Interleukin G/C Genpolymorphismus, Früharteriosklerose und Koronare Herzkrankheit bei Diabetes mellitus Typ 2

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RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM Priv.-Doz. Dr. Martin Pfohl Dienstort: Evangelisches Krankenhaus BETHESDA GmbH, Duisburg Interleukin-6 174 G/C Genpolymorphismus, Früharteriosklerose und Koronare Herzkrankheit bei Diabetes mellitus Typ 2 Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin der Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt von Ingo Alexander Grafe aus Leipzig 2005

Dekan: Prof. Dr. med. G. Muhr Referent: PD Dr. med. M. Pfohl Korreferent: Prof. Dr. med. S. Hahn Tag der mündlichen Prüfung: 07.02.2006 2

Meiner Familie in Dankbarkeit gewidmet 3

INHALTSVERZEICHNIS 1. Einleitung und Zielsetzung 8 2. Atherosklerose 9-2.1. Pathogenese der Atherosklerose - 2.1.1. Histopathologische Gefäßveränderungen - 2.1.2. Das Endothel 11-2.1.2.1. Die endotheliale Funktion - Die Rolle des Endothels in der Beibehaltung der vaskulären Homöostase - Die Rolle des Stickstoffmonoxid (NO) - Weitere vasoaktive Substanzen 13-2.1.2.2. Endotheliale Dysfunktion 14 - Ursachen der endothelialen Dysfunktion - Klinische Bedeutung der endothelialen Dysfunktion 15-2.1.2.3. Messung der endothelialen Funktion - 2.1.3. Intima-Media-Komplex 16-2.1.3.1. Klinische Bedeutung der Intima-Media-Dicke (IMT) - 2.1.4. Modell der Krankheitsentwicklung 17-2.2. Risikofaktoren für die Entstehung der Atherosklerose - Kritische Betrachtung der pathophysiologischen Konzepte der 19 klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren - 2.3. Atherosklerose als entzündliche Erkrankung - 2.3.1. Response to injury-hypothese - 2.3.2. Inflammatorische vaskuläre Mechanismen in der 20 frühen Atherosklerose - 2.3.3. Inflammatorische vaskuläre Mechanismen bei 22 fortgeschrittener Atherosklerose - Plaque-Morphologie und Risiko der Plaque-Ruptur - 2.3.4. Inflammatorische Mechanismen bei kardiovaskulären Risikofaktoren 23-2.4. Offene Fragen der Response to injury-hypothese 24 - Genetische Variation als Ursache für interindividuelle Unterschiede bei inflammatorischen und atherosklerotischen Prozessen 4

3. Interleukin-6 25-3.1. Zytokine / Interleukine - 3.2. Regulation und Funktionen von Interleukin-6-3.2.1. Die Akute Phase Reaktion 26-3.2.2. C-Reaktives Protein 27-3.3. Klinische Bedeutung von Interleukin-6 und C-Reaktivem Protein - 3.3.1. Chronische Inflammation - 3.3.2. Diabetes mellitus Typ 2 28-3.3.3. Atherosklerose 29-3.3.4. Koronare Herzkrankheit - 3.4. Interleukin-6 174 G/C Polymorphismus 31-3.4.1. Genetische Polymorphismen - 3.4.2. Funktionelle und klinische Relevanz des 174 G/C Polymorphismus 4. Spezielle Fragestellung 32 5. Patienten, Material und Methoden 33-5.1. Studiendesign und Patientenkollektiv - 5.2. Anamnese und Untersuchung 34-5.3. Sonographische Untersuchungen 36-5.3.1. Physikalischer Hintergrund - 5.3.2. Sonographische und anatomische Gefäßstrukturen 40-5.3.3. Bestimmung der endothelialen Funktion 41 - Hintergrund zur Bestimmung der endothelialen Funktion - Messung der endothelialen Funktion 42-5.3.4. Bestimmung der Intima-Media-Dicke 43 - Hintergrund zur Bestimmung der endothelialen Funktion - Messung der Intima-Media-Dicke 44-5.4. Bestimmung des Interleukin-6 174 G/C Polymorphismus 45-5.4.1. DNA-Isolation - 5.4.2. Polymerase-Kettenreaktion (PCR) 46-5.4.3. Restriktion 49-5.4.4. Agarosegelelektrophorese 50-5.4.5. Auswertung 52 5

- 5.5. Statistische Auswertung 53 6. Ergebnisse 54-6.1. Teil 1/2-6.1.1. Biometrische Daten des Bochumer-Studienkollektivs - Geschlechtunterschiede 56 - Altersunterschiede 57-6.1.2. Endotheliale Funktion (FAD% - GTN%) 58-6.1.3. Intima-Media-Dicke (IMT) 60-6.1.4. Interleukin 6 174 G/C-Polymorphismus 61 - Endotheliale Funktion 62 - Intima-Media-Dicke 64 - Koronare Herzkrankheit 65-6.2. Teil 2/2 66-6.2.1. Biometrische Daten des Studienkollektivs Bochum + Tübingen - 6.2.2. Interleukin 6 174 G/C-Polymorphismus 68 - Koronare Herzerkrankung (KHK) 69 - Bei KHK betroffene Koronargefäße 70 7. Diskussion 71-7.1. Interleukin-6 174 G/C-Polymorphismus und 72 Interleukin-6 Plasma-Spiegel - Modell des Einflusses des Interleukin-6 174 G/C Polymorphismus 74 auf die Interleukin-6-Expression - 7.2. Endotheliale Funktion 75-7.3. Intima-Media-Dicke (IMT) 76-7.4. Koronare Herzkrankheit 77 8. Zusammenfassung 85 9. Literaturverzeichnis 87 10. Danksagung 97 11. Lebenslauf 98 6

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abb. Bp BMI CC CRP Coro DNA EDRF et al. FAD FAD% GC GG GTN GTN % HbA1c HDL ICAM IDDM IL IL-6 IMT KHK LDL MgCl MI min. ml mm mmhg mmol mol μl NIDDM NO NOS PCR sek. SfaN I Tab. Taq u.a. UV-Licht v.a. z.b. Abbildung Basenpaare Body mass index für Cytosin homozygoter Genotyp C-reaktives Protein Koronarangiographie Desoxyribonukleinsäure endothelial derived relaxing factor und andere Blutfluss-assoziierte Vasodilatation prozentuale Blutfluss-assoziierte Vasodilatation heterozygoter Genotyp mit Guanin und Cytosin für Guanin homozygoter Genotyp Glyceroltrinitrat-induzierte Vasodilatation prozentuale Glyceroltrinitrat-induzierte Vasodilatation glykosiliertes Hämoglobin high density lipoprotein interzelluläres Adhäsionsmolekül insulin dependent diabetes mellitus Interleukin Interleukin-6 Intima-Media Dicke koronare Herzkrankheit low density lipoprotein Magnesiumchlorid Myokardinfarkt Minuten Milliliter Millimolar Millimeter Quecksilbersäule Millimol Mol Mikroliter non insulin dependent diabetes mellitus Stickstoffmonoxid Stickstoffmonoxid-Synthase polymerase chain reaction Sekunden Restriktionsenzym von Streptococcus faecalis Tabelle Thermus aquaticus unter anderem Ultraviolettes Licht vor allem zum Beispiel 7

1. Einleitung und Zielsetzung Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die am häufigsten zum Tode führenden Krankheiten in den Industrieländern. Die Arterio- oder Atherosklerose manifestiert sich an den Koronargefäßen als Koronare Herzkrankheit (KHK) und ist als Hauptursache ischämischer Herzerkrankungen überwiegend für die Todesfälle verantwortlich [87]. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben sich mit der Erforschung der pathophysiologischen Hintergründe von der Atherogenese bis hin zur Entwicklung eines akuten Koronarsyndroms sowie den auf den gewonnenen Erkenntnissen basierenden Therapieprinzipen beschäftigt. Dennoch bleiben trotz Lifestyle- Änderungen, moderner Pharmakotherapie und interventioneller Therapieoptionen kardiovaskuläre Erkrankungen die Haupttodesursache in den USA und in Europa. In den letzten Jahren hat sich eine neue Sichtweise entwickelt, in der entzündliche Mechanismen als zentrales Phänomen der Atherogenese, Krankheitsprogression und späteren Entwicklung eines Myokardinfarktes in den Vordergrund rücken. Nähere Betrachtungen dieser inflammatorischen Vorgänge offenbarten deutliche Abweichungen in Art und Ausmaß der immunologischen Antworten und Regulationen innerhalb streng charakterisierter Patientengruppen, was zu der Vermutung geführt hat, dass ungleiche genetisch Ausstattungen unterschiedliche Immunantworten und somit auch eine interindividuell verschiedenartige Krankheitsentwicklung bedingen. Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung, ob bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, der mit einer akzelerierten Atherosklerose assoziiert ist, ein Zusammenhang zwischen einem funktionell relevanten Polymorphismus im Gen von Interleukin-6, dem zentralen Regulator der Akute-Phase-Reaktion, und der Atheroskleroseentwicklung in verschiedenen Stadien besteht. 8

2. Atherosklerose Erste geschichtliche Erwähnungen kardiovaskulärer Erkrankungen finden sich schon bei Hippokrates (469-377 v.chr.), der den plötzlichen (Herz-) Tod beschrieb, oder bei Erasistratos, welcher die typischen Claudicatio Intermittens Symptome der peripheren arteriellen Verschluss-Krankheit (pavk) dokumentierte. 1575 beobachtete Fallopius auffällige pathologische Befunde in Arterien, welche er als Degeneration zu Knochen beschrieb, und nach einigen Jahrhunderten, in denen der Zusammenhang zwischen derartigen Läsionen und kardiovaskulären Erkrankungen deutlich wurde, formte sich der Begriff Arteriosklerose, welcher zuerst in Lobsteins Lehrbuch der pathologischen Anatomie von 1835 seine Verwendung fand [42]. Von der WHO wurde die Atherosklerose definiert als eine variable Kombination von Veränderungen der Intima, bestehend aus herdförmigen Ansammlungen von Fettsubstanzen, komplexen Kohlenhydraten, Blut und Blutbestandteilen, Bindegewebe und Kalziumablagerungen, verbunden mit Veränderungen der Arterienmedia, was deutlich macht, dass es sich, wie sich vor allem in den letzten Jahrzehnten zeigte, um ein komplexes, multifaktorielles Geschehen handelt. 2.1. Pathogenese der Atherosklerose 2.1.1. Histopathologische Gefäßveränderungen Konventionelles Konzept der Atherosklerose Verschiedene Autoren beschrieben eine pathologische Klassifikation der atherosklerotischen Gefäßveränderungen, die aus drei histologisch-morphologisch voneinander abgrenzbaren, nacheinander auftretendenden Stadien besteht: den Lipidflecken ( fatty streaks ), den fibrösen Plaques und den komplizierten Läsionen. Die WHO ergänzte diese um den Begriff Atherom, um fortgeschrittene Läsionen mit dominierender Lipid-Komponente (= Atherom) von solchen mit überwiegend kollagenösen Anteilen zu unterscheiden (= fibröse Plaque) [99]. 9

Histologisch-morphologische Stadien: 1.) Lipidflecken, Fettstreifen ( fatty streaks ) In die Intima gelangtes Cholesterin wird in Makrophagen in großen Vakuolen im Zytoplasma gespeichert. Diese von Anitschkow erstmals beschriebenen Cholesterinesterphagozyten bezeichnet man heute als Schaumzellen. 2.) Fibröse Plaques, Atherome Es kommt zur Proliferation physiologischerweise vereinzelt in der Arterienintima vorkommender glatter Muskelzellen, diese transformieren zu aktiv synthetisierenden Zellen, welche v.a. Kollagen, Proteoglykane und elastische Fasern bilden, wodurch es zur Fibrosierung und Hyalinisierung der Plaques kommt und diese durch ihr Wachstum das Lumen der Arterien zunehmend einengen. 3.) Komplizierte Läsion Durch weitere Cholesterinaufnahme in Makrophagen/Schaumzellen werden diese anhaltend aktiviert und fördern die Proliferation der glatten Muskelzellen. Zusätzlich kommt es im Bereich der Plaque zu Thrombozytenauflagerungen, auch aus diesen werden proliferationsfördernde Substanzen freigesetzt. In die vermehrt gebildete Grundsubstanz können zunehmend Kalksalze eingelagert werden und es kommt zum Vollbild der Atherosklerose, welche bis zum vollständigen Lumenverschluss fortschreiten kann. (Grundmann 1994, Einführung in die Allgemeine Pathologie, 9. Auflage. Gustav Fischer Verlag). Es handelt sich bei der Atherosklerose nach konventioneller Definition demnach hauptsächlich um einen erworbenen, stoffwechselbedingten proliferativen Prozess der Gefäßwandzellen, der über Zwischenstadien zur Plaquebildung mit der Gefahr des thrombotischen Arterienverschlusses führt. Nach diesem Modell spielen in die Gefäß-Intima gelangende Lipide bei der Initiation der Atherosklerose die entscheidende Rolle. Da die anatomische Grenze zwischen Gefäßlumen und Gefäßwand durch das einschichtige Endothel gebildet wird, scheint pathologischen Veränderungen des Endothels eine entscheidende Bedeutung bei der Atherogenese zuzukommen [38]. 10

2.1.2. Das Endothel 2.1.2.1. Die endotheliale Funktion Die Rolle des Endothels in der Beibehaltung der vaskulären Homöostase Lange Zeit wurde das Endothel lediglich als passive Schicht angesehen. Nach heutiger Erkenntnis spielt es in der Homöostase der Gefäßwand eine entscheidende Rolle und greift als hochaktives und hochdifferenziertes Stoffwechselorgan aktiv in die Gefäßregulation ein und übernimmt eine Vielzahl von Funktionen, wie die Regulation des Gefäßtonus, des Gleichgewichtes zwischen Thrombose, Gerinnung und Fibrinolyse, der Proliferation glatter Muskelzellen, von oxidativen Vorgängen oder von Interaktionen mit Leukozyten und von entzündlichen Prozessen [22, 103]. Die Rolle des Stickstoffmonoxid (NO) Furchgott und Zawadzki stellten 1980 fest, dass Gefäße nach Gabe von Acetylcholin nur dann dilatieren, wenn das Endothel der Gefäße intakt ist [34]. Man folgerte daraus, dass das Endothel eine Substanz produzieren muss, deren Freisetzung durch Acetylcholin stimuliert wird und durch die eine vasodilatative Wirkung vermittelt wird, da es bei geschädigtem Endothel infolge direkter Wirkung von Acetylcholin auf die glatte Gefäßmuskulatur zu einer Vasokonstriktion kommt [22, 34]. Wie sich herausstellte, handelt es sich bei dieser zunächst als Endothelderived relaxing factor (EDRF) bezeichneten Substanz um Stickstoffmonoxid (NO) [68]. Weitere Untersuchungen zeigten, dass NO aus L-Arginin von einer NO- Synthase unter Anwesenheit des Co-Faktors Tetrahydrobiopterin gebildet wird [67, 96, 103]. Es existieren drei Isoformen der NO-Synthase (NOS), von denen die NOS II erst unter pathophysiologischen Bedingungen gebildet wird, wohingegen die NOS I und III permanent im Nervengewebe bzw. Endothel exprimiert werden [22]. Stimuli und Funktionsweise Die Aktivität der endothelialen NO-Synthase (NOS III = enos) ist Calcium- und Calmodulin-abhängig und unterliegt einer Regulation zum einen durch Scherkräfte 11

des Blutflusses ( shear stress ), über Mechanorezeptoren an der luminalen Membran der Endothelzelle, zum anderen durch Rezeptor-vermittelte Signalkaskaden. Als Rezeptor-Agonisten wirken unter anderem Bradykinin, Acetylcholin, Serotonin, Histamin und Substanz P. In der Gefäßwand diffundiert NO aus dem Endothel an die glatten Gefäßmuskelzellen, stimuliert dort die lösliche Guanylatzyklase und damit die Umwandlung von GTP zum second messenger zyklisches GMP (cgmp), dessen intrazelluläre Konzentrationserhöhung über eine Aktivierung von Proteinkinasen im Folgenden zur Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur führt [22]. Exogenes NO Dieser endothelabhängigen Vasodilatation (= auf intaktes Endothel angewiesen, welches EDRF/NO produzieren kann) kann die endothelunabhängige Vasodilatation gegenübergestellt werden. Durch exogene NO-Zufuhr (z.b. durch NO-Freisetzung aus Nitroglycerin, Isosorbiddinitrat (ISDN) oder Molsidomin) kann, wie heute überwiegend angenommen wird, über dieselben Mechanismen eine Relaxation der Gefäßmuskulatur bewirkt werden. Experimente mit Arginin-Analoga, welche als Inhibitoren der NO-Synthase wirken, zeigten, dass im Gefäßsystem ein physiologischer basaler NO-abhängiger Vasodilatator-Tonus vorliegt, der für die Regulation von Blutdruck und Blutflusses essentiell ist, d.h. die kontinuierliche Freisetzung von NO aus dem Endothel hält die Gefäße in einem erweiterten Zustand [22, 103]. Weitere NO-Wirkungen Es zeigten sich noch andere Wirkungen des endothelialen NO, z.b. eine - Hemmung der Proliferation glatter Gefäßmuskelzellen - Hemmung der Thrombozyten-Aggregation - Hemmung der Interaktion von Leukozyten mit der Gefäßwand, zum einen durch - Hemmung der Leukozyten-Aktivierung, zum anderen durch eine - Hemmung der Expression von Adhäsionsmolekülen. 12

Weitere vasoaktive Substanzen Neben EDRF/NO werden im Endothel weitere vasoaktive Substanzen gebildet bzw. umgewandelt oder (in)aktiviert, u.a. Prostacyclin (PG I 2 ) und Prostaglandine (Vasodilatation, Aggregationshemmung), vasokonstriktorische Prostaglandine (unter pathophysiologischen Bedingungen), EDHF (Vasodilatation), Adenosin (Vasodilatation), Angiotensin II (an der Endotheloberfläche durch das Angiotensin- Konversionenzym (ACE) aus Angiotensin I durch Abspaltung von 2 Aminosäuren gebildet), Inaktivierung von Bradykinin durch ACE, Endothelin-1 (im Endothel gebildeter Vasokonstriktor, Leukozyten- und Thrombozytenaktivierung) [22, 103]. Insgesamt scheint NO der entscheidende Faktor zu sein, der die zentrale Rolle in der Aufrechterhaltung von physiologischem Gefäßtonus und Reaktivität spielt und die Einflüsse der endothelialen Vasokonstriktoren wie Angiotensin II und Endothelin-1 ausgleicht. Neben der Regulation des Gefäßtonus sind vor allem die antiadhäsive und antithrombogene Funktion sowie die Steuerung der endothelialen Permeabilität von besonderer Bedeutung. Zusammenfassend spielen Endothelzellen eine zentrale Rolle in der Verhinderung der Entwicklung einer Atherosklerose. Diese anti-atherosklerotische Wirkung wird überwiegend durch das von ihnen gebildete Stickstoffmonoxid NO mit seinen vielfältigen Funktionen vermittelt [38]. 13

2.1.2.2. Endotheliale Dysfunktion Wird die Balance dieser verschiedenen Faktoren gestört, wird das Gefäßsystem empfänglich für ein Überwiegen von Vasokonstriktion, Leukozyten-Adhäsion, Thrombozytenaktivierung, Thrombose, oxidativen Einflüssen, beeinträchtigter Gerinnung, und Atherosklerose. Die Endotheliale Dysfunktion ist ein weit gefasster Begriff, der eine verminderte Produktion oder Verfügbarkeit von NO und/oder eine darüber hinaus reichende Imbalance im Gleichgewicht der endothelialen Vasodilatatoren und Vasokonstriktoren und anderer Funktionen beeinhaltet [103]. Ursachen der endothelialen Dysfunktion Zu einer verminderten NO-Verfügbarkeit kann es durch verschiedene Mechanismen kommen: Eine verminderte endotheliale NO-Produktion kann durch Veränderungen in der endothelialen Signal-Übertragung, in der Verfügbarkeit von L-Arginin oder von Co-Faktoren der endothelialen NO-Synthase oder durch eine veränderte Enzym-Expression bedingt sein. Zusätzlich kann eine vermehrte Degeneration von NO durch Superoxide, eine veränderte Ansprechbarkeit der glatten Gefäßmuskelzellen oder eine abgeänderte Freisetzung vasokonstriktorischer Faktoren wirksam werden [96]. Eingeschränkte endotheliale NO-Bildung bei Atherosklerose Ludmer et al. konnten 1986 anhand intrakoronarer Acetylcholin-Gabe zeigen, dass, wie am isolierten Gefäß im Furchgott-Experiment, eine Vasodilatation angiographisch nur bei intakten Koronararterien beobachtet werden kann, es jedoch beim Vorliegen atherosklerotischer Koronargefäßveränderungen zu einer Vasokonstriktion kommt, vermittelt durch die direkte Wirkung des Acetylcholins auf die glatte Gefäßmuskulatur [62]. Auf die Gabe von nicht-endothelabhängigem Vasodilatator Nitroglycerin (s.o.) reagierten alle untersuchten Koronarien mit einer Vasodialatation. Es lag also ein Defekt der endothelialen Vasodilatations-Funktion vor und man folgerte hieraus, dass atherosklerotisch veränderte Gefäße nicht (oder nur eingeschränkt) in der Lage sind, NO freizusetzen (nach einer Stimulation mit Acetylcholin) [62]. 14

Klinische Bedeutung der endothelialen Dysfunktion Die Endotheliale Dysfunktion wird heute als wesentlicher Bestandteil in Pathogenese und Verlauf der meisten kardiovaskulären Erkrankungen gesehen und geht mit einem erhöhten Risiko für zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse einher. Es gilt heute als allgemein akzeptiert, dass sich die Endotheliale Dysfunktion durch Einfluss kardiovaskulärer Risikofaktoren (s.u.) manifestiert und als Bindeglied zwischen diesen und der Entwicklung einer Atherosklerose einer solchen vorausgeht und ihren weiteren Verlauf beeinflusst, auch, wenn noch keine morphologischen Veränderungen nachweisbar sind [87, 91, 96, 103]. Eine beeinträchtige endothelabhängige Vasodilatation in atherosklerotisch veränderten Koronararterien kann im späteren klinischen Verlauf zu einer eingeschränkten Perfusionskapazität oder auch zu paradoxer Vasokonstriktion mit verminderter Myokardperfusion und folgender Myokardischämie führen. Von einigen Autoren wird die Bezeichnung Endotheliale Dysfunktion mit einem Verlust der vasodilatatorischen Kapazität (auf einen NO-Stimulus) gleichgesetzt, tatsächlich handelt es sich jedoch um wesentlich mehr als das, nämlich um einen generalisierten Defekt aller endothelialen homöostatischen Mechanismen mit dem Ergebnis einer vaskulären Dekompensation [103]. 2.1.2.3. Messung der endothelialen Funktion Da die endotheliale Dysfunktion offenbar eine Frühphase in der Entwicklung einer Atherosklerose darstellt, in der noch keine morphologischen Veränderungen nachweisbar sind, scheint diagnostisch die Bestimmung von Vorhandensein und Ausmaß einer endothelialen Funktionseinschränkung sinnvoll, da dann frühzeitig präventive / therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden können. Möglich ist dies z.b. durch die von Ludmer angewandte intrakoronare Applikation von Acetylcholin (s.o.) bei der sich eine normale, eingeschränkte oder gar fehlende Relaxation nach Stimulation durch den endothelabhängigen Vasodilatator nachweisen lässt. Es konnte gezeigt werden, dass die gewonnenen Informationen prognostische Bedeutung hinsichtlich des vaskulären Risikos, insbesondere hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse besitzen. Eine Methode zur Messung der Endothelfunktion peripherer Gefäße wurde von Celermajer et al. vorgestellt [19]. Bei dem Verfahren wird mittels hochauflösender 2D Ultraschall-Messung das 15

Arterien-Lumen in Ruhe und das Ausmaß der Vasodilatation als Antwort auf die Scherkräfte des gesteigerten Blutflusses ( shear stress ) während postischämischer distaler Hyperämie bestimmt. Anderson et al. zeigten 1995, dass eine enge Korrelation zwischen koronarer und peripherer Vasoreaktivität besteht [3]. Eine an der A. brachialis sonographisch ermittelte eingeschränkte endothelabhängige Vasodilatation korreliert gut mit Messungen der koronaren endothelialen Dysfunktion durch quantitative Koronarangiographie. Weiterführend konnte die Arbeitsgruppe um Enderle und Pfohl 1998 nachweisen, dass eine Einschränkung der endothelialen Funktion streng mit dem Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung korreliert ist [25]. Dies zeigt zum einen, dass die endotheliale Funktionsstörung ein systemisches Phänomen darstellt [4], zum anderen kann im klinischen Alltag die Bestimmung der endothelialen Vasodilatationskapazität als Maß der endothelialen (Dys-) Funktion auch ohne invasive Verfahren an peripheren Arterien, üblicherweise an der Arteria brachialis, erfolgen. 2.1.3. Intima-Media-Komplex In der weiteren Krankheitsprogression kommt es zu frühen morphologischen Veränderungen, welche durch eine Zunahme der Gefäßwanddicke charakterisiert sind. Auch diese können nichtinvasiv sonographisch erfasst werden (siehe Methodenteil (5.3.4.)). Aus methodischen Gründen ist exakt nur die gemeinsame Messung der Größe von Arterien-Intima und Media möglich ( Intima-mediathickness = IMT), welche jedoch beide in Atherogenese und anatomisches Fortschreiten der Läsion involviert sind (s.o.) [38]. Hierbei ist die Sensitivität der Erkennung früher atherosklerotischer Veränderungen der invasiven Angiographie überlegen [11]. 2.1.3.1. Klinische Bedeutung der Intima-Media-Dicke (IMT) In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass deutliche Assoziationen zwischen kardiovaskulären Risikofaktoren und der Intima-Media-Dicke bestehen [20, 63, 106]. Die im high-resolution B-mode Ultraschall ermittelte IMT an A. carotis communis (CCA), Carotis-Bifurkation und proximaler A. carotis interna ist heute als gut reproduzierbarer Indikator einer generalisierten Atherosklerose 16

validiert [11, 13, 39]. Eine sonographisch vergrößerte IMT der CCA findet sich bei prävalenter kardiovaskulärer Erkrankung wie einer koronaren Atherosklerose [10, 17, 38, 64]. Die Arbeitsgruppe um Enderle und Pfohl konnte 1998 nachweisen, dass das Ausmaß der Intima-Media-Verbreiterung mit dem Grad der koronaren Herzerkrankung korreliert [25]. Somit stellt die Bestimmung der Intima-Media- Dicke als unabhängiger Faktor ein prognostisches Instrument zur Beurteilung des Risikos für zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse wie Myokardinfarkt und Schlaganfall dar, auch bei Personen ohne klinisch apparente kardiovaskuläre Erkrankung [12, 20, 38, 66, 90]. 2.1.4. Modell der Krankheitsentwicklung Nach zunächst nur funktionell nachweisbarer endothelialer Funktionsstörung lassen sich erste morphologische Veränderungen als Zunahme der Intima-Media- Dicke erfassen. Durch weiteres Fortschreiten der Erkrankung kommt es zu makroskopischen Veränderungen mit zunehmender Lumeneinengung des Gefäßes. Die Konorare-Herzkrankheit (KHK) stellt die Manifestation der Atherosklerose an den Koronar-Arterien dar und kann durch Minderdurchblutung des abhängigen Herzmuskelgebietes zum Myokardinfarkt führen. Die Anzahl der betroffenen Koronararterien und somit die Größe des betroffenen Herzmuskelareals entscheidet über die verbleibende ventrikuläre Funktion und Prognose. 2.2. Risikofaktoren für die Entstehung der Atherosklerose Seit dem 19. Jahrhundert wurden zahlreiche klassische Risikofaktoren identifiziert und Theorien zur Pathogenese der Atherosklerose aufgestellt. Insbesondere eine Erhöhung des an Low Density Lipoproteine (LDL) gebundenen Cholesterins wird als wesentlicher atherogener Faktor angesehen. Ein wichtiger Schritt war in diesem Zusammenhang die Entdeckung des LDL- Rezeptors durch Brown und Goldstein, welche auch seine zentrale Stellung in der Entwicklung der Atherosklerose erkannten [42]. Ein Defekt oder Mangel des LDL- Rezeptors an den Zellmembranen, z.b. bei der familiären Hypercholesterinämie vom Typ II, führt über eine verminderte intrazelluläre Aufnahme des lipoproteingebundenen Cholesterins zu einem Anstieg des Cholesterinspiegels auf etwa 300-17

500 mg %. Die Patienten entwickeln frühzeitig schwerste Atherosklerosen. Ein besonderer Risikofaktor scheint Lipoprotein(a) zu sein, bei dem es sich um LDL handelt, das Apolipoprotein Apo(a) enthält. Apo(a) ähnelt dem Plasminogen und bindet an Fibrin, so dass Apo(a) evtl. antifibrinolytisch und daher thrombogen wirken kann. Diabetes mellitus ist assoziiert mit einem erhöhten Risiko für eine Koronare Herzkrankheit und kardiovaskuläre Ereignisse, wie 1979 im Rahmen der Framingham-Studie gezeigt werden konnte [41, 52]. In 20 Beobachtungsjahren war die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse bei diabetischen Männern ca. 2mal, bei Frauen ca. 3mal so hoch wie bei nicht-diabetischen Individuen [51]. Es kommt beim Diabetes mellitus zu einer akzelerierten Atherosklerose [107]. Dies wurde u.a. bei Untersuchungen der Intima-Media-Dicke deutlich: Die IMT von Diabetikern ohne klinische KHK ist größer als die von gesunden Probanden und entspricht etwa der von Patienten mit manifester Koronarer Herzerkrankung [106]. Die jährliche IMT-Zunahme an den Carotiden ist bei Diabetikern ca. 2 mal höher als bei Personen mit normaler Glucosetoleranz [107]. Diabetiker sollten daher als high-risk -Patienten bezüglich weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren ebenso wie Patienten mit manifester koronarer Herzkrankheit behandelt werden [40, 41]. Die Bedeutung der arteriellen Hypertonie bei der Atherogenese ist seit langem belegt, die Ätiologie der Hypertonie ist dabei unerheblich. Als pathogenetischer Faktor werden veränderte Scherkräfte diskutiert, welche die Membraneigenschaften und den Elektrolyttransport sowohl von Endothelzellen, als auch von Erythrozyten und Leukozyten beeinflussen sollen. Über eine erhöhte intrazelluläre Kalziumkonzentration könnte es zur Expression von Wachstumsfaktoren und zur Vasokonstriktion kommen. Häufig kommt es zum gemeinsamen Auftreten von Hypertonie, Adipositas, Dyslipoproteinämie und gestörter Glukosetoleranz bzw. Insulinresistenz als sog. Metabolisches Syndrom, dessen Malignität in der Potenzierung der einzelnen vaskulären Risikofaktoren besteht. Inhalativer Zigarettenkonsum erhöht das kardiovaskuläre Risiko. Als Atherosklerose-fördernd wird u.a. eine proaggregatorische Wirkung auf die Thrombozyten angenommen. Als weitere Risikofaktoren gelten eine allgemeine Adipositas, Hyperurikämie, Hyperfibrinogenämie, Hyperhomozysteinämie, Familiäre Belastung, Stress und Bewegungsmangel. Epidemiologische Studien zeigten, dass auch ein männliches 18

Geschlecht ein erhöhtes Atherosklerose-Risiko darstellt. Ein höheres Lebensalter kann unabhängig von zusätzlichen Faktoren zu einer gestörten Endothelfunktion und somit zur Ausbildung einer Atherosklerose führen. Kritische Betrachtung der pathophysiologischen Konzepte der klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren Dieses klassische Konzept der kardiovaskulären Risikofaktoren reicht zur Erklärung von Ursprung und Verlauf der Atherosklerose nicht aus. Trotz Lebensstil-Änderungen und lipidsenkender Pharmakotherapie bleiben kardiovaskuläre Erkrankungen die Haupttodesursache in den USA und in Europa. Die Atherosklerose scheint mehr zu sein als eine Akkumulation von Lipiden in der Arterienwand [87]. 2.3. Atherosklerose als entzündliche Erkrankung Insbesondere durch die Arbeiten von Ross hat sich in den letzten Jahren die Sichtweise entwickelt, dass die Atherosklerose eine inflammatorische Erkrankung ist, die die typischen Merkmale einer Entzündung aufweist. Nach diesem Konzept stellt jede atherosklerotische Läsion ein Stadium in einem chronisch inflammatorischen Prozess der Arterie dar, welches bis zur komplizierten Läsion fortschreiten kann. Die sog. fatty streaks, die schon bei Kindern und Jugendlichen gefunden werden, sind z.b. rein inflammatorische Läsionen, bestehend aus Macrophagen und T-Lymphozyten [87]. 2.3.1. Response to injury-hypothese Nach seiner Response to injury -Hypothese hält Ross eine Endothelschädigung für den initiierenden Schritt der Atherogenese, nach dem es zu einer Reihe von hoch spezifischen zellulären und molekularen Antworten und somit zu Entwicklung und bei anhaltender Schädigung zum Fortschreiten von atherosklerotischen Läsionen kommt [89]. Nach neuerer Sichtweise ist die endotheliale Dysfunktion Ausdruck dieser Endothelschädigung und pathophysiologisches Bindeglied zum folgenden atherosklerotischen Prozess [87]. 19

2.3.2. Inflammatorische vaskuläre Mechanismen in der frühen Atherosklerose Die bei endothelialer Dysfunktion reduzierte NO-Verfügbarkeit fördert die Produktion von Zytokinen wie z.b. Interleukinen und Tumornekrosefaktor. Hierdurch werden u.a. Leukozyten durch Chemokine angelockt, vermehrt Adhäsionsmoleküle gebildet, die Endothel-Adhäsivität (für Leukozyten, Thrombozyten) und -Permeabilität nehmen zu, es wird eine Entzündung initiiert. Leukozytenadhäsion Endothelzellen wirken physiologischerweise antiadhäsiv auf Leukozyten, also antiinflammatorisch. Die Leukozytenadhäsion an das Endothel unter pathologischen Bedingungen stellt einen wichtigen Schritt in der Einleitung einer entzündlichen Reaktion dar. Hierbei wird durch Interaktion von endothelialen Adhäsionsmolekülen, sog. Selektinen, mit korrespondierenden Liganden auf den Leukozyten der erste Kontakt hergestellt (=Rolling). Bei anhaltender pathologischer Stimulation des Endothels kommt es zur Expression einer weiteren Familie von Adhäsionsmolekülen, den sog. Interzellulären Adhäsionsmolekülen (z.b. ICAM - I, ICAM - II, VCAM I), an die die Leukozyten mittels membrangebundener Integrine binden können (=Adhäsion). Hierdurch kommt es zur festen Adhäsion von Leukozyten auf der Endothelzelloberfläche und zur Freisetzung intrazellulärer Botenstoffe, welche zur Produktion gefäßaktiver Substanzen und freier Radikale aus den Leukozyten führen. Im nächsten Schritt bilden die Leukozyten Pseudopodien aus, welche vermutlich mittels lokaler Sekretion von Proteasen die Zell-Zellkontakte des Endothels lösen und den Durchtritt der Leukozyten in die Gefäßwand und das umgebende Gewebe erlauben (=Transmigration) [22]. Bei der Untersuchung dieser Adhäsions-Mechanismen zeigte sich, dass bei einer Reihe von chronischen Gefäßerkrankungen, wie Atherosklerose und Vaskulitiden, die Konzentrationen von im Blut zirkulierenden Adhäsionsmolekülen (ICAM) und Selektinen erhöht sind. Eine erhöhte Konzentration zirkulierender Adhäsionsmoleküle wurde auch bei Diabetikern und bei Patienten mit Hypercholesterinämie beobachtet. Diese kardiovaskulären Risikofaktoren 20

scheinen demnach die Expression von Adhäsionsmolekülen auf dem Endothel zu verstärken und somit zur Infiltration von Leukozyten in die Gefäßwand beizutragen. Permeabilität Das Endothel reguliert die physiologischen Transportvorgänge in die Gefäßwand und das umliegende Gewebe und stellt einen Schutz der Gefäßwand vor schädlichen Substanzen dar, wie besonders am extrem undurchlässigen Endothel der sog. Blut-Hirn-Schranke der Hirnstrombahn deutlich wird. Unter dem Einfluss von Zytokinen und anderen entzündlichen Faktoren kommt es zu einer Veränderung der Permeabilität und zum vermehrten Einstrom von Substanzen aus dem Blut in die Gefäßwand. Hierdurch kann es zum einen zu vermehrter Ablagerung von Lipiden und anderen pathologisch-wirkenden Substanzen kommen, zum anderen können Wachstumsfaktoren und vasoaktive Hormone vermehrt in die Gefäßwand gelangen und dort strukturelle Veränderungen beeinflussen. Störungen der endothelialen Permeabilität sind bei Patienten mit Hypertonie, Hypercholesterinämie und Diabetes mellitus nachgewiesen worden [22]. Matrixproteine Endothelzellen sezernieren wachstumsregulierende Faktoren und Zytokine und beeinflussen hierdurch die mitogene Balance glatter Gefäßmuskelzellen [103]. Weiterhin unterhalten sie den Kollagen- und Proteoglykanstoffwechsel der Basalmembran. Durch geschädigtes Endothel können pathologische Veränderungen der Basalmembran sowie eine vermehrte Bildung von Bindegewebe und damit strukturelle Veränderungen der Gefäßwand hervorgerufen werden. 21

2.3.3. Inflammatorische vaskuläre Mechanismen bei fortgeschrittener Atherosklerose Wird der schädigende Auslöser nicht beseitigt kommt es zur chronischen Inflammation mit Einwanderung von Monozyten (Umwandlung zu Makrophagen im Gewebe) und spezifischen T-Lymphozyten. Diese stimulieren Migration und Proliferation von glatten Muskelzellen, es kommt zur Bildung der intermediate lesion. Über Zytokine, Chemokine und Wachstumsfaktoren üben Makrophagen und Lymphozyten weiteren Schaden aus, es kommt evtl. zur Nekrose und zur Akkumulation mononukleärer Zellen, zur weiteren Migration und Proliferation glatter Muskelzellen und Bildung faserigen Gewebes. Es entsteht eine fortgeschrittene, komplizierte Läsion mit faseriger Hülle ( fibrous cap ) die einem Kern aus Lipiden und nekrotischem Zellmaterial aufliegt. Die Läsion engt zunehmend das Lumen ein und behindert den Blutfluss [87]. Plaque-Morphologie und Risiko der Plaque-Ruptur Die Einwanderung von Leukozyten in die Gefäßwand spielt nicht nur bei der Initiation, sondern auch in späteren Phasen chronischer Gefäßerkrankungen eine Rolle. Ist bereits ein atherosklerotischer Plaque entstanden, entscheiden Menge und Aktivität der einwandernden Makrophagen und Lymphozyten über den weiteren Verlauf dieser Läsion. In sogenannten instabilen Plaques finden sich wesentlich mehr Entzündungszellen [22]. Aktivierte T-Zellen sezernieren Zytokine welche die Bindegewebsstruktur der Gefäßwand verändern und stimulieren Makrophagen u.a.zur Metalloproteinase-Produktion. Folge sind Erosion und Ausdünnung der fibrous cap, insbesondere dort wo sich Makrophagen ansammeln, aktivert werden und es zu Apoptose kommt. Es resultiert eine Plauqeinstabilität (stabile Plaques haben dichte fibrous caps) und möglicherweise die Ruptur der Läsion mit Ausschüttung des Lipid-/Nekrosematerials und Verstopfung des distalen Koronargebietes mit folgendem Myokardinfarkt [35, 38, 87]. Dieser Pathomechanismus wird heute als ursächlich für mindestens die Hälfte aller Myokardinfarkte angesehen. So kann die Endotheliale Dysfunktion über vasokonstriktorische und inflammatorische Mechanismen in atherosklerotisch veränderten Koronargefäßen zur Entwicklung eines instabilen Koronarsyndroms führen [103]. 22

2.3.4. Inflammatorische Mechanismen bei kardiovaskulären Risikofaktoren Ross unterscheidet im Jahr 1999 verschiedene Ursachen einer endothelialen Dysfunktion, also Faktoren, die Inflammation oder Atherogenese induzieren und fördern (= injury ) [87]: Durch erhöhte Cholesterin-Spiegel vermehrte Einlagerung insbesondere von modifiziertem LDL-Cholesterin (z.b. durch Oxidation, Glykosylierung) in die Arterienwand, dort weitere Oxidation. Dieses wirkt besonders in seiner oxidierten Form endothelzytotoxisch und fördert die Aktivierung von Thrombozyten, Monozyten und glatten Muskelzellen, die Inaktivierung von endothelium derived relaxing factor (EDRF=NO) und die Steigerung der Synthese und Freisetzung von platelet-derived growth factor (PDGF). Zudem wirkt modifiziertes LDL chemotaktisch und führt zur upregulation der Genexpression von Macrophage colony stimulating factor und Monocyte chemotactic protein in den Endothelzellen. Die LDL-Aufnahme in Makrophagen über den scavenger rezeptor wandelt diese um in Schaumzellen und aktiviert die inflammatorische Antwort. Bei Typ 2 Diabetikern ist neben einer Modifikation von Lipoproteinen durch Oxidation sind in letzter Zeit besonders die Advanced glycation end products (AGEs) in den Mittelpunkt des forscherischen Interesses gerückt, scheinbar werden durch sie ein Großteil der Diabetes-assoziierten inflammatorischen Prozesse regulatorisch beeinflusst. Eine gemeinsame Störung der Immunantwort verbindet möglicherweise Adipositas, akzelerierte Atherosklerose und Insulin Resistenz [31, 57, 72]. Durch vermehrte Bildung von Hydrogenperoxid und Freien Radikalen (superoxide anion, hydroxyl radicals) bei arterieller Hypertonie wird die vaskuläre NO- Verfügbarkeit reduziert und die endotheliale Antiadhäsivität vermindert, es kommt zur Leukozytenadhäsion (=proinflammatorisch). Das bei Hypertonikern oft erhöhte Angitensin II wirkt vasokonstriktorisch, stimuliert das Wachstum glatter Muskelzellen und erhöht die Aktivität der smooth-muscle lipoxygenase, welche LDL-Oxidation und Inflammation weiter verstärkt. Neben proinflammatorischer Effekte freier Radikale, die bei inhalativem Zigarettenkonsum entstehen, vermutet man eine direkte Wirkung des Nikotins auf das Endothel mit einer vermehrten Endotheldurchlässigkeit. Eine Hyperhomocysteinämie wirkt endotheltoxisch, prothrombotisch, erhöht die Kollagen-Produktion und erniedrigt die Verfügbarkeit von NO. 23

Bei Hyperfibrinogenämie wird die Thrombozyten- und Erythrozytenadhäsivität am Endothel wird gesteigert, die Permeabilität des Endothels erhöht und Zellwachstum und Kollagensynthese glatter Muskelzellen gefördert. 2.4. Offene Fragen der Response to injury-hypothese Nach der Response to injury -Hypothese ist, welche Ursache einer Endothelschädigung bzw. endothelialen Dysfunktion auch zugrunde liegen mag, die charakteristische Folge eine inflammatorische Antwort mit nachfolgender Entwicklung einer Atherosklerose, sofern der Prozess chronifiziert. Entzündlichen Mechanismen scheint also eine entscheidende Rolle bei Initiation, Progression und klinischer Manifestation atherosklerotischer Gefäßveränderungen zuzukommen, darüber hinaus scheinen sie die Stabilität einer Plaque und damit deren weiteres Schicksal zu bestimmen. Passend hierzu konnten die Serum- Spiegel inflammatorischer Zytokine und von Proteinen der Akute-Phase-Reaktion in mehreren Studien mit dem Risiko für atherosklerotische Gefäßveränderungen und kardiovaskuläre Ereignisse korreliert werden. In weiteren Untersuchungen stellte sich heraus, dass es bei Patienten mit vergleichbarem kardiovaskulären Risikoprofil, bestimmt nach klassischen Risikofaktoren, zu einem unterschiedlichem Ausmaß der inflammatorischen Antwort und damit einhergehend zu einem anderen Verlauf der Erkrankungen kommt. Es wurde angenommen, dass die Ursachen hierfür möglicherweise in einer verschiedenartigen genetischen Ausstattung der Individuen liegen könnte [87]. Genetische Variation als Ursache für interindividuelle Unterschiede bei inflammatorischen und atherosklerotischen Prozessen Veränderungen von Genen, die Proteine der inflammatorischen Kaskaden und der Immun-Modulation codieren, können zu unterschiedlichen Zeitpunkten des entzündlichen Prozesses auf einen Stimulus hin bedeutsam sein, indem Expression, Funktion oder Stabilität der Genprodukte sich zwischen verschiedenen Individuen unterscheiden. Genetische Variationen könnten also die Ursache für interindividuelle Unterschiede bei inflammatorischen und atherosklerotischen Prozessen auf dieselben Reize durch kardiovaskuläre Risikofaktoren erklären. 24

3. Interleukin-6 3.1. Zytokine / Interleukine Zytokine sind Botenstoffe die von aktivierten Zellen sezerniert werden, um das Verhalten von anderen Zellen oder von sich selbst zu modifizieren. Sie können von nahezu allen Zellen gebildet werden und wirken durch Einflüsse auf Zellaktivierung, -teilung, Apoptose und Zellbewegung als potente immunmodulatorische Moleküle, die als Mediatoren von Entzündung und Immunantwort agieren. Zytokine, die auf Leukozyten wirken, nennt man Interleukine. Sie werden v.a. von Leukozyten zur Kommunikation mit anderen (Immun-) Zellen zur Immunregulation freigesetzt [70]. Proinflammatorische Zytokine wie TNFα oder Interleukin-6 induzieren die Leukozytenadhäsion und - aktivierung, erhöhen zudem die endotheliale Permeabilität und wirken prokoagulatorisch [94]. 3.2. Regulation und Funktionen von Interleukin-6 Interleukin-6 ist ein Zytokin mit vielfältigen Funktionen. Es ist als Induktor der hepatischen Aktue-Phase-Protein-Synthese hauptsächlich für die Akute-Phase- Reaktion (s.u.) verantwortlich und modifiziert posttranslationale Veränderungen dieser Proteine. Zudem beeinflusst Interleukin-6 die Induktion von Fieber, die Hämatopoese, die B-Zell-Aktivierung und kann T-Zellen zur IL-2-Produktion und Differenzierung zu zytotoxischen T-Zellen anregen [9, 93, 109]. Weiterhin stimuliert es die hypophysäre ACTH-Freisetzung und Cortisol-Bildung und scheint durch postprandialen Anstieg in interstitieller Flüssigkeit des subcutanen Fettgewebes den Fett- und Glucosestoffwechsel zu modulieren [27, 49]. Da sich, im Gegensatz zu anderen Zytokinen, die Haupteffekte von Interleukin-6 an vom Produktionsort entfernten Lokalisationen/Geweben abspielen, wird es von einigen Autoren auch als endokrines Zytokin bezeichnet [28, 69]. Gebildet wird es v.a. von T-Zellen, Monozyten und Makrophagen, aber auch von Fibroblasten, Endothelzellen und Hepatozyten sowie von Osteoklasten, Osteoblasten und von Adipozyten [26, 61, 64, 70, 76, 86]. Die Interleukin-6- Expression wird eng reguliert durch eine Vielzahl von Transkriptionsfaktoren, die an die IL-6 Promoterregion binden, wie Nuclear factor IL-6 (NF IL-6) und Nuclear factor-κb (NF-κB), 25

welches eine zentrale Rolle in der Regulation der biologischen Antwort auf Stress, Infektion oder Entzündungsprozesse spielt. TNF-α, Interleukin-1 und ICAM-1 induzieren, Östradiol, Androgene und Glucocorticoide unterdrücken die Interleukin-6 Gentranskription [1, 29, 61, 71, 76, 93, 100]. Die systemische Konzentration wird hauptsächlich auf Expressionsebene reguliert, da es schnell aus dem Plasma entfernt wird. Wegen der kurzen Plasma-Halbwertszeit und Präsenz blockierender Faktoren sind Messungen von Interleukin-6-Spiegeln nicht unproblematisch. Die zirkulierenden Zytokine sind selten ungebunden, sondern fast ausschliesslich gebunden an Transportproteine, Autoantikörper und lösliche Rezeptoren. Die üblichen Immunoassays können freies und vorhersagbar gebundenes Zytokin nachweisen, aber es entgehen Zytokine die an unvorhersagbare Strukturen gebunden sind und solche, die durch die Kinetik des Assay-Protokolls nicht entdeckt werden können [27]. Zusätzlich kann eine Bestimmung durch zirkadiane Schwankungen der IL-6-Spiegel beeinflusst werden [28]. 3.2.1. Die Akute Phase Reaktion Die frühe, überwiegend unspezifische Antwort auf schädigende Reize liefert das unspezifische, sog. innate Immunsystem. Es ist durch verschiedenartige Mechanismen und Rezeptoren in der Lage als schnelles Abwehrsystem potenziell schädliche Substanzen zunächst einmal zu erkennen. Hierzu befähigt wird es z.b. durch pattern-recognition receptors die nicht spezifisch für ein Antigen wie beim adaptives Immunsystem sind (T- und B-Lymphozyten), sondern für Strukturen und Moleküle, die charakteristisch für schädigende Agentien sind (z.b. der Lipopolysaccharidrezeptor oder der scavenger Rezeptor auf Makrophagen). Die Signale dieses Systems in Form der sog. Akute-Phase-Reaktion sollen eine Neutralisation der Stressoren bewirken und die Homöostase wiederherstellen [72]. Es kommt als Reaktion auf verschiedenste Stressoren zu typischen Veränderungen der Konzentrationen bestimmter Proteine, u.a. von C-reaktivem Protein (CRP), Fibrinogen, Haptoglobin, Serum Amyloid A und α1- anti(chymo)trypsin, welche hauptsächlich durch Änderungen der hepatischen Synthese bewirkt werden. Darüber hinaus zeigen sich Änderungen in Psyche, Verhalten und vielen biochemischen und physiologischen Vorgängen. Ursachen für die Veränderungen sind u.a. Infektionen, Traumata, chirurgische Eingriffe und 26

fortgeschrittene maligne Erkrankungen. Leicht veränderte Akute-Phase-Protein- Konzentrationen lassen sich auch bei starker körperlicher Anstrengung oder sogar bei psychischem Stress beobachten. Hauptstimulatoren der Immunantwort sind Zytokine, hauptsächlich das Interleukin 6, aber auch Interleukin-1 und Tumornekrosefaktor (TNF) α. Diese induzieren in der Leber die Produktion der Akute-Phase-Proteine, welche zahlreiche Aktivitäten mit dem Ziel der Abwehr, Heilung und Adaptation zur Folge haben und unterschiedliche Stadien des inflammatorischen Prozesses zu beeinflussen [26]. Neben den äußeren Einflüssen ist die hepatische Produktion auch abhängig von genetischen Faktoren [79]. Im ZNS führen die proinflammatorische Zytokine zu einer neuroendokrinen Antwort und beeinflussen Verhalten und psychologische Antwort auf den Stress. 3.2.2. C-Reaktives Protein Die hepatische Synthese des wichtigsten Akute-Phase-Proteins, des C-Reaktiven- Proteins (CRP), wird überwiegend durch Interleukin-6 reguliert [55, 110]. Es ist ein sensitiver, allerdings unspezifischer Marker systemischer Inflammation, mit rasch steigender Serumkonzentration als Antwort auf Entzündung, Infektion und Gewebeschaden. CRP interagiert mit humoralen und zellulären Systemen, spielt eine aktive Rolle bei der lokalen Induktion der Expression von Adhäsionsmolekülen und ist somit mehr als ein Surrogatparameter für eine gesteigerte Interleukin-6 Bildung und Wirkung [26, 82]. 3.3. Klinische Bedeutung von Interleukin-6 und CRP 3.3.1. Chronische Inflammation Kann ein schädigendes Agens durch die schnelle inflammatorische Antwort nicht beseitigt werden oder kommt es zu wiederholten Schädigungen, hält die inflammatorische Immunantwort an. Der entzündliche Prozess schreitet fort und die Antwort kann sich von einer protektiven in eine schädigende wandeln. Auf die anhaltende Entzündung hin kommt es charakteristischerweise zu einem fibroproliferativen Prozess, dieser führt zur zunehmenden Funktionseinschränkung des Organs oder Gewebes und wird selbst Teil des Krankheitsprozesses, welcher sich dann auch ohne Stressor-Einwirkung weiterentwickeln kann [87, 88]. 27

Chronisch entzündliche Prozesse konnten als pathophysiologische Mechanismen bei Entstehung und Progression einer Reihe von Erkrankungen unter vielen anderen z.b. bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Krankheiten des rheumatischen Formenkreises oder der Osteoporose gezeigt werden. Interindividuelle Unterschiede der Regulation der Komponenten der Akute-Phase- Reaktion sind vermutlich zumindest teilweise durch abweichende Muster der Produktion spezifischer Zytokine erklärbar [27, 36]. Dies könnte eine Suszeptibilität für Erkrankungen mit inflammatorischen Pathomechanismen sowie unterschiedlichen Krankheitsgrad und -verlauf in bestimmten Patientengruppen erklären. 3.3.2. Diabetes mellitus Typ 2 Eine anhaltende, niedriggradige Aktivierung des Immunsystems spielt vermutlich eine wichtige Rolle in der Pathogenese des Diabetes mellitus Typ 2. Es konnte eine Assoziation zwischen erhöhten Inflammations-Markern (u.a. CRP, Serumamyloid A) als Zeichen einer Aktivierung des Immunsystems, und einer Insulinresistenz bzw. eines Diabetes mellitus Typ 2 gezeigt werden. Insbesondere Interleukin-6 scheint in die Ätiologie dieser Stoffwechselveränderungen verwickelt, auch bei Individuen ohne Anhalt für eine Insulinresistenz [27, 57, 72, 73, 78, 105]. Ursächlich könnte die Einflussnahme auf den lokalen Fett- und Glucosestoffwechsel im subcutanen Fettgewebes sein, interessanterweise konnte ein postprandialer Interleukin-6-Anstieg in der dortigen interstitiellen Flüssigkeit nachgewiesen werden. Passend hierzu wurden bei adipösen Personen, bei denen nach klinischer Erfahrung ein höheres Risiko für die Entstehung eines Diabetes mellitus Typ 2 besteht, höhere Interleukin-6-Spiegel beobachtet [64]. Das Fettgewebe scheint durch seine Fähigkeit zur Bildung proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin-6 und auch TNF α eine wichtige Determinante chronischer, niedriggradiger Entzündung zu sein und könnte durch diesen Mechanismus diabetogen wirken [110]. Ferner führt Interleukin-6 durch Stimulation der ACTH-Freisetzung zu erhöhten Cortisol-Spiegeln welche eine Insulinresistenz begünstigen. Möglicherweise können Diabetes mellitus Typ 2 und Insulinresistenz-Syndrom also als Manifestationen einer anhaltenden Akute- Phase-Reaktion angesehen werden [72, 73]. 28

3.3.3. Atherosklerose Vaskuläre Makrophagen-Akkumulationen sind assoziiert mit erhöhten Fibrinogenund CRP-Spiegeln, also Marken der Inflammation. Die erhöhten CRP-Spiegel können in diesem Fall den inflammatorischen Zustand der Gefäßwand wiederspiegeln und frühe Zeichen einer Atherosklerose sein [44, 82, 87]. Aber auch durch Entzündungsprozesse an anderer Stelle kann das CRP eine Atherosklerose fördern [110], da es nicht nur einen zugrunde liegenden inflammatorischen Prozess wiederzuspiegeln, sondern direkt mit dem atherosklerotischen Gefäß durch Aktivierung des Komplementsystems und hierdurch Förderung einer Thrombose zu interagieren scheint [55, 58]. Erhöhte CRP-Spiegel erlauben möglicherweise eine Vorhersage über die Atherom- Progression. Ein veränderter Zytokin-Stoffwechsel mit Aktivierung der Akute-Phasen-Reaktion kann endotheliale Dysfunktion und Atherogenese fördern [103]. Interleukin-6 selbst ist in der Lage, das Endothel zu schädigen und somit eine Atherosklerose zu initiieren, und es kann im Folgenden auch in atherosklerotischen Plaques gebildet werden und dort die weitere Rekrutierung von Makrophagen und Monozyten fördern [76, 79, 80, 95]. Inwieweit das proinflammatorische Interleukin- 6 selbst zu den vaskulären Reaktionen beiträgt ist jedoch bisher nicht hinreichend geklärt. 3.3.4. Koronare Herzkrankheit Ridker et al. fanden 1997, dass erhöhte CRP-Spiegel unabhängig von anderen Risikofaktoren eine Vorhersage über zukünftige Myokardinfarkte und Schlaganfälle erlauben, auch bei Personen ohne klinische kardiovaskuläre Erkrankung [82]. In weiterer Bearbeitung der Thematik sahen auch Lagrand et al. 1999 das C-Reaktive Protein als unabhängigen kardiovaskulären Risikofaktor an. Bei Ihrer Studie zeigte sich bei Patienten mit Angina pectoris aber auch bei offenbar gesunden Probanden bei hohen CRP-Spiegeln ein erhöhtes Risiko für künftige kardiovaskuläre Ereignisse [55]. In mehreren weiteren Untersuchungen bestätigte sich, dass durch Messung inflammatorischer Marker eine Vorhersage über zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse, auch des längerfristigen Risikos, möglich ist [7, 58, 79, 83]. Das CRP wurde nach multivariater Analyse als 29