Lernen als Informationsverarbeitung Werner Wicki H14 1 2 Werner Wicki, PH Luzern H14 1
3 Die menschliche Informationsverarbeitung Ablaufkontrolle (Metakognition) Verhaltensproduktion Aussenwelt Effektoren Rezeptoren Kodierung, Lang- Wiederholen Elaboration, Organisation zeit- ge- Arbeits- dächt- nis Gedächtnis* Aufmerksamkeit Sensorische Register / Ultrakurzzeitged. Abruf * Kurzzeitgedächtnis 4 Werner Wicki, PH Luzern H14 2
Modellannahmen zum Gedächtnis: Kapazität und Speicherdauer Sensorische Register: sehr grosse Kapazität, sinnesspezifisch, visuelle Speicherdauer unter 0.5 Sekunden, akustische Speicherdauer 2-4 Sek. Arbeitsgedächtnis (begrenzte Kapazität, Speicherdauer = Bearbeitungsdauer: einige Sekunden) Langzeitgedächtnis (grosse Kapazität, lange bis unbeschränkte Speicherdauer) 5 Modellannahmen zum Gedächtnis: Inhaltsabhängige Klassifikation Unterscheidung im Langzeitgedächtnis: deklarativ: bewusstes (explizites) Gedächtnis bezüglich Faktenwissen (semantisches G.) und Ereignissen resp. Erfahrungen (episodisches G.) Prozedural: bezieht sich auf skills (Fertigkeiten), Priming (Effekte, die auf die blosse Präsentation eines Reizes zurückzuführen sind) und Konditionierung. Weil die Prozesse des nichtdeklarativen Gedächtnisses im Wesentlichen unbewusst ablaufen, spricht man auch vom impliziten oder reflexiven Gedächtnis. 6 Werner Wicki, PH Luzern H14 3
Arbeitsgedächtnis: Komponenten Visuell-räumlicher Notizblock Speichert visuelle Informationen von beschränkter Menge Erhaltende und aufarbeitende Wiederholung Zentrale Exekutive Koordiniert, plant, entscheidet Phonologische Schleife Speichert akustische Informationen, die sich in 2 Sek. wiederholen lassen 7 Arbeitsgedächtnis: Eigenschaften Beteiligung des Hippocampus (Teil des limbischen Systems) Arbeitsspeicher; Zentrum des Bewusstseins Informationen aus der Umwelt werden mit dem vorhandenen Wissen in Beziehung gesetzt. Herstellung persönlicher Bezüge. Eng begrenzte Speicherdauer: Informationen bleiben verfügbar, wenn sie wiederholt werden besonders günstig ist aufarbeitende Wiederholung (vgl. oberflächliche, phonologische und semantische Aufarbeitung) Beschränkte Kapazität: 7 +/-2 (ab ca. 11 Jahren). Merke die Zahl 258111417202326 2 5 8 11 14 17 20 23 26 258 111 417 202 326 Herstellung sinnvoller Einheiten (Chunking) 8 Werner Wicki, PH Luzern H14 4
Hippocampus 9 Chunks (= Informationsklumpen) und Konzepte Merken Sie sich: C I A C H U N O U S A N A T O CIA CH UNO USA NATO 10 Werner Wicki, PH Luzern H14 5
Typen der Aufarbeitung (levels of processing): Experiment Merken Sie sich die folgenden Wörter: Hund BROT Vogel FISCH Honig TURM Kirche Torte TIGER Ameise Orange Schlange BANANE Fliege SAHNE Merken Sie sich die folgenden Wörter: KAPELLE Mais VOGEL Butter Schildkröte BURG Mandarine Schloss MILCH Grille Bär Suppe Birne Bahnhof APFEL 11 Typen der Aufarbeitung (levels of processing) flach tief Oberflächenmerkmale: z.b. grosse vs. kleine Buchstaben Phonologische Verarbeitung: Welche Wörter reimen sich? Semantische Verarbeitung: z.b. welches sind Tiere, welches sind Nahrungsmittel, Gebäude etc.? Semantische (tiefe) Verarbeitung führt zu besseren Behaltensleistungen als oberflächliche Verarbeitung! 12 Werner Wicki, PH Luzern H14 6
Top down und bottom up in der Informationsverarbeitung Vorwissen (im Langzeitgedächtnis) Bottom up Top down Daten / neue Information 13 Top down oder bottom up? Beides! Hrer Moser, der scih auf sneie Freein am Meer fruete, war ein gtuer Sgeler, jodech ein mäsgiser Swchimemr. Falls Sie diesen Satz lesen können, zeigen Sie beispielhaft, dass ihr Wissen die Informationsaufnahme mitsteuert ( parallel laufende Bottom up- und Top down-prozesse) 14 Werner Wicki, PH Luzern H14 7
Kontextgebundenheit der Informationsaufnahme A 3 14 E N D 15 Erwerb von Begriffen Kategorisierung erfolgt durch Anwendung einer Anzahl feststehender relevanter Merkmale (Merkmalstheorie) anhand von Ähnlichkeit mit einem Prototypen (Prototyptheorie): Viele Alltagsbegriffe sind unscharf (fuzzy concept). Vergleich mit einem guten Beispiel (ist die Pflanze nun ein Baum oder noch ein Strauch?) Wann sprechen wir von einem Spiel? Was ist Sport, was nicht mehr? Bezugnahme auf die charakteristischen Merkmale (auch wenn dies nicht immer relevante Merkmale sind; z.b. fliegen bei einem Vogel) 16 Werner Wicki, PH Luzern H14 8
Propositionen als Wissenseinheiten (im Langzeitgedächtnis) Def.: P. sind Aussagen oder Verbindungen zwischen Begriffen (die aufgrund von Lernen gebildet wurden) Beispiel: Objekt den Bleistift Subjekt Subjekt P1 Relation P2 Relation Karin spitzte neuen Karin spitzte den neuen Bleistift. 17 Schemata schematisches Wissen Ein Begriff ist mit einer Reihe von Annahmen verbunden (z.b. ein Auto hat vier Räder, ein Wasserfall ist mehr als 2 m hoch, in einem Restaurant kann man etwas essen). Auch Ereignisse sind mit bestimmten Erwartungen verknüpft (beim Gottesdienst sollte man nicht lachen, nach der Vorführung wird geklatscht). Schematisches auf Ereignisse bezogenes Wissen wird als Skript bezeichnet. Begriffe sind kognitive Werkzeuge 18 Werner Wicki, PH Luzern H14 9
(Episodisches) Gedächtnis über typische Ereignisabläufe: Skripts Zusammenarbeit mit dem limbischen System (Emotionen!) Links-rechts-hemisphärische Zusammenarbeit (Enkodierung und Abruf) Skripts: Drehbücher über Ereignisse. Bsp.: Was geschieht der Reihe nach bei einem Sturm (Wolken ziehen auf, Sturmwarnung, starker Wind kommt auf, evtl. werden Bäume entwurzelt, evtl. treten Flüsse über die Ufer, evtl. Überschwemmungen etc.)? Gewisse Abfolgen sind starr, andere können variieren (Bsp.: Je nach Restaurant wird vor oder nach dem Essen bezahlt) Intuitives (naives) physikalisches Wissen ist oft in Form von Skripts gespeichert (und ziemlich resistent gegen Modifikationen!) 19 In Netzwerken organisiertes Wissen Beispiel für ein semantisches Netzwerk Beispiel für ein numerisches Netzwerk Tiere Säugetiere Vögel Katze Hund Dackel Schäfer 100 cm = 1 m 100 entspricht 10 mal 10 5 mal 20 = 100 1000 ist das 10fache von 100 20 Werner Wicki, PH Luzern H14 10
Semantisches Netzwerk 21 Mentales Modell Elemente werden zu (neuen) Netzen verbunden 22 Werner Wicki, PH Luzern H14 11
Die Rolle der Begriffe beim Wissensaufbau: Das Beispiel Wasserkraftwerk Lernen: Turbine - Kraftwerk Vorwissen: Wasserrad mit Transmission (Kraftübertragung) Wissensaufbau: Vorhandene Elemente bilden die Basis 23 Begriffliches Lernen setzt sich zusammen aus dem Prozess des Verknüpfens von begrifflichen Elementen zu neuen Netzwerkteilen dem Prozess des Verdichtens (chunking) dieser Netzwerkteile zu neuen Elementen des Denkens (Aebli, 1978, 1989) des Strukturierens der betreffenden verknüpften und verdichteten Inhalte (Steiner, 1996) Begriffliches Lernen ist konstruktiv! 24 Werner Wicki, PH Luzern H14 12
Konsequenzen für den Unterricht Klare geordnete Darstellung (und Darbietung) von Wissen: Grafiken, Tabellen, hierarchische Darstellungen etc. Präinstruktionale Massnahmen: Vortests, Übersichten, Einordnungshilfen (advance organizer) vgl. «Gerüst vor Detail» (Escher & Messner) Verarbeitungshilfen: Elaborieren durch Markieren von Textteilen, Notizen und Zusammenfassungen anfertigen lassen, Formulieren von geeigneten Fragen (durch die Lernenden), Erstellen von Beziehungsgeflechten vgl. «Fakten mit Inhalten und Bedeutungen füllen» und «Inhalte verknüpfen» (Escher & Messner) «Wiederholendes Üben» und «Pausen einlegen» 25 Werner Wicki, PH Luzern H14 13