Kurt Pärli
Inhaltsübersicht I) Einleitung II) Ratifikation der BRK durch die Schweiz III) Inhalte der BRK IV) Durchsetzung der BRK V) Die BRK im Kontext VI) Potential der BRK 2
I) Einleitung 15. Mai 2014: Inkrafttreten der BRK in der Schweiz Referatsauftrag: Tragweite Vorgehen: Aufbau und Inhalt der BRK darlegen jeweils punktuell auf mögliche Bedeutung für die Schweiz hinweisen die BRK in den Kontext des übrigen Menschenrechtsschutzes stellen das Potential der BRK ausleuchten und dabei einen BGE zum Gleichstellungsrecht aufgrund des Geschlechts zu Rate ziehen 3
II) Ratifikation der BRK durch die Schweiz A. Prozess BehiG Verabschiedung UN-BRK In Kraft treten UN- BRK Genehmigung Bundesversammlung Hinterlegung der Beitrittsurkunde Inkrafttreten BRK in CH 1. Staatenbericht CH 4
II) Ratifikation der BRK durch die Schweiz B. Stimmen von Bundesrat und eidg. Räte Bundesrat: «Die Ratifikation der BRK kann zu Mehrkosten und auch zu Kompetenzproblemen bzw. zu Vollzugsproblemen führen» «Die Ratifizierung der BRK würde vor allem Klarheit über die bereits in der Schweiz geltenden Bestimmungen schaffen» «La question est donc: voulons-nous faire partie de ce mouvement ou ne le voulons-nous pas? Pour le Conseil fédéral la réponse est claire.» 5
II) Ratifikation der BRK durch die Schweiz Eidg. Räte (1): «Diese Kosten entstehen bereits heute, als Folge der Umsetzung des geltenden Behindertengleichstellungsrechtes. ( ) Die Opportunitätskosten wären jedoch deutlich höher.» (Bruderer Wyss) «Bei einer Nichtratifikation der BRK würden wir gegen innen signalisieren, dass wir den Menschen mit einer Behinderung nicht dieselben Entwicklungsmöglichkeiten geben möchten.» (Graber) 6
II) Ratifikation der BRK durch die Schweiz Eidg. Räte (2): «Ich bin in meiner Beurteilung zum Schluss gekommen, dass die Unterzeichnung wohl ein Zeichen auf dem internationalen Parkett und für die entsprechenden Gremien darstellt, aber in keiner Weise etwas für unsere Behinderten mit sich bringt.» (Kurprecht) «Wir sind in der Behindertenfrage so weit fortgeschritten, mit der Verfassung, mit den entsprechenden Gesetzen, dass uns diese Konvention zu gar nichts Neuem verpflichten wird. Deshalb können wir der Vorlage auch sehr gut zustimmen. ( )» (Egerszegi-Obrist) 7
III) Inhalte der BRK A. Aufbau Umfassende Präambel Allgemeiner Teil, Art. 1 9 (Definitionen, Prinzipien, Bestimmungen zu Frauen und Kindern, Bewusstseinsbildung, Barrierenfreiheit) Besonderer Teil, Art. 10 30 (Katalog der garantierten Rechte, u.a. Recht auf Leben, persönliche Mobilität, Achtung Privatsphäre, Bildung, Gesundheit, Rehabilitation, Arbeit, sozialer Schutz) Bestimmungen zur Implementierung und Überwachung, Art. 31 40 Schlussbestimmungen, Art. 41 50 8
III) Inhalte der BRK B. Begriffe 1. Behinderungsbegriff der BRK Menschen mit Behinderungen sind laut Art. 1 Abs. 2 BRK «Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.» 9
III) BRK: Inhalte und Durchsetzung 2. Diskriminierung wegen Behinderung (Art. 2 und 5 BRK) jede Unterscheidung, Ausschliessung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Geniessen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschliesslich der Versagung angemessener Vorkehrungen; positive Massnahmen (z.b. Quoten) sind keine Diskriminierung (Art. 5 Abs. 3 BRK) 10
III) BRK: Inhalte und Durchsetzung 3. Angemessene Vorkehrungen (Art. 2 BRK) bedeutet «angemessene Vorkehrungen» notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismässige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten geniessen oder ausüben können 11
III) Inhalte der BRK C. Allgemeine Grundsätze (Art. 3 BRK) a) Menschenwürde, Autonomie, Unabhängigkeit ; b) Nichtdiskriminierung; c) volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft ; d) Achtung vor der Unterschiedlichkeit Akzeptanz ; e) Chancengleichheit; f) Zugänglichkeit; g) Gleichberechtigung von Mann und Frau; h) Achtung Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen. 12
III) Inhalte der BRK D. Allgemeine Verpflichtungen (Art. 4 BRK), u.a.: geeignete Umsetzungsgesetzgebung Aufhebung diskriminierender Gesetze und Praktiken Schutz und Förderung der Menschenrechte Massnahmen gegen Diskriminierung Privater Unterstützung Forschung und Entwicklung für neue Technologien und zur Verfügung stellen für Menschen mit Behinderung aktiver Einbezug von Menschen mit Behinderung und der sie vertretenden Organisationen (Art. 4 Abs. 3 BRK) 13
III) Inhalte der BRK E. Inhalte der BRK Nichts Neues. Oder doch? (1) Bestätigung von Rechten Spezifizierung/ Ausgestaltung Erweiterung von Rechten Innovation z.b. Art. 2, Recht auf Leben Art. 14, Freiheit und Sicherheit der Person z.b. Art. 18, Schutz der Privatsphäre unabhängig von Aufenthaltsort und Wohnform z.b. Art. 16, Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch z.b. Art. 19, Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft 14
III) Inhalte der BRK E. Inhalte der BRK Nichts Neues. Oder doch? (2) Fokusverschiebungen Betonung positiver Verpflichtungen des Staates Menschenrechtlicher Behinderungsansatz, Orientierung an gesellschaftlichen Barrieren statt an individuellen «Mängeln» Anerkennung, dass Menschenrechtsverletzungen (auch) von privater Seite drohen Stärkung des gesellschaftlichen Bewusstseins (siehe staatliche Verpflichtungen in Art. 8 BRK) 15
IV) Durchsetzung der BRK A. Beschwerde- und Berichtsverfahren Individual- und Kollektivbeschwerdeverfahren (gemäss Fakultativprotokoll zur BRK; von der Schweiz nicht ratifiziert) Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung (Art. 34 BRK) prüft die Staatenberichte publiziert «general comments» (zu Art. 9 und 12 BRK) entscheidet über «Mitteilungen» im Rahmen des Beschwerdeverfahrens Aufgaben für die Vertragsstaaten Art. 33 BRK, nationale Umsetzungsstrukturen (auch unter Einbezug der Zivilgesellschaft, insbesondere Menschen mit Behinderung) Art. 35 BRK, Pflicht zur Berichterstattung an den BRK-Ausschuss 16
IV) Durchsetzung der BRK B. Fakultativprotokoll - Entscheide BRK-Ausschuss Fazit der Fälle (1) Art. 1 der Konvention beinhaltet auch Langzeitschäden. Der Unterschied zwischen Krankheit und Behinderung ist eine Gradwanderung (SC v Brazil, no 10/2013) Unzureichende Einrichtungen in Gefängnissen verletzen die Konvention (X v Argentina, no 8/2012) Wenn beim Bewerbungsverfahren Personen mit Behinderung in eine nachteilige Position gelangen aufgrund eines Unterstützungsmodells einer Arbeitsagentur, ist dies nicht vereinbar mit der Konvention (Liliane Gröninger v Germany, no 2/2010) 17
IV) Durchsetzung der BRK B. Fakultativprotokoll - Entscheide BRK-Ausschuss Fazit der Fälle (2) Gerichtliche Entscheidungen in Bezug auf das Recht zu wählen sind diskriminierender Natur und können nicht durch die Erhaltung des politischen Systems eines Staates gerechtfertigt werden (Zsolt Bujdosó and five others v Hungary, no 4/2011) Es ist die Pflicht der Staaten sicherzustellen, dass die privaten Rechtsträger die öffentlichen Einrichtungen/den Service bieten, welche eine Person mit Behinderung braucht (Szilvia Nyusti & Péter Takács v Hungary, no 1/2010) Individualbeschwerde betreffend Nichterteilung einer Baubewilligung für einen Hydrotherapie-Pool. Der Staat ist seiner Verpflichtung zur Nichtdiskriminierung nicht nachgekommen (HM v Sweden, no 3/2011) 18
V) Die BRK im Kontext A. Diskriminierungsverbote wegen einer Behinderung im internationalen Menschenrechtsschutz UN-Pakte I und II, ILO Abkommen Nr. 111 (Diskriminierungsverbote), aber auch Nr. 159 (berufliche Rehabilitation), EMRK und Sozialcharta BRK und Praxis zur BRK beeinflussen die Auslegung der genannten Abkommen Der EGMR legt die EMRK im Lichte der (weiteren) Menschenrechtsschutzinstrumente und der Rechtsprechung der Ausschüsse aus (EGMR, Demir und Baykara, N, 85 und 86) Potential z.b. bei Art. 8 EMRK (ggf. in Verbindung mit Art. 14), der EGMR wird auf den Schutz des Privatlebens nach Art. 22 BRK Bezug nehmen 19
V) Die BRK im Kontext B. BRK und EU-Recht (1) Allgemeines Die EU hat die BRK ratifiziert (= Barrierenfreier Binnenmarkt erforderlich) EU-rechtliche Diskriminierungsverbote wegen einer Behinderung (Grundrechtecharta, Unionsvertrag, Richtlinie 2000/78/EG) EuGH-Praxis mit Bezug auf die BRK (1): Rs C-303/06 Wortlaut von Art. 27 Abs. 1 lit. a BRK lässt es zu, diese Bestimmung im Sinne eines Verbots der associative discrimination zu lesen 20
V) Die BRK im Kontext B. BRK und EU-Recht (2) EuGH-Praxis mit Bezug auf die BRK (2): Rs C- 356/12 Entzug Fahrerlaubnis aufgrund von Sehschwäche auf einem Auge, kann eine Diskriminierung im Sinne von Art. 2 der UN-BRK darstellen. Rs C-335/11 und 337/11 Beschäftigte mit einer Behinderung sind einem höheren Risiko ausgesetzt, dass ihnen gegenüber eine verkürzte Kündigungsfrist, in Zusammenhang mit krankheitsbedingten Tagen, angewandt wird = Ungleichbehandlung wegen einer Behinderung und Verstoss gegen die BRK. 21
VI) Potential der BRK A. Vom Nutzen internationaler Konventionen BGE 137 I 305: Ein Kanton ist durch die Verfassung und die CEDAW (UN- Frauenrechtskonvention) zu Gleichstellungsmassnahmen verpflichtet, diese Verpflichtung ist justiziabel Bedeutung für die BRK: Umsetzungspflicht der Konvention für alle staatlichen Instanzen, also auch für die Kantone Kantone sind verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, sie haben indes einen grossen Ermessensspielraum, wie sie die Konvention umsetzen möchten Rechtsschutz im Falle kantonaler Untätigkeit analog BGE 137 I 305? Falls im Kanton der Gesetzgeber seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, kann die Exekutive Massnahmen ergreifen? 22
VI) Potential der BRK B. Unmittelbare Anwendbarkeit der BRK Kein genereller Ausschluss der unmittelbaren Anwendbarkeit Art. 24 BRK bzw. Teilgehalte davon sind unmittelbar anwendbar (und unterliegen nicht dem Progressionsvorbehalt nach Art. 4 Abs. 2 BRK) Art. 27 Abs.1 lit. b, Teilaussage «gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit ist m.e. unmittelbar anwendbar» (auch in privaten Arbeitsverhältnissen) Bundesgerichtspraxis zur unmittelbaren Anwendbarkeit von internationalen Menschenrechtsverpflichtungen bislang zurückhaltend (v.a. bezüglich UN-Pakt I) 23
VI) Potential der BRK C. Bezugnahme auf die BRK durch die Gerichte Eine durch angemessene Fördermassnahmen begleitete Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen in der Regelschule trägt der Inklusion im Sinne der BRK Rechnung. Es besteht keine Kostenpflicht für die Eltern (BGer 2C_590/2014, Erw. 5.3.2) Die Missachtung des Nachteilsausgleiches eines Kindes mit Behinderung in Bezug auf die Aufnahmeprüfung für die Kantonsschule ist nicht mit der BRK vereinbar (BGer 2C_974/2014, Erw. 3.3) Die Ausweisung eines Vaters von einem Sohn mit einer mutmasslich leichten Behinderung ist vereinbar mit CH-Recht wenn der Zielstaat die BRK unterzeichnet hat (und somit im Sinne von Art. 24 BRK eine integrative Bildung fördern muss) (Verwaltungsgericht St. Gallen, Urteil B 2014/52, E. 5.5) 24
VI) Potential der BRK D. Rechtsmobilisierung auf der Basis der BRK Text und Praxis des BRK-Ausschusses können (und sollen) genutzt werden für die Auslegung der Verfassung und Gesetze, aber auch anderer völkerrechtlicher Instrumente z.b. Art. 8 in Verbindung mit Art.14 EMRK (Vorteil hier: Beschwerde an den EGMR möglich) Freizügigkeitsabkommen CH/EU und Mitgliedstaaten (Mobilität ohne Schranken) für den politischen Prozess auf der Ebene Bund und Kantone BRK kann (und muss) die Gesetzgebung beeinflussen Nichtstun des (kantonalen) Gesetzgebers ggf. einklagbar (analog BGE 137 I 305) 25
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 26
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 1 BRK (Zweck) 27 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 2 BRK (Begriffsbestimmungen) (1) 28 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 2 BRK (Begriffsbestimmungen) (2) 29 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 3 BRK (Allgemeine Grundsätze) 30 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 24 BRK (Bildung) (1) 31 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 24 BRK (Bildung) (2) 32 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 24 BRK (Bildung) (3) 33 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 24 BRK (Bildung) (4) 34 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 25 BRK (Gesundheit) (1) 35 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 25 BRK (Gesundheit) (2) 36 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 26 BRK (Habilitation und Rehabilitation) 37 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 27 BRK (Arbeit und Beschäftigung) (1) 38 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 27 BRK (Arbeit und Beschäftigung) (2) 39 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 28 BRK (Angemessener Lebensstandard und sozialer Schutz) (1) 40 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -
Anhang ausgewählte BRK-Artikel Art. 28 BRK (Angemessener Lebensstandard und sozialer Schutz) (2) 41 3. Winterthurer Arbeitsrechtagung -