9 2. Vorlesung Reelle Zahlen, Gleichungen und Ungleichungen 4 Zahlenmengen und der Körper der reellen Zahlen 4.1 Zahlenmengen * Die Menge der natürlichen Zahlen N = {0,1,2,3,...}. * Die Menge der ganzen Zahlen Z = {..., 3, 2, 1,0,1,2,3,...}. * Die Menge der rationalen Zahlen Q = { p q : p, q Z, q 0}. Zwei rationale Zahlen p q und r s sind gleich, wenn ps = qr gilt. Rationalen Zahlen sind durch endliche oder periodisch unendliche Dezimalbrüche darstellbar. * Die Menge der reellen Zahlen R. Reellen Zahlen sind durch Dezimalbrüche darstellbar. Die nicht rationalen reellen Zahlen, das sind die Elemente von R \ Q, heißen irrationale Zahlen. * Die Menge der komplexen Zahlen C (wird später behandelt). Die komplexen Zahlen sind durch Paare reeller Zahlen darstellbar: C = {(a, b): a, b R} Mit der entsprechenden Interpretation gilt N Z Q R C. 4.2 Algebraische Eigenschaften Es sei K {Q,R}. Die Addition + besitzt folgende Eigenschaften (x, y, z K): x + y = y + x x + (y + z) = (x + y) + z x + 0 = x x K =1 x K (x + ( x) = 0) (Kommutativgesetz), (Assoziativgesetz) (neutrales Element bzgl. Addition) (additiv inverse Zahl) Bezüglich der Multiplikation gilt für K {Q,R} und (x, y, z} K x y = y x x (y z) = (x y) z x 1 = x x 0 =1 x 1 K (x x 1 = 1) (Kommutativgesetz) (Assoziativgesetz) (neutrales Element bzgl. Multiplikation) (multiplikativ inverse Zahl) Addition und Multiplikation sind verbunden durch x (y + z) = x y + x z (Distributivgesetz) Subtraktion und Division sind über Addition bzw. Multiplikation definiert: die Division aber nur für y 0. x y := x + ( y), x : y := x y 1,
10 4 ZAHLENMENGEN UND DER KÖRPER DER REELLEN ZAHLEN Weitere Gesetze wie 0 x = 0 und 1 x = x folgen aus den obigen Gesetzen. Bemerkung 4.1. Wenn man unter Beihaltung der bisherigen Eigenschaften von Addition und Multiplikation eine Division durch 0 definieren will, dann folgt 0 = 1 und weiter K = {0}, was nicht sehr nützlich ist. 4.3 Ordnungseigenschaften In K {Q,R} gibt es eine Ordnungsrelation und eine Relation < definiert durch x < y : x y und x y mit folgenden Eigenschaften (für x, y, z K): x x (Reflexivität) (x y y x) x = y (Antisymmetrie) (x y y z) x z (Transitivität) x y y x (totale Ordnung) x < y u K(x < u < y) (Dichtheit) x < y x + z < y + z (Verträglichkeit mit der Addition) z > 0 (x < y x z < y z) (Verträglichkeit mit der Multiplikation) Damit gilt die Trichotomie-Eigenschaft: Für je zwei Zahlen x, y K gilt genau eine der drei Beziehungen x < y, x = y, x > y. Eine Zahl x K heißt positiv, nichtnegativ, nichtpositiv bzw. negativ, wenn x > 0, x 0, x 0 bzw. x < 0. Definition 4.2. Ein Körper K mit einer Ordnungsrelation mit obigen Eigenschaften heißt total angeordneter Körper. Q und R sind also total angeordnete Körper. Der Körper C der komplexen Zahlen wird sich hingegen als nicht anordenbar erweisen. Für M R definieren wir M >a := {x M : x > a}, M a := {x M : x a},.... Intervalle: [a, b] = {x R: a x b} ]a, b[ = (a, b) = {x R: a < x < b} ]a, b] = (a, b] = {x R: a < x b} [a, b[ = [a, b[ = {x R: a x < b} abgeschlossenes Intervall, offenes Intervall, links halboffenes Intervall, rechts halboffenes Intervall.
4.4 Vollständigkeitseigenschaft von R 11 4.4 Vollständigkeitseigenschaft von R Es seien K und M mit K {Q,R} und M R. Definition 4.3. M heißt * nach oben beschränkt, wenn ein S K existiert mit x S für alle M (S ist eine obere Schranke von M); * nach unten beschränkt, wenn ein s K existiert mit x s für alle x M (s ist eine untere Schranke von M); * beschränkt, wenn M nach unten und nach oben beschränkt ist. Beispiel 4.4. Sei M = [1,2] {3}. Dann sind 3, 4, 1000 obere Schranken von M. Definition 4.5. Wenn es unter den oberen Schranken von M eine kleinste Zahl in K gibt, dann heißt sie kleinste obere Schranke oder Supremum von M in K und wird mit sup M bezeichnet. Analog ist die größte untere Schranke oder das Infimum inf M von M in K definiert. Beispiel 4.6. Sei M = [1,2] [3,4[. Dann ist 4 kleinste obere Schrankeund 1 größte untere Schranke von M in Q und in R. Im Gegensatz zu Q besitzt R folgende Vollständigkeitseigenschaft: Jede nichtleere, nach oben beschränkte Teilmenge M von R besitzt ein Supremum in R. Beispiel 4.7. Betrachtet wird M = {x K: x 0, x 2 < 2} in K {Q,R}. Diese Menge besitzt kein Supremum in Q aber in R, nämlich sup M = 2. Wie dieses Beispiel schon andeutet, erlaubt die Vollständigkeit der reellen Zahlen, Wurzeln, Potenzen und die uns interessierenden (elementaren) Funktionen zu definieren. Konkret: Definition 4.8. Für nichtnegative, reelle Zahlen a und natürliches n ist die n-te Wurzel n a definiert als die nichtnegative Lösung der Gleichung x n = a. Es gilt dann n a = sup{x R: x 0 x n a} 5 Rechnen mit Zahlen und Termen 5.1 Formale Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division Es seien p, q, r, s ganze Zahlen mit q, s 0. Dann gelten p q + r s = p s + q r, q s p q r s = p s q r, q s p q r s = p r q s, p q : r s = p s q r
12 5 RECHNEN MIT ZAHLEN UND TERMEN wobei für die letzte Beziehung noch r 0 vorausgesetzt werden muss. Das Ausmultiplizieren zu Summen ergibt sich aus Kommutativ-, Assoziativ- und Distributivgesetz: [ (a + b) (c + d) = (a + b) c + (a + b) d = c (a + b) + d (a + b) = (ca + cb) + (da + db) = (ac + bc) + (ad + bd) = ( (ac + bc) + ad ) + bd = ( ac + (bc + ad) ) + bd = ( ac + (ad + bc) ) + bd = ( (ac + ad) + bc ) ] + bd = ac + ad + bc + bd, wobei man sich nur den Übergang vom ersten zum letzten Ausdruck merken muss. Das Zusammenfassen zu Produkten ergibt sich aus Kommutativ-, Assoziativ- und Distributivgesetz: ac + bc = (a + b) c. Spezielle Formen sind die binomischen Formeln (a + b) 2 = a 2 + 2ab + b 2, (a b) 2 = a 2 2ab + b 2, (a + b)(a b) = a 2 b 2 für a, b R, deren eigentliche Anwendung nicht im trivialen Ausmultiplizieren von links nach rechts, sondern im Zusammenfassen von rechts nach links besteht. Beispiel 5.1. Es gilt 4a 2 + 9b 2 12ab = (2a) 2 + (3b) 2 2 (2a) (3b) = (2a) 2 2 (2a) (3b) + (3b) 2 = (2a 3b) 2. 5.2 Schriftliche Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division Aus der Schule sollten Methoden für die schriftliche Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division ganzer Zahlen (Grundschule) und endlicher Dezimalbrüche (Sekundarstufe 1) bekannt sein. Beispiel 5.2. 1 2, 3 4 + 2 3, 5 7 + 3, 1 4 3 9, 0 5 8 3 4, 9 2 3 5, 7 3 1, 4 5 6 7, 8 8 3, 4 9 2 3, 7 1 6 6 9, 8 2 5 0, 4 7 5 8, 4 4 3 1 9 7 8, 7 1 3 8 1, 0 0 0 : 3 7, 5 = 2, 1 6 7 5, 0 6, 0 0 3, 7 5 2, 2 5 0 2, 2 5 0 0 Hier insbesondere zur richtigen Bestimmung des Kommas, aber auch für andere Zwecke, sollte man Überschlagsrechnungen sinnvoll anwenden können: Hier gelten 83,49 80 und 23,7 20 und daher 83,49 23,7 1600 5.3 Potenzgesetze Die Potenzen zu positiven Basen a, b genügen folgenden Potenzgesetzen: a r a s = a r+s, a r /a s = a r s, a r b r = (ab) r, a r /b r = (a/b) r, (a r ) s = a rs. Insbesondere sollte folgender Zusammenhang von Wurzeln und Potenzen beachtet werden:
5.4 Rechnen mit Beträgen 13 n a = a 1 n für n N >0, a > 0. Bemerkung 5.3. Die Potenzgesetze gelten nicht für negative Basen. Zum Beispiel gilt x 2 = x für x R und nicht x 2 = (x 2 ) 1 2 = x (häufiger Fehler!), z. B. ( 1) 2 = 1. Bemerkung 5.4. Andere als die aufgeführten fünf Potenzgesetze gibt es nicht. Insbesondere gibt es keine Potenzgesetze bezüglich der Summe von Basen. Zum Beispiel gilt, auch wenn es oft Klausuren steht, eben nicht a 2 + b 2 = (a + b) 2 = a + b. 5.4 Rechnen mit Beträgen Das Rechnen mit Beträgen wird vom Anwender oft als unangenehm empfunden, da der Begriff "Betrag" zweigeteilt definiert ist. Man kann aber alle Schwierigkeiten ausräumen, wenn man sich stur an die Definition und die Rechenregeln hält. Diese seien im folgenden benannt. Definition 5.5. Für eine reelle Zahl a R wird der Betrag von a festgesetzt durch a := a, falls a 0 und a := a, falls a < 0. Beispiel 5.6. Es gilt 3 = 3, aber auch 3 = 3 = ( 3). Rechenregeln (für a, b, x R beliebig): a = a a a a a b = a b 1 a = 1 (a 0) a a + b a + b (Dreiecksungleichung) a b b a b oder b a b x a b a b x a + b a 2 = a a 2 = a 2
14 6 GLEICHUNGEN UND UNGLEICHUNGEN 5.5 Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division von Termen Das Rechnen mit Termen folgt dem Rechnen mit ganzen bzw. rationalen Zahlen, weswegen man dieses Beherrschen muss. Beispiel 5.7. Addition von Bruchtermen (Addition gebrochenen-rationaler Funktionen) Beispiel 5.8. Polynomdivision mit Rest: 2x + 1 3x + 4 + 5x + 6 (2x + 1)(7x + 8) + (3x + 4)(5x + 6) = 7x + 8 (3x + 4)(7x + 8) = 14x2 + 16x + 7x + 8 + 15x 2 + 18x + 20x + 24 21x 2 + 24x + 28x + 32 = 29x2 + 61x + 32 21x 2 + 52x + 32. (3x 3 + 2x 2 x + 1) : (x 3) = 3x 2 + 11x + 32 + Rest 97. 3x 3 9x 2 11x 2 x 11x 2 33x 32x + 1 32x 96 97 6 Gleichungen und Ungleichungen Ein Grundproblem der Mathematik ist die Ermittelung aller Lösungen von Systemen von Gleichungen und Ungleichungen. Am günstigsten ist immer eine äquivalente Umformung von Gleichungen und Ungleichungen. 6.1 Äquivalente Umformungen Äquivalente Umformungen sind Umformungen, welche die Lösungsmenge nicht verändern. Nichtäquivalente Umformungen führen zu einer (potentiellen) Ausweitung der Lösungsmenge der Gleichungen oder Ungleichungen. Ergebnisse, die nach nichtäquivalenten Umformungen erhalten werden, müssen noch als Lösungen überprüft werden. Folgende Regeln zur äquivalenten Umformung (für a, b, x, y, p, q R beliebig) ergeben sich aus den Eigenschaften der reellen Zahlen: x = y x + a = y + a x = y ax = ay, falls a 0 x y x + a y + a { ax ay, falls a > 0 x y ax ay, falls a < 0 0 < x y 0 < 1 y 1 x.
6.2 Nichtäquivalente Umformungen 15 Folgende Regeln können zur Lösung von Gleichungen genutzt werden: wenn p 2 4q. xy = 0 x = 0 oder y = 0 x 2 = a 2 x = a oder x = a x 2 + px + q = 0 x = p 2 + p 2 4 q oder x = p 2 p 2 4 q, Beispiel 6.1. Man bestimme die Lösungsmenge L der folgenden Gleichung (x 2) 2 + x = 2. Es gibt mehrere Lösungswege, einer davon ist der folgende: und damit L = {1,2}. (x 2) 2 + x = 2 x 2 4x + 4 + x = 2 x 2 3x + 2 = 0 x = 3 9 2 + 4 2 = 2 oder x = 3 9 2 4 2 = 1, 6.2 Nichtäquivalente Umformungen Nichtäquivalente Umformungen sind Umformungen, die die Lösungsmenge nicht erhalten. Umformungen, die die Lösungsmenge verringern, sollten mit besonderer Vorsicht zu behandeln: Man muss untersuchen, welche Lösungen im konkreten Fall durch die Umformung verloren gehen könnten. Typischer Fall einer solchen nichtäquivalenten Umformung ist die Division beider Seiten einer Gleichung durch den selben Term, ohne zu beachten, dass dieser Null sein könnte. Umformungen, die die Lösungsmenge vergrößern, sind nicht immer zu vermeiden. Zu solche Umformungen gehört zum Beispiel das Quadrieren beider Seiten einer Gleichung. Hier können Scheinlösungen entstehen, die man durch Einsetzen in das Ausgangsproblem (Probe) gegebenenfalls als Lösung ausschließen kann. 6.3 Gleichungen und Ungleichungen mit Beträgen Eine Auflösung von Gleichungen und Ungleichungen mit Beträgen geschieht in der Regel durch Fallunterscheidung oder durch Veranschaulichung auf der Zahlengeraden. Beispiel 6.2. Man bestimme die Lösungsmenge L von x + 1 + x 1 2. Fallunterscheidung:
16 6 GLEICHUNGEN UND UNGLEICHUNGEN 1. Fall: x < 1. Dann gilt x + 1 + x 1 2 (x + 1) (x 1) 2 x 1, und daher L 1 = ], 1[ [ 1, [ =. 2. Fall: 1 x < 1. Dann gilt x + 1 + x 1 2 (x + 1) (x 1) 2 2 2, und daher L 2 = [ 1,1[ R = [ 1,1[. 3. Fall: 1 x. Dann gilt x + 1 + x 1 2 (x + 1) + (x 1) 2 x 1, und daher L 3 = [1, [ ],1] = {1}. Zusammengefasst: L = L 1 L 2 L 3 = [ 1,1].