Westfälische Wilhelms-Universität Münster BGB Allgemeiner Teil Dr. Michael Bohne 1. Februar 2007
2 Anfechtung - Sachverhalt Durch die regelmäßige TV-Übertragung von Skirennen ist K begeisterter Wintersportler. Zur kommenden Saison plant er die Anschaffung einer eigenen Ausrüstung. K kontaktiert den V zwecks eines Kaufs von Skiern. Auf Nachfrage bestätigt V dem K, dass das von ihm ausgewählte Modell hervorragend für Anfänger geeignet sei, obwohl er weiß, dass das Modell Rennskier sind, welche nur für weit fortgeschrittene Fahrer zu gebrauchen sind. Es kommt zum Kauf der Skier für 250. Als K drei Tage später in seinem ersten richtigen Skiurlaub auf die Bretter steigt, bemerkt er den Fehlkauf. Der ortsansässige Händler H bestätigt ihm, dass die Skier für Anfänger unbrauchbar sind. Welche Rechte kann K gegen V geltend machen?
3 I. Anspruch K gegen V auf SE I. Schadensersatzanspruch K V gem. 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB 1. Wirksamer Kaufvertrag zwischen K und V gem. 433 BGB: (+) 2. Mangelhaftigkeit der Kaufsache bei Gefahrübergang, 434 I 1, 446 BGB: hier wurde vereinbart, dass die Skier für Anfänger geeignet sein sollten, was nicht der Fall war. Somit liegt ein Mangel vor. 3. Kein Gewährleistungsausschluss: (+) 4. Vorraussetzungen der 280 Abs. I, III, 281 BGB f. Schuldverhältnis: Kaufvertrag zwischen K und V (s.o.) g. Pflichtverletzung: Die Pflichtverletzung liegt in der Übergabe der nach Parteivereinbarung mangelhaften Skier. h. Frist des 281 I 1 BGB: hier entbehrlich gem. 281 II, da eine Nachlieferung/ Nachbesserung die Skier für K nicht brauchbar machen würden. i. Rechtswidrigkeit (+)
4 II. Rücktritt, III. Herausgabeanspruch a. Vertretenmüssen, 280 I BGB: Wird indiziert, hier hat V eine bewusste Falschaussage über die Skier gemacht. 2. Rechtsfolge: Schadensersatz statt der Leistung. V kann die Skier zurückverlangen, 281 V, 346 BGB IV. Rücktritt gem. 437 Nr. 2 ivm 323, 346ff. BGB: (+) VI. Kaufpreisrückzahlungsanspruch K V gem. 812 I 1, 1. Alt BGB 8. Zur Anwendbarkeit des 812 I 1, 1. Alt BGB bei Anfechtung i. ea: Anwendbar ist 812 I 2, 1. Alt BGB (condictio ob causam finitam); der Rechtsgrund bestehe bis zur Anfechtung fort. j. hm: Anwendbar ist 812 I 1, 1. Alt BGB (condictio indebiti); gem. 142 I BGB gilt das Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig. 11. Etwas erlangt:(+) V hat zumindest Besitz an den 250 erlangt.
5 III. Herausgabeanspruch 1. Durch Leistung des K (+): K hat bewusst und zweckgerichtet das Vermögen des V gemehrt, um seine Verpflichtungen ( 433 II BGB) aus dem Kaufvertrag zu erfüllen. 2. Ohne Rechtsgrund? c. Generell besteht ein Kaufvertrag zwischen K und V, welcher einen Rechtsgrund darstellen würde. Jedoch könnte K die Möglichkeit der Anfechtung haben. Würde er die Anfechtung erklären, wäre der Rechtsgrund mit der Wirkung des 142 I BGB beseitigt (Nichtigkeit ex tunc). d. Anfechtungsgrund e. 119 II BGB: Irrtum über Eigenschaften: (-) Eine Anfechtung gem. 119 II BGB ist ausgeschlossen, wenn die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften greifen. Ansonsten würden die Verjährungsvorschriften des 438 BGB unterlaufen.
6 III. Herausgabeanspruch a. 123 I BGB, Arglistige Täuschung (2) Anwendbarkeit: (+), 123 BGB ist neben den kaufrechtlichen Sachmängelgewährleistungsansprüchen möglich. Der arglistig Täuschende soll keinen Schutz genießen. (3) Täuschung: (+) Falsche Behauptung des V, die Skier wären für Anfänger geeignet. (4) Irrtum: (+) K glaubte an die Eignung der Skier für sich als Anfänger. (5) Kausalität: (+) Vertragsschluss aufgrund des Irrtums. (6) Arglist: (+) V hat vorsätzlich hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale der Täuschung gehandelt. Es genügt im übrigen bereits der bedingte Vorsatz, bspw. bei Behauptungen ins Blaue hinein. Anfechtungsgrund des 123 I BGB (+) i. Anfechtungserklärung, 143 I BGB: Die Anfechtung wurde noch nicht erklärt, kann aber gem. 143 I BGB von K erklärt werden. Erklärungsgegner wäre V gem. 143 II BGB.
7 III. Herausgabeanspruch, IV. c.i.c. a. Anfechtungsfrist, 124 BGB: Jahresfrist Durch die Anfechtung fiele der Rechtsgrund weg. 3. Rechtsfolge: Im Falle der Anfechtung durch K hat K einen Anspruch gem. 812 I 1, 1. Alt BGB gegen den V auf Rückgabe des erlangten Kaufpreises ihv 250. V. Schadensersatzanspruch K V gem. 280 I, 311 II, 241 II BGB (c.i.c.) 6. Anwendbarkeit g. Bei bestehendem Kaufvertrag (+): c.i.c. ist bei arglistigem Verhalten des Vertragspartners neben den Gewährleistungsrechten anwendbar; eine Gefahr der Fristenumgehung besteht nicht, vgl. 438 III BGB. h. Bei nichtigem Kaufvertrag nach Anfechtung (+): Im Falle der Anfechtung ist das Geschäft gem. 142 I BGB als von Anfang an nichtig anzusehen.
8 IV. c.i.c. Die Nichtigkeit erfasst aber nicht das vorvertragliche Schuldverhältnis, so dass die Informations- und Aufklärungspflichten auch nach erfolgter Anfechtung bestehen bleiben. (Die Anfechtung vernichtet nur die WE, die zum Abschluss des Kaufvertrages geführt hat). 2. Vorvertragliches Schuldverhältnis (+): Entstehung durch Aufnahme der Vertragsverhandlungen, 311 II Nr. 1, 241 II BGB. 3. Pflichtverletzung (+): Insbesondere bestehen Informations- und Aufklärungspflichten. Hier hat V eine Falschauskunft über die Skier gegeben. 4. Verschulden, 276 BGB: (+) V hatte Vorsatz. 5. Rechtsfolge: Schadensersatz gem. 280 I, 311 II, 241 II BGB.
9 V. 823 II BGB ivm 263 StGB I. Schadensersatzanspruch K V gem. 823 II BGB ivm 263 StGB 2. Anwendbarkeit: (+) Kein Ausschluss neben Gewährleistungsansprüchen. 3. Verletzung eines Schutzgesetzes d. 263 StGB als Schutzgesetz (+): Bezweckt ist die freie, täuschungsfreie Willensentschließung. e. Verletzung (+): Täuschung, Irrtum, Vermögensverfügung, Vermögensschaden, Kausalität und Vorsatz liegen vor. 6. Verschulden: (+) 7. Schaden: (+) 8. Rechtsfolge: Schadensersatzanspruch aus 823 II BGB ivm 263 StGB.
10 Anfechtung Sachverhalt Abwandlung Abwandlung Nach der freundlichen Auskunft des H hat sich eine echte Männerfreundschaft zwischen K und H entwickelt. K gefällt es im Skiort so gut, dass er überlegt, eine Ferienwohnung in dem Ort zu erstehen. Der H hat eine passende Wohnung. K möchte durch den Erwerb in hohem Maße Steuern sparen. Der H gibt vor, etwas vom Steuerwesen zu verstehen und versichert ihm, dass beim Kauf der Wohnung erhebliche Steuervorteile auf K zukommen. K kauft die Wohnung des H, jedoch entstehen ihm deshalb keinerlei Steuervorteile. Nachdem nach eineinhalb Jahren die Freundschaft zerbricht, möchte K gegen H vorgehen. Kann K den Kaufpreis zurückverlangen?
11 Anspruch K gegen H auf Kaufpreisherausgabe Rückzahlung des Kaufpreises gem. 812 I 1, 1. Alt BGB 2. Zur Anwendbarkeit des 812 I 1, 1. Alt BGB s.o. 3. Etwas erlangt: (+) H hat zumindest Besitz am Kaufpreis erhalten. 4. Durch Leistung des K: (+) Bewusste und zweckgerichtete Mehrung des Vermögens des H zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit aus 433 II BGB. 5. Ohne Rechtsgrund?: Denkbar nach erfolgter Anfechtung: f. Anfechtungsgrund g. 119 II BGB, Eigenschaftsirrtum: Steuervorteil ist keine verkehrswesentliche Eigenschaft, die der Wohnung dauerhaft anhaftet. (Ebenso ist der Preis keine Eigenschaft). h. 123 I BGB, Arglistige Täuschung (9) Täuschung: (+) Falsche Behauptung des H, es würden sich Steuervorteile ergeben und er habe Ahnung von der Materie. (10) Irrtum: (+) K glaubte an die Auskünfte des H, sowie dessen Fachkunde.
12 Anspruch K gegen H auf Kaufpreisherausgabe (1) Kausalität: (+) Vertragsschluss aufgrund des Irrtums. (2) Arglist: (+) H hat vorsätzlich hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale der Täuschung gehandelt. c. Anfechtungserklärung, 143 I BGB: Von einer Erklärung des K gegenüber H ist auszugehen. d. Anfechtungsfrist, 124 I BGB: Binnen Jahresfrist nach Kenntnis. Diese Frist ist verstrichen, da K bereits sofort nach dem Erwerb feststellte, dass sich keine Steuervorteile für ihn ergeben. Somit ist keine Anfechtung mehr möglich. 6. Ergebnis: Kein Rückzahlungsanspruch des K H aus 812 I 1, 1. Alt BGB mehr möglich, da die Anfechtungsfrist verstrichen ist.
13 Minderjährigkeit - Sachverhalt Der 15-jährige J bekommt von seiner Mutter monatlich 50 Taschengeld, das zur Finanzierung seiner Freizeitaktivitäten dienen soll. Nachdem J zwei Monate gespart hat, kauft er eine Playstation zum Preis von 130 bei V. Er zahlt 100 an und vereinbart den restlichen Betrag von 30 im nächsten Monat zu bezahlen. V ist erfreut über den Umsatz und legt die 100 in die leere Kasse. Die entsetzte M, die eine entschiedene Gegnerin sämtlicher Computerspiele ist, verbietet J mit der Playstation zu spielen. V verlangt nun von J Zahlung der restlichen 30 oder Herausgabe der Playstation. Zu Recht?
14 I. Anspruch V gegen J auf Kaufpreiszahlung I. Anspruch V gegen J auf Kaufpreiszahlung aus 433 II BGB 1. Wirksamer Vertrag zwischen J und V? a. Einigung zwischen J und V (+) b. Wirksam? J ist (nur) beschränkt geschäftsfähig. aa. Lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft ( 107 BGB)? Keine wirtschaftliche, sondern streng formaljuristische Betrachtung. Hier: V hätte Anspruch auf Kaufpreiszahlung = rechtlicher Nachteil. Also: Kein lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft. bb. Daher Zustimmung der Eltern als ges. Vertreter erforderlich, liegt nicht vor. Nach 108 Abs. 1 ist damit der Kaufvertrag schwebend unwirksam. cc. Generaleinwilligung durch Überlassen von Mitteln (Taschengeldparagraph), 110 BGB, (-) bewirken = vollständige Zahlung des Kaufpreises 2. V hat gegen J keinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung.
II. Anspruch auf Herausgabe aus 985 II. Anspruch V gegen J auf Herausgabe der Playstation aus 985 BGB 1. V = Eigentümer? a. ursprünglich war V Eigentümer b. Eigentumsverlust an J durch Übereignung, 929 S. 1 BGB? aa. Einigung (+), aber unwirksam mangels Genehmigung, 108 I BGB? Einwilligung/ Genehmigung nicht erforderlich nach 107 BGB, da Eigentumserwerb an der Playstation rechtlich rein vorteilhaft bb. Übergabe (+) (Realakt: Besitzverschaffung) cc. Berechtigung des V zur 15
16 III. Anspruch auf Herausgabe aus 812 I 1, 1. Alt. BGB III. Anspruch V gegen J auf Herausgabe der Playstation aus 812 I 1, 1. Alt. BGB 1. etwas erlangt (+), Eigentum und Besitz an der Playstation 2. durch Leistung des V (+) 3. ohne rechtlichen Grund (+), s.o. Teil 1 4. V hat gegen J einen Anspruch auf Herausgabe der Playstation aus 812 I 1, 1. Alt. BGB.
17 Minderjährigkeit - Sachverhalt (Fortsetzung) J verlangt von V die gezahlten 100 heraus. Zu Recht?
18 Ansprüche des J auf Rückgabe der 100 I. Anspruch J gegen V auf Herausgabe der 100 aus 985 BGB 1. J = Eigentümer des Geldes? a. ursprünglich war J Eigentümer b. Eigentumsverlust durch Übereignung an V, 929 S. 1 BGB? aa. wirksame Einigung ( dinglicher Vertrag )? bb. J beschränkt geschäftsfähig gem. 106 BGB; Einwilligung erforderlich gem. 107 BGB, da Eigentumsverlust rechtlich nachteilig Einwilligung/ Genehmigung erteilt (-) Zwischenergebnis: Kein Eigentumsverlust durch Übereignung gem. 929 S. 1 BGB; J weiterhin Eigentümer der Geldscheine. cc. Kein Eigentumsverlust durch untrennbare Vermengung gem. 948 I BGB
19 Ansprüche des J auf Rückgabe der 100 2. V = Besitzer, 854 I BGB (+) 3. Recht zum Besitz des V, 986 I BGB? Könnte sich nur aus Kaufvertrag ergeben; dieser ist aber unwirksam (s.o. Teil 1); V hat kein Recht zum Besitz 4. Anspruch J gegen V auf Herausgabe der Geldscheine aus 985 BGB (+)
20 Ansprüche des J auf Rückgabe der 100 II. Anspruch J gegen V auf Herausgabe der 100 aus 812 I 1, 1. Alt. BGB 1. etwas erlangt: (+), V hat den unmittelbaren Besitz an den 100 erlangt 2. durch Leistung: Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. J hat V zur Erfüllung seiner vermeintlichen Pflicht Besitz an dem Geld verschafft, also hat V dieses durch Leistung des J erlangt. 3. ohne rechtlichen Grund: (+), wenn der Kaufvertrag unwirksam ist, was der Fall ist (s.o.). 4. J hat gegen V einen Anspruch auf Herausgabe aus 812 I 1, 1. Alt. BGB.