Diagnostik und Therapie akuter Vergiftungen. Intensivtherapie. Akuter Vergiftungen. Diagnostik und Behandlung. Dr.med. Hugo Kupferschmidt

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Transkript:

Intensivtherapie Akuter Vergiftungen und Behandlung Dr.med. Hugo Kupferschmidt Direktor Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum Zürich Zürich, 30. März 2009 Fortbildung Assistenten, DIM USZ Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 1 Was ist eine Vergiftung? Philippus Theophrastus Bombastus von Hohenheim PARACELSUS 1493-1541 "Was ist das nit Gifft ist, alle Ding sind Gifft und nichts ohn Gifft. Allein die Dosis macht das ein Ding kein Gifft ist." Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 2

Übersicht Vergiftungen in der Schweiz Therapie Beispiele spezieller Vergiftungen Paracetamol Mefenaminsäure Antidepressiva Giftschlangen Pilzvergiftungen Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 3 Anfragen an das STIZ 33 000 Fälle pro Jahr (dh. durchschnittlich 90 täglich) 61% Laienanfragen 30% Arztanfragen 78% Spitalärzte 22% praktizierende Ärzte 9% andere Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 4

Anfragen an das STIZ Anrufe pro Stunde 7 6 5 4 3 2 1 33 000 Fälle pro Jahr (dh. durchschnittlich 90 täglich) tageszeitliche Verteilung Anrufe pro Tag 100 95 90 85 80 75 70 65 jahreszeitliche Verteilung 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 60 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 5 Herkunft der Anfragen 77% 20% 3% Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 6

das Tox Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 7 Beratungsstatistik Anrufe pro Jahr 6-Jahresdurchschnitt total n = 31 235 (pro Jahr im Durchschnitt) 25'000 20'000 19'618 63% 15'000 10'000 5'000 6'383 20% 5'294 17% 0 theoretische Anfragen harmlose Fälle potenzielle Gefährdung Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 8

Schweregrad und Alter Erwachsene Kinder schwer 9% tödlich 0% asympt. 13% mittel 8% schwer 2% tödlich 0% mittel 19% asympt. 48% leicht 42% leicht 59% in der CH: jährlich 400-700 Vergiftungstodesfälle n= 17 422 (Eidg. BA für Statistik) n= 6 565 STIZ Jahresberichte 1998-2003 Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 9 Noxen Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum Statistik 1998 2005 (Jahresdurchschnitt) Anrufe n= 193 158 Medikamente 8872 37% Haushaltprodukte 5813 24% Pflanzen 2641 11% techn. und gewerbl. Produkte 1660 7% Kosmetika 1105 5% Drogen und Genussmittel 867 4% Nahrungsmittel, Getränke 874 4% Landwirtschaft, Gartenbau 756 3% Gifttiere 436 2% Pilze 381 1.6% Veterinärarzneimittel 75 0.3% andere 646 3% STIC. Annual Report 2002 Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 10

Akute Vergiftungen DIAGNOSTIK Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 11 Anamnese Abklärungen: Status Laboruntersuchungen apparative Untersuchungen Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 12

Anamnese: Wer? Welche Noxe? Wie? (Aufnahmeweg) Wann? Wieviel Was ist seither passiert? an Symptomen an Therapie Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 13 Anamnese: Wer? Welche Noxe? Wie? (Aufnahmeweg) Wann? Wieviel Was ist seither passiert? an Symptomen an Therapie Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 14

Status: Vitalzeichen Atmung Kreislauf Neurologie Vigilanz, Delir, Krampfanfälle Vegetativum Haut, Pupillen, Darm, Blase Kreislauf, Atmung Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 15 Tox-Zentrum Anruf beim Tox-Zentrum 145 (früher 01-251 51 51) fachliche Beratung in Notfällen Tag und Nacht Risikobeurteilung Therapie-Empfehlung Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 16

Labor: Blutzucker (bei Koma, Alkoholvergiftung) Elektrolyte und Osmolalität Säurebasenstatus (Blutgasanalyse) Nierenwerte Muskelenzyme Leberfunktion Plasmaspiegel, Drogenscreening Parameter beeinflussen Risikobeurteilung u/o Toxikokinetik. Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 17 spezifische Spiegel: Paracetamol Alkohol(e) Salizylate Theophyllin Digoxin Lithium Barbiturate Kohlenmonoxid, Zyanid Drogenscreening Parameter beeinflussen Risikobeurteilung Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 18

Drogenscreening (qualitativ) Amphetamine Barbiturate Benzodiazepine Cannabis Kokain Opiate Methadon evtl. Labor anfragen (Fragestellung beeinflusst Ergebnis) Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 19 apparative Untersuchungen: Elektrokardiogramm (EKG) Frequenz und Rhythmus Intervalle (PQ, QRSm QT Herzachse Elektroenzephalogramm (EEG) Konvulsionen vs. epileptiforme Zuckungen bei relaxierten Patienten Endoskopie Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 20

typische Symptome bei Vergiftungen ZNS-Depression Verwirrung, Psychose ZNS-Erregung, Agitation Krampfanfälle vegetative Symptome gastrointestinale Symptome respiratorische Symptome Kreislaufsymptome EKG-Veränderungen metabolische Störungen Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 21 vegetative Symptome Tachykardie, Bradykardie Hypertonie, Hypotonie Sekretion (Schweiss, Speichel, Tränen, Bronchialsekret) Körpertemperatur Muskeltonus Miktion, Defäkation Mydriasis, Miosis Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 22

Akute Vergiftungen THERAPIE Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 23 Therapie Sicherstellen der Vitalfunktionen allgemeine Prinzipien: Hemmung der Giftresorption 1 Dekontamination Beschleunigung der Elimination 2 Dekontamination spezifische (antidotale) Therapie Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 24

Therapie Vitalfunktionen Atmung Achtung: Vergiftungspatienten neigen zu Erbrechen und Aspiration! Kreislauf Volumen, Katecholamine, Bikarbonat, Pacemaker Erstversorgung (prehospital) Sauerstoff, Sicherung der Atemwege, intravenöser Zugang, Lagerung, Beatmung, Herzmassage, Defibrillation. Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 25 Therapie 1 Dekontamination (gastrointestinale) induziertes Erbrechen (Ipecac) (ist verlassen) Magenspülung (bei gefährlichen Vergiftungen innerhalb der 1. Stunde nach Einnahme) Aktivkohle (1 Dosis) 60-100 g, bzw.1-2 g/kg (bei allen potentiell gefährlichen Vergiftungen innerhalb der ersten 1-2 Stunden nach Einnahme) Ganzdarmspülung (Vergiftungen mit Metallen, Retardpräparaten) Dekontamination der Haut Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 26

Therapie 2 Dekontamination Aktivkohle (wiederholt) Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufes 30-50 g bzw. 0.5-1 g/kg alle 2-4 Stunden alkalischer Urin (mit NaHCO 3, keine forcierte Diurese!) Hämodialyse wirksam bei wasserlöslichen Stoffen mit tiefem Verteilungsvolumen (<1 L/kg), kleinem Molekulargewicht, geringer Plasmaeiweissbindung Hämoperfusion wie HD, aber bei Stoffen mit höherer Plasmaeiweissbindung, die an Aktivkohle binden Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 27 Therapie spezifische Therapie Schweiz. Antidotliste BAG-Bulletin (Januarnummer) und <http://www.toxi.ch> Antidote N-Acetylcystein (NAC) Naloxon, Flumazenil Natriumbikarbonat Glucagon Ethanol Physostigmin Atropin und viele andere Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 28

Übersicht Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 29 Therapie spezifische Notfallmassnahmen Zyanid Amylnitrit Methanol, Ethylenglykol Ethanol oder Fomepizol Kohlenmonoxid Sauerstoff 100% Flusssäure Calcium (lokal oder i.v.) Opiate Naloxon Benzodiazepine Flumazenil? Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 30

Akute Vergiftungen Spezifische Vergiftungen: eine Auswahl Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 31 Akute Vergiftungen Paracetamol Antidepressiva (trizyklische) Antidepressiva (SSRI) Analgetika: NSAR Rauchgase und Zyanidvergiftung Pilze Schlangen Schweiz. Toxikologisches Informationszentrum 32