Gerechter Handel. Hans-Jürgen Bieling, Hochschule Bremen

Ähnliche Dokumente
Deutschland, die EU und die WTO im Welthandel

Vortrag von Thomas Richter am beim plan.z-workshop. Welthandel konkret.

Bibliografische Informationen digitalisiert durch

Niels Memmen. Implementationsmöglichkeiten von Sozialstandards in die Welthandelsorganisation (WTO)

LE 2: Die Theorienvielfalt ein Überblick über Theorien(bereiche) im Gegenstandsbereich der Vorlesung

Grundlagen der Realen Außenwirtschaft

LE 2: Theorienüberblick

Freihandel und Gerechtigkeit

DER SEKTOR AUSLAND. Wirtschaftskreislauf und Außenhandelspolitik

Transatlantische Freihandelszone

Säulen der Weltwirtschaftsordnung seit 1945 ( embedded liberalism )

Vorwort... V Hinweise zum Auffinden der Rechtsquellen des Wirtschaftsvölkerrechts... XIII Abkürzungsverzeichnis... XV

iconomix-fachtagung 16 Workshop C Fairer Handel Zürich, 3. September 2016, Prof. Dr. Andrew Lee / Prof. Dr. Rolf Weder

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Freihandel - Fluch oder Segen? Das komplette Material finden Sie hier:

Veranstaltungsreihe des BUND Schwerin: Unsere Umwelt ein Handelshemmnis? Schwerin, 19. März 2015

Uclo Mayer / SibyUe Raasch Internationales Recht cler Arbeit uncl Wirtschaft

PETER LANG Europaischer Verlag der Wissenschaften

Vorlesung: Außenwirtschaftstheorie Einführung

Multilaterale Außenwirtschaftspolitik

INTERNATIONALER HANDEL: Märkte öffnen, Barrieren abbauen

Die Entwicklungsländer in der Weltwirtschaft

Vorwort: Motivation und Überblick 1. I Empirie: Außenhandel und Handelskosten 5

Das internationale Handelsregime - Regimewandel vom GATT zur WTO

Nach dem Scheitern der Doha-Runde: Die künftige Rolle der WTO

Handelsgewichtete Zollbelastungen

Die Themen und Inhalte des Faches Politik-Wirtschaft orientieren sich an dem Kerncurriculum, S

Aussenwirtschaftspolitik

TTIP Worum geht es? Eine-Welt-Verein/ WELTLADEN E.Frasch

Internationale Wirtschaft

Rendite vor Gesundheit

Internationalisierung des Rechts

Was besprechen wir heute?

Freihandel - wer braucht ihn, wer fürchtet sich vor ihm?

Europäische Integration

Thomas Eberhardt-Köster

«Dem Gespenst des Protektionismus auf der Spur» Brian Mandt, Makroökonom 28. September 2017

WTO. System und Funktionsweise der Welthandelsordnung. Richard Senti Institut für Wirtschaftsforschung der ETH Zürich. Schulthess o Zürich

2 World Trade Organization (WTO) Welthandelsorganisation Ziel dieser Organisation: Förderung des Welthandels

Aktuelle Alternativen

Foliensatz zu Kapitel 10: Die politische Ökonomie der Handelspolitik

TTIP und ihre Auswirkungen auf Österreich

Name: Matrikelnummer:

Open Markets Matter: Warum offene Märkte Wohlstand schaffen und wieso trotzdem so viele dagegen sind. Wien, 28. Jänner Dr.

Das TRIPS-Übereinkommen in der WTO-Rechtsordnung

Internationale Ökonomie I Vorlesung 1: Einleitung

Buchners Kompendium Politik neu

Politische Ökonomie internationaler Investitionsabkommen: Diskurs und Forum-Shifting der EU

Die EU aggressiver Akteur im Welthandel. EU-Handelspolitik und Freihandelsdogma. TTIP Strategie- und Aktionskonferenz 26./27. Februar 2016 in Kassel

Die Evolution und Bedeutung moderner` EU-Freihandelsabkommen. Kommentar Mag. Claudia Stowasser (WKÖ, Abteilung Wirtschafts- und Handelspolitik)

Facetten der Globalisierung

Tageskonferenz zum EU-Jahr der Entwicklung 2015 "Zukunft erwirtschaften zwischen Weltgemeinwohl und Freihandel"

Konsequenzen einer möglichen handelspolitischen Neuausrichtung

Ziele WTO (1/2) Wirtschaftliche & Finanzorganisationen. Recht der Internationalen Organisationen Vorlesungen vom 11. und 18.

Welthandel und Wirtschaftliche Entwicklung

Ziele. Wirtschaftliche Bedeutung. Wirtschaftsvölkerrecht Vorlesung vom 19. März Handel: Güter, Dienstleistungen, Streitbeilegung.

Welthandelsorganisation : WTO

Internationale Handelsabkommen zur Liberalisierung der Ma?rkte als fragwu?rdige Instrumente des Scheiterns

Aussenhandelsstatistik Schweiz

Mustervortrag für die Arbeit in Kolpingsfamilien erstellt durch Bundesfachausschuß IV Verantwortung für die Eine Welt

Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO)

Internationale Ökonomie I. Vorlesung 5: Das Standard-Handels-Modell. Dr. Dominik Maltritz

Die Welthandelsorganisation und die Regulierung internationaler Wirtschaftsdynamik

Die Rolle von Freihandelsabkommen für die wirtschaftliche Entwicklung von Schwellenländern. Dominique Bruhn Münster, 27.

DIE EUROPÄISCHE UNION UND DIE

Anzahl der Mitgliedsstaaten der WTO. WTO (engl. Abkürzung für...) Quiz-Karten WTO

Andreas Novy Regionalökonomische Aspekte wirtschaftlicher Entwicklung

Volkswirtschaftslehre für Sozialwissenschaftler

Einschub: Kurze Einführung in die Außenhandelstheorie : (Widerholung für Studenten die Theorie des internationalen Handels bereits gehört haben)

Offene Märkte, faire Regeln. Positionspapier der AG 5 Internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie

Freihandel statt Quoten Der Weg des Bekleidungshandels unter das Regime der WTO Von Sören Becker

Klaus Zapka. Europaische Wirtschaftspolitik

Horst Siebert. Weltwirtschaft. mit 88 Abbildungen und 19 Tabellen. Lucius & Lucius Stuttgart

Öffentliches Wirtschaftsrecht

Normative und positive Analyse der Handelspolitik

Politik und wirtschaftlicher Wettbewerb in der Globalisierung

Globalisierung der Wirtschaft

Internationale Wirtschaft Kapitel 12: Streitfragen der Handelspolitik Kapitel 12: Streitfragen der Handelspolitik

Handel und Wettbewerb auf

Aufgabenblatt 2. -Teil 2- Heckscher-Ohlin Modell. Wie wirkt sich eine Änderung der relativen Preise auf die reale Faktorentlohnung aus?

Maya Graf Nationalrätin BL, Co-Präsidentin Fair-Food Initiative

Kapitel 1 Einführung. Aufgabe 4. Nun ist Ausland viel größer als Inland => Inland ist kleines Land (in Bezug auf Welt-Weizenmarkt):

6 WIRTSCHAFTSPOLITISCHE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN IN- UND AUSLAND 6.1 Vor- und Nachteile des Außenhandels für die Bundesrepublik

6 WIRTSCHAFTSPOLITISCHE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN IN- UND AUSLAND 6.1 Vor- und Nachteile des Außenhandels für die Bundesrepublik

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen:

Landwirtschaft in der WTO

Für ein gestärktes und modernes Welthandelssystem

Die Evolution und Bedeutung moderner EU-Freihandelsabkommen

Vorwort. 1 Einleitung Die Lage der Weltwirtschaft Aufbau des Buches 3

ALLES ist handelbar - Wettbewerb ist der höchste Wert an sich.


Lehrplan Sozialwissenschaften im Überblick

Reale Außenwirtschaft und Europäische Integration

Hegemonie gepanzert mit Zwang

Internationales Wirtschaftsrecht

Arbeitsbeziehungen im Rheinischen Kapitalismus. Zwischen Modernisierung und Globalisierung

Politik-Wirtschaft Sekundarbereich II

Von Nichtdiskriminierung zu Entwicklung. Steht die Internationale Handelsordnung an einer Wegscheide?

Forschungsprojekt am IHS. Susanne Pernicka Monika Feigl-Heihs Alfred Gerstl Peter Biegelbauer. im Auftrag des BM:BWK Laufzeit: Oktober 1999-Mai 2002

THEMEN-IDEEN FÜR WISSENSCHAFTLICHE ARBEITEN AUF BACHELOR-

Transkript:

Gerechter Handel Hans-Jürgen Bieling, Hochschule Bremen

Gerechter Handel Der Gerechte Handel ist eine neuartige Form der Solidarität zwischen Produzenten und Verbrauchern, indem die Preise fair gehandelt werden und indem die Produzenten sich zu sozialen und ökologischen Leistungen verpflichten. Den Kleinbauern und den Handwerkern in der 3. Welt werden für ihre Produktion Preise garantiert, die 20 bis 30% über denen des lokalen Marktes liegen. Damit können diese Gruppen nicht nur unter menschenwürdigen Verhältnissen arbeiten, sondern können auch einen Teil ihrer Gewinne in Sozial- und Förderprogramme investieren, um aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt zu sichern und selbst für ihre eigene Weiterentwicklung zu sorgen. Die Devise des fairen Handels lautet: Fairer Lohn und menschenwürdige Arbeitsbedingungen statt Spenden. Viele Organisationen handeln nach diesen Prinzipien und benutzen verschiedene Begriffe wie Made in Dignity - FAIR TRADE. - Max Havelaar. Quelle: http://users.skynet.be/weltladen/1_laden/2_grundlagen/1_fairer_handel.html

Gerechter Handel 1. Gerechtigkeit in der (Welt-)Ökonomie und im (internationalen) Handelssystem 2. Entwicklung des internationalen Handelssystems nach dem Zweiten Weltkrieg 2.1. Das GATT: Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahren 2.2. Liberalisierungsdynamiken (im eingebetteten Liberalismus und danach) 2.3. Die WTO und die Grenzen der Globalisierung 3. Kritik der marktliberalen Handelsgerechtigkeit 4. Gerechtigkeitskollisionen: Machtverhältnisse und Konfliktfelder 5. Perspektiven der Handelsbeziehungen und der Theoriedebatte

Gerechtigkeit in der (Welt-)Ökonomie und im (internationalen) Handelssystem (Wirtschafts-)Liberale Gerechtigkeitsvorstellungen 1. Die unsichtbare Hand des Marktes (A. Smith) 2. absolute und komparative Kostenvorteile (von A. Smith zu D. Ricardo) 3. Fortentwicklung des Theorems der komparativen Kostenvorteile in der neoklassischen Außenhandelstheorie a) Heckscher-Ohlin-Modell bzw. Faktorproportionentheorem b) Stopler-Samuelson-Theorem c) Rybcynski-Theorem 4. allgemein: Betonung der Allokationseffizienz und der wohlfahrtssteigernden Wirkung des internationalen Handels

Gerechtigkeit in der (Welt-)Ökonomie und im (internationalen) Handelssystem Marxistische Gerechtigkeitsvorstellungen 1. Zivilisatorischer Fortschritt der Weltmarktintegration a) Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham (K. Marx) b) Zivilisatorische Kraft des Weltmarktes (Kommunistisches Manifest) 2. aber: internationale Ausbeutung und Abhängigkeit a) Marktverhältnisse und Machtbeziehungen b) Ungleiche Entwicklung 3. Leitvorstellung: Revolutionierung der Produktionsbeziehungen im Weltmaßstab

Gerechtigkeit in der (Welt-)Ökonomie und im (internationalen) Handelssystem (Sozial-)Protektionistische Gerechtigkeitsvorstellungen 1. Negative Effekte des entfesselten Marktes a) Abhängige Entwicklung und soziale Desintegration b) Reproduktion bestehender internationaler Machtbeziehungen 2. Entwicklungsstrategische Reformagenda a) national: Entwicklungsstaat b) international: Instrumente der politische Re-Regulierung, Intervention und Umverteilung 3. Leitvorstellung: Reembedding des internationalen Handels (normativ, institutionell, verteilungspolitisch )

Entwicklung des internationalen Handelssystems nach dem Zweiten Weltkrieg Das GATT: Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahren Scheitern der Havanna-Charta (und der ITO) Charakter des GATT (regelbasiertes und verhaltenssteuerndes Handelsregime) Prinzipien des GATT: a) Handelsliberalisierung b) Nicht-Diskriminierung (Meistbegünstigung und Inländerbehandlung) c) Reziprozität d) Transparenz

Entwicklung des internationalen Handelssystems nach dem Zweiten Weltkrieg Liberalisierungsdynamiken: Zollbelastung und Zollabbau im GATT (1947-1993) Quelle: Senti (2000: 220).

Entwicklung des internationalen Handelssystems nach dem Zweiten Weltkrieg Liberalisierungsdynamiken: GATT-Verhandlungsrunden Jahr Ort/Name Gegenstandsbereich Teilnehmende Länder 1947 Genf Zölle 23 1949 Annecy Zölle 13 1951 Torquay Zölle 38 1956 Genf Zölle 26 1960-61 Genf (Dillon-Runde) Zölle 26 1964-67 Genf (Kennedy- Zölle und Antidumpingmaßnahmen 62 Runde) 1973-79 Genf (Tokyo-Runde) Zölle, nicht-tarifäre Handelshemmnisse, plurilaterale Vereinbarungen 102 1986-93 Genf (Uruguay- Runde) Quelle: WTO (1998: 2). Zölle, nicht-tarifäre Handelshemmnisse, Verfahrensregeln, Dienstleistungen, intellektuelle Eigentumsrechte, Streitschlichtung, Textilien, landwirtschaftliche Produkte, Errichtung der WTO etc. 123

Entwicklung des internationalen Handelssystems nach dem Zweiten Weltkrieg Vom GATT zur WTO Handelspolitische Konflikte der 1970er und 1980er Jahre ( neuer Protektionismus ) Interessenkonstellation in der Uruguay-Runde a) USA (Liberalisierung von Dienstleistungen) b) EG (Institutionalisierung plus Dienstleistungen) c) Entwicklungsländer (Liberalisierung des Agrar- und Textilhandels)

Entwicklung des internationalen Handelssystems nach dem Zweiten Weltkrieg Liberalisierungsdynamiken: Warenhandel und Produktion (1950-2004) All merchandise Trade Production 12 10 8 6 4 2 0 1950-63 1963-73 1973-90 1990-04 Quelle: WTO (2005).

Entwicklung des internationalen Handelssystems nach dem Zweiten Weltkrieg Die WTO und die Grenzen der Globalisierung Institutionalisierung des Handelsregimes Erweiterter Geltungsbereich der WTO Räumliche Ausdehnung des internationalen Freihandelsregimes Konflikte in der WTO: a) Häufige Anwendung des Streitschlichtungsverfahrens b) Wahl des Generaldirektors c) Regionalisierungstendenzen d) Gescheiterte Ministerkonferenzen ( Politisierung ) e) Unterentwicklung und Legitimationskrisen Verlauf der Doha-Entwicklungsrunde und die Weltfinanzkrise

Kritik der marktliberalen Handelsgerechtigkeit Artikulation politischer Alternativen Scheitern der ITO Dritte Welt und Neue Weltwirtschaftsordnung Kritik des Washington Konsensus und neue Formen der Süd-Süd-Kooperation

Die Politik des Washington Consensus Haushaltskonsolidierung wettbewerbsorientierte Reform öffentlicher Ausgaben Steuersenkung Inflationsbekämpfung angemessene Wechselkurse Handelsliberalisierung Förderung ausländischer Direktinvestitionen Privatisierung öffentlicher Unternehmen Deregulierung der Wirtschafts- und Sozialsysteme Sicherung von Eigentumsrechten -> Kritik des Washington Consensus seit den 1990er Jahren a) Mangelnde Effektivität (Entwicklung) b) Beschneidung demokratischer Entscheidungsprozesse -> Neue Formen der Süd-Süd-Kooperation

Gerechtigkeitskollisionen: Machtverhältnisse und Konfliktfelder Historische Entwicklung konkurrierender Gerechtigkeitsvorstellungen Kollisionen und Kompromissbildungen (Hegemoniale) Konstellationen: 1. embedded liberalism währungs-, struktur- und entwicklungspolitisch flankierter Freihandel 2. disembedded neoliberalism Radikalisierung und Ausweitung des Freihandelsgedankens (neuer Konstitutionalismus) 3. offene Konstellation : Alternative Handelssysteme -> Süd- Süd-Kooperation, ALBA etc.

Gerechtigkeitskollisionen: Machtverhältnisse und Konfliktfelder WTO (ILO, UNO, ) Konfliktfelder: Regionale Integrationsprojekte Entwicklungsprogramme Fair trade, CSR -> letztlich Produktions- und Lebensweise

Perspektiven der Handelsbeziehungen und der Theoriedebatte Unübersichtliche Situation: a) einerseits: ein strukturell liberales internationales Handelssystem b) andererseits: Scheitern der Doha-Runde, extensiver Bilateralismus, neue Formen der Süd- Süd-Kooperation, Bejing Konsensus, Bandung II, alternative Logiken (Alba, fair trade etc.) Ausweitung der handelsbezogenen Themenpalette

Perspektiven der Handelsbeziehungen und der Theoriedebatte Thematische Ausweitung schlägt sich in der theoretisch-konzeptionellen Debatte bislang nur unzureichend nieder Leerstellen: a) Politökonomische Einbettung der Diskussion über die Gestaltung von Handelsbeziehungen b) Rückbezug der Diskussion über relativ abstrakte Gerechtigkeitsprinzipien auf die Alltagspraxis und die Ungerechtigkeitserfahrungen sozialer Gruppen