Bahnfahren wie in der Schweiz ein unbezahlbarer Traum? 6. SÄCHSISCHER KLIMAKONGRESS, 1. DEZEMBER 2012 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN IM SÄCHSISCHEN LANDTAG STEPHAN KÜHN, MdB, Sprecher für Verkehrspolitik, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
INHALT Bahnfahren wie in der Schweiz ein unbezahlbarer Traum? 1. Mehr Verkehr auf die Schiene! - grünes Bahnkonzept 2. Schwerpunkt: Trennung Infrastruktur und Transport 3. Auswirkungen auf den Schienenpersonennahverkehr 4. Neue Prioritäten beim Ausbau des Bahnnetzes 5. Fernverkehr im Deutschland-Takt
Das grüne Bahnkonzept Ziele: Auf verkehrspolitische Prestigeprojekte, die keinen Nutzen für das Gesamtnetz haben, wollen wir verzichten. Grüne Bahnpolitik will mehr Investitionen in die Erhaltung sowie in den Neu- und Ausbau zum Abbau von Schienenengpässen fließen lassen. Bahnpolitik für alle bedeutet Barrierefreiheit von Zügen, Bahnhöfen, Informationen, Vertriebswegen und organisatorischen Abläufen. Der Lärmschutz muss gerade auch für Bestandsstrecken ausgebaut werden. Den Schienenbonus wollen wir abschaffen. Den Umweltvorteil der Schiene wollen wir durch den Abbau der Subventionen für den Straßen- und Luftverkehr und die Anlastung der Umwelt- und Gesundheitskosten auf alle Verkehrsträger ausbauen
Das grüne Bahnkonzept Ziele: Wir unterstützen die Idee des Deutschlandtakts. Ein integraler Taktfahrplan verkürzt Wartezeiten durch passgenaue Anschlussmöglichkeiten und bringt damit Fahrgäste schneller an ihr Ziel. Gleichzeitig schafft er feste Trassen und damit bessere Planbarkeit für den Güterverkehr. Wir wollen die Kapazitäten für den Güterverkehr auf der Schiene ausbauen und damit die Voraussetzungen für mehr Verlagerung von der Straße auf die Schiene schaffen. Die Grünen streben die Trennung von Infrastruktur und Transport an. Die Infrastruktur muss in das unmittelbare Eigentum der öffentlichen Hand überführt werden. Nur durch diese Trennung kann eine (Teil-) Privatisierung des Schienennetzes dauerhaft ausgeschlossen werden.
Warum Trennung von Infrastruktur und Transport? Die Schieneninfrastruktur wird jedes Jahr mit rund vier Milliarden Euro bezuschusst (Aus- und Neubau 1,4 Mrd. Euro, Lärmschutz 0,1 Mrd. Euro und 2,5 Mrd. Euro Erhaltung). Daher muss die öffentliche Hand einen transparenten und effizienten Einsatz dieser Mittel sicherstellen. Gewinne aus dem Infrastrukturbereich, die letztlich nur aufgrund öffentlicher Zuschüsse realisiert werden, dürfen nicht länger über die Holding für sachfremde Zwecke werden. Sie müssen vollständig in die Infrastruktur reinvestiert werden. Das zur Infrastruktur gehörende Schienennetz, die Bahnhöfe und Haltepunkte sowie die Energieversorgung müssen allen Anbietern diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen. Eine Bevorzugung der eigenen Transportgesellschaften durch die Infrastrukturgesellschaften der DB muss ausgeschlossen werden. Herrschaft der DB AG über die Infrastruktur: DB AG ist im Markt Spieler und Schiedsrichter zugleich
Warum Trennung von Infrastruktur und Transport? Systemimmanente Diskriminierung von Wettbewerbern: Trassenentgelte für Wettbewerber richtiger Aufwand, während sie im integrierten Konzern als Einnahme beim Infrastrukturbetreiber wieder auftauchen. Die Infrastruktur muss so entwickelt werden, dass sie den größten Nutzen für alle Verkehrsunternehmen auf der Schiene stiftet, die Netzplanung darf nicht an den Interessen eines Unternehmens ausgerichtet sein. Daher müssen die Netznutzer stärker in die Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers eingebunden werden. Außerdem müssen Netze von so genannten NE-Bahnen in die regionale und deutschlandweite Netzentwicklung eingebunden werden. Die Bewirtschaftung des Netzes durch einen Monopolisten, die DB Netz AG, führt auch zu Monopolpreisen. Daher müssen mehr wettbewerbliche Elemente in die Netzbewirtschaftung, insbesondere auch bei den Nebennetzen Anwendung finden.
Entwicklung Regionalisierungsmittelkaufkraft Quelle: Wettbewerber-Report Eisenbahn 2010/2011
Infrastrukturentgelte treiben Kosten im SPNV Quelle: BAG SPNV
Gewinnentwicklung Infrastruktursparten DB AG Quelle: BAG SPNV
Finanzierung des Schienennetzes Neu- und Ausbaumaßnahmen werden überwiegend vom Bund mit Baukostenzuschüssen und vormals auch mit Bundesdarlehen nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSchWAG) finanzier. Auch die EU und die Länder zahlen in geringem Maße Baukostenzuschüsse. Soweit eine Investition in ihrem unternehmerischen Interesse liegt, beteiligt sich die DB an der Finanzierung mit Eigenmitteln. Ersatzinvestitionen in das Bestandsnetz werden aus Bundesmitteln in Höhe von derzeit 2,5 Milliarden Euro p. a. bezuschusst. Die DB steuert jährlich mindestens 0,5 Milliarden Euro investive Eigenmittel bei, so dass insgesamt 3 Milliarden Euro für Ersatzinvestitionen in das Bestandsnetz zur Verfügung stehen. Diese Werte sind durch die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) seit 2009 bis Ende 2013 geregelt.
Investitionen in das Schienennetz - Status quo Bundeshaushalt Schiene bis 2020: Gebundene Mittel: Noch für Aus- und Neubau zur Verfügung: 11 Mrd. Euro 8,5 Mrd. Euro 2,5 Mrd. Euro 8,5 Bis 2020 bereits vergeben Bis 2020 noch vorhanden
Neue Priorisierung der Projekte erforderlich Mehr als zwei Drittel der Investitionsmittel für das Schienennetz sind in Großprojekten ( Leuchtturmprojekte ) gebunden: Beispiel VDE 8.1/8.2: ca. 8 Mrd. Investitionen, kein signifikanter Zuwachs an Trassen für den SGV, keine Engpassbeseitigung, Baubeginn: 1996, geplante Inbetriebnahme: 2017, abschnittsweise Inbetriebnahme nicht möglich (schon investiertes Geld ist totes Kapital, teurer kann man nicht bauen!), Projekt für SGV fast nutzlos (am Tag maximal eine Güterverkehrstrasse pro Stunde Begegnungsverbot SGV/HGV im Tunnel, Strecke führt überlasteten Knoten Nürnberg) dagegen wichtig für den Schienengüterverkehr: Ausbau Ostkorridor [(Hamburg -) Uelzen Magdeburg Leipzig Hof Regensburg (A/I)], Bypass zur überlasteten Nord-Süd-Strecke, abschnittsweiser Ausbau bringt schnellen Nutzen
Neue Prioritäten beim Ausbau des Netzes Quelle: DB Netz AG
Verkehrsverlagerung durch Kapazitätsausbau UBA-Studie Schienennetz 2025/2030 zeigt Ausbaukonzeption für einen leistungsfähigen Schienengüterverkehr auf Eisenbahnnetz kann innerhalb einer Dekade mit rund 11 Mrd. so ausgebaut werden, dass 2025 das Netz 213 Mrd. tkm aufnehmen kann Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr kann damit gegenüber heute fast verdoppelt werden Dafür notwendig ist: Vollendung des Sofortprogramms Seehafenhinterlandverkehr (SHHV) bei Neubewertung der Bedarfsplanprojekte muss das Kriterium Trassenzugewinn also Kapazitätssteigerung im Vordergrund stehen Engpassbeseitigung und Knotenpunktausbau priorisieren
Schienenfinanzierung auf neue Grundlage stellen Forderungen: Aufhebung der Gewinn- und Beherrschungsverträge zwischen DB Holding und Infrastrukturgesellschaften als erster Schritt zur Realtrennung Ausschüttung der Gewinne der Infrastrukturgesellschaften an den Bund und vollständige Reinvestition dieser Gewinne in die Infrastruktur als Zuschüsse des Bundes Bereitstellung eines zinslosen Darlehens in Höhe von 500 Mio. Euro durch die KfW für Maßnahmen außerhalb des Bedarfsplans Schiene Schaffung eines eigenen Titels für Infrastrukturfinanzierung von NE- Bahnen in Höhe von jährlich 50 Mio. Euro Förderung des Kombinierten Verkehrs auf 150 Mio. Euro jährlich erhöhen, Verlängerung des Gleisanschlussprogramms
Schienenfinanzierung auf neue Grundlage stellen Forderungen: Einführung von Rahmenfinanzierungsvereinbarungen für Großprojekte unter Beteiligung des Haushalts- und Verkehrsausschusses Festpreisvereinbarungen mit Preisgleitklauseln bei Großprojekten Prüfung einer Fondsfinanzierung für Großprojekte nach Schweizer Vorbild Übertragung der Bewirtschaftung der überwiegend vom Personenverkehr genutzten regionalen Schieneninfrastruktur einschließlich der Bahnhöfe in einem Pachtmodell mit einem finanziellen Ausgleich an die Länder Anpassung und unabhängige Überprüfung der Qualitätskennzahlen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, Sanktionsinstrumente schaffen Überprüfung der Standards der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung
Den Rückzug des Fernverkehrs stoppen Quelle: Wettbewerber-Report Eisenbahn 2010/2011
Angebot in der Fläche sichern Grundgesetz, Artikel 87e, Absatz 4: Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. Um Städten, die in den letzten Jahren vom Fernverkehr abgehängt worden sind, wieder ein attraktives Fernverkehrsangebot zu verschaffen, kann über ein Fernverkehrssicherstellungsgesetz, wie es auch der Bundesrat fordert, dafür gesorgt werden, dass diese Städte wieder mit einem hochwertigen Fernverkehrsangebot bedient werden.
Fernverkehr im Deutschlandtakt Integraler Taktfahrplan nach schweizerischem Vorbild: Taktfahrplan heißt, dass öffentliche Verkehrsmittel den ganzen Tag über einen regelmäßigen Rhythmus fahren (z.b. jede Stunde zur gleichen Minute), so dass sich die Nutzer die Abfahrtszeiten leicht merken können. Integral heißt, dass die Ankunfts- und Abfahrtszeiten an den Knotenbahnhöfen gut aufeinander abgestimmt sind, so dass Fahrgäste schnell mit dem Anschlusszug oder -bus weiterfahren können. So kann die Gesamtreisezeit von Haus zu Haus minimiert werden. Beim Aufbau eines solchen Systems kann auf regionalen Taktfahrpläne für den Schienenpersonenverkehr aufgesetzt werden, bei denen häufig auch schon die Vertaktung mit dem Fernverkehr funktioniert (Rheinland-Pfalz, Bayern u.a.).
Fernverkehr im Deutschlandtakt Deutschland-Takt als Planungsphilosophie für die Entwicklung eines Zielfahrplans, dessen Umsetzung schrittweise erfolgt. Statt So schnell wie möglich lautet der Planungsgrundsatz So schnell wie nötig. Am Zielfahrplan orientiert sich der Infrastrukturausbau. Statt Hochgeschwindigkeitsverkehr auf einzelnen ICE-Strecken steht eine hohe Gesamtgeschwindigkeit im System im Mittelpunkt. Für den Güterverkehr sind standardisierte Trassen freizuhalten. Seit der Bahnreform hat der Fernverkehr 11 % seiner Fahrgäste verloren, trotz 20 Mrd. Euro Investitionen in Hochgeschwindigkeitstrassen. Der Aufbau eines Integralen Taktverkehrs ist eine langfristige Aufgabe. In der Schweiz hat es etwa 20 Jahre gedauert. Das Ergebnis: Die Schweizer fahren heute zweieinhalb Mal so viel Bahn wie die Deutschen.
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