1 Schriftliche Prüfung im Bundessteuerrecht 6. Juli 2006 en Fall 1 A ist verheiratet, wohnt und arbeitet in Bern; er bezieht ein jährliches Salär von Fr. 100'000.-. Seine Ehefrau (B) ist ebenfalls erwerbstätig; sie arbeitet als Teilzeit- Angestellte in einem Ladengeschäft und bezieht ein Jahresgehalt von Fr. 30'000.-. Sie besitzt ein Eigengut von Fr. 100'000.-, das einen Ertrag von Fr. 5'000.- abwirft. Der Ehe entsprossen zwei Kinder. 1. Wer ist Steuersubjekt und was bedeutet dieser Terminus? 2. Wie sind A und B in der Schweiz nach DBG steuerpflichtig? 3. Wie werden die Ehegatten im DBG verfahrensrechtlich behandelt? 4. Wie werden die minderjährigen Kinder nach DBG verfahrensrechtlich behandelt? 5. Wer haftet nach DBG für die Steuerschulden von A und B? 1. Jeder Ehegatte ist Steuersubjekt und begründet ein eigenes Steuerrechtsverhältnis mit dem Gemeinwesen. Die Eheleute sind nur bezüglich ihres je eigenen Einkommens und Vermögens Steuersubjekt. Steuersubjekt ist auch jedes Kind; seine Rechte und Pflichten aus dem Steuerrechtsverhältnis gehen aber von Gesetzes wegen auf die Inhaber der elterlichen Sorge über. Steuersubjekt bedeutet, Träger aller Rechte und Pflichten aus dem Steuerrechtsverhältnis zu sein. 2. Natürliche Personen sind in der Schweiz aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig, wenn sie hier steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt haben, Art. 3 Abs. 1 DBG. Einen steuerrechtlichen Wohnsitz hat eine Person, wenn sie sich in der Schweiz mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält, Art. 3 Abs. 2 Satzteil 1 DBG.
2 A und seine Ehefrau wohnen und arbeiten in Bern, sind also aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig. Bei persönlicher Zugehörigkeit ist die Steuerpflicht unbeschränkt, Art. 6 Abs. 1 erster Satzteil DBG. Nach Art. 9 Abs. 1 DBG wird das Einkommen der Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, ohne Rücksicht auf den Güterstand zusammengerechnet. Es besteht insofern eine Faktorenaddition. 3. Gemäss Art. 113 DBG üben Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, die Verfahrensrechte und pflichten gemeinsam aus: Gemeinschaftsbesteuerung (Abs. 1). Die Steuererklärung ist gemeinsam zu unterschreiben; bei Nichtunterzeichnung durch einen Ehepartner wird nach unbenutztem Fristablauf eine vertragliche Vertretung durch den anderen Ehepartner angenommen (Abs. 2). 4. Das Einkommen von Kindern unter elterlicher Gewalt wird dem Inhaber dieser Gewalt zugerechnet; für Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit wird das Kind jedoch selbstständig besteuert, Art. 9 Abs. 2 DBG. Dem Prinzip der Familienbesteuerung entsprechend, werden allfällige Einkünfte des Kindes zu den Einkünften der Eltern hinzugerechnet. Diese Zurechnung führt zur Steuersubstitution durch den/die Inhaber der elterlichen Sorge. 5. Art. 13 Abs. 1 DBG besagt: Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, haften solidarisch für die Gesamtsteuer. Ist ein Ehegatte zahlungsunfähig, so haftet jeder Partner nur für seinen eigenen Anteil an der Gesamtsteuer.
3 Fall 2 Sämtliche Aktien der C AG gehören dem Ausländer C. Einziger Verwaltungsrat ist der Schweizer Anwalt D. Einziges Aktivum der C AG bildet ein wertvolles Patent, das mit Fr. 100'000.- bilanziert ist. Der Verkehrswert beträgt Fr. 500'000.-. Die C AG weist ein Aktienkapital von Fr. 100'000.- aus. Die C AG überträgt das Patent unentgeltlich auf C. 1. Ist eine direkte Bundessteuer geschuldet und falls ja, warum? 2. Ist eine Verrechnungssteuer geschuldet und falls ja, warum? 3. Wer schuldet die Verrechnungssteuer? 4. Wie wird die Verrechnungssteuer überwälzt? 5. Wer haftet dafür? 1. Bei der geldwerten Leistung im Sinne der Übertragung des Patentes der C AG an C handelt es sich um eine verdeckte Gewinnausschüttung. Der Grund der Leistung liegt im Beteiligungsverhältnis, es erfolgt keine Gegenleistung, und es würde im Normalfall keine derartige Übertragung an eine Drittperson erfolgen. Ja, eine verdeckte Gewinnausschüttung löst eine Besteuerung nach DBG von Fr. 400'000.- aus. Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG bestimmt, dass dem steuerbaren Reingewinn auch der Erfolgsrechnung nicht gutgeschriebene Erträge zugerechnet werden. Indem die C AG gegenüber C für die Überlassung des Patentes keine angemessene Gegenleistung verlangt, verzichtet sie auf einen entsprechenden Ertrag. (Antwort: Art. 58 Abs. 1 lit b lemma 5 DBG: 1 Pt) Auf Seiten des C liegt ein steuerbarer Ertrag in der Höhe von Fr. 400'000.- gemäss Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG vor. 2. Verrechnungssteuerrechtlich geht man davon aus, dass dieser Gewinn ausgeschüttet wurde. Damit ist die Verrechnungssteuer geschuldet, Art. 1 VStG, Art. 4 Abs. 1 lit. b VStG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 VStV. Gleichzeitig entledigt sich die C AG durch diesen Vorgang ihrer Aktiven, was faktisch einer Liquidation der Gesellschaft und einem Liquidationserlös des C gleichkommt. Auch so besehen löst der Vorgang bei der C AG die Verrechnungssteuer nach Art. 1 VStG, Art. 4 Abs. 1 lit. b VStG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 VStV auf Fr. 400'000.- aus.
4 3. Die Verrechnungssteuer von 35 % wird von der C AG geschuldet, denn Art. 10 Abs. 1 VStG besagt, dass der Schuldner der steuerbaren Leistung steuerpflichtig ist. 4. Bei der Übertragung des Patentes geht es um eine Naturalleistung. Es bestehen grundsätzlich die folgenden Möglichkeiten der Überwälzung: Kürzung der Leistung: das ist hier infolge der Tatsache einer Naturalleistung nicht möglich. Meldeverfahren: Da C in der Schweiz keinen Wohnsitz hat, kommt für ihn ein Meldeverfahren nicht in Frage, Art. 24 Abs. 2 VStV i.v.m. Art. 22 Abs. 1 VStG. Da die C AG die VSt kaum von C zurückfordern wird, kommt es zur Aufrechnung ins Hundert. Infolge der zwingenden Überwälzung wird der tatsächlich hingegebene Betrag als Nettoleistung betrachtet (65 %) und die Steuer auf der entsprechend höheren Bruttoleistung berechnet. (Bruttoleistung 615'385, VSt 215'385). 5. Aus Art. 15 Abs. 1 VStG ergibt sich die grundsätzliche Haftung des Steuerpflichtigen, also der C AG. Durch die faktische Auflösung der Gesellschaft, die nun über keine Mittel mehr verfügt, wird die Haftung ausgeweitet, Art. 1 Abs. 15 lit. a VStG: Es tritt eine Solidarhaft der Liquidatoren ein, worin auch die Organhaftung eingeschlossen ist. Damit haftet Verwaltungsrat D solidarisch mit.
5 Fall 3 E erbt von F sämtliche Aktien einer Immobiliengesellschaft mit Liegenschaften im Wohnsitzkanton des E. Weil der Wohnsitzkanton des Erblassers F keine Erbschaftssteuer kennt, erhebt der Wohnsitzkanton des E auf den ererbten Liegenschaften eine Erbschaftssteuer. 1. Um was für eine Steuer handelt es sich bei der Erbschaftssteuer? 2. Liegt eine aktuelle Doppelbesteuerung vor und worum geht es dabei? 3. Liegt eine virtuelle Doppelbesteuerung vor und worum geht es dabei? 1. Bei der Erbschaftssteuer handelt es sich um eine Rechtsverkehr- bzw. Rechtsübertragungssteuer auf kantonaler Ebene. Sie zählt zu den indirekten Steuern, d.h. Steuergut (Vermögensanfall) und Steuerobjekt (Rechtsübergang) fallen auseinander. 2. Eine aktuelle Doppelbesteuerung liegt vor bei einem Streit von zwei (oder mehreren) Steuerhoheiten (Kantone), wenn dasselbe Subjekt für dasselbe Objekt während des gleichen Zeitraumes für dieselbe oder eine ähnliche Steuer belangt wird. Es muss eine 4fache Identität gegeben sein: Subjektidentität: der Steueranspruch richtet sich an dieselbe Person Objektidentität: der Anspruch betrifft dasselbe Objekt Zeitliche Identität: der Anspruch betrifft dieselbe Steuerperiode Steueridentität: das Steuerobjekt wird von zwei (oder mehreren) Steuerhoheiten mit derselben oder einer ähnlichen Steuer besteuert. Vorliegend liegt keine aktuelle Doppelbesteuerung vor, weil es an zwei Steuerhoheiten fehlt, welche die Erbschaftssteuer erheben. 3. Eine virtuelle Doppelbesteuerung ist gegeben, wenn ein Kanton ein Objekt besteuert, welches nach den bundesgerichtlichen Kollisionsnormen einem anderen Kanton zur Besteuerung vorbehalten ist. Bei der Erbschaftssteuer gilt grundsätzlich eine zivilrechtliche Betrachtungsweise, was konkret bedeutet, dass die Aktien der Immobiliengesellschaft bewegliches Vermögen darstellen. Bewegliches Vermögen ist dem Kanton des letzten Wohnsitzes des Erblassers zur Besteuerung vorbehalten. Wenn deshalb der Wohnsitzkanton des E eine Erbschaftssteuer auf den genannten Aktien erhebt, liegt eine virtuelle Doppelbesteuerung vor.
6 Fall 4 Die G AG ist eine Finanzgesellschaft (Effektenhändlerin), die nach ihren Statuten zur Hauptsache die Beteiligung an anderen Unternehmungen bezweckt. Sie erhöht ihr Aktienkapital von 4 auf 6 Millionen Franken. Die neuen Aktien werden von der H AG gezeichnet und von dieser durch Einbringung einer Beteiligung mit einem Wert von 4 Millionen Franken liberiert, deren Buchwert 2 Millionen Franken beträgt. 1. Löst diese Kapitalerhöhung grundsätzlich die Pflicht zur Entrichtung der Emissionsabgabe aus? 2. Wenn ja, auf welcher Berechnungsgrundlage? 3. Löst diese Kapitalerhöhung die Pflicht zur Entrichtung der Umsatzabgabe aus? 4. Wenn ja, wie werden allfällige Kollisionen beseitigt? 5. Wird hier effektiv eine Abgabe erhoben? 6. Führt dieser Vorgang zur Erhebung einer direkten Bundessteuer? 1. Gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. a und 5 Abs. 1 lit. a StG erhebt der Bund Stempelabgaben u.a. auf der Begründung und Erhöhung des Nennwertes von Aktien. Die vorliegende Kapitalerhöhung löst insofern eine Emissionsabgabe aus. 2. Die Abgabe beträgt 1 Prozent und berechnet sich vom Betrag, der der Gesellschaft als Gegenleistung für die Beteiligungsrechte zufliesst, mindestens aber vom Nennwert, Art. 8 Abs. 1 und lit. a StG. Die Grundlage der Berechnung ist damit folgende: Der G AG kommen 4 Mio. zu, d.h. Nennwert plus Agio von 2 Mio., womit die Kosten der Kapitalerhöhung und die Emissionsabgabe abziehbar sind, zusätzlich, falls noch nicht beansprucht, 1 Mio. Freigrenze gemäss Art. 6 Abs. 1 lit. h StG. 3. Die Voraussetzungen von Art. 13 Abs. 1 StG sind an sich erfüllt: Es werden steuerbare Urkunden (Aktien) entgeltlich übertragen und die G AG ist Effektenhändlerin. Die Ausgabe der neuen Aktien löst aber bereits die Emissionsabgabe aus, weshalb sie gemäss Art. 14 Abs. 1 lit. a StG von der Umsatzabgabe befreit ist. Auch die Sacheinlage ist gemäss Art. 14 Abs. 1lit b StG von der Umsatzabgabe ausgenommen.
7 4. Kollisionen der Emissions- mit der Umsatzabgabe werden dadurch verhindert, dass Art. 14 Abs. 1 StG Urkunden von der Umsatzabgabe befreit, die bei Vorgängen zirkulieren, die der Emissionsabgabe unterliegen. 5. Nein, hier wird aufgrund von Art. 6 Abs. 1 lit. a bis StG keine Emissionsabgabe erhoben. 6. Es findet eine Sacheinlage unter dem Verkehrswert, d.h. eine sog. Unter-pari- Emission statt: Die eingebrachte Beteiligung wird unter ihrem aktuellen Verkehrswert bilanziert. Bei dieser Quasifusion (stimmrechtsmässige Beherrschung der übernommenen Gesellschaft, Kapitalerhöhung der übernehmenden Gesellschaft, Aktientausch) gilt der Aktientausch zwar als Veräusserungsgeschäft und damit als Realisierungsakt, aber Art. 61 Abs. 1 lit. c DBG nimmt die stillen Reserven von einer Besteuerung explizit aus.
8 Fall 5 Garagist I (Umsatz Fr. 300'000.-) verkauft einen gebrauchten Wagen zum Preis von Fr. 18'000.-. Er selbst hat das Eintauschfahrzeug zum Preis von Fr. 16'000.- von einem Kunden erworben. 1. Ist Garagist I mehrwertsteuerpflichtig? 2. Wie hoch ist hier das Entgelt bei der MWST? 3. Was ist der Sinn dieser Sonderregelung? 1. Garagist I untersteht der Mehrwertsteuerpflicht, da sein Gewerbe einen Umsatz von 300'000.- erwirtschaftet und damit die Grenze von 75'000.- gemäss Art. 21 Abs. 1 MWStG überschreitet. Auch Art. 25 Abs. 1 lit. a MWStG fällt ausser Betracht. 2. Gemäss der Margenbesteuerung nach Art. 35 Abs. 1 MWStG berechnet sich die Steuer auf der Differenz von Verkaufs- und Anschaffungspreis. Das Entgelt beträgt mehrwertsteuerrechtlich 18'000.- minus 16'000.- = Fr. 2'000.-. 3. Grundsätzlich wird die Steuer vom Entgelt berechnet, Art. 33 Abs. 1 DBG. Zum Entgelt gehört alles, was der Erwerber in irgendeiner Weise als Gegenleistung bezahlt, Art. 33 Abs. 2 DBG. Beim Occasions- oder Gebrauchtwarenhandel wird indessen berücksichtigt, dass das Fahrzeug bereits beim Erstverkauf mit der Mehrwertsteuer belastet wurde und insofern beim jetzigen Verkauf ein zweites Mal besteuert würde, d.h. dass bei erneuter Besteuerung eine Steuerkumulation vorliegen würde. Um dies zu vermeiden, wird nur die obgenannte Preisdifferenz der MWSt unterstellt.