teile eines Berufsorientierungsmanagements werden wir uns auf dieser Fachtagung auseinandersetzen und in verschiedenen Arbeitskreisen beraten. Ich will hier die veränderten Aufgaben der Berufsorientierung kurz beleuchten: Was heißt Anschlussorientierung und was verändert sich gegenüber der Abschlussorientierung einerseits für die Schülerinnen und Schüler und anderseits für die schulische Organisation und ihre entsprechenden Aufgaben? Die Schülerinnen und Schüler müssen auch in der Perspektive der Anschlussorientierung mehr denn je die Kernkompetenzen beherrschen und sich diese Kompetenzen aneignen. Deutsch, Mathematik, Englisch haben nach wie vor eine zentrale Bedeutung für den gelingenden Anschluss, aber die Beherrschung dieser Kernkompetenzen ist nicht mehr ausreichend. Es kommt darauf an, dass man darüber hinaus die eigenen Potentiale erkennen und entwickeln lernt, dass man die eigene Leistungsbereitschaft entwickeln lernt, dass man das Kompetenzprofil kennt und entwickeln lernt, dass man letztendlich sein eigenes Lernen steuern und organisieren kann. Selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen tritt in den Vordergrund und löst eine belehrende und aus Sicht des Lernenden gesehen - konsumorientierten Wissensvermittlung ab. Kompetenzentwicklung statt Wissensvermittlung um es
wiederum auf ein Schlagwort zu bringen wird wichtig. Wenn man es mit einem Wort sagen möchte: Lernarbeit ist die Arbeit, die eigene Bildungsbiographie aktiv zu gestalten. Das müssen die Schülerinnen und Schüler vom ersten Tag an in der Schule lernen können. Für die Unterrichtsorganisation stellt sich damit die Frage, wie kann dieses Lernen organisiert werden, wie muss Schule organisiert werden? Haben wir auch hier einen Paradigmenwechsel, ein anderes Bild von Organisationsentwicklung und von Schulentwicklung, wenn Anschlussorientierung anstatt Abschlussorientierung im Vordergrund steht? Unterrichtsorganisationsformen und damit die gesamte Schule werden sich verändern. Ganztagsschulen werden die in sie gesetzte Hoffnung nicht erfüllen, wenn am Vormittag Unterricht wie bisher und am Nachmittag nur ein paar zusätzliche Kurse stattfinden. Es geht darum, wirklich ernst zu machen mit einer anderen Lernkultur, mit einer anderen Lernorganisation. Das ist eine organisatorische Herausforderung, nicht nur für Ganztagsschulen. Ganztagsschulen haben in der Tat den größeren Spielraum, weil für das Lernen und Arbeiten und Lernarbeit ist die zentrale Schülerarbeit in Ganztagsschulen ein größerer zeitlicher Raum zur Verfügung steht. Was sind die Konsequenzen für die Organisation des Unterrichts in der Schule? Zusammengeführt kann man sagen: neue Lern- und Arbeitsaktivitäten. Der 45-Minuten-Unterricht wird nicht mehr die Regel, sondern nur eine Form sein, andere Formen werden sich daneben etablieren. Es wird bestimmte Lernzeiten für eigenverantwortliches, selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen und Arbeiten geben. Die Verpflichtung der Akteure, und damit meine ich Lehrerinnen und Lehrer wie Schülerinnen und Schüler und Schulleitungen, werden sich verändern. Die Verantwortung für die Prozesse und die Ergebnisse müssen neu definiert werden. Viele Schulen sind schon auf dem Weg und in vielen Projekten sind längst die Ergebnisse einer veränderten Lernorganisation zu sehen. Dass der einzelne Lernende verantwortlich ist für das Ergebnis und die Qualität seiner Lernprozesse, wird stärker ins Bewusstsein fließen. Am Ende von definierten Unterrichtseinheiten das sind keine 45-Minuten-Einheiten wird es eine Auswertung der Lernprozesse und der Ergebnisse geben, es wird über Verantwortungszuschreibungen beraten und Evaluationsstrategien werden vereinbart. Es wird konkret danach gefragt werden, welchen Beitrag habe ich als Schülerin und Schüler (dazu) geleistet, um dieses Ergebnis zu erzielen? Welchen Beitrag hat die Lehrerin und der Lehrer geleistet, um dieses Ergebnis zu erzielen? Was nehmen wir uns für den nächsten Durchgang, für die nächste Projektsituation, für die nächste Themensituation, für die nächsten 14 Tage oder vier
Wochen vor? Welche Ziele und Leistungsvereinbarungen oder welche Lernvereinbarungen schließen wir? Wie kann das Verhältnis von Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler untereinander zur Verbesserung der Qualität der Lernergebnisse verändert werden, wie arbeiten Lehrerinnen und Lehrer und Schulleitung, oder auch Lehrerinnen und Lehrer und Eltern oder Schülerinnen und Schüler und Eltern zusammen, um die Bildungsergebnisse zu optimieren? In verschiedenen Formen wird das Lernen und Arbeiten organisiert werden. Es wird aber die alte Form, dass sich die Schülerinnen und Schüler als Konsumenten der von Lehrkräften gestalteten Vermittlungsprozesse berieseln lassen und dabei etwas mitnehmen oder auch nicht, nicht mehr geben, wenn man die Anschlussorientierung ernst nimmt. Wenn man die Forderung ernst nimmt, Anschlüsse und die eigene Bildungs- und Berufsbiographie zu organisieren, muss man schon in Schulzeiten sein eigenes Lernen organisieren, Verantwortung für die Entwicklung der Kompetenzen übernehmen und die Lern- und Arbeitsprozesse qualitätsorientiert auswerten. Kurzum, die Aufgabe der Schule wird nicht mehr auf Unterrichtsentwicklung beschränkt sein können, sondern Unterrichtsentwicklung, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung müssen zusammen passen und als Gesamtaufgabe gesehen werden. Auf die Schulleitung kommen damit neue Leitungsherausforderungen und Gestaltungsaufgaben zu. Wenn Gestaltungsfreiräume größer werden entstehen neue Gestaltungsaufgaben und Gestaltungspflichten. Damit ergeben sich abschließend vier Kernaufgaben für Berufsorientierung. 1. Im Zentrum steht die Förderung des individuellen Lernens als Voraussetzung für Lernen im Lebenslauf. 2. Es wird zweitens um Kompetenzentwicklung statt Wissensvermittlung gehen. 3. Es wird drittens um Lernen an unterschiedlichen Orten, insbesondere um qualifiziertes und qualitätsorientiertes Lernen an außerschulischen Lernorten gehen. 4. Es wird viertens ein Übergangsmanagement eingeführt werden müssen, das zum Teil schon entwickelt und in Projekten erprobt wird. In der Arbeitsgruppe fünf z. B. wird Ihnen hier ein Modell aus Hamburg vorgestellt werden, mit dem wir versuchen, die verschiedenen Akteure im Hinblick auf ein Übergangsmanagement zusammenzubinden mit dem Ziel, für Schülerinnen und Schülern die Übergänge in Ausbildung leichter und erfolgreicher zu machen. Praxislernen ist ein weiteres Beispiel, das im Rahmen von SWA in vielen Projekten erprobt worden ist.
Das Programm Schule Wirtschaft/ Arbeitsleben hat wichtige Impulse zur Bewältigung der neuen Kernaufgaben gegeben und wir sind Mitten drin. Für die Weiterentwicklung der Modelle und Verfahren haben wir uns heute hier versammelt. Insofern wünsche ich Ihnen und uns heute und morgen einen guten Verlauf der Tagung und interessante Ergebnisse. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit