Grenzverletzung Eine Möglichkeit, erwachsen zu werden? Selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen. Vortrag vom

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Transkript:

Grenzverletzung Eine Möglichkeit, erwachsen zu werden? Selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen Vortrag vom 30.01.2014 In Eupen

Kulturell bedingte Selbstverletzung Körperschmuck Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft Übergangsrituale der Adoleszenz religiöse Riten, spirituelle Handlungen Gesundheit und Heilung

Definition Selbstverletzendes Verhalten ist gleichbedeutend mit einer funktionell motivierten Verletzung oder Beschädigung des eigenen Körpers, die in direkter und offener Form geschieht, sozial nicht akzeptiert ist und nicht mit suizidalen Absichten einhergeht.

Formen der Selbstschädigung Schneiden, Ritzen, Kratzen Schlagen Verbrennen Stechen Überdosierung von Medikamenten Einnahme illegaler Drogen Einnahme ungenießbarer Substanzen

Ergebnis Absichtliche Selbstschädigung Weibliche Schüler 15/16 Jahre =>13,4 % Männliche Schüler 15/16 Jahre =>4,4 %

Methoden und ihre Häufigkeit: Schneiden Überdosierung von Medikamenten Sonstige Methoden Schneiden &Überdosierung Sonstige multiple Methoden 55,3 % 21,6 % 10,6 % 5,8 % 6,8 %

Individuelle Faktoren Depression/Angststörung geringe kommunikative Fertigkeiten niedriges Selbstwertgefühl Hoffnungslosigkeit Impulsivität Missbrauch von Drogen und Alkohol

Familiäre Faktoren unrealistische Erwartungen der Eltern an ihre Kinder Vernachlässigung Missbrauch gestörte Beziehung und Konflikte zwischen den Eltern Depression, Selbstschädigung oder Suizid in der Familie

Soziale Faktoren Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen Einsamkeit, Ablehnung von Gleichaltrigen dauerhafte Erfahrung von Mobbing leichte Verfügbarkeit von Drogen leichte Verfügbarkeit von Medikamenten

Auslösefaktoren Probleme in der Beziehung zur Familie gehört zu den häufigsten Auslösern bei kleineren Jugendlichen Probleme in der Beziehung zu Gleichaltrigen gehört zu den häufigsten Auslösern bei älteren Jugendlichen Mobbing Traumatische Erlebnisse Selbstschädigendes Verhalten von anderen Jugendlichen Darstellung von Selbstverletzung in den Medien Druck durch die Schule Schwierigkeiten mit der Polizei

Häufigkeit und Aussagen der Jugendlichen: Ich suchte Erleichterung von einem 72,8 % schrecklichen seelischen Zustand Ich wollte sterben 52,8 % Ich wollte mich selbst bestrafen 46,3 % Ich wollte zeigen, wie verzweifelt ich mich fühle 40,7 % Ich wollte herausfinden, ob mich jemand wirklich liebt 31,3 % Ich wollte Aufmerksamkeit bekommen 24,0 % Ich wollte jemandem Angst machen 21,1 % Ich wollte mich an jemandem rächen 14,3 %

Gründe, die von den Jugendlichen benannt werden: Weil ich mich extrem mies fühle Depression und weil ich mich selbst und andere Leute einfach entsetzlich fand Depression, Einsamkeit und Selbstmitleid

Fluchtgedanken Ich wollte nicht mehr mit meinen Problemen weiterleben, ich sah es als einfachen Ausweg an. ich fühlte mich alleine, hatte niemanden zum Reden, ich dachte es wäre die einzige Möglichkeit meine Probleme zu lösen Ich wollte weg

Bewältigungsstrategien Wütend werden : 88 % Jugendliche ohne SV 92 % Jugendliche mit SV Versuchen, die Dinge in Ordnung zu bringen 95 % Jugendliche ohne SV 85 % Jugendliche mit SV Alkohol trinken 34 % Jugendliche ohne SV 57 % Jugendliche mit SV

Und mit wem glauben Jugendliche am besten reden zu können? Freund oder Freundin Jungen mit SV 74 % Jungen ohne SV 77 % Mädchen mit SV 85 % Mädchen ohne SV 91 %

Und mit wem glauben Jugendliche am besten reden zu können? Mutter Jungen mit SV 40 % Jungen ohne SV 66 % Mädchen mit SV 50 % Mädchen ohne SV 75 %

Und mit wem glauben Jugendliche am besten reden zu können? Geschwister Jungen mit SV 30 % Jungen ohne SV 48 % Mädchen mit SV 40 % Mädchen ohne SV 55 %

Und mit wem glauben Jugendliche am besten reden zu können? Vater Jungen mit SV 30 % Jungen ohne SV 53 % Mädchen mit SV 25 % Mädchen ohne SV 41 %

Und mit wem glauben Jugendliche am besten reden zu können? Lehrerin Jungen mit SV 11 % Jungen ohne SV 20 % Mädchen mit SV 15 % Mädchen ohne SV 21 %

Warum ich mir keine Hilfe hole! Weil ich keine Hilfe wollte Meine Probleme erscheinen klein, verglichen mit den Problemen auf dieser Welt und ich möchte für das, was ich habe, dankbar und nicht undankbar sein Die Leute könnten denken, ich sei ein kleines dummes Mädchen, das nur Aufmerksamkeit will Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir noch jemand zuhört, mir fehlt ja nichts, ich bin einfach nur depressiv!

Beratung?

Was hält Jugendliche ab, sich Hilfe in Hilfseinrichtungen zu suchen? Die meisten jungen Leute haben nicht genug Vertrauen, um bei den telefonischen Beratungsstellen anzurufen Sie sollten sich bekannter machen es wäre nötig, dass wir mit jüngeren Leuten sprechen - so 17 bis 24 - die sich mit unseren Problemen identifizieren und uns verstehen könnten und denen wir völlig vertrauen könnten

Verschiedene Hilfesysteme Beratung Therapie Medizinische Hilfe

Beratung Ratgeberliteratur Telefondienste Internet Selbsthilfegruppen im Internet

Therapie Einzeltherapie Gruppentherapie

Verschiedene Therapieansätze Tiefenpsychologische Therapie Verhaltenstherapie Kognitive Verhaltenstherapie DBT Familientherapie

Tiefenpsychologische Therapie 1. Der Therapeut muss sich vergegenwärtigen, dass es sich bei dem selbstverletzenden Verhalten des Jugendlichen um ein selbst fürsorgliches Verhalten handelt. 2.Im Rahmen der Therapie ist eine gute und sichere Beziehung zu den Jugendlichen, die sich selbstverletzen, von zentraler Bedeutung

3.Die Aktionssprache der Selbstverletzung gilt es in zwischen menschliche Wortsprache zu übersetzen und gemeinsam mit den Jugendlichen eine neue Kommunikationsform erschließen. 4.der nächste Schritt besteht darin mit den Jugendlichen eine kurz und mittelfristige Perspektive für die Zukunft zu entwickeln. Dies gibt Sicherheit. 5.Erst jetzt bietet es sich an, wenn Traumata zur Selbstverletzung geführt haben, diese vorsichtig frei zu legen und zu bearbeiten.

Verhaltenstherapie Grundlage: Verhaltenstherapie geht davon aus, dass unser Verhalten auch selbstverletzendes Verhalten durch Erfahrungen erlernt ist. Entsprechend sollte es nun möglich sein, das dysfunktionale Verhalten durch Lernprozesse zu modifizieren.

Wie kann das erreicht werden: Stimuluskontrolle Löschung Negative Sanktionen Verhaltensaufbau und Verstärkung

Kognitive Verhaltenstherapie DBT Selbstverletzendes Verhalten aus der Sicht der Patienten ist eine verständliche Reaktion auf unerträgliche Belastung Und es wird deutlich gemacht, dass das Verhalten dysfunktional und langfristig schädlich ist Nach Marsha Linehan (1994)

Schwierigkeiten Identitätsstörung = Unklarheit über die eigenen Gefühle Impulsivität = Handeln ohne vorher über die Konsequenzen nachzudenken Emotionale Instabilität = schnelle, intensive Stimmungswechsel; Mangelnde Kontrolle über Gefühle Zwischenmenschliche Probleme = Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen Fertigkeiten Achtsamkeit = Bewusstsein der eigenen Gefühle Stresstoleranz = Fertigkeiten, um mit belastenden Situationen angemessen umzugehen Emotionsregulation = Fähigkeit, mit Emotionen umzugehen und sie zu beeinflussen Zwischenmenschliche Fertigkeiten = soziale Kompetenzen, angemessener Umgang mit anderen Menschen Jugendspezifische Dilemma = extremes Denken, Fühlen und Handeln - Schwarz -Weiß Walking the Middle Path = Fähigkeit und Bereitschaft, Kompromisse einzugehen

Familientherapie Kommunikation innerhalb der Familie verbessern Ziel sind bessere Problemlösestrategien

Medizin Modell 1: Psychopharmaka, die die Störung behandeln, die dem selbstverletzenden Verhalten zugrunde liegt Modell 2: Psychopharmaka, die die Symptome behandeln, die mit dem selbstverletzenden Verhalten einhergehen Modell 3: Psychopharmaka, die direkt das selbstverletzende Verhalten beeinflussen.

Wie man helfen kann: Ansprechen! Treffen arrangieren Ort suchen, der für beide Seiten angenehm ist Sicherstellen, dass der Jugendliche versteht, warum die Vertraulichkeit eingeschränkt ist Jugendliche unterstützen, Schritte zu unternehmen, die ihre Sicherheit erhöht Informationen anbieten Zuhören!