Brüchige jüdische Lebenswelt am Ende der Wiener Moderne:Arthur Schnitzlers "Traumnovelle"

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Transkript:

Germanistik Peter Klimitsch-Rathenböck Brüchige jüdische Lebenswelt am Ende der Wiener Moderne:Arthur Schnitzlers "Traumnovelle" Studienarbeit

Fernuniversität in Hagen Institut für neuere deutsche und europäische Literatur Wintersemester 2010/2011 Schriftliche Hausarbeit im Hauptfach Neuere deutsche Literaturwissenschaft Hauptstudium in Verbindung mit dem Studienbrief 04503 Deutsch-jüdische Literatur Teil 2: Von Heinrich Heine bis zur Wiener Moderne Thema der Hausarbeit: Brüchige jüdische Lebenswelt am Ende der Wiener Moderne: Arthur Schnitzlers Traumnovelle vorgelegt von Peter Klimitsch-Rathenböck

Inhalt 1. Einleitung. 3 2. Arthur Schnitzlers Traumnovelle. 4 2.1. Entstehung... 4 2.2. Textvarianten und -ausgaben... 5 2.3. Der Inhalt von Arthur Schnitzlers Traumnovelle. 5 2.4. Arthur Schnitzler. 7 3. Sigmund Freud und Arthur Schnitzler. 8 3.1. Sigmund Freud und die Psychoanalyse... 8 3.1.1. Das Persönlichkeitsmodell von Sigmund Freud... 9 3.1.2. Der Traum, Traumbildung und Traumdeutung... 10 3.2. Zwei Zeitgenossen in einer Art von Doppelgängerscheu... 12 4. Das poetische Sein der Psychoanalyse: Motive und Erzählverhalten in der Traumnovelle... 14 4.1. Verführbarkeit in Sprache und Erzählstruktur: Die Darstellung der Ehe... 14 4.2. Der Tod und das Mädchen: Fridolin am Beginn seiner Reise.... 17 4.3. Fridolins Reise durch die erste Nacht. 18 4.4. Die geheime Gesellschaft am Galitzinberg... 21 4.5. Albertines Traum 24 5. Der Erzähler als Therapeut. 26 6. Das jüdische Leben in Wien um die Jahrhundertwende. 29 6.1. Die jüdische Ehe als Symbol... 31 6.2. Das andere jüdische Leben: Nachtigall... 31 6.3. Das Aufflackern des Deutschnationalen in der Traumnovelle.... 32 7. Standpunkte: Psychoanalyse und ihr Einfluss auf die Traumnovelle. 34 8. Innerlichkeit erzeugt eine Diagnose der Lebenswelt: Eine Zusammenfassung.. 35 9. Literaturverzeichnis... 37 9.1. Primärliteratur... 37 9.2. Sekundärliteratur... 37 2

1. Einleitung In Arthur Schnitzlers Traumnovelle wird die Ehe der beiden Protagonisten, Albertine und Fridolin, einer Prüfung unterzogen. Zentral sind dabei Fridolins Erlebnisse in der ersten Nacht und ihre Verarbeitung danach, in einer erzählten Zeit von knapp zwei Tagen sowie die Traumerzählung seiner Gattin. Die Forschung weist vielfach darauf hin, dass zwischen den Zeitgenossen Sigmund Freud und Arthur Schnitzler eine Doppelgängersituation besteht. Damit ist gemeint, dass Sigmund Freuds Entwicklungen und Forschungen im Werk von Arthur Schnitzler literarisch gespiegelt werden. Diese Verschränkung von Wissenschaft, konkret der Psychoanalyse, und Literatur wird in der Sekundärliteratur kritisch abgrenzend betrachtet und selten an konkreten Werken und ihrer Analyse bearbeitet. 1 Hartmut Scheible spricht einen Einfluss Freuds auf die Traumnovelle, vor allem aus der Schrift Das Ich und das Es, kurz an, wenn er Vorbewusstes in Wortvorstellungen entstehen sieht. 2 Es liegen auch Arbeiten vor, die die Trieblehre Freuds in der Traumnovelle erzähltechnisch umgesetzt sehen. Sie sichern dies durch Aufzählungen von Metaphern und Symbolen ab. 3 Ähnlich liegt es beim Verständnis der Traumnovelle als literarische Umsetzung von Freuds Die Traumdeutung. 4 Die Grundlage für die Trieblehre, nämlich Freuds Instanzenmodell der Persönlichkeit, wird in der Sekundärliteratur nicht thematisiert. Die Thesen, die dieser Arbeit den roten Faden geben, lauten darum: 1.) Arthur Schnitzler schafft durch sein Erzählen an den Hauptfiguren der Novelle, dem Arzt Fridolin und seiner Gattin Albertine, eine Allegorese der Theorie von Sigmund Freud über den psychischen Apparat (Es, Ich und Über-Ich), wie sich dies in Freuds Schriften Jenseits vom Lustprinzip (1920) und Das Ich und das Es (1923) ausgeführt findet. Schnitzler maskiert mit der Sprache seines Erzählens Freuds Instanzenmodell der Persönlichkeit und die Theorie der zwei Haupttriebe, Eros (Lebenstrieb) und Thanatos (Destruktionstrieb). Anhand einer Textstruktur- und Motivanalyse wird gezeigt, welchen Einfluss Freuds Denken auf die erzählerische Gestaltung der beiden Protagonisten hat. 2.) Der auktoriale Erzähler der Novelle tritt als Therapeut auf, das Erzählverhalten zeigt Parallelen zum Handeln eines Analytikers. Schnitzler macht sich für sein Erzählen nutzbar, was Freud in seiner psychoanalytischen Praxis zugeschrieben wird: diese zeige Verwandtschaft zum Auslegen des Talmuds. 3.) Die Gestaltung der Hauptfiguren und des Erzählverhaltens verweisen auf ein jüdisches Verständnis von Ehe: Die rasch mögliche Brüchigkeit der Ehe, und wie Schnitzler von ihr erzählt, steht in der Traumnovelle als Symbol für eine jüdische Lebenswelt, die unter Druck gerät. Dies wird in einzelne Motive eingebettet, die die wachsende Isolierung jüdischen Bürgertums und das Aufflackern einer deutschnationalen Haltung im Ausklang der Wiener Moderne darstellen. 1 In der Forschungslage ist nur eine Arbeit von Silvia Kronberger zu finden, die als Buch unter dem Titel Die unerhörten Töchter. Fräulein Else und Elektra und die gesellschaftliche Funktion der Hysterie im Studienverlag erschienen ist. 2 Vgl. Hartmut Scheible: Liebe und Liberalismus. Über Arthur Schnitzler. Bielefeld 1996, S. 187-188. 3 Als Beispiel sei hier dieser Aufsatz genannt: William H. Rey: Das Wagnis des Guten in Schnitzlers Traumnovelle. In: German Quarterly 35 (1962), H. 3, S. 254-264. 4 Vgl. Michaela Perlmann: Der Traum in der literarischen Moderne. Untersuchungen zum Werk Arthur Schnitzlers. München 1987 (=Münchner germanistische Beiträge, 37), S. 180-201. 3