UN-Behindertenrechtskonvention. 1. Einordnung der Behindertenfrage in das UN-Menschenrechtssystem

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Transkript:

UN-Behindertenrechtskonvention von Dr. Harry Fuchs 1. Einordnung der Behindertenfrage in das UN-Menschenrechtssystem Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD; kurz: UN-Behindertenrechtskonvention oder BRK) ist der erste universelle Völkerrechtsvertrag, der den anerkannten Katalog der Menschenrechte, wie er im Internationale Bill of Human Rights zum Ausdruck kommt, auf die Situation behinderter Menschen zuschneidet 1. Bis auf die interamerikanische Behindertenrechtskonvention 2 von 1999 gab es zuvor kein verbindliches Menschenrechtsinstrument explizit für behinderte Menschen. Mit der Verabschiedung der BRK haben die Vereinten Nationen nicht nur die erste verbindliche universelle Menschenrechtsquelle für behinderte Menschen geschaffen, sondern die Behindertenfrage zugleich auch in das Gesamtpaket des Un- Menschenrechtssystems eingeordnet. Die BRK wurde in den Jahren 2002 bis 2006 in acht Sitzungen eines Ad-hoc-Ausschusses 3 erarbeitet und am 13.12.2006 in der 61. Sitzung der UN-Generalversammlung verabschiedet. International trat die BRK nach Hinterlegung der 20. Ratifizierungsurkunde am 3. Mai 2008 in Kraft. 2. Geltung in der Bundesrepublik Deutschland Mit der Verabschiedung des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13.Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch Bundestag und Bundesrat wurden die Voraussetzungen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG für die Ratifizierung des Übereinkommens sowie des Fakultativprotokolls geschaffen (BT-Drs.16/10808 v. 8.11.2008, BGBl. II 2008 S 14 19). Nach Inkrafttreten des Ratifikationsgesetzes am 1.1.2009 hinterlegte die Bundesregierung die Ratifikationsurkunde am 24.2.2009 bei den Vereinten Nationen. Rechtlich gesehen ist die Behindertenrechtskonvention danach ein einfaches Bundesgesetz, das nach Art. 59 Abs. 2 GG mit Zustimmung der Länder verabschiedet wurde und mit dem 26.3.2009 in Kraft getreten ist.. Die Länder sind zwar nicht unmittelbar Vertragspartner der Vereinten Nationen. Die Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Gebot der Bundestreue verpflichtet die Länder jedoch, die nach nationalem Recht (z.b. Gesetzgebungskompetenz im Rahmen des föderalen Systems) in ihrer Verantwortung liegenden Pflichten des Völkerrechtsvertrages zu erfüllen. 3. Reichweite der Konvention Für die Konvention ist ihre doppelte Schutzfunktion charakteristisch. Sie schützt Menschen mit Behinderungen über die universalen Menschenrechte, deren Verpflichtungsseite sie aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen präzisiert. 1 Theresia Degener: Welche legislativen Herausforderungen bestehen in Bezug auf die nationale Implementierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Bund und Ländern? Behindertenrecht 2009, Heft 2 2 Inter American Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Persons with Disabilities, OEA/Ser. P AC/docs 3826/99 3 Ad Hoc Committee on a Comprehensive and Integral International Convention on Protection and Promotion of the Rights and Dignity of Persons with Disabilities

Gleichzeitig fordert die Konvention die konsequente Entfaltung des Diskriminierungsverbotes und erstreckt dieses auf alle menschliche Lebensbereiche. Die Anwendung der Konvention erstreckt sich auf alle denkbaren existentiellen Lebensbereiche, die von Menschenrechten erfasst werden. Der Schutzumfang der Konvention erfasst konsequent den öffentlichen, wie den privaten Raum. Sie enthält das gesamte Spektrum, d.h., die bürgerlichen, politischen, sozialen und kulturellen Rechte. 3.1 Behinderungsbegriff Die Konvention selbst enthält keine abschließende Definition dessen, was Behinderung ist. Vielmehr zeichnet sie Behinderung als dynamisches Konzept, das hinreichend offen ist, um Erfahrungen und Erkenntnisse zukünftiger gesellschaftlicher Lern- und Sensibilisierungsprozesse einzubeziehen. Deshalb konkretisiert die Konvention ihren Anwendungsbereich in Form einer Zielbestimmung 4. Die BRK enthält danach einerseits orientiert an der Menschenwürde - ein absolutes Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen und beschreibt andererseits in Zieldefinitionen zu den verschiedenen Lebensund Rechtsbereichen welche Bedingungen hergestellt sein müssen, damit von einer diskriminierungsfreien Lebenssituation ausgegangen werden kann. 3.2 Ziel der Behindertenrechtskonvention Ziel der BRK ist die vollständige und wirksame Partizipation und Inklusion in der Gesellschaft. In über 40 Artikeln beschreibt die BRK dazu jeweils eine Zielbestimmung zu einer Lebenssituation behinderter Menschen. Ist diese Zielbestimmung im Alltagsleben nicht verwirklicht, könnte dies eine Diskriminierung bedeuten, die der Betroffene nicht hinnehmen muss. Er kann die Diskriminierung auf dem Rechtsweg feststellen lassen und ihre Beseitigung einfordern. 3.3. Grundsätze Maßstäbe für diskriminierungsfreies Leben Behinderter Die in Artikel 3 des Übereinkommens enthaltenen Grundsätze - Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit - Nichtdiskriminierung - volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft - Achtung der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit - Chancengleichheit - Zugänglichkeit - Gleichberechtigung von Mann und Frau - Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung des Rechts auf Wahrung der Identität sind zugleich zielführende Grundsätze für die Lebenssituation behinderter Menschen in Deutschland, insbesondere aber auch für das Recht und die Praxis des deutschen Sozialleistungssystems. Sie unterstreichen die auf die Förderung der Selbstbestimmung, Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und Vermeidung von Benachteiligungen ausgerichteten Bestimmungen des SGB IX, das von einigen Rehabilitationsträgern bis heute eher partiell, von anderen fast gar nicht umgesetzt wird. Die BRK wird zu einer Überprüfung und Angleichung der verschiedenen Bücher des Sozialgesetzbuches und letztlich zu einer konsequenten Anwendung des Teilhaberechts (SGB IX) führen. 4 so auch Aichele, Deutsches Institut für Menschenrechte, in Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihr Fakultativprotokoll, Ein Beitrag zur Ratifikationsdebatte, S. 5

4. Zugänglichkeit Artikel 3 Buchst. f, Artikel 9 Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen soll der gleichberechtigte Zugang zu Einrichtungen und Diensten gewährleistet werden. Der Grundsatz der Zugänglichkeit erfasst nicht nur die in Art 9 BRK genannten Aspekte der Barrierefreiheit, sondern u.a. auch den Zugang zu Gesundheitsleistungen (Art. 25 BRK) oder den Zugang zu Habilitations- und Rehabilitationsdiensten bzw. -programmen (Art 26 BRK). Insbesondere der barrierefreie Zugang zu den Gesundheitsleistungen, Habilitations- und Rehabilitationsdiensten und programmen ist ganz wesentlich abhängig von der barrierefreien Gestaltung der Verwaltungsverfahren und des Verwaltungshandelns der Sozialleistungsträger. Das den Trägern dabei dem Grunde nach belassene pflichtgemäße Ermessen ist gebunden durch Vorschriften des SGB X über das Verwaltungsverfahren und den Verwaltungsakt, aber auch durch vielfältige Verfahrensregelungen des SGB IX bzw. anderer SGB (z.b. 8 14 SGB IX, 7a, 18, 31 SGB XI), die zt die Zugänglichkeit zu den Leistungen, Diensten und Programmen erheblich erschweren. Wir halten es für geboten, das gesamte Verwaltungs- und Verfahrensrecht der Sozialgesetzbücher auf Zugangsbarrieren zu überprüfen und ggfls. durch barrierefreie Verfahrensregelungen zu ersetzen. Dies könnte zugleich ein maßgeblicher Beitrag zur Entbürokratisierung sein. 5. Unabhängige Lebensführung, Einbeziehung in die Gemeinschaft Artikel 19 Damit behinderte Menschen mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft leben können, ist nach Artikel 19 u.a. zu gewährleisten, dass - Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Danach verstößt die an 13 Abs. 1 Satz 4 SGB XII anknüpfende gegenteilige Praxis im Bereich der Sozialhilfeträger gegen die Menschenwürde und kann unter Bezugnahme auf die BRK jederzeit auf dem Rechtsweg angegriffen werden. - Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen, einschl. der persönlichen Assistenz haben. Das bedeutet, dass die heutigen Beratungs- und (Unterstützung- )Versorgungsstrukturen im kommunalen Sozialraum zu einem Netzwerk von familiären, nachbarschaftlichen, ehrenamtlichen und professionellen Hilfen so weiterzuentwickeln sind, das behinderten Menschen - den Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände lassen und - ihre Selbstbestimmung gefördert wird. - Soweit professionelle Hilfen notwendig sind, müssen sich diese ohne Brüche in dieses Netzwerk einfügen. Dabei ist der Vorrang ambulanter Leistungen vor stationären Leistungen selbstverständlich und Ausdruck von Normalität, Inklusion und Subsidiarität. Diese Pflichten wirken sich insbesondere auf die Organisation der Sozialleistungen für chronisch kranke, behinderte und pflegebedürftige Menschen aus, die die erforderlichen Hilfen und Leistungen wegen Art und Schwere ihrer Teilhabebeeinträchtigung wohnortnah benötigen. Dabei handelt es sich z.b. nicht nur um schwerstbehinderte oder mehrfachgeschädigte Kinder und Jungendliche, sondern z.b. auch um psychisch kranke Kinder oder solche körperbehinderte Kinder, für die eine wohnortferne Rehabilitation nach Art und Schwere ihrer Behinderung nicht in Betracht kommt. Dies gilt in gleicher Weise für erwachsene behinderte Menschen.

6. Gesundheit Artikel 25 Hiermit verpflichten sich die Vertragsstaaten dazu, Menschen mit Behinderungen einen unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung zu stellen wie anderen Menschen, einschl. Sexual- und fortpflanzungsmedizinischer Gesundheitsleistungen und der Gesamtbevölkerung zur Verfügung stehender Programme des öffentlichen Gesundheitswesens. Es sind auch die Gesundheitsleistungen anzubieten, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderung benötigt werden, einschl. Früherkennung und Frühförderung, sowie Leistungen durch die weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen. Die Gesundheitsleistungen sind so gemeindenah wie möglich, auch in ländlichen Gebieten anzubieten. Für pflegebedürftige Menschen ist die Verpflichtung bedeutsam, dass die Vertragsstaaten die diskriminierende Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung oder leistungen oder von Nahrungsmitteln und Flüssigkeiten zu verhindern haben. Nach Artikel 25 Buchst. d sind die Angehörigen der Gesundheitsberufe zu verpflichten, Menschen mit Behinderungen eine Versorgung von gleicher Qualität wie anderen Menschen angedeihen zu lassen, namentlich auf der Grundlage der freien Einwilligung nach vorheriger Aufklärung. Die ist für die Beschäftigten des Gesundheitswesens eine unmittelbar wirksame Verpflichtung, deren Missachtung beruferechtlich negative Folgen haben kann. Deswegen soll das Bewusstsein der Angehörigen der Gesundheitsberufe für die Menschenrechte, die Würde, die Autonomie und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen u.a. durch Schulungen und den Erlass ethischer Normen für die staatliche und private Gesundheitsversorgung geschärft werden. 7. Habilitation und Rehabilitation Artikel 26 Nach Artikel 26 sind u.a. wirksame und geeignete Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen in die Lage zu versetzen, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung in die Teilhabe am Leben in die Gesellschaft zu gewährleisten. Zu diesem Zweck sind umfassende Habilitations- und Rehabilitationsdienste und programme, insbesondere auf dem Gebiet der Gesundheit, der Beschäftigung, der Bildung und der Sozialdienste zu organisieren, zu stärken und zu erweitern. Diese müssen so gemeindenah wie möglich, auch in ländlichen Gebieten, zur Verfügung stehen. Diese Leistungen sollen zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzen und im Einzelfall auf einer multidisziplinären Bewertung der individuellen Bedürfnisse und Stärken beruhen 5. Die Bundsrepublik Deutschland ist damit eine unmittelbare Organisationsverpflichtung zur Sicherstellung der notwendigen Versorgungsinfrastruktur eingegangen. In Deutschland führt nicht der Staat selbst derartige Sicherstellungsverpflichtungen durch. Er delegiert solche Pflichten nach dem Subsidiaritätsprinzip auf nachgeordnete Behörden oder die Sozialversicherungsträger. Die Rehabilitationsträger haben nach 19 SGB IX bereits seit dem 1.7.2001 im Benehmen mit dem Land und dem Bund darauf hinzuwirken, dass die fachlich und regional erforderlichen Rehabilitationsdienste und einrichtungen in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stehen. Dieser Sicherstellungsauftrag umfasst im Lichte der BRK nicht mehr nur wie es die Rehabilitationsträger bisher sehen die Gewährleistung des Vorhandenseins der rehabilitativen Versorgung im engeren leistungsrechtlichen Sinne durch 5 Hiermit korrespondiert 10 SGB IX mit der Verpflichtung zur Feststellung des individuellen funktionsbezogenen Leistungsbedarfs.

das Eingehen von Versorgungs- und Belegungsverträgen. Als Erfüllungsgehilfe für die in Artikel 26 BRK eingegangene Organisationsverpflichtung haben die Rehabilitationsträger künftig ausdrücklich auch die Verantwortung für die Organisation aller notwendigen Habilitationsund Rehabilitationsdienste und programme isd des Art. 25, d.h, die Organisation der bedarfsgerecht erforderlichen Versorgungsstrukturen. Schon nach geltendem Recht sind die Leistungserbringer an der Ausführung dieser Organisationsverpflichtung zu beteiligen. Zu diesen Versorgungsstrukturen zählen auch die schon zu Artikel 19 erwähnten umfassenden Netzwerke im kommunalen Sozialraum. Administrativ sollen die Träger zur Ausführung des Organisationsauftrages bereits nach geltendem Recht regionale Arbeitsgemeinschaften bilden ( 12 Abs. 2 SGB IX), die nach 88 Abs. 1 SGB X haushaltsfähig sind. Soweit in Artikel 26 BRK von der Organisation von Programmen gesprochen wird, ist auf die ebenfalls seit neun Jahren vorhandene Verpflichtung der Rehabilitationsträger hinzuweisen, in gemeinsamen Empfehlungen zu vereinbaren, in welchen Fällen (Zielgruppen) und in welcher Weise (Leitlinien/Konzepte) notwendige Leistungen zur Teilhabe angeboten werden. Dieser Auftrag, Rehabilitationsleitlinien orientiert auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu entwickeln, entspricht weitgehend der Verpflichtung zur Organisation von Programmen nach Artikel 26 BRK. Leider wurde diese gesetzliche Verpflichtung von den Rehabilitationsträgern bis heute entweder gar nicht oder bezogen auf den Teilhabeansatz nicht adäquat umgesetzt. Hilfsmittelversorgung Die BRK weist mehrfach (Artikel 4, 20, vgl. auch Artikel 26 Abs. 3) auf die Notwendigkeit hin, die individuelle Versorgung mit qualitativ hochwertigen Hilfsmitteln und technischen Hilfen zur Unterstützung der weitgehenden Selbstständigkeit und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen und die Forschung in diesem Bereich weiter zu verstärken. Die Versorgung mit Hilfsmitteln ist in Deutschland in verschiedenen Sozialgesetzbüchern geregelt und dabei werden verschiedene Anspruchsvoraussetzungen und Versorgungsziele zugrunde gelegt. Die häufig unzureichende Teilhabeorientierung der Hilfsmittelversorgung führt zu erheblichen Versorgungsproblemen bei den Leistungsberechtigten im Hinblick auf die Erreichung von Teilhabe. Die mit der BRK eingegangenen Pflichten erfordern eine Vereinfachung und Klärung des vorhandenen Rechts um sicherzustellen, dass die Versorgung mit Hilfsmitteln zur Rehabilitation und Teilhabe durch alle Rehabilitationsträger immer auf diese Ziele ausgerichtet ist. 8. Handlungsbedarf Die BRK ist zunächst nur ein einfaches Bundesgesetz, das - z.t. über bestehendes Recht (z.b. das SGB IX) hinausgehende zusätzliche Regelungen enthält, - z.t. mit vorhandenem Recht kollidiert (z.b SGB V, XII) - in Konkurrenz zu anderem nationalen Recht steht (insbes. mit dem SGB IX) Abgesehen von inhaltlichen Fragen, ergibt sich schon allein daraus entgegen der von der Bundesregierung bisher vertretenen Auffassung ein erheblicher gesetzlicher Anpassungsund gesetzgeberischer Handlungsbedarf u.a. des nationalen Sozialrechts. In Artikel 4 Abs. 2 BRK haben sich die Vertragspartner verpflichtet, unbeschadet derjenigen Verpflichtungen der BRK, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind, hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unter Ausschöpfung der jeweils verfügbaren Mittel und notfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung der Rechte aus der BRK zu erreichen.

Das bedeutet, dass den Vertragsstaaten durchaus ein gewisser Zeitraum zur Verwirklichung der Rechte aus der BRK eingeräumt ist, dies gilt insbesondere für die Überprüfung und Anpassung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Soweit jedoch vorhandene Lebensbedingungen oder Rechte einen behinderten Menschen nach den Maßstäben der BRK unmittelbar diskriminieren, ist das Völkerrecht unmittelbar anwendbar. Ob ein solcher Sachverhalt gegeben ist, lässt sich nicht allgemein beantworten, sondenr muss für jede einzelne Regelung der BRK im Einzelfall geprüft werden.