Migration als Determinante von Lebensqualität: Strukturelle, kulturelle und biographische Aspekte

Ähnliche Dokumente
Lebensqualität trotz Prekarität? Empirische Einsichten in den komplexen Zusammenhang von Migration und Lebensqualität

Transkulturalität und Interkulturalität in der Migrationsforschung

Alt werden in der Fremde Christoph Reinprecht Institut für Soziologie der Universität Wien, Vortragung Fachtagung Linz,

Gesundheitsnachteile von MigrantInnen: Evidenz und Wahrnehmung

Alter im Migrationskontext Lebensbedingungen, Lebensentwürfe und Bedürfnislagen älterer MigrantInnen in Österrech

Mosaik sozialer und kultureller Welten Studien zur Diversität der älteren Bevölkerung Wiens

Psychische Gesundheit von älteren türkischen Migrantinnen und Migranten. Fidan Sahyazici Dr. Oliver Huxhold

Soziologisches Institut, Lehrstuhl Prof. Dr. Jörg Rössel FS Proseminar zur soziologischen Forschung:

soeb Werkstattgespräch Über Teilhabe berichten

Zur Bedeutung und Funktion der Familie im Prozess von Migration und Integration

Migrantenmilieus. Migration und Stadtentwicklung. Dozent: Prof. Dr. Rainer Greca. Referenten: Christine Bäuerlein, Johannes Huber, Abdelqader Masri

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Das Alterseinkommen von MigrantInnen: herkunftsspezifische Ungleichheiten und die Erklärungskraft von Bildungsund Erwerbsbiographien

Zum pädagogischen Umgang mit Gleichheit und Differenz

Soziale Ungleichheit im österreichischen Schulsystem

Symposium Wohnen und Integration

Theoretische Rahmenkonzepte

Transkulturelle Anamnese migrationssensitive Checklisten

Integration oder Exklusion?

Qualifikation und Arbeitsmarktintegration geflu chteter Frauen: Erkenntnisse aus der Vergangenheit

Migration, Familie und Soziale Arbeit

THEMEN BETREUTER ABSCHLUSSARBEITEN AM ISD

Soziologische Perspektive auf Ressourcen und Potentiale zur Gesundheitsförderung

Segregation und Raumeinheit

Ältere Migrantinnen und Migranten im Quartier

Materielle Sicherung und/oder Integration Ethische Fragen rund um die Sozialhilfe

Ortrud Leßmann Das soeb-teilhabekonzept im Verhältnis zu Ansätzen der Lebensqualitätsforschung:

Grenzen überschreitendes Altern?!

Soziale Klassen/Soziale Schichten

Erzeugt die Interventionsforschung erst die Zielgruppen ihrer Intervention?

Befragung von Migrantinnen und Migranten im Deutschen Freiwilligensurvey 2014

Realangst oder Hysterie? Subjektive und objektive Statusgefährdungen

Nationale Tagung «älter werden - gesund bleiben» Workshop 4: Migrationsbiographie - Risiko für Altersarmut?

Barbara Stauber. Zwischen Erfolgs- und Looser-Skript: Lebenslagen und Bewältigungsstrategien von Mädchen und jungen Frauen

Gender in der Suchtberatung

LEBENSZEITEN UND MIGRATION

Bekämpfung von Kinderarmut im österreichischen Sozialstaat: Ansätze und Herausforderungen. Marcel Fink Institut für Höhere Studien

Einführung in das Thema Gutes Klima für Arbeit und Ausbildung

Arbeitsmarkt, Pflege und soziale Ungleichheit: Europäische Perspektiven

Wie gut reist Bildung? Ausbildung und Beruf mit und ohne Migration: Zusammenfassung auf Deutsch

Altwerden in der Migration: Zwischen Autonomie und Verwundbarkeit

Vielfalt zwischen Management und Herrschaftskritik. Elisabeth Holzleithner Universität Wien

Unterstützungsbedarf älterermigrantinnen undmigranten

Lebensstile, Lebensphasen, Lebenslagen Differenzierung von Nachfragegruppen als Grundlage kommunaler Quartiersentwicklung?

Claudio Caballero. Integration und politische Unterstützung

Sag mir wo du wohnst und ich sage dir wer du bist? Sozialräumliche Aspekte der Sozialstruktur

Was bringt die Zukunft und wie werden wir morgen leben?

Sprache als Brücke Sprache als Grenze?

Shell Jugendstudie Business Breakfast,

Lohnerwartung und Lohnungleichheit für Personen mit Migrationshintergrund

Migration und Integration im Alter. Kultursensible Pflege und Betreuung als Herausforderungen für die Zukunft?

Vortrag zur Fachtagung Zuwanderer integrieren im Stadtweinhaus am 22. April 2005

Partizipation - Anforderungen an eine diversitätsbewusste Jugendarbeit

Integration - Inklusion Diversity

Lebensstile Jugendlicher

Leben Migranten wirklich länger?

Die älteren türkischen Migranten in Deutschland

Der Prozess der Verrentung von ausländischen und einheimischen Bürgern in Deutschland

Soziale Gerechtigkeit in Österreich. Ergebnisse des Bildungsmonitoring

Systemvertrauen und Wohlfahrtsansprüche

10 Leitbilder des Studiums in Gerontologie

Studienerfolg aus Studierendensicht

Datenreport 2016 ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Statement von Dr. Mareike Bünning (WZB)

Subjektives Wohlbefinden in der Krise am Beispiel der Mittelschicht in Deutschland

Migration und Integration Beitrag Bildung

Ältere Migrantinnen und Migranten in Deutschland Lebenssituationen, Unterstützungsbedarf, Alternspotenziale

Soziale Einbindung älterer Migrant/innen in Familie und soziale Netzwerke. Muster, Erklärungsversuche und offene Fragen

Soziale Selektion im Bildungssystem

Bildungsungleichheit im Spiegel sozialwissenschaftlicher Datenquellen

Netzwerke Erfolgsstrukturen des 21. Jahrhunderts - Impulsvortrag - Prof. Dr. Harald Kunze Weimar, 22. Juni 2015 abraxas

Dipl. laök L. Voget: Lebensqualität statt Lebensstandard. Zur Rolle der Suffizienz

Nachdenken über Heterogenität im Schulsport. 13. Wuppertaler Schulsportsymposion Prof. Dr. Judith Frohn Nachdenken über Heterogenität im Schulsport

Assessment im Case Management

Was ist sozialer Wandel?

ALTERSDIVERSITÄT IN ÖFFENTLICHEN BIBLIOTHEKEN

Rainer K. Silbereisen Ernst-Dieter Lantermann Eva Schmitt-Rodermund (Hrsg.) Aussiedler. in Deutschland. Akkulturation von Persönlichkeit und Verhalten

Ethnische Herkunft, Migrationserfahrung und ihr Einfluss auf das unternehmerische Engagement in Deutschland

transnationale Perspektive

Frauengesundheit: ein Blick durch die Genderbrille

Ganz anders - ganz ähnlich?

Die Entdeckung der Familie als Bildungsort

Unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge (uma)

Die Rolle von primären und sekundären Herkunftseffekten für Bildungschancen von Migranten im deutschen Schulsystem

Das Partizipationsdilemma: Entscheidungsteilhabe von sozial Benachteiligten

l INTEGRATION BEWEGT l Tagung der Österreichischen Bundes-Sportorganisation und des Österreichischen Integrationsfonds 29. November 2013, Wien

Prof. Dr. Rolf Becker IfE, Abt. Bildungssoziologie Universität Bern Muesmattstrasse 27 CH-3012 Bern.

Determinanten der Wahrnehmung sozialer Ungleichheit

GRUNDBEGRIFFE DER SOZIOLOGIE. Markus Paulus. Radboud University Nijmegen DIPL.-PSYCH. (UNIV.), M.A.

Ein handlungspsychologisches Modell der beruflichen Entwicklung. Seminar: Erwerbsbiographien der Zukunft Referentin: Sarah Quappen 9.11.

Ausbildung in migrantengeführten KMU

Wissenschaftliche Begleitforschung Neue Bausteine in der Eingliederungshilfe

Identität vs. Bildung? Benjamin Jörissen

Räumliche Auswirkungen internationaler Migration Positionen des ARL-Arbeitskreises

Soziale Ungleichheit und Bildungschancen

Sabrina Laufer, M.A.

Rechtliche Rahmenbedingungen für binationale und bikulturelle Familien in Europa Unterstützung oder Hindernis für Integration?

zur Lebenssituation von Menschen, die pflegebedürftige Angehörige zuhause betreuen

Potenziale für Partizipation Demografischer Wandel als Gestaltungsaufgabe für die Kommunen

Online-Kompetenz für Migrantinnen und Migranten in Deutschland. 1. Statistisches Bundesamt definiert eine neue Bevölkerungsgruppe

Angekommen in Deutschland? Die Sicht (un-)begleiteter junger Geflüchteter auf ihre Lebenslagen

Transkript:

christoph.reinprecht@univie.ac.at Migration als Determinante von Lebensqualität: Strukturelle, kulturelle und biographische Aspekte Christoph Reinprecht Institut für Soziologie der Universität Wien Vortrag auf der Tagung Viele Welten des Alterns? Ältere Migranten im alternden Deutschland Berlin 24. und 25. Juni 2010

Gliederung 1. 2. 3. 4. Ein paar (selbst)kritische Vorbemerkungen Warum ist es wichtig, etwas über den Einfluss von Migration auf Lebensqualität zu wissen? Einige empirische Einsichten zu Lebensqualität und Migrationserfolg Schlussfolgerungen

Ein paar (selbst)kritische Vorbemerkungen... - Forschung vom Integration- und Assimilationsparadigma geprägt - methodologischer Nationalismus - Alternative Perspektiven wie Transnationalismus oder methodologischer Kosmopolitismus oftmals Rhetorik - Belastungskumulationsthese dominiert; Vernachlässigung der Interaktionen von Klasse/ Schicht, Migration/Ethnizität und Gender (Intersektionalität) - Kurzatmigkeit und Katastrophismus - Kaum Grundlagenforschung (daher unkritische Übernahme von Kategorien und Instrumenten viele praenotiones!)

Forschungen sind herausgefordert durch: - Selektivität der Migrationsprozesse - Langfristigkeit und Revidierbarkeit von Migrationsprojekten, die sich über mehrere Lebensphasen und die Generationsfolge erstrecken - Spannung von Zwang (Struktur) und Autonomie (Agency) - Transnationale Bezugssysteme bei gleichzeitiger Zentralität des Nationalstaats (Identitäts- und Ungleichheitsproduktion) - widersprüchliche Logiken der Migrations-, Integrations- und Wohlfahrtsregimes - Heterogenität und Diversifizierung - (Un)Sichtbarkeit - Auftraggeber und Forschungsförderung

Warum ist es wichtig, etwas über den Einfluss der Migration auf Lebensqualität zu wissen? Grundannahme bzgl. Lebensqualität: Mensch als aktives Wesen, das in einer Reihe von verschiedenen Bereichen gut leben und handeln möchte (Martha C. Nussbaum) Grundbedingung für die Erfüllung eines guten und erfüllten Lebens ist die Bereitstellung von optimalen gesellschaftlichen Bedingungen für Chancengleichheit (strukturelle Ebene) und Kompetenzerwerb (individuelle Ebene) Welchen Einfluss hat Migration auf die Fähigkeit, die eigenen Lebensbedingungen aktiv zu gestalten und zu kontrollieren?

Aspekte der Lebensqualität 50+ nach Geburtsland (1=sehr schlecht, 5=sehr gut) Quelle: Gesundheitsbefragung Statistik Austria 2007

Determinanten von Lebensqualität 50+ nach Geburtsland Variablen Ältere Ausländische Ältere Ältere ex Ältere ausländischer jugoslawischer und österreichischer Herkunft türkischer Herkunft Herkunft Geschlecht Alter Schuldbildung Haushaltsnettoeinkommen,02,03,04,03 Gesundheit imallgemeinen,33,38,37,37 gefühlte Sicherheit im Leben.18,16,21,22 ausreichend Freizeitaktivitäten,18,21,25,15 ausreichend Geld f. Bedürfnisse,16,16,15 Aufenthaltsdauer Herkunftsland Türkei Herkunftsland Ex Jugoslawien R2,43,47,46,48 Quelle: Gesundheitsbefragung Statistik Austria 2007; Beta-Werte; p<,01; nur signifikante Werte ausgewiesen Operationalisierung Lebensqualität Wie würden Sie Ihre Lebensqualität beurteilen?

-> Subjektive Lebensqualität von ArbeitsmigrantInnen niedriger als unter anderen Herkunftsgruppen -> aber: erstaunlich geringe Unterschiede in Hinblick auf die Struktur der Lebensqualität -> d.h.: ähnliche Bedürfnislagen (Gesundheit, Sicherheit, Freizeit); aber Chancen, sie zu erfüllen, sozial ungleich verteilt -> Forschungen verweisen auf geringe Kontrollierbarkeit der Umweltbedingungen; soziale und kommunitäre Strukturen als (kompensatorische) Ressourcen -> Einfluss von Migration bleibt unklar!

Vorschlag: Einfluss von Migration über Biographisierung/ Bilanzierung messen Für ArbeitsmigrantInnen ist objektive Lebenslage durch Vulnerabilität gekennzeichnet: - instabile sozialstrukturelle Platzierung - eingeschränkte soziale Sicherung - auf Widerruf gewährtes gesellschaftliches Anerkennungsverhältnis Subjektive Lebensqualität wird generiert in: - Adaptationsprozessen an schwierige Umweltbedingungen - Biographisierungs- und Bilanzierungsprozessen - Konstruktion von Zukunftsentwürfen bzw. -erwartungen

Wie kommt die Migration in die Lebensqualität? subjektive positive Bewertung negative Bewertung Objektiv stabile Platzierung Konsistenz von Stabilität und positiver Bewertung Inkonsistenz von Stabilität und Bewertung Unzufriedenheitsdilemma instabile Platzierung Inkonsistenz von Stabilität und Bewertung subjektive Bewältigungsbefähigung ( Zufriedenheitsparadox ) Konsistenz von Instabilität und negativer Bewertung Reinprecht 2006 in Anlehnung an Zapf 1984

Platzierung und Migrationsbilanz Positive Bewertung Gemischte Bewertung Negative Bewertung Stabile Platzierung Erfolgreich 14% Teils erfolgreich 24% Unzufrieden 12% Instabile Platzierung Adaptativ 13% Teils gescheitert 23% Gescheitert 15% N=150 Quelle: Reinprecht 2006

Für Bewertung ist die Frage relevant, welche Migrationsziele erreicht werden Ökonomische Ziele Zukunftsbezogene Herkunftsland- Autonomie- Ziele bezogene orientierte Ziele Ziele Verbesserung von Bildungs- Investitionen im Selbständiges Arbeitsplatz und investitionen in Herkunftsland Leben Einkommen Kinder

Bilanzierung und Zielerreichung Zielerreichung ökonomisch Zukunfts- Herkunfts- Autonomiebezogen bezogen orientiert Bilanzierung Erfolgreich + + + + + + Lebensstandard Ausbildung für Familie in selbständiges Kinder; Geld Heimat Lebens angespart unterstützt geführt Adaptiv + etwas in Heimat erworben Unzufrieden - - nichts erspart Familie in Heimat nicht unterstützt Gescheitert - - - - keine keine gute nichts in der kein Verbesserung Ausbildung für Heimat Selbständiges von Arbeit und Kinder; nichts erworben Leben geführt Lebensstandard erspart

Erfolgreiche Migrationsbilanz steigt mit der Möglichkeit einer Stabilisierung der gesellschaftlichen Platzierung Für Migrationsbilanz ist die Bewertung der Zielerreichung zentral So wichtig die ökonomische Zielerreichung ist, das auf die Zukunft bezogene Investment (Geldansparen, Bildungsinvestitionen in Kinder) und Autonomie der Lebensführung sind die Schlüsselvariablen

Weiterführende Analysen zeigen: Ausgeprägte Korrelation zwischen Migrationsbilanz und subjektiver Lebensqualität Positive Migrationsbilanz (und nicht subjektive Lebensqualität) ist wichtigster Prädiktor für am Aufnahmeland orientierte Zukunftspläne Subjektive Lebensqualität (und nicht Migrationsbilanz) beeinflusst Alterserwartungen (Sorgen, Ängste) Migrationsbilanz und Lebensqualität stehen in keinem systematischen Zusammenhang mit Identitätskonstruktion; Ausnahme: starke Unsicherheit erklärt Segmentation

Abschließend - Übergang in die nachberufliche Lebensphase als reflexiver Prozess - Migrationserfolg bedeutsam in Hinblick auf - intergenerationelle Transmission - Fähigkeit, das atemlos in Fragmente zerfallene Leben (J. Habermas) in einen sinnvollen und in sich stimmigen (guten) Zusammenhang zu bringen (Lebensqualität) - Autonomie in Bezug auf Lebensführung und Lebensstil; Ethnizität als Wahl und nicht als defensive Reaktion auf gesellschaftliche Zurückweisung - Integrationsindikatoren

Danke für die Aufmerksamkeit! Literaturtipp in eigener Sache: Christoph Reinprecht, Nach der Gastarbeit. Prekäres Altern in der Einwanderungsgesellschaft. Wien: Braumüller Universitätsverlag 2006