Kritik der klassischen Gesprächspsychotherapie

Ähnliche Dokumente
Grundannahmen der Klärungsorientierten Gesprächspsychotherapie

Therapeutische Prinzipien und Regeln

Spezielle Aspekte des therapeutischen Prozesses

Grundkonzepte der Klärungsorientierten Gesprächspsychotherapie

Der Therapieprozess. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 1

Process-experiential psychotherapy

Was ist Klärungsorientierte Psychotherapie?

Von der Gesprächspsychotherapie zur Klärungsorientierten Psychotherapie

Modellbildung beim Therapeuten

Geschichte der humanistischen Psychotherapie

Rainer Sachse Meike Sachse Jana Fasbender. Grundlagen Klärungsorientierter Psychotherapie

Rainer Sachse. Leitfaden für die Psychologische Psychotherapie. Persönlichkeitsstörungen. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Internale Determinanten

Trauer-Arbeit Ein wesentlicher Aspekt explizierender Arbeit

Die klientenzentrierte Gesprächstherapie

Synthetische Interventionen: Paraphrasieren, Verbalisieren, Bedeutung explizieren

Persönlichkeitsstörungen

Ein Beitrag von Elke Blawicki, Anja Gondolph und Daniela Peschke

ZWISCHEN ANFORDERUNG UND SELBSTBESTIMMUNG. Lehre integrativ betrachtet

Repräsentations-Codes

Rogers grenzt eine therapeutische Beziehung von anderen Beziehungen ab. Was ist besonders charakteristisch für eine Eltern-Kind-Beziehung?

Rainer Sachse: Motivklärung durch Klärungsorientierte Psychotherapie

Prozessforschung. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 1

Repräsentationsbildung, Schema-Integration und Prüfung

Schizoide Persönlichkeits. nlichkeits- IV-Kriterien. Beziehungsmotive: Beziehungsmotive. Schemata I

Verarbeitungsmodi. Beim therapeutischen Verstehen kann man zwei Verarbeitungsmodi unterscheiden: den synthetischen Modus, den analytischen Modus.

Gesprächspsychotherapie

Gesprächspsychotherapie

Klienten-Prozess- Merkmale

1 Einleitung: Emotionen und emotionsbezogene Psychotherapie 3

Rainer Sachse. Therapeutische Beziehungsgestaltung. 2., aktualisierte und ergänzte Auflage

Alice Sendera Martina Sendera. Skills-Training bei Borderline- und Posttraumatischer Belastungsstörung. 4. Auflage

Klientenzentrierte Psychotherapie

Gesprächspsychotherapie

Evangelische Hochschule Darmstadt University of Applied Sciencess. Personzentrierte Beratung

Die Basis: Haltung vs. Technik

hilfreiche Beziehung die Unterstützung annehmen lässt Veränderung, Motivation und Beziehung Herzlich Willkommen! Margret Kleine Kracht Ulrich Nolte

Forschung in der Klärungsorientierten Psychotherapie

Inhalt.

Klärungsorientierte Psychotherapie bei pathologischem Computerspielen

IPS: Proseminar A1 - Skriptum. Proseminar A1. Theorieblock. Grundlagen Personzentrierter Theoriebildung

Mangelnde Repräsentation, Dissoziation und doppeltes Überzeugungssystem

Klärungsorientierte Psychotherapie in der Praxis

Persönlichkeitsstörungen. Personen mit sog. Persönlichkeitsstörungen weisen

Affektive Verarbeitung

Verstehens-Heuristiken

Rainer Sachse Janine Breil. Indikation zur Klärungsorientierten Psychotherapie

Rainer Sachse: Klärungsorientierte Psychotherapie

Klärungsorientierte Psychotherapie

Heldin/Held der eigenen Geschichte sein!

Klärungsorientierte Psychotherapie der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung

KI ä ru ngsorientierte Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen

Inhalt. Teil 1: Beziehungsangebot und Therapeutenperson Vorwort... 11

Analytische Interventionen: Fragen

1 Kognitive Intervention bei leichter kognitiver Störung und Alzheimer-Demenz 3

Struktur von Schemata

Klarungsorientierter Psychotherapie

Rainer Sachse, Thomas A. Langens, Meike Sachse Klienten motivieren Therapeutische Strategien zur Stärkung der Änderungsbereitschaft

Authentizität - wie ehrlich können wir sein?

Einordnung in das Thema Lebenskompetenzen

Klassische Klientenzentrierte Psychotherapie

Grundlagen und Konzepte Klärungsorientierter Psychotherapie

Veranstaltungen am IPP Bochum

Die nicht-direktive Beratung

Die Klientenzentrierte Gesprächsführung

Deontologie Die Bausteine der Kantischen Ethik

Klientenzentrierte Psychotherapie

Charakteristika der Nähe-Störungen

Das Pferd als Vermittler zum körperlichen Erleben. Die Experientielle Reittherapie.

Vom Vater und vom Chef: Beispiel eines Therapie Gesprächs

Hintergrund & Rogers in der Mediation

Psychologische Voraussetzungen für einen Explizierungsprozess

Seminar Emotionale Intelligenz *

Inhalt Einleitung Was ist Klärungsorientierte Psychotherapie?

Katzen als Begleiterinnen in der Psychotherapie

Thema Heute: Therapie Soziale Arbeit - Lebensweltorientierung

Psychosomatikseminar Depression

Die therapeutische Beziehung

Herzlich Willkommen. zum Vortrag. Kommunikation mit Herz und Verstand wenn die Giraffe mit dem Wolf tanzt. nach Marshall B.

Emotionale Intelligenz

1.2.1 Kategoriales vs. dimensionales Konzept der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung 5

Therapeutische Beziehungsgestaltung

Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers Erstellt durch: Dipl. Psychologe Ole Millhagen Praxis Millhagen

Personzentrierte Beratung und Behandlung von Suchtstörungen Heidelberger Kongress Forum 3. Wolfgang Bensel Heidelberg, 11.

Klärungsorientierte Psychotherapie der zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Praxis der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen

Rainer Sachse Klärungsprozesse in der Psychotherapie

Fleherstraße Düsseldorf-Bilk Tel Fax

Kircher. Pocket Guide Psychotherapie

Angst und Sicherheit Hypnosystemische Methoden mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen

Rainer Sachse, Janine Breil, Jana Fasbender, Oliver Püschel und Meike Sachse: Was ist Klärungsorientierte Psychotherapie?

Klärungsorientierte Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen

Qualifikationsbogen zum Praktikum Fachmaturität Soziale Arbeit

Streit, Konflikt und Kleinkrieg -Wahrnehmen -Benennen -Bewältigen -Lösen

Inhalt. Seite. Vorwort L ELEMENTE PERSONZENTRIERTER PSYCHOTHERAPIE

Informationsverarbeitung. Therapeutische. Rainer Sachse. Verstehen und Modellbildung im Therapieprozess

Curriculum: Personzentrierte Kommunikation nach Carl Rogers

Die Störungslehre des klientenzentrierten Konzeptes

Klärungsorientierte Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen

Transkript:

Kritik der klassischen Gesprächspsychotherapie IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 1

Kritikpunkte Es gibt einige wesentliche Kritikpunkte gegenüber der klassischen Konzeption von Gesprächspsychotherapie. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 2

Homogenitätsmythos Die klassische Gesprächspsychotherapie impliziert einen Homogenitätsmythos. Sie nimmt an, dass alle Klienten gleich sind und dass man deshalb allen Klienten das gleiche therapeutische oder Beziehungsangebot machen kann; dass alle Therapeuten gleich sind und die therapeutic conditions in gleicher Weise realisieren. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 3

Homogenitätsmythos Diese Annahmen sind empirisch falsifiziert. Klienten sind keineswegs gleich. Klienten weisen sehr unterschiedliche psychische Störungen auf; sie weisen damit sehr unterschiedliche Arten von Problemen auf; daher sind sehr unterschiedliche Therapieziele für sie angemessen; diese können nur mit sehr unterschiedlichen therapeutischen Verfahren erreicht werden. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 4

Homogenitätsmythos Daher benötigt man Indikationsmodelle und störungsspezifische Therapiekonzepte. Man muss wissen, welche Therapie-Verfahren für welche Klienten mit welchen Störungen angemessen sind und welche nicht: selektive Indikation. Auch für die Gesprächspsychotherapie muss man Indikationsmodelle entwickeln. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 5

Homogenitätsmythos Man benötigt auch Störungstheorien für bestimmte Störungen. Und man muss Interventionsstrategien entwickeln, die zu diesen Störungstheorien passen: adaptive Indikation. Man muss somit die therapeutischen Strategien an die jeweiligen Störungen anpassen und nicht annehmen, dass die Störungen sich schon an die therapeutischen Strategien anpassen. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 6

Homogenitätsmythos Der Homogenitätsmythos impliziert dies aber: er impliziert, dass eine gegebene Therapieform auf alle Störungen passt, dass also alle Störungen sich an die Therapieform anpassen. Diese Annahme ist jedoch nicht zutreffend. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 7

Homogenitätsmythos Klienten mit unterschiedlichen Störungen zeigen ganz unterschiedliche Beziehungsmuster, Beziehungsmotive und Beziehungserwartungen. Sie interagieren in sehr unterschiedlicher Weise mit dem Therapeuten. Wenn der Therapeut sich auf die jeweiligen Interaktionsmuster der Klienten einstellen will, muss er die therapeutische Beziehung sehr unterschiedlich gestalten. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 8

Homogenitätsmythos Das bedeutet aber: Man kann nicht allen Klienten das gleiche Beziehungsangebot machen. Vielmehr muss man das therapeutische Beziehungsangebot an den Klienten anpassen. Das bedeutet aber, dass der Therapeut eine differentielle Beziehungsgestaltung realisieren muss. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 9

Homogenitätsmythos Eine differentielle Beziehungsgestaltung ist aber in der klassischen Gesprächspsychotherapie nicht vorgesehen: man geht vielmehr davon aus, dass Therapeuten allen Klienten das gleiche Beziehungsangebot (gekennzeichnet durch Empathie, Akzeptierung und Kongruenz) machen. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 10

Nondirektivität Die klassische Gesprächspsychotherapie impliziert das Konzept der Nondirektivität: der Therapeut macht dem Klienten lediglich ein bestimmtes Beziehungsangebot und der Klient nutzt dies aufgrund seiner Aktualisierungstendenz, um sich persönlich weiter zu entwickeln. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 11

Nondirektivität Der Therapeut beeinflusst den Klienten mit seinen Interventionen gar nicht: er geht nicht selektiv auf den Klienten ein, nimmt alle Inhalte auf, macht keine Vorgaben, usw. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 12

Nondirektivität Ein solches Konzept von Nondirektivität ist nicht haltbar. Truax (1966) zeigte bereits empirisch, dass Rogers selbst hoch selektiv auf Klienten-Inhalte reagierte: er griff bestimmte Arten von Inhalten signifikant öfter auf als andere. Damit lenkt er aber die Aufmerksamkeit des Klienten gezielt. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 13

Nondirektivität Jede Therapeuten-Aussage steuert das Bewusstsein des Klienten (Hörmann, 1926). Der Therapeut lenkt bereits durch seine Wortwahl die Aufmerksamkeit des Klienten; selektiert Inhalte, indem er Aspekte aufgreift und Aspekte auslässt; wird selbst bestimmte Inhalte für relevanter halten als andere und diese verfolgen usw. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 14

Nondirektivität Sprachpsychologisch gesehen ist jede Art von Kommunikation auch Beeinflussen. Man kann nicht kommunizieren, ohne zu beeinflussen: man macht eigene Präferenzen deutlich; man steuert das Bewusstsein des Hörers; ob man will oder nicht. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 15

Nondirektivität Eine nicht-direktive Kommunikation ist daher nicht denkbar. Man sollte allerdings zwei Aspekte unterscheiden: Prozessdirektivität inhaltliche Direktivität. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 16

Nondirektivität Therapeuten sind im Therapieprozess, ob sie es wollen oder nicht, prozessdirektiv: sie steuern durch ihre Interventionen die Aufmerksamkeit und die Verarbeitungsprozesse von Klienten stark. Wie wir noch sehen werden, sollten Therapeuten auch in hohem Maße prozessdirektiv sein, um Verarbeitungsprozesse von Klienten konstruktiv zu steuern. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 17

Nondirektivität Inhaltlich sollte ein Therapeut aber nur wenig steuern: ein Klient sollte selbst Entscheidungen treffen, sollte sein inneres Bezugssystem selbst valide repräsentieren, sollte selbst wissen, was er will und was nicht. Inhaltlich sollte ein Therapeut nur wenig Vorgaben machen und dem Klienten keineswegs vorschreiben, wie er zu leben hat und wie nicht, welche Gedanken rational sind und welche nicht. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 18

Nondirektivität Die Entscheidung, wie ein Klient leben will, was er tun will und was nicht, was er erreichen will und was nicht, obliegt allein dem Klienten: nur der Klient kennt seine Motive und weiß, welche Entscheidungen damit kompatibel sind und welche nicht. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 19

Nondirektivität Daher sollte der Therapeut dem Klienten keine Vorgaben machen, wie dieser leben sollte. Der Therapeut kann versuchen, so wenig inhaltdirektiv zu sein wie möglich. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 20

Nondirektivität Es ist jedoch unmöglich, völlig inhaltlich nondirektiv zu sein: schon eine bestimmte Wortwahl des Therapeuten wird den Klienten inhaltlich beeinflussen; Präferenzen des Therapeuten werden immer deutlich werden; in Themen, in Aussagen, aber auch in der Kleidung, im Auftreten, in der Einrichtung usw. Der Therapeut kann daher nie völlig inhaltsabstinent sein. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 21

Nondirektivität Dies ist aber auch nicht nötig und aufgrund der Authentizität des Therapeuten auch nicht wünschenswert. Wichtig ist aber, dass der Therapeut dem Klienten keine inhaltlichen Vorschriften macht und Entscheidungen des Klienten als solche akzeptiert. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 22

Nondirektivität Dies ist aber auch nicht nötig und aufgrund der Authentizität des Therapeuten auch nicht wünschenswert. Wichtig ist aber, dass der Therapeut dem Klienten keine inhaltlichen Vorschriften macht und Entscheidungen des Klienten als solche akzeptiert. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 23

Haltung vs. Handlung Die klassische Konzeption der Gesprächspsychotherapie impliziert eine Haltungskonzeption: Rogers definiert in seinen conditions, dass der Therapeut positive Wertschätzung empfindet ; er sagt zwar, der Therapeut sollte dem Klienten das empathisch Verstandene mitteilen, es wird aber nirgends definiert, was dies konkret bedeutet. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 24

Haltung vs. Handlung Konkretes Handeln des Therapeuten ist nirgendwo genau definiert; auch Verarbeitungsprozesse des Therapeuten werden nicht spezifiziert; es gilt eher eine Haltung von Du sollst Dir kein Bild machen von Deinem Klienten. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 25

Haltung vs. Handlung Therapeuten müssen aber Informationen verarbeiten; bilden Modelle über Klienten, ob sie das wollen oder nicht; treffen therapeutische Entscheidungen; handeln konkret und müssen konkret handeln. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 26

Haltung vs. Handlung Bezüglich dieser Aspekte gibt es in der klassischen Gesprächspsychotherapie aber keinerlei Aussagen. Der Therapeut wird auf der Ebene des konkreten Handelns von der Theorie im Stich gelassen. IPP 2001 Prof. Dr. Rainer Sachse 27