Literaturseminar: Überblick über Mykobakterien mit Schwerpunkt auf MOTT

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Transkript:

Literaturseminar: Überblick über Mykobakterien mit Schwerpunkt auf MOTT Arbeitsgruppe Dr. Nolte am Hygiene-Institut der Universität Heidelberg Abt. Hygiene & Medizinische Mikrobiologie Atypische Mykobakterien 2 Das Genus Mycobacterium 2 Klassifizierung nach RUNYON in den 50er Jahren des 20 Jahrhunderts: 2 Moderne Einteilung nach klinischen Gesichtspunkten 2 Moderne Einteilung auf Grund der Pathogenität der Arten: 3 MOTT mit humanmedizinischer Bedeutung 4 Neuere Arbeiten zu Infektionen durch MOTT bzw. seltene Mykobakterien 5 Oliver Nolte Seite 1 11.02.2003

Atypische Mykobakterien (syn.: non-tuberculous mycobacteria - NTM; mycobacterium other than tuberculosis MOTT) Das Genus Mycobacterium zur Zeit ca. 107 Arten zuzüglich M. tuberculosis-komplex (5 Arten [?]) und M. leprae naturwissenschaftliche (16s rdna-sequenz) vs. praktische Einteilung (Einteilung nach medizinischen Gesichtspunkten). Klassifizierung nach RUNYON in den 50er Jahren des 20 Jahrhunderts: Ursprüngliche Einteilung nach RUNYON auf Grund der Wachstumsgeschwindigkeit und der Fähigkeit Pigmente zu bilden: Gruppe Wachstumsgeschwindigkeit Pigmentierung Gruppe I: langsam photochromogen Gruppe II langsam scotochromogen Gruppe III langsam nonchromogen Gruppe IV schnell wachsend -/- Moderne Einteilung nach klinischen Gesichtspunkten nicht pathogene, ubiquitär vorkommende, saprophytäre Mykobakterien, deren Nachweis praktisch keinerlei klinische Relevanz besitzt fakultativ pathogene, ubiquitär vorkommende Mykobakterien, deren Nachweis insbesondere bei Vorliegen typischer Krankheitszeichen und entsprechender Risikofaktoren von Bedeutung ist obligat pathogene, nicht ubiquitär vorkommende, weitgehend auf den Menschen als Wirt beschränkte Mykobakterien, deren Nachweis immer auch Behandlungsbedürftigkeit bzw. Erkrankung bedeutet. Zusätzlich zu dieser rein auf der Pathogenität beruhenden Einteilung wird bei differenzierter Betrachtung noch die Wachstumsgeschwindigkeit berücksichtigt. Oliver Nolte Seite 2 11.02.2003

Moderne Einteilung auf Grund der Pathogenität der Arten: Langsam wachsend 1.) Obligat pathogen fakultativ pathogen nicht pathogen M. africanum; M. bovis (incl. M. bovis BCG, M. bovis caprae); M. canettii (?) M. asiaticum; M. avium; M. celatum; M. genavense; M. haemophilum; M. heidelbergense; M. cookii, M. gastri; M. gordonae, M. hiberniae; M. nonchromogenicum; M. terrae, M. triviale M. microti Typ I (?) M. microti Typ II (?) M. tuberculosis 3.) M. leprae M. interjectum; M. intermedium; M. intracellulare; M. kansasii; M. lentiflavum; (s.u.) M. malmoense; M. marinum; M. paratuberculosis; (?) M. scrofulaceum; M. shimoidei (?), (s.u.) M. simiae; M. szulgai; M. triplex; M. ulcerans; M. xenopi Schnell wachsend: 2.) Fakultativ/obligat nicht pathogen pathogen M. abscessus; M. chelonae; M. fortuitum; M. peregrinum; M. mucogenicum (s.u.) M agri; M. aichiense; M. alvei; M. aurum; M. austroafricanum; M. brumae; M. chitae; M. chubuense; M. confluentis; M. diernhoferi; M. duvalii; M. fallax; M. gadium; M. gilvum; M. hassiacum (?); M. komossense; M. madagascariense; M. moriakaense; M. neoaurum (s.u.) ; M. obuense; M. parafortuitum; M. phlei; M. poriferae; M. pulveris; M. rhodesiae; M. smegmatis; M. sphagni; M. thermoresistibile; M. tokaiense; M. vaccae. Nicht berücksichtigt: M. ratisbonense; M. acapulcensis, M. heckeshornii, M. goodii und andere neuere, z.t. unbestätigte Taxa (n = ca. 60!). Aufzählung nicht vollständig! 1.) langsam wachsend: Generationszeit 6 24 (+) hrs und länger 2.) schnell wachsend: Generationszeit 1 4 hrs 3.) zusammen als M. tuberculosis Komplex bezeichnet; Artstatus unklar Oliver Nolte Seite 3 11.02.2003

MOTT mit humanmedizinischer Bedeutung M. kansasii Lungen- Tuberkulose, Lymphadenitis, disseminierte Tuberkulose bei immunsupprimierten Patienten M. marinum Hautläsionen (Schwimmbadgranulom) M. malmoense Lymphadenitis (Kinder, selten; cave: braucht INH zum wachsen!)) M. simiae selten Lungen-Tuberkulose M. scrofulaceum Lymphadenitis (Kinder); disseminierte Tuberkulose bei immunsupprimierten Patienten; im 19. Jahrhundert Auslöser der Skrofulose, heute eher selten isoliert. M. szulgai selten, Lungen- Tuberkulose M. xenopi selten, Lungen- Tuberkulose M. avium 4.) Lungen- Tuberkulose, Lymphadenitis (Kinder, häufig); bei AIDS- Patienten häufig disseminierte Tuberkulose, Meningitis M. intracellulare 4.) wie M. avium M. paratuberculosis 4.) Assoziation mit der Entstehung des Morbus Crohn? M. ulcerans Hautulcerationen (Tropen) M. fortuitum Hautläsionen (z.b. nach Maniküre/Pediküre; vergl. HASSLER & BRAUN (2000): Atypische Mykobakteriosen nach Besuch im Nagelstudio. DMW 21:A477), Bindegewebsabszesse, Lungen- Tuberkulose (selten), disseminierte Tuberkulose bei Immunschwäche M. chelonae 5.) wie M. fortuitum M. haemophilum 6.) cutane Abszesse, geschwürsartige Veränderungen 4.) 5.) 6.) M. avium-komplex (MAC; MIA); M. paratuberculosis auch als M. avium ssp. paratuberculosis in Verbindung mit M. abscessus = M. chelonae-abscessus-komplex (MCAC) vereinzelte case reports aus USA (Arizona) und der Tschechischen Republik, möglicherweise übersehen wegen der besonderen Anzuchtbedingungen (Kochblut oder MH mit X-Faktor) Oliver Nolte Seite 4 11.02.2003

Neuere Arbeiten zu Infektionen durch MOTT bzw. seltene Mykobakterien Studie in den USA (CLOUD JL et al; Abstract L-678; 42 nd ICAAC; San Diego 2002): 2 Jahre MOTT in den teilnehmenden Bundesstaaten gesammelt (n = 2404) 75 % der MOTT entstammten Proben respiratorischer Natur 89% aller MOTT entfielen auf die Arten M. kansasii, M. fortuitum Grp., MAC, M. chelonae-grp. Einige Arten wurden als emerging pathogens identifiziert: M. lentiflavum (Lymphadenitis) M. mucogenicum (u.a. in Blutkulturen) M. goodii (bei Augenerkrankungen) M. neoaurum (u.a. aus Blutkulturen) (siehe auch CLOUD JL et al; Identification of Mycobacterium ssp. by using a commercial 16s ribosomal DNA sequencing kit and assitional sequencing libraries. Journal of Clinical Microbiology Vol. 40(2):400-406) Ausbruch in Ontario (SILVERMAN MS et al (Abstract L-679; 42 nd ICAAC; San Diego 2002) 11 Fälle chronischer pulmonärer Erkrankungen wurden bisher in der Literatur publiziert. Zwischen 1995 und 2002 12 Fälle von Infektionen mit M. shimoidei (11/12 aus respiratorischen Proben, 1 aus Abszesspunktat rektal). Ursache für das bisher sehr seltene Auftreten könnte in der Verkennung der Species auf Grund von Verwechselung mit den sehr ähnlichen M. terrae oder M. malmoense sein. Screening in Djibouti (KOECK JL et al; Abstract L-673; 42 nd ICAAC; San Diego 2002) : M. tuberculosis canetti Infektionen wurden bisher nur zweimal publiziert, der Status als obligat pathogener Erreger ist fraglich. Zwischen 1999 und 2001 wurden bei 29 Patienten in Djibouti/Afrika M. canetti Infektionen kulturell bestätigt, drei der Patienten waren Franzosen. Die bisher beschriebenen zwei Fälle traten in Somalia und in Frankreich auf. In Deutschland gelang bisher noch kein Nachweis. Unklar ist, ob es sich bei M. canetti nur um eine Morpho-Variante des M. tuberculosis handelt oder um einen eigenständige Art. Oliver Nolte Seite 5 11.02.2003