Individuelle Schwerpunkte in der Rauchstoppberatung

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Individuelle Schwerpunkte in der Rauchstoppberatung Dr. med. Urs Jeker Leitender Arzt Kardiologie Leiter amb. kardiale Rehabilitation Herzzentrum Luzern

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Rauchstopp-Beratung im Kontext Ernährungs -beratung körperliches Training Schulung Moderne kardiovaskuläre Prävention mit: multimodalem Therapieansatz Rauchstopp psychologische Beratung optimierte medikamentöse Therapie Schwerpunkte kardiale Rehabilitation - AA Curriculum 28.11.2012 H. Saner, cardiac rehabilitation, ESC, Leuven 2005

Fallbeispiele # 1: 45J. Dr. med. extrem aktiv, leistungsfähig und selbstbestimmt 55PY, 25 Zig/d, FTND 7/10, Motivation 4/10, Selbstvertrauen 2/10, Familie mit Kind, EF mit RS seit 8J vor 8J 4Mo rauchfrei, Champix angenehm erlebt, wg Synkope aber Champix gestoppt # 2: 51J. Landwirt, 2012 Myokardinfarkt und SCD-Surviver, AZ gut 30PY, 20 Zig/d, FTND 4/10, Motivation 8/10, Selbstvertrauen 7/10, Familie mit Kindern, EF NR (sorgt sich um EM) nach MI mehrere Monate NR, x-fach Relaps, verstecktes Rauchen, mehrmals RS- Beratung # 3: 42J. Architektin selbstständig, aktiv- kreativ, Hospitalisation wg. Bronchopneumonie 20PY, 15 Zig./d, 1 Joint/d, FTND 8/10, Motivation 6/10, Selbstvertrauen 4/10, Familie, erwachsene Kinder noch nie rauchfrei, steht vor persönl. Veränderung

Fakten zum Rauchstopp Inzidenz: 32% der erwachsenen Schweizerbevölkerung raucht (= 1.7 Mio) 2/3 Raucher möchten stoppen 1/3 Raucher versuchen jährlich aufzuhören (600 000 Pers.) davon 2-3% erfolgreich Exraucher (20 30 000 Pers.) 0.5 3% werden selbstständig erfolgreiche Ausssteiger Risikofaktoren für Relaps: sozioökonomischer Status niedrig Craving Gewichtszunahme Einsamkeit und Depression Frauen, junge Menschen Schweiz Med Forum 2004; 4:764-770 und Update 2011;11:172-176

Fakten zum Rauchstopp U.S. Public Health Service Clinical Practice Guideline, Update 2008

Fakten zum Rauchstopp U.S. Public Health Service Clinical Practice Guideline, Update 2008

Rauchstopp-Beratung ASK (fragen, Kurzanamnese erheben) ADVISE (beraten) ASSESS (bewerten, einschätzen) ASSIST (helfen, unterstützen) ARRANGE (vereinbaren) Kurz-Intervention Motivationsgespräch Rauchstopp-Hilfe 10 USDHHS Guideline 2000 / West Thorax 2000

Motivation zum Rauchstopp: "Stages of Change" Bewusstwerden (Contemplation) Vorbereitung (Preparation) Umsetzung (Action) Aufrechterhaltung (Maintenance) Indifferenz (Precontemplation) Rückfall (Relapse) Erfolgreicher Nichtraucher (Success) Transtheoretische Modell nach Prochaska und Di Clemente

«Reasons for Not Helping Pts. Quit»: the docs too busy lack of expertice no financial incentive lack of available treatments and most smokers can t/ won t quit stigmatizing smokers respect for privacy negative message might scare away pts. physicians under-treat smokers (5 As) Steven A. Schroeder, MD, smoking cessation leadership center San Francisco, frei von Tabak Update 2012

Warum rauchen? Persönliche Entwicklungsmotive Kopplung von Erfahrungen mit Nikotinkonsum Gewohnheit/ Sozialverhalten Vorbilder Lebenstil Nikotinsucht psychische Abhängigkeit (pos. Verstärkung: Stimulans) Verhaltensabhängigkeit (anxiolyt. Effekt, repetitive Assoziation) physische Abhängigkeit (neg. Verstärkung: Entzug vermeiden) Genetik Coping-Strategie

Motive zum Rauchstopp der gute Grund mit emotionalem Widerhall: Betroffenheit, Demütigung Freiheitsberaubung Vorbild sein wollen Wandlung des Selbstbildes Gesundheitsrisiko Abhängigkeit überwinden wirtschaftlicher Druck Wirtschaftliche Belastung

Motivkonflikte... oder das verflixte Unbewusste Dilemma: Hauptmotive zum Rauchstopp werden i.r. durch (unbewusste) Motive fürs Rauchen kompromitiert: Bsp. Rauchstopp >> Freiheit Rauchen >> Stressabbau Rauchstopp >> neues Selbstbild Rauchen >> Rückzug/ Ruhe >> Rauchstopp wird belastet durch: Inneren Konflikt, Qual, Zwang, Wiederstand >> Konflikt löst sich auf, indem die Motive auf die gleiche Ebene gebracht werden (Bewusstwerdung) M. Storch, Rauchpause, 2008

den Blick neu ausrichten... Veränderungsprozesse finden primär gedanklich und emotional statt: Integration: neuer Erkenntnisse neuer Erlebnissse Bsp: entweder: Rauchen = Handwerkerstolz oder: Rauchstopp = Verweichlichung Abstraktion / Integration: gesund und ehrenhaft leben

Veränderungsprozesse kognitiv-affektiven Prozesse Neubewertung der persönlichen Umwelt ( Environmental Reevaluation ) Wahrnehmen förderlicher Umweltbedingungen ( Social Liberation ) Steigern des Problembewusstseins ( Consciousness Raising ) Selbstneubewertung ( Self-Reevaluation ) Emotionales Erleben ( Dramatic Relief ) verhaltensorientierten Prozesse Selbstverpflichtung ( Self-Liberation ) Kontrolle der Umwelt ( Stimulus Control ) Gegenkonditionierung ( Counterconditioning ) (Selbst-) Verstärkung ( Reinforcement Management ) Nutzen hilfreicher Beziehungen ( Helping Relationships )

Nikotin-Abstinenz und Abhängigkeitsmuster pos. Verstärkung durch Nikotin: vermehrte Wachsamkeit, Verbesserung von Kognition, Stimmung usw. neg. Verstärkung durch Nikotin: Verminderung der Entzugssymptomatik wie Unruhe, Irritierbarkeit, Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit, Craving usw.) adaptiert nach Fagerström KO et al. J Smoking Cessation, 2007; 2:5 7

umfassende Beratungsinhalte Information Persönliches Konzept erarbeiten Aufklärung Diverse Arbeitsunterla gen Beratung Instruktion Individuelle Unterstützung Coaching Motivierende Gesprächsführung

Fallbeispiele # 1: 45J. Dr. med. extrem aktiv, leistungsfähig und selbstbestimmt 55PY, 25 Zig/d, FTND 7/10, Motivation 4/10, Selbstvertrauen 2/10, Familie mit Kind, EF mit RS seit 8J vor 8J 4Mo rauchfrei, Champix angenehm erlebt, wg Synkope aber Champix gestoppt # 2: 51J. Landwirt, 2012 Myokardinfarkt und SCD-Surviver, AZ gut 30PY, 20 Zig/d, FTND 4/10, Motivation 8/10, Selbstvertrauen 7/10, Familie mit Kindern, EF NR (sorgt sich um EM) nach MI mehrere Monate NR, x-fach Relaps, verstecktes Rauchen, mehrmals RS- Beratung # 3: 42J. Architektin selbstständig, aktiv- kreativ, Hospitalisation wg. Bronchopneumonie 20PY, 15 Zig./d, 1 Joint/d, FTND 8/10, Motivation 6/10, Selbstvertrauen 4/10, Familie, erwachsene Kinder noch nie rauchfrei, steht vor persönl. Veränderung

Take Home Message alle Patienten sollten betreffend Nikotinkonsum erfasst werden Grund-Behandlungskonzept: motivational interviewing und flankierende Massnahmen (Medikation, Vereinbarung) Je nach Assessment individuelle Beratungs- bzw. Behandlungsschwerpunkte (informativ, assistierend, direktiv) Ziel-orientierte Beratung Therapeuten-Beziehung aufbauen Nachsorge zwingend (Motivation, Motivation, Motivation) Kurzinterventionen kaum effektiv akute Krankheitsphase/ Hospitalisation ist ein günstiges Interventions-Moment

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit