Mag. Nathalie Burkert & Dr. Susanne Scheipl Altered Insula Response to Taste Stimuli in Individuals Recovered from Restrictive-Type Anorexia Nervosa Wagner, A., Aizenstein, H., Mazurkewicz, L., Fudge, J., Frank, G.F., Putnam, K., Bailer, U.F., Fischer, L. & Kaye, W.H. Neuropsychopharmacology 2008, 33: 513-523. Wissenschaftliche Grundlagen und allgemeine Fähigkeiten II Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. A. Berghold
Hintergrund I Anorexia Nervosa Anorexia Nervosa restriktives Essverhalten massiver Angst fett zu werden bei gleichzeitiger Mangelernährung und massivem Untergewicht Körperempfindungs- und emotionale Störungen zwanghafte Gedanken um Aussehen und Gewicht spezifische Persönlichkeitseigenschaften: Perfektionismus, extremes Anpassungsverhalten, Zwanghaftigkeit, Ängstlichkeit, hohe Selbstkontrolle, Introvertiertheit, emotionale und affektive Einengung
Hintergrund II Anorexia Nervosa genetische und neurobiologische Faktoren für Krankheitsverlauf mit verantwortlich Familienstudien Regulation des Essverhaltens: primäre Verarbeitung von Geschmacksinformationen im Gehirn: Insula und frontales Operculum (Frontallappen im Großhirn) Belohnungsverhalten Weiterleitung zum orbifrontalen Cortex (OFC): hedonistische (positive) Aspekte der Nahrungsaufnahme
Hintergrund III MR-Studien Darbietung von Bildern mit Essensstimuli Anorexia Nervosa (AN) vs. Gesunde Kontrollpersonen Veränderungen in der Gehirnaktivität in der Insula, dem OFC und dem cingulären Cortex Geheilte AN Patientinnen vs. Gesunde Kontrollpersonen veränderte Aktivität im cingulären cortex und der medialen präfrontalen Regionen Veränderungen in der Gehirnaktivität in jenen Regionen, die für die Nahrungsaufnahme zuständig sind
Hintergrund IV Veränderungen in biologischen Systemen, die das Essverhalten regulieren, Ursache oder Folge der Erkrankung? Eigenschaften wie Depressivität, Zwanghaftigkeit und gestörtes Körperbild vor und nach der Erkrankung vorhanden traits AN untergewichtig Störungen in fast allen physiologischen Systemen geheilte Patientinnen untersucht
Hintergrund V Fragestellung Kann man bei Patientinnen, die an einer restriktiven AN litten, im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen eine abnorme physiologische Reaktion auf die Verabreichung von Zucker (einem positiven Geschmacksstimulus) und Wasser (einem neutralen Reiz) in Gehirnregionen, die Nahrungsaufnahme zuständig sind, feststellen? Inwieweit kann man die Unterschiede in der Gehirnaktivität mit der Angst sowie Annehmlichkeit der Reize in Beziehung bringen?
Methode I - Versuchspersonen Querschnittsuntersuchung keine Verblindung, keine Randomisierung 16 geheilte Personen, die an einer restriktiven AN litten 16 Kontrollpersonen Für MR-Untersuchungen bei einem statistischen Signifikanzniveau von p<.05 12 Versuchspersonen nötig. MR-Untersuchungen sehr sensibel (Bewegungen) Ausfälle (Desmond & Glover, G. (2002).J Neurosci Methods) MR-Untersuchung: ersten 10 Tagen des Menstruationszyklus um 09.00 Uhr standardisiertes Frühstück
Methode II Ein-/Ausschlusskriterien AN: KG: (1) normales Körpergewicht (>90% des Idealgewichtes) (2) normalen Menstruationszyklus (3) kein restriktives Ess-, Binge- oder Purging-Verhalten für mind. 1 Jahr (4) keine Psychopharmaka, kein Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen, keine schwere Depression oder Angststörung seit mind. 3 Monaten (1) keine Essstörung, psychiatrischen oder neurologische Erkrankung in der Vergangenheit (2) aktuell keine Medikation (3) keine Verwandten 1. Grades mit einer Essstörung (4) normales Gewicht und normalen Menstruationszyklus seit Beginn der Menarche
Methode III - Untersuchungsablauf MZP I: psychologischen Messinstrumenten und klinisches Interview psychiatrische Erkrankungen, Depressivität, Angst-, Zwangsund Essstörung, Persönlichkeitseigenschaften MZP II: MR-Untersuchung Beurteilung der Geschmacksreize bzgl. Annehmlichkeit und Angst (7-stufige Likertskaala)
Methode IV Untersuchungsablauf fmri Stimuli : 10%ige Sukroselösung (angenehmer Reiz) und destilliertes Wasser (neutraler Reiz) 6 Blocks mit je 20 pseudorandomisierten Anordnungen NICHT ANGEFÜHRT WIE DIE PSEUDORANDOMISIERUNG ERFOLGTE 3T Signa Scanner Primäre Outcomevariable: Gehirnaktivität in ROIs (regions of interest): Insula, OFC, Amygdala, anteriorer cingulärer Cortex Sekundäre Outcomevariablen: Angst/Annehmlichkeit der Geschmacksreize, psychische Variablen
Methode V Statistische Auswertung Korrektur der Bewegungen mit einem 6-Parameter linearen Algorithmus Daten, die sich innerhalb von 3 Standardabweichungen vom Mittelwert befanden um linearen Trend zu schätzen globale Standardisierung multiplikativ, um für alle Probandinnen eine mittlere Intensität von 3000 zu erreichen Analysen unabhängig für jede einzelne Versuchsperson automatisierter Prozess um die ROIs zu identifizieren: mittels MRIcro Software: anatomisches labeling (aal) visuelle Korrektur um akkurates Mapping sicherzustellen Zeitserie für jeden Datenpunkt: prozentuelle Signaländerung aller Datenpunkte in Bezug auf den ersten Scan jeder Bedingung mittlere Signal für jede Bedingung und jede ROI berechnet
Methode VI Statistische Auswertung fmri-zeitserie mittels JMP-Software (SAS Institute) analysiert Unterschiede innerhalb und zwischen den Gruppen: Varianzanalyse mit einem Faktor für die Gruppe (AN vs. KG), Zeitpunkt (Scannummer 2-10) und Bedingung (Sukrose vs. Wasser) Pearsons Rangsummenkoeffizient: mittlere prozentuelle Signalveränderung über alle Testungen demographische und psychologische Variablen: Unterschiede zwischen den Gruppen: Wilcoxons Rangsummentest kleine Stichprobengröße exaktes Level
Ergebnisse I psychologische Variablen AN vs. KG: kein Unterschied bzgl. Alter AN signifikant niedrigerer BMI Normalgewicht AN signifikant niedrigerer lifetime BMI 10 AN in der Vergangenheit schwere depressive und Zwangsstörung 2 AN in der Vergangenheit Alkoholmissbrauch bzw. abhängigkeit 1 AN in der Vergangenheit Drogenmissbrauch bzw. abhängigkeit AN signifikant höhere Werte Ängstlichkeit, Depressivität und Vermeidungsverhalten
Ergebnisse II fmri I dreifache Interaktion für alle Gehirnregionen nicht signifikant Gruppen in Bezug auf die Bedingungen und die Zeit ähnliche Reaktionen Bedingung x Zeit keine signifikanten Unterschiede zwischen den Regionen Personen innerhalb einer Gruppe gleiches Verhalten in Bezug auf die Bedingungen (Zucker vs. Wasser) Signifikanter Unterschied in der BOLD Reaktion in einigen ROIs über die Zeit hinweg zwischen den Gruppen AN unabhängig von der Bedingung geringere Gehirnaktivität in der Insula bilateral, großen Regionen des Striatums und dem dorsalen und ventralen Putamen
Ergebnisse III fmri II AN und KG: ähnliche Reaktion im anterioventralen striatum (AVS), der Amygdala und dem OFC (BA11) KG: Gehirnaktivität in der Insula, im rechten und linken ventralen Putamen, dorsalem Putamen und anteriorem cingulären Cortex korreliert signifikant positiv mit der Einschätzung der Annehmlichkeit des positiven Reizes AN: kein Zusammenhang zwischen der Einschätzung der Annehmlichkeit des positiven Reizes und der Aktivität in den untersuchten Gehirnregionen AN und KG: kein Zusammenhang zwischen der Einschätzung der Annehmlichkeit des neutralen Reizes und der Gehirnaktivität AN und KG: keinen Zusammenhang zwischen der Beurteilung der Angst und der Gehirnaktivität
Ergebnisse - Zusammenfassung Personen, die an AN litten, Veränderungen hinsichtlich der Verarbeitung von Geschmacksreizen im zentralen Nervensystem signifikant reduzierte Aktivität auf die blinde Verabreichung von Wasser vs. Zucker in der Insula, dem anterioren cingulären Cortex und striatalen Regionen Zusammenhänge zwischen der Gehirnaktivität und der Beurteilung der Annehmlichkeit nur in der KG
Diskussion I Anteriore Insula sowie die angrenzenden Geschmackszentren reagieren nicht nur auf den Geschmack und die physikalischen Eigenschaften von Nahrungsmitteln, sondern auch auf deren Bewertung Tierstudien: Läsionen in der Insula - normale Abwertung von Nahrung nach dem man satt ist, kaum vorhanden Tierstudien: Vermeidungsverhalten hinsichtlich Nahrung, die früher als Ekel erregend erlebt wurde, nicht mehr vorhanden Insula enkodiert positive Aspekte von Geschmacksreizen
Diskussion II reduzierte Aktivität bei AN auch in den Subregionen, die Informationen von der Insula erhalten z.b. Striatum, ventrales Putamen umfassende Geschmacksregion im Cortex Informationen, die von der insula ans striatum weitergeleitet werden, modulieren das Verhalten, insbesondere die Nahrungszufuhr AN: verringerte Aktivität in allen zusammenhängenden Strukturen umfassende Störung in sämtlichen Regionen
Diskussion III Insula und angrenzende Gebiete: Verarbeitung von interozeptiver Information physiologischer Zustand des eigenen Körpers AN: spezifische Veränderung bezüglich Geschmacksreizen oder generelle Störung in Bezug auf die Verarbeitung von interozeptiver Information? Belohnungseffekt von Geld : AN können weniger zwischen positiven und negativen Stimuli differenzieren Symptome bei AN gestörtes Körperbild, Verleugnen der Unterernährung, Nichtreaktion auf Hungersignale, mangelnde Motivation etwas zu verändern gestörte interozeptive Wahrnehmung
Diskussion IV Nur bei den Kontrollpersonen Zusammenhang zwischen der Einschätzung der Annehmlichkeit der Reize und der Aktivität in den Gehirnregionen Aktivität der Amygdala abhängig von der Intensität von Reizen, unabhängig davon, wie diese bewertet werden Vorliegende Studie: keine Aktivität in der Amygdala festgestellt
Diskussion V Bedingt eine ängstliche Reaktion auf die Verabreichung von Zucker die Veränderungen der Gehirnaktivität bei AN? Potentielle Einflüsse von emotionalen Bewertungen auf die Gehirnaktivität Personen, die Angst haben: erhöhte Aktivität in der anterioren Insula bei der Verarbeitung positiver Reize Trend hinsichtlich negativem Zusammenhang zwischen der Angabe der Angst und der Aktivität in der linken Insula auf die Verabreichung von Zucker bei AN, Trend hinsichtlich positivem Zusammenhang in Bezug auf die Angabe der Annehmlichkeit in der KG
Diskussion VI OFC und nicht Insula für die Bewertung von Stimuli verantwortlich? kein Unterschied zwischen den Gruppen in der Gehirnaktivität im OFC nicht die gesamte Aktivität im OFC analysiert nur Region BA11 fehlende Aktivierung im OFC aufgrund des Sättigungsgrades? akkurate Unterscheidung zwischen dem ventralen OFC und der anterioren insula in MR-Studien nicht möglich
Limitationen I neuroanatomischen Unterschieden zwischen den Gruppen nicht berücksichtigt Ergebnisse auf die speziellen Gehirnregionen (ROIs) minimiert gesamte Insula als eine ROI analysiert haben keine spezifischen Aussagen bezüglich unterschiedlicher Regionen der Insula möglich schwierig Subregionen der Insula zu untersuchen Anteriore Insula: Information über Projektion der Amygdala und den Geschmackszentren des Thalamus (Bewertung von Geschmacksstimuli)
Weitere Untersuchungen Implikationen Welche Geschmacksstimuli und in welcher Intensität werden von Patientinnen, die an AN leiden, als angenehm empfunden? Einfluss von Emotionen auf die Gehirnaktivität z.b. Aktivität bei AN im Vergleich zu der bei Depression und Angststörung
Conclusio Dysregulation in der Insula und damit verbundenen Gehirnregionen auf die Verabreichung von Geschmacksstimuli bei AN Störung in Bezug auf die Appetitregulation
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!! Mag. Nathalie Burkert nathalie.burkert@medunigraz.at Dr. Susanne Scheipl susanne.scheipl@medunigraz.at