Sommersemester 2016 Mi, 08-10 Uhr, Audimax 8.3 Differenzieren und Fördern im Mathematikunterricht Rechenschwäche/Rechenstörung/Dyskalkulie V 1 (13.04.) V 2 (20.04.) V 3 (27.04.) V 4 (04.05.) V 5 (11.05.) V 6 (25.05.) V 7 (01.06.) V 8 (08.06.) V 9 (15.06.) V10 (22.06.) V11 (29.06.) V12 (06.07.) Klärung von Begriffen; Diskussion von Ursachen Erklärungsansätze für die Entwicklung von Rechenschwäche Symptome Diagnostik Interview; Fehleranalyse Diagnostik Testverfahren Diagnostik für mathematisch begabte Kinder Fördern in Vorschule und Anfangsunterricht Fördern beim weiteren Rechnen Förderkonzepte Fallbeispiele Differenzierte Klassenarbeiten Spielerische Förderung V13 (13.07.) Zusammenfassung 20.07. Klausur (14-16 Uhr, HS 1, CIV 60, CIV 266) 1
V3 Symptome 1 Erscheinungsformen - empirisch geprüft 2 Erscheinungsformen Erfahrungen aus der Förderung 3 Entwicklungsrückstände - Verlauf 4 Fallbeispiele 2
1 Erscheinungsformen empirisch geprüft Quellen: Schardt, K. (2009). Dyskalkulie und Förderdiagnostik. Landerl/Kaufmann (2008). Dyskalkulie. 3
Mengenerfassung langsamere Simultanerfassung kleiner Mengen; höhere Fehlerrate (Fischer/Schäfer, 2002) Mentaler Zahlenstrahl Der mentale Zahlenstrahl ist bei 8- bis 9-jährigen rechenschwachen Kindern noch nicht so gut ausgebildet wie bei unauffälligen Vergleichskindern (Butterworth, 2004): Beim Zahlenvergleich findet man langsamere Reaktionszeiten. 4
Zählverhalten Erstklässler zeigten Unsicherheiten bei den Zählprinzipien (Beliebigkeit der Reihenfolge; Eindeutigkeitsprinzip) Geary et al., 1992/1999 Dritt- und Viertklässler zählen immer noch langsamer als Kinder der Kontrollgruppe (z.b. von 45 bis 65) Landerl et al., 2004 Auch solche Ergebnisse werden im Zusammenhang mit einem unzureichend ausgebildeten mentalen Zahlenstrahl interpretiert. Während das Vorwärtszählen im kleinen Zahlenraum (1-20) vorwiegend sprachliche Kompetenzen erfordert (Aufsagen der Zahlenreihe), sind Zählschritte von einem anderen Startpunkt (45), in eine andere Richtung (rückwärts) oder in Schritten auf eine gute Orientierung am inneren Zahlenstrahl angewiesen. Ohne den Rückgriff auf dieses Vorstellungsbild muss verbal immer wieder auf die Vorwärts-Zahlenreihe zurückgegriffen werden, was deutlich mehr Zeit beansprucht. 5
Rechenstrategien Vom Kindergarten bis in die Grundschulzeit entwickeln Kinder normalerweise zunehmend effizientere Zähl- und Rechenstrategien, was sich in einem Rückgang von fingergestützten Strategien hin zu immer sicheren Abrufund Zerlegungsstrategien manifestiert. Rechenschwache Kinder: vorwiegend zählende Rechenstrategien, kaum Strategiewechsel, mehr Fehler als andere Kinder (Geary, 2004) Sie liegen bei der Nutzung von Rechenstrategien bei einfachen und komplexen Additionsaufgaben ca. zwei Jahre hinter ihren Altersgenossen zurück. (s. ebenda) Hinweis: Das schrittweise Rechnen und das Verdoppeln sollten in der Regel im letzten Drittel des ersten Schuljahres erlernt werden. Das Halbieren und weitere operative Strategien sollten ab dem zweiten Schuljahr beherrscht werden (Schipper et al. 2011, S. 17) 6
Transkodieren von Zahlwörtern und arabischen Zahlencodes bisher wenige Studien, z. B. Studie zum Lesen und Schreiben ein- bis dreistelliger Zahlen (Landerl et al. 2004) bei 8- bis 9-jährigen Kindern Die Hälfte aller rechenschwachen Kinder hatte mindestens einen Zahlendreher. Ein Viertel hatte mindestens einen Stellenwertfehler. In der Kontrollgruppe kamen solche Fehler gar nicht vor. Die rechenschwachen Kinder benötigten deutlich mehr Zeit beim Lesen mehrstelliger Zahlen. Quelle: Lambert, Rechenschwäche, 2015, S. 112 7
Im Zusammenhang mit Untersuchungen zum Rechnen wird auch immer wieder der Zeitfaktor betont. Spielt die Zeit beim Rechnen eine Rolle (Speedfaktor), ist die Leistung von rechenschwachen Kindern noch geringer. (Jordan/Montani, 1997) 8
Multiplikationsaufgaben Hier unterscheiden sich rechenschwache Kinder. Zum Teil können sie das Einmaleins gut auswendig lernen. Andere haben unendlich viel Mühe die Einmaleinsreihen zu behalten. Divisionen fallen allen rechenschwachen Kindern schwer. Es wird vermutet, dass bei Subtraktion und Division ein Zugriff auf den mentalen Zahlenstrahl notwendig wird und höhere Arbeitsgedächtnisanforderungen bestehen. (Dehaene et al., 2004) 9
Maße Es fällt rechenschwachen Kindern schwer, konkrete Maße, Gewichte, Hohlmaße abzuschätzen. Es ist für sie nicht nachvollziehbar, warum beim Umrechnen mit 10 oder 100 multipliziert oder dividiert werden muss. Vor allem das Erfassen der zeitlichen Maße ist ein fast unüberwindliches Problem. In der Regel sind Kinder mit Rechenstörung erst ab Ende der Grundschulzeit in der Lage, den Umgang mit der Uhrzeit zu verstehen, vorausgesetzt, sie erhalten eine Anleitung. Quelle: Dehaene et al., 2004 10
2 Erscheinungsformen - Erfahrungen aus der Förderung 11
Moog/Schulz, 1999 Jeder Grund- und Sonderschullehrer kennt sie, Kinder, die auch nach ein bis zwei Schuljahren einfache Additions- und Subtraktionsaufgaben mühsam in Einerschritten abzählend lösen (zählende Rechner). Es sind Schüler mit einem wenig differenzierten, an der Zahlabfolge orientierten Zahlbegriff. Sie haben Mühe, Zahlkompositionen oder Zahlzerlegungen in der Vorstellung vorzunehmen. Moog/Schulz (1999). Zahlbegriffstraining. Zahlen begreifen. Diagnose und Förderung bei Kindern mit Rechenschwäche. 12
Schipper, 2001 langsame Rechner Zerlegung der Zahlen bis 10 ist nicht verfügbar geringes Repertoire an auswendig gewussten Aufgaben heuristische Strategien des Rechnens sind kaum vorhanden Einsichten in Strukturen sind nur gering ausgeprägt 13
Gaidoschik, 2003 Rechenschwache Kinder rechnen nicht, sie zählen. Zählen im Kopf; Zählen mit den Fingern Michael Gaidoschik (2003). Rechenschwäche-Dyskalkulie. Horneburg: Persen Verlag. 14
Gaidoschik, 2003 Sachaufgabenkrise Der sachliche Gehalt der Grundrechenarten ist nicht verstanden. Multiplizieren das ist das mit dem Punkt zwischen zwei Zahlen. Michael Gaidoschik (2003). Rechenschwäche-Dyskalkulie. Horneburg: Persen Verlag. 15
Jacobs/Petermann, 2005 Beherrschen am Ende der Kl. 2 noch nicht den Zahlenraum bis 100. Benutzen am Ende der Kl. 4 noch die Finger und umständliche Zählstrategien beim Rechnen. Der Umgang mit Zehnerüberschreitung wird kaum beherrscht. Jacobs/Petermann (2005). Diagnostik von Rechenstörungen. 16
Jacobs/Petermann, 2005 Beim Kopfrechnen beginnen die Kinder immer wieder von vorn, da Zwischenergebnisse vergessen werden. Gerade berechnete, ähnliche Aufgaben werden nicht wiedererkannt und jede Aufgabe wird wieder neu bearbeitet. Beim Einmaleins addieren die Kinder, indem sie die jeweilige Reihe hochzählen. 17
Schipper, 2009, Handbuch für den Mathematikunterricht an Grundschulen Früheres Modell: 1. Symptom: Verfestigtes zählendes Rechnen 2. Symptom: Unsicherheiten bei der Unterscheidung von links und rechts 3. Symptom: Intermodalitätsprobleme sowie einseitiges Zahl- und Operationsverständnis 18
Schipper, Wartha, von Schröders, 2011, BIRTE 2 Aktuelles Modell: 1. Symptom: Verfestigtes zählendes Rechnen 2. Symptom: Eingeschränktes Stellenwertverständnis und unzureichende Orientierung im Zahlenraum 3. Symptom: Unzureichende Grundvorstellungen und Größenvorstellungen 19
3 Entwicklungsrückstände Verlauf (auf der Grundlage von Beobachtungen) Quellen: Schipper, Wartha & von Schroeders, 2011; Scherer & Moser- Opitz, 2010 20
Erwerb der ersten Strukturen Erscheinung 1 (Vorschulzeit) Mein Kind hat die Augenzahlen beim Würfeln in der Vorschulzeit immer erneut abgezählt. -Das simultanes Erfassen kleiner Mengen klappt nicht. Die Struktur wird nicht als Ganzes wahrgenommen, es muss gezählt werden. -Es entstehen Entwicklungsrückstände bei der Ausbildung der kardinalen Kompetenz. 21
Entwicklung der Zählkompetenz Erscheinung 2 (Schulanfang) Kinder, die nicht so weit vorwärts zählen können wie andere und nicht oder kaum rückwärts zählen Die Kinder erwerben spät Sicherheit in den ersten beiden Zehnerräumen. Analogien (3/13; 4/14; ) werden nur wenig bewusst. Das Stellenwertverständnis bleibt hier schon zurück. 22
Erlernen des ersten Rechnens Erscheinung 3 ( 1. Schuljahr) 7+5? 8, 9, 10, 11, 12 12-7? 11, 10, 9, 8, 7, 6, 5 Das zweite Rechenglied wird ausschließlich zählend dazu- bzw. weggenommen. Eine an das Rechnen angepasste Strukturierung des ersten Zehners gelingt nicht. So geht die wichtige Strategie der Zehnerergänzung (schrittweises Rechnen über den ersten Zehner) verloren. Das Auflösen der zweiten Rechenzahl in aufeinanderfolgende Zählzahlen erschwert (verhindert) scheinbar das Einprägen. Zum Vergleich (Strategie der Zehnerergänzung): 7+5? 7+(3+2)=12 7, 5, 12 12-7? 12-(2+5)=5 Ein Zahlentripel wird gewonnen und lässt sich einprägen. 23
Erlernen zweistelliger Zahlen Erscheinung 4 Die Bildung und Darstellung zweistelliger Zahlen wird von Unsicherheiten bezüglich des Stellenwertes begleitet. Erschwert wird die Bildung, Darstellung und Nutzung mehrstelliger Zahlen durch die Besonderheiten in unserer Zahlensprache, die das Stellenwertsystem nicht genau abbildet. Schreiben zweistelliger Zahlen von hinten nach vorn Zwei-und-vierzig 2 und- 4. 24
Halbschriftliches Rechnen Erscheinung 5 Das halbschriftliche Rechnen baut auf dem sicheren Umgang mit den Stellen und den dazugehörigen Werten auf. Gibt es hier Entwicklungsrückstände, kann es häufig auch nicht sicher und vollständig erworben werden. Das Problem: Die zweistelligen Zahlen sind nicht mehr zum Dazuzählen/Wegzählen geeignet. Die rechenschwachen Kinder müssen ihr Rechenverhalten anpassen. Wie tun sie das? 25
54 + 23 5 und 2, dann 4 und 3 =77 richtig! 54 +27 5 und 2 ist 7, dann 4 und 7 ist... 11 =711? 71?... Man weicht dem Rechnen mit den tatsächlichen Stellenwerten aus, bevorzugt ein Ziffernrechen. Beim Ziffernrechnen können rechenschwache Kinder auf ihre ursprünglichen Zählstrategien zurückgreifen. Rechnen mit zwei- und mehrstelligen Zahlen im Kopf ist für viele rechenschwache Kinder schon sehr (zu) schwer. 26
Wenn rechenschwache Kinder das Zahlenrechnen wählen, gehen sie am liebsten in kleinen Schritten vorwärts. 54+27 50+20+4+7 Bei der Addition ist dies eine recht sichere Methode, aber beim Übertragen auf die Subtraktion verhängnisvoll: 54-27 50-20-7-4 Die Kinder laufen beim Subtrahieren sozusagen dem Fehler entgegen. Es fehlt das Verständnis für Zusammenhänge, um anders zu reagieren. 27
Noch zu ergänzen bzw. zu bekräftigen: Nur sehr wenige Grundaufgaben können als Faktenwissen abgerufen werden. Im Vergleich mit den Strichrechnungen sind Einmaleinskenntnisse mitunter besser verfügbar. Der Automatisierungsgrad bei Subtraktions- und Divisionsaufgaben ist äußerst gering. Halbschriftliches Rechnen führt die Kinder an die Grenzen ihrer Kopfrechenleistung. 28
Noch zu ergänzen bzw. zu bekräftigen: Klassenstufe 3 (!): Zahlenraum bis 1000 dreistellige Zahlen; Probleme werden größer (eine Stelle mehr ist zu beachten) Schriftliche Verfahren in Kl. 3 (Addieren und Subtrahieren) erleichtern das Rechnen, weil es auf einstellige Zahlen zurückzuführen ist und man keine (räumliche) Zuordnung beim Rechnen vornehmen muss. 29
4 Fallbeispiele 30
Beispiel 1: Tobias Kl.3/2 Benennen Sie die Symptome, die auf eine Rechenschwäche hinweisen. 31
Kompetenzen und Schwächen von Tobias 32
Beispiel 2: Julian (Kl. 2) Beschreiben Sie die Probleme des Kindes. 33
Beispiel 3: Drittklässlerin Jana Benennen Sie die Symptome, die auf eine Rechenschwäche hinweisen und begründen Sie. 34
Fazit 35