Lesen und soziale Intelligenz, Empathie. Wie hängen Empathie und Lesen miteinander

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Transkript:

Lesen und soziale Intelligenz, Empathie Wie hängen Empathie und Lesen miteinander zusammen? Empathie, was ist das? Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Einstellung anderer Menschen einzufühlen. Fähigkeit zur differenzierten Wahrnehmung anderer ( soziale Intelligenz ). Die Fähigkeit zur Empathie bildet sich bereits bei Kindern in der frühen Kindheit (1-4 Jahre) aus. (Cierpka 2005, 46) Durch Zuhören und Lesen trainieren wir unsere sozialen Fähigkeiten Vorlesen (z. B. Geschichten über Romanze (Partnerschaft: Lust und Leid der Liebe), Heldensagen (Macht und Einfluss), Opferrollenszenario (Gemeinsame Anstrengungen, um eine Not (z. B. Nahrungsmangel) zu besiegen) stärkt die Empathie. Lesen stärkt eher die Sozialkompetenz und gewährt tiefe Einblicke in das Wesen des Menschen. Wer sich in die Vorstellungswelt der Fiktion begibt, vermag sich leichter in die Sichtweise anderer hineinzuversetzen und

trainiert sein Empathievermögen... (Oatly 2012, 24, s. a. Oatley 1999, Mar et al. 2006,, 2010, 2011, Singer et al. 2004, Speer et al. 2009, Comer Kidd 2013) Besonders wirkungsvoll sind Märchen (Wunder, Sprachstil), die nur in einzelnen Details aus dem Bereich des Möglichen ausbrechen. Forscher bezeichnen dies als minimal kontraintuitive Konzepte (MCIs). (Drimalla 2012, 20) Nach dem Lesen einer Kurzgeschichte können Probanden zwischenmenschliche Situationen oft besser einschätzen. (Oatly 2012, 26) Wer besonders offen für neue Erfahrungen ist, liest generell etwas mehr. (Oatly 2012, 27) Bei Schulkindern und bei Erwachsenen fördert das Lesen von Romanen das Empathievermögen. (Oatly 2012, 28) Wer besser in Empathietests abschneidet, also fähiger ist, die Stimmung seines Gegenübers zu erspüren, wird umso stärker von der Handlung einer Story ergriffen. unabhängig vom Inhalt Empathie gehört zu einem ganzen Komplex von Fähigkeiten, den Psychologen als Theory of Mind bezeichnen: eine Theorie des wenn-ich-du-wäre.

Wir gehen intuitiv davon aus, dass unser Gegenüber je nach Situation dieselben mentalen Zustände (Gefühle, Absichten, Hoffnungen) einnimmt wie wir selbst. Auf dieser Basis stellen wir Mutmaßungen über das Innenleben unserer Mitmenschen an. Wem diese Begabung fehlt, der kann in keiner Gemeinschaft leben und sich auch in keine Geschichte einfühlen. Kinder entwickeln eine Theory of Mind im Alter von vier bis fünf Jahren. Von da an können sie den Gedankengängen einer fiktiven Person folgen Maxi legt beispielsweise ein Stück Schokolade in den Schrank und verlässt darauf die Küche. Dann sehen die Kinder, wie die Mutter die Schokolade in einen anderen Schrank legt. Wo wird Maxi die Schokolade suchen?... Die richtige Antwort gaben Kinder im Allgemeinen erst ab 5 Jahren. Jüngere sind offenbar nicht fähig zu erkennen, dass Maxi weniger weiß als sie selbst. (Hsu 2009) Offensichtlich sind fiktionale Geschichten ein Trainingswerkzeug, um das Geflecht sozialer Beziehungen zu durchschauen. Dies gilt besonders, wenn literarische Werke gelesen werden. Hier muss durch Ungewissheiten, die der Autor bewusst erzeugt, der Leser sich herausgefordert fühlen, sich in die entsprechende literarische Figur einzufühlen, um abschätzen zu können, wie sie jetzt und in Zukunft denkt und fühlt und welche ihrer Entscheidungen dadurch verständlich erscheinen. (Comer Kidd, Castano 2013)

Die empathische Kompetenz wird auch als reflektive Funktion beim Kind charakterisiert. Sie umfasst folgende Ebenen: D 1. Sich und andere als denkend und fühlend erleben zu können. Lesen ist kein passives Aufnehmen von Informationen. Vielmehr spielen wir lebhafte mentale Situationen durch. (Speer et al. 2007; s.a. Gehirn&Geist 4_2009, S. 8) Bei Lesen verschmelzen Fiktion und Wirklichkeit. Im Gehirn werden beim Lesen die gleichen neuronalen Netzwerke aktiviert, die auch zuständig sind für das Handeln der eigenen Person und der Verarbeitung von echten Sinnesreizen. (Speer et al. 2007; s.a. Gehirn&Geist 4_2009, S. 8) Man wird durch die Empathie befähigt, wahrzunehmen, dass Gefühle sich ändern und zu erfahren, warum das so ist. Man wird durch die Empathie befähigt, gezielte Handlungen (z. B. absichtliches Schubsen ) von ungezielten Handlungen (z. B. unabsichtliches Schubsen ) zu unterscheiden. D 2. Die Reaktion anderer hervorsagen zu können. (sog. prädiktive Kompetenz). Man wird durch die Empathie befähigt, ursächliche Zusammenhänge zu erkennen, um Gefühle vorhersagen zu können. D 3. Die Perspektive des anderen übernehmen zu können. (Cierpka 2005, 36; s. a.:fonagy, 1994, 2003, 2004) Man wird durch die Empathie befähigt, aus körperlichen und situativen Anhaltspunkten eigene Gefühle und Gefühle anderer zu erkennen.

Man wird durch die Empathie befähigt, wahrzunehmen, dass Menschen unterschiedliche Gefühle in Bezug auf die gleiche Sache haben können. Man wird durch die Empathie befähigt, zu verstehen, dass Menschen unterschiedliche Vorlieben und Abneigungen haben. Man wird durch die Empathie befähigt, Sorge und Mitgefühl für andere auszudrücken. PS: Auch bereits für Singvögel ist eine personale Wechselbeziehung zum Erlernen des Gesangs unabdingbar. Wenn Jungvögeln ihr arttypischer Gesang nur vom Tonträger vorgespielt wird, können sie ihren arttypischen Song nur unvollständig lernen. Einige wenige Arten, darunter Singvögel, Papageien, Kolibris, einige Meeressäuger und Fledermausarten erlernen ihr Lautmuster indem sie ihre Eltern imitieren. Und dieser Vorgang ähnelt in gewisser Weise den ersten Schritten eines Säuglings beim Spracherwerb: Anhand des Gehörten entwickelt auch dieser eine Vorstellung davon, wie es richtig geht und vermag die eigenen Laute anzupassen. (Haesler 2009, 37) D 4. Die Veränderung von inneren Zuständen und deren Folgen reflektieren zu können. (z. B. Ich fühle mich traurig. ) Man wird durch die Empathie befähigt, Gefühle durch die Verwendung von Ich -Botschaften mitzuteilen und über aktives Zuhören zu erfassen. Um in Konfliktsituationen gute Lösungen zu finden, müssen auch die eigenen Gefühle beachtet werden. (Cierpka 2005, 36, 47; s. a.:fonagy, 1994, 2003, 2004;) Neben dem Elternhaus, dem Kindergarten und der Schule sind Miterzieher die Medien und die die Gleichaltrigengruppe. (Cierpka 2005, 17)