Einsatz von Botulinumtoxin bei chronischer Migräne Dr. med. Julia Müllner
Definition chronische Migräne Kopfschmerzen an >15 Tagen pro Monat über mindestens 3 Monate An 8 Tagen im Monat müssen die Kriterien einer Migräne (mit oder ohne Aura) erfüllt sein, an den anderen Tagen auch Spannungskopfschmerz möglich Häufig Medikamentenübergebrauch
Abgrenzung zur episodischen Migräne Episodische Migräne: Kopfschmerzen an <15 Tagen pro Monat Chronische Migräne: Kopfschmerzen an >15 Tagen pro Monat Bislang einzige Therapieoption der chron. Migräne: Topiramat 50mg-100mg/d (CAVE: NW!!!) IHS-Kriterien 2004
Epidemiologie der chron. Migräne Prävalenz ca. 2-3% In der Regel mit Medikamenten-Übergebrauch assoziiert Frauen>Männer Mischung aus Spannungstyp-KS und Migräne-KS (früher: transformierte Migräne ) Häufig Assoziation mit ausgeprägten Komorbiditäten
Risikofaktoren für Chronifizierung Primär hohe Attackenfrequenz Häufiger und regelmässiger Schmerzmittelgebrauch Ungenügende Akuttherapie Sonstige: Schlafstörungen, Depression, wiederholte SHT, Gelenkbeschwerden, ausgeprägtes Übergewicht, Missbrauchserfahrungen,...
Expertenempfehlung zur Therapie Aufklärung des Patienten! Therapie der Komorbiditäten (Depression, art. Hypertonie, Übergewicht, Angsterkrankung, Schlafstörungen) Multimodale Therapieansätze (Bewegung, Verhaltenstherapie, Entspannung, Biofeedback) Schweizerische, Österreichische und Deutsche Kopfschmerzgesellschaften 2012
Pathomechanismus Migräne Hyperexazibilität des Hirnstamms Cortical spreading Depression (CSD) Aktivierung des trigeminalen Systems Periphere Aktivierung perivaskulärer sensibler Nerven an Kopf, Hals und Meningen Freisetzung von Neurotransmittern (calcitonin gene-relatedpeptide-cgrp und Substanz P) durch CSD und Reizung von Nociceptioren Vasodilatation (SP und CGRP)
Zufall Patienten, die Botulinumtoxin wegen neurologischer, ophthalmologischer oder kosmetischer Indikationen bekamen Nebeneffekt: Reduktion der Kopfschmerzattacken Schmerzreduzierender Effekt tritt schon VOR dem muskelrelaxierenden Effekt auf
Göbel H, Heinze A; Schmerz2011 25:563 571 Prophylaxe der chronischen Migräne mit Botulinumtoxin Typ A
PREEMPT 1 und 2 2 identische multizentrische doppelblinde placebokontrollierte Studien: PREEMPT1-Studie: 51 Zentren in den USA und Kanada PREEMPT2-Studie: 66 Zentren in den USA, Deutschland, Kanada, Großbritannien, Kroatien und der Schweiz Ziel: Untersuchung des Einflusses von intramuskulären Botulinumtoxin (BT)-Injektionen im Kopf- und Nackenbereich auf die Häufigkeit von Kopfschmerztagen pro Monat
Studiendesign: PREEMPT 1 und 2
155E Botox oder Placebo an 31 Injektionsorten mit festgelegter Dosis je Punkt, Erhöhung bis auf 39 Punkte/195 E möglich
Unerwünschte Wirkungen Verum sicher und verträglich in der Anwendung Unerwünschte Ereignisse waren schwach oder mittelgradig ausgepra gt und remittierten spontan 8,7% Nackenschmerzen und 5,5% Muskelschwa che in der Verum-Gruppe 5,3% Infekte der oberen Atemwege in der Placebogruppe. Offene Phase: 5,8% Nackenschmerzen, 5,1% Sinusitis (3,8% schwer)
Klinische Konsequenz Erstmals Verfügbarkeit einer wirksamen und gut verträglichen Therapie für die chronische Migräne Allerdings: nur partielle Besserung der Beschwerden, daher Empfehlung zu einem therapeutischen Gesamtkonzept Effekt von BT-Injektionen auf die deutlich häufigere episodische Migräne konnte trotz vieler positiver Fallberichte in kontrollierten Studien bislang nicht belegt werden
Zulassung von BT für chronische Migräne Erstzulassung von Botox für die chronische Migräne im Jahr 2010 in England und den USA 2011 Zulassung in Europa CH: aktuell noch keine Zulassung, mit spezieller Anfrage bei der Krankenkasse Off-Label-Einsatz möglich Einsatz im Inselspital bei Patienten, die die Kriterien für chronische Migräne erfüllen
Mitnehm-Botschaften 1 Abgrenzung chronische Migräne (>15/d pro Monat) vs. episodische Migräne (<15d/Monat) Bei chronischer Migräne kommen sowohl Migräne-KS als auch Spannungstyp-KS vor Botulinumtoxin kann bei chronischer Migräne Linderung bringen Einsatz aktuell noch Off-Label in der Schweiz, aber nach vorherigem Einholen einer Kostengutsprache bei der Krankenkasse möglich Nach Zuweisung in die Kopfschmerzsprechstunde überprüft das ANZ die Indikation, stellt den Antrag zur Kostengutsprache und leitet die BT- Therapie in der Botulinumtoxinsprechstunde ein
Mitnehm-Botschaften 2 Therapeutisches Gesamtkonzept bei chron. Migräne Basistherapie: Topiramat/BT-Injektionen Therapie der Komorbiditäten: Depression, art. Hypertonie, Übergewicht, Angsterkrankung, Schlafstörungen Multimodale Therapieansätze: Bewegung, Verhaltenstherapie, Entspannung, Biofeedback
Literatur Lackovic et al.: Botulinum toxin type A activity in cranial dura: implications for treatment of migraine and other headaches, Br J Pharmacol. 2015 Oct 22 Nahabet et al.: Neurotoxins: Expanding Uses of Neuromodulators in Medicine Headache. Plast Reconstr Surg. 2015 Nov;136(5 Suppl):104S-110S HC Diener et al.: Onabotulinumtoxin A for treatment of chronic migraine: Results from the doubleblind, randomized, placebo-controlled phase of the PREEMPT 2 trial. Cephalalgia 30(7) 804 814 Dodick et al.: Onabotulinumtoxin A for Treatment of Chronic Migraine: Pooled Results From the Double-Blind, Randomized, Placebo-Controlled Phases of the PREEMPT Clinical Program. Headache 2010;50:921-936 Go bel et Heinze: Prophylaxe der chronischen Migräne mit Botulinumtoxin Typ A. Schmerz 2011 25:563 571 HIT-6 Headache Impact Test, QualityMetric, Inc. Rendas-Baum R, et al.: The psychometric properties of the Migraine-Specific Quality of Life Questionnaire version 2.1 (MSQ) in chronic migraine patients. Qual Life Res (2013) 22:1123 1133