Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Statement zur gemeinsamen Initiative von DGB und BDA zur Tarifeinheit

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Transkript:

Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Statement zur gemeinsamen Initiative von DGB und BDA zur Tarifeinheit Pressekonferenz am 04. Juni 2010 Es gilt das gesprochene Wort! 1

Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, Ihnen die Ergebnisse der Beratungen der Spitzenorganisationen der Tarifpartner zum Thema Sicherung der Tarifeinheit im Betrieb vorstellen zu können. Sicherheitsbedürfnis in der Krise Wir leben in schwierigen Zeiten. Wir stecken mitten in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise alle Hoffnungen, die Krise sei vorüber, haben sich inzwischen zerschlagen. Zur Wirtschaftskrise kommen noch politische Probleme und Unwägbarkeiten, die jeder kennt und die in den vergangenen Tagen und Wochen ja ausführlich beschrieben und kommentiert wurden. Was die Bürgerinnen und Bürger jetzt brauchen, sind Signale, dass nicht alles aus den Fugen gerät. Sie suchen Stabilitätsanker, die ihnen Sicherheit bieten. Sie wünschen sich, dass zum Wohle des Landes zusammengearbeitet wird, auch von jenen, die unterschiedliche Interessen vertreten und deshalb oft miteinander kontrovers verhandeln. DGB und BDA schaffen Stabilität Die gemeinsame Initiative von DGB und BDA zur Tarifeinheit macht deutlich, dass es diese Stabilitätsanker gibt. Die Gewerkschaften und die Arbeitgebervertreter übernehmen Verantwortung in der Krise. Sie arbeiten zusammen, wo dies möglich und nötig ist. Sie suchen gemeinsam nach Lösungen, wenn es Probleme gibt und unterstützen die Politik, wo dies sinnvoll und geboten ist. Das galt für die Maßnahmen in der Krise, für das Kurzarbeitergeld, die Konjunkturpakete und die Abwrackprämie hier hat sich Sozialpartnerschaft bewährt. Das gilt es jetzt bei der Sicherstellung der Tarifeinheit im Betrieb fortzusetzen. Tarifautonomie als Grundpfeiler Die Tarifautonomie ist ein Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft und hat wesentlich zum Wohlstand und sozialen Frieden in Deutschland beigetragen. Die Interessenkonflikte zwischen den Tarifparteien bleiben natürlich bestehen, aber es gibt klare und faire Regeln, nach denen sie ausgetragen werden wenn möglich auf dem Verhandlungswege. 2

Tarifeinheit sichert Solidarität im Betrieb Zur Tarifautonomie gehört die Tarifeinheit. Das Prinzip Ein Betrieb ein Tarifvertrag hat sich bewährt und ist im Interesse beider Tarifvertragsparteien. Den Arbeitnehmern nutzt die Tarifeinheit, weil sie den Zusammenhalt innerhalb der Gesamtbelegschaften stärkt. Sie verhindert, dass einzelne Belegschaftsteile gegeneinander ausgespielt werden. Die Schwachen brauchen die Solidarität der Starken das gilt nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Betrieb. Auch dafür steht die Tarifeinheit. DGB und BDA handeln Bisher gab es keine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit. Der DGB ist sich mit der BDA einig, dass es sinnvoll ist, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln. Deshalb - so unser gemeinsamer Vorschlag sollte das Tarifvertragsgesetz in diesem Punkt zu erweitert werden. Eine Zerklüftung der Tariflandschaft darf es nicht geben, wir brauchen Klarheit durch eine gesetzliche Regelung. Krisen und Chaos haben wir schon genug, die Betriebe und Belegschaften leiden ohnehin unter der Wirtschaftskrise und der Sorge um ihre Arbeitsplätze. Was wir jetzt nicht brauchen können, ist eine neue Krise an der Tariffront. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften will deshalb seine Kompetenz und Erfahrung einbringen, um die Zukunft der Tarifeinheit zu sichern. DGB und BDA haben gemeinsam Vorschläge für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit entwickelt. Sie sind als Impuls und Diskussionsgrundlage gedacht, um den politischen Prozess zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit voranzutreiben und zu begleiten. Die wichtigsten Punkte aus Sicht des DGB Die Mehrheit entscheidet An erster Stelle steht für den DGB und die Gewerkschaften: Die Mehrheit soll entscheiden. Wenn mehrere Tarifverträge von unterschiedlichen Gewerkschaften in einem Betrieb existieren, soll der Tarifvertrag gelten, der von der Mehrheitsgewerkschaft geschlossen wurde, die die meisten Mitglieder in dem Betrieb hat. 3

Klarheit und Sicherheit Die Arbeitgeber wünschen sich Klarheit und Berechenbarkeit an der Tariffront. Das ist verständlich. Aber auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist es wichtig, dass es klare, unmissverständliche vertragliche Vereinbarungen gibt. Für uns ist es wichtig, dass bestehende Tarifverträge der mitgliederstärksten Gewerkschaften im Betrieb gelten und nicht durch den Abschluss so genannter speziellerer Tarifverträge von Spartengewerkschaften beiseite geschoben werden. Das demokratische Mehrheitsprinzip, das unser gemeinsamer Vorschlag vorsieht, ist eine wichtige Maßnahme, um hier eine klare Regelung zu schaffen. Friedenspflicht bei bestehendem Tarifvertrag Wenn die Mehrheitsgewerkschaft einen Tarifvertrag geschlossen hat, dann gilt während der Laufzeit dieses Vertrages die Friedenspflicht. Sie gilt dann auch für Gewerkschaften, die im Betrieb eine Minderheit der Belegschaft vertreten. Arbeitskämpfe sind während der Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft ausgeschlossen. Auch das stärkt den Zusammenhalt der Belegschaften. Denn ist immer eine Belastung für die Beschäftigten, wenn einige Kollegen streiken und die anderen weiter arbeiten. Wettbewerb und Vertrauensschutz Wie bisher bedeutet Tarifeinheit nicht ein Monopol für bestimmte Tarifvertragsparteien. Der Wettbewerb verschiedener Gewerkschaften bleibt bestehen und wird fair und demokratisch ausgetragen. Niemand hindert eine Organisation, mehr Mitglieder zu werben als eine andere. Wenn eine Gewerkschaft attraktive Angebote macht, gewinnt sie auch neue Mitglieder. Wer die meisten Mitglieder hat und einen Tarifvertrag abschließt, dessen Tarifvertrag gilt. Die DGB- Gewerkschaften stellen sich selbstbewusst diesem Wettbewerb. Es wird auch weiterhin möglich sein, dass mehrere Tarifverträge von verschiedenen Gewerkschaften für unterschiedliche Belegschafts- und Berufsgruppen innerhalb des Betriebs geschlossen werden. Voraussetzung ist lediglich, dass sich die Belegschaftsgruppen nicht überschneiden und dass die Tarifvertragsparteien sich einigen. 4

Bestehende Tarifverträge werden nicht außer Kraft gesetzt. Selbstverständlich wird dem Vertrauensschutz bereits bestehender Tarifverträge Rechnung getragen. Aktuell geltende Tarifverträge werden respektiert, selbst wenn sie nicht von der Mehrheitsgewerkschaft geschlossen worden sind und nach der neuen Regelung ihre Gültigkeit verlieren würden. Verantwortung in der Krise Deutschland und Europa stecken in der Krise, wir haben viele Probleme, deren Lösung nicht einfach wird. Umso wichtiger ist es, dass wir die Probleme, für die es vernünftige und kluge Lösungsvorschläge gibt, so schnell wie möglich beseitigen. Der DGB und die Gewerkschaften haben in der Krise immer Verantwortung übernommen, kluge Vorschläge gemacht, mit Politik und Wirtschaft vertrauensvoll zusammengearbeitet und zu ihrem Wort gestanden. Das werden wir auch weiterhin tun und in diesem Sinne verstehen wir auch unseren gemeinsam mit der BDA entwickelten Vorschlag zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit. Er findet die richtige Balance zwischen Wettbewerb und Koalitionsfreiheit auf der einen und Stabilität, Berechenbarkeit und demokratischem Mehrheitsprinzip auf der anderen Seite. 5