Aktuelle europarechtliche Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die technische Regelsetzung und Zertifizierung des DVGW Stand: April 2015 RA Dr. Uwe Wetzel
Konkreter Anlass der Betrachtung Urteil des EuGH, 12.07.2012 - C-171/11 Vorabentscheidungsersuchen (OLG Düsseldorf) nach Art. 267 AEUV, in dem Verfahren Fra.bo SpA gegen DVGW e.v. Urteil des EuGH vom 16.10.2014 - C 100/13. Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, Europäische Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland betreffend Bauregellisten Vorläufig fehlgeschlagene Notifizierung der sog. UBA Leitlinien (Positivlisten) Es geht konkret um Bauprodukte in Kontakt mit Trinkwasser
Der DVGW technische Regelsetzung: u.a. zu den Anforderungen an Bauprodukte in Kontakt mit Trinkwasser gefühlte Rechtslage: nationale technische Regelsetzung unterliegt keinen europarechtlichen Begrenzungen Zertifizierung durch seine 100 % Tochter DVGW CERT GmbH
Grundlagen der technischen Selbstverwaltung Gesetz/Verordnung fordert Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik DVGW konkretisiert diese Anforderungen mit seinem Regelwerk De jure: Vermutungswirkung zugunsten des DVGW Regelwerks u/o des DVGW Zeichens, De facto: unbestimmter Rechtsbegriff der a.a.r.d.t. wird von Behörden und Gerichte durch Anwendung des DVGW Regelwerks konkretisiert
Ein Produkt in Kontakt mit Trinkwasser
EuGH Entscheidung zu FRABO - Sachverhalt Es wurde eine technische Regel des DVGW geändert (W 534) : Einführung eines 3000 Stunden- Belastungstests für den Gummiring Nur Hersteller, die diesen Test erfolgreich bestehen, erhalten das DVGW Zeichen Italienischer Hersteller verweigert diesen Test mit Hinweis, dass ein solcher in Italien nicht erforderlich ist- und sein Produkt in Italien alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt-also rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurde Es besteht eine Vermutungsregel zugunsten des DVGW Zeichens.
12 Absatz 4 AVBWasserVO (alte Fassung)- wurde komplett gestrichen Es dürfen nur Produkte und Geräte verwendet werden, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Die Einhaltung der Voraussetzungen des Satzes 1 wird vermutet, wenn eine CE-Kennzeichnung für den ausdrücklichen Einsatz im Trinkwasserbereich vorhanden ist. Sofern diese CE- Kennzeichnung nicht vorgeschrieben ist, wird dies auch vermutet, wenn das Produkt oder Gerät ein Zeichen eines akkreditierten Branchenzertifizierers trägt, insbesondere das DIN-DVGW-Zeichen oder DVGW-Zeichen.
Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf an den EuGH Ist Artikel 34 AEUV so auszulegen, dass privatrechtliche Einrichtungen, die zum Zwecke der Erstellung technischer Normen auf einem bestimmten Gebiet sowie zur Zertifizierung von Erzeugnissen anhand dieser technischen Normen gegründet worden sind, bei der Erstellung technischer Normen sowie dem Zertifizierungsprozess an die genannten Vorschriften dann gebunden sind, wenn der nationale Gesetzgeber die Erzeugnisse, die mit Zertifikaten versehen sind, ausdrücklich als gesetzeskonform ansieht und in der Praxis daher ein Vertrieb von Erzeugnissen, die nicht mit diesem Zertifikat versehen sind, zumindest erheblich erschwert?
Die Rechtslage Artikel 34 Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten Artikel 36 Die Bestimmungen der Artikel 34 und 35 stehen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen..
Antwort des EuGH Demzufolge ist auf die Frage zu antworten, dass Art. 34 AEUV dahin auszulegen ist, dass er auf die Normungs- und Zertifizierungstätigkeiten einer privaten Einrichtung anzuwenden ist, wenn die Erzeugnisse, die von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, nach den nationalen Rechtsvorschriften als mit dem nationalen Recht konform angesehen werden und dadurch ein Vertrieb von Erzeugnissen, die nicht von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, erschwert wird.
Folgen Ausgehend vom niedrigsten Niveau in einem Mitgliedstaat- darf in einem anderen Mitgliedstaat nur dann ein höheres Niveau für Produkte nur verlangt werden, wenn dies nachweislich dem Gesundheitsschutz dient und einem strengen Verhältnismäßigkeitsgebot (geeignet, notwendig und mildeste Maßnahme) entspricht Anwendbarkeit des Urteils,wenn die Vermutungsregel entfällt? Anwendbarkeit auf technische Regeln in Bezug auf Dienstleistungen (z.b. berufliche Qualifikationsanforderungen an Personen, die Schweißarbeiten Durchführen)?
Konsequenzen für den DVGW DVGW muss sicherstellen, dass die technische Regelsetzung und die darauf basierende Regelsetzung die rechtlichen Vorgaben aus dem EuGH Urteil einhält Inhaltliche Anforderungen an Produkte sind sachlich zu rechtfertigen und dies muss in der technischen Regel zum Ausdruck kommen Jeder Entwurf einer technischen Regel wird vor Aufnahme ins Regelwerk einer juristischen Endkontrolle unterzogen Spielräume für nationale Alleingänge bei der Regelsetzung werden deutlich geringer Die Sicherstellung des in D für richtig erachteten Qualitätsstandards kann nur über die verstärkte Mitwirkung in den CEN Gremien zur Verabschiedung von europäischen technischen Regeln erfolgen. Überarbeitung der EU Trinkwasserrichtlinie? Neue EU VO zu Festlegung eines EU einheitlichen Schutzniveaus für Produkte in Kontakt mit Trinkwasser? In der Literatur wird aus dem Urteil die Konsequenz gezogen, dass alle die den freien Warenverkehr sichernden sekundärrechtlichen EU Bestimmungen auf den nationalen Regelsetzer anwendbar sind (z.b. Notifizierung des Regelwerks)
17 Trinkwasserverordnung 2013- fehlgeschlagene Notifizierung (1) Anlagen für die Gewinnung, Aufbereitung oder Verteilung von Trinkwasser sind mindestens nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu planen, zu bauen und zu betreiben. (2) Werkstoffe und Materialien, die für die Neuerrichtung oder Instandhaltung von Anlagen für die Gewinnung, Aufbereitung oder Verteilung von Trinkwasser verwendet werden und Kontakt mit Trinkwasser haben, dürfen nicht 1. den nach dieser Verordnung vorgesehenen Schutz der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar mindern, 2. den Geruch oder den Geschmack des Wassers nachteilig verändern oder 3. Stoffe in Mengen ins Trinkwasser abgeben, die größer sind als dies bei Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik unvermeidbar ist
17 Trinkwasserverordnung 2013- fehlgeschlagene Notifizierung (3) Das Umweltbundesamt legt zur Konkretisierung der Anforderungen nach Absatz 2 Satz 1Bewertungsgrundlagen fest. Die Bewertungsgrundlagen können insbesondere enthalten: 1. 2. Positivlisten der Ausgangsstoffe, die zur Herstellung von Werkstoffen und Materialien hygienisch geeignet sind, einschließlich Beschränkungen für den Einsatz der Ausgangsstoffe, 3. Positivlisten von Werkstoffen und Materialien, deren Prüfung ergeben hat, dass sie für den Kontakt mit Trinkwasser hygienisch geeignet sind, einschließlich Beschränkungen für den Einsatz dieser Werkstoffe und Materialien in bestimmten Produkten oder mit bestimmten Trinkwässern
EuGH zu Bauregellisten D hat dadurch gegen die (alte) Bauprodukten Richtlinie verstoßen, dass es durch die Bauregellisten, auf die die Bauordnungen der Bundesländer verweisen, zusätzliche Anforderungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung von Bauprodukten in Deutschland gestellt hat, die von den harmonisierten Normen erfasst wurden und mit der CE- Kennzeichnung versehen waren. Die in der Richtlinie 89/106 vorgesehenen Verfahren können nicht als fakultativ angesehen werden, wenn ein Mitgliedstaat eine bestehende harmonisierte Norm für lückenhaft hält. Selbst in einem solchen Fall kann ein Mitgliedstaat keine anderen als die in der Richtlinie 89/106 vorgesehenen Maßnahmen ergreifen (Beantragung der Überarbeitung der harmonisierten Norm)
Fazit Regel 1: Liegt eine harmonisierte Norm vor, ist nationales Abweichen unzulässig Regel 2: Liegt keine harmonisierte Norm vor, gelten Grundsätze der Warenverkehrsfreiheit- also letztlich auch kein nationales Draufsatteln Folge: Regelsetzung goes Europe