Birgit Naphausen. Vortrag zur 5. Münchner Woche für seelische Gesundheit am

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Transkript:

Kreativitätsförderung und seelische Gesundheit Birgit Naphausen Vortrag zur 5. Münchner Woche für seelische Gesundheit am 8.10.2015 www.ideenreich-und-schule.de info@ideenreich-und-schule.de 1

Einführung: Kreativitätsförderung und seelische Gesundheit Nach einem kleinen Ausflug zum Ursprung von IdeenReich gebe ich Ihnen eine Einführung in unser Konzept von Kreativitätsförderung und seelischer Gesundheit. Es geht hier um ein Konzept, das die Förderung psychischer Ressourcen im Blick hat. In der Kreativitätsförderung ermöglichen wir den Kindern und Jugendlichen, im direkten Erleben diese Ressourcen zu aktivieren. In der gestaltenden Tätigkeit mit kreativen Materialien erweitern die Kinder ihre emotionalen und sozialen Kompetenzen. Anders als bei vielen künstlerischen Initiativen, geht es uns ausdrücklich nicht um ein künstlerisches Ergebnis, obwohl oft Werke entstehen, die an Kunst erinnern. In unserem Ansatz geht es darum, offene Prozesse mit Kindern und Jugendlichen so zu steuern, dass für diese ein Höchstmaß an Beteiligung, Autonomie, Entscheidung und Selbstorganisation möglich wird. 2

Zum Ursprung von IdeenReich und zu der Frage: Was hat uns aktiv werden lassen? Es waren solche Pressenachrichten, die sich - zumindest in meiner Wahrnehmung - im Jahr 2011 häuften und neue Fragen aufwarfen: Wie wäre es, wenn wir dem Mangel an kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen mit gesundheitsfördernden Maßnahmen entgegen wirken, um psychische Erkrankungen zu reduzieren bzw. zu verhindern? Wie wäre es, wenn wir in dem Sinn, in dem wir unsere Kunsttherapeutische Ausbildung am A.K.T. verstehen, kreative Gesundheitsförderung genauso wichtig nehmen wie kunsttherapeutische Begleitung bei Krankheit? Und zwar je früher, umso nachhaltiger. Öffnete sich mit dem ministeriell verordneten Ausbau der Ganztagsschulen nicht ein wichtiges Bildungsterrain, das neu und deswegen auch gestaltungsfähig war? 3

Von diesen Fragen ließ sich eine Gruppe von 8 engagierte Kunsttherapeutinnen im Ausbildungspraktikum anstecken. Zusammen wollten wir herausfinden, ob es gelingen kann, Kreativitätsförderung im Rahmen des Ganztagsunterrichts in Schulen einzuführen. So starteten wir das Projekt Kreativitätsförderung an Ganztagsschulen, das erst später von den teilnehmenden Kindern seinen Namen IdeenReich erhielt. In der Konzeptphase, die schon bald von einem Modellprojekt an einer Grundschule begleitet wurde, profilierten wir unsere Ziele und Aufgaben an Schulen. Schneller, als erwartet, interessierten sich weitere Schulleiterinnen für Ideen- Reich und so hatten wir die Möglichkeit, unser Konzept theoretisch und methodisch zu entwickeln und zeitgleich in der Praxis zu erproben und zu modifizieren. Das informelle Netzwerk, das durch die aktive Projektgruppe entstanden war, führte dazu, dass auch Stadtteiltreffs auf IdeenReich aufmerksam wurden und so kooperieren wir heute mit Schulen, Stadtteil- und Nachbarschaftstreffs. Dabei berücksichtigen wir am liebsten solche kulturellen Bildungsräume, in denen Kinder und Jugendliche einer Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben eher fern stehen. Es sind dies z.b. Mittelschulen und Stadtteile mit hohem Migrationsanteil. IdeenReich ist heute ein kreatives Bildungsprojekt, in dem wir teilhabeorientiert von und mit den Kindern und Jugendlichen lernen. 4

Gibt es ein Kreativitätsmangelsyndrom? Volker zur Linden ist Arzt; er hat, aufgrund langjähriger Erfahrungen - vor allem auch mit chronisch erkrankten Patienten - den Begriff des Kreativitäsmangelsyndroms geprägt: er geht davon aus, dass Menschen - wie an Vitaminmangel auch an einem Kreativitätsmangel leiden können: und zwar dann, wenn ihr seelisch-geistiges Bedürfnis nach schöpferischer Tätigkeit und Selbstverwirklichung unterdrückt oder vernachlässigt wird. Es gibt Hinweise darauf, das Autoimmunreaktionen, chronische Erkrankungen, Krebs, psychosomatische und zahlreiche psychische Erkrankungen Ausdruck eines solchen Kreativitätsmangels sein könnten. Diese These eines Mangels führt uns zu der Frage: Wodurch entsteht eigentlich Gesundheit? Als Resilienz bezeichnen wir die Fähigkeit von Menschen unter wechselnden und auch herausfordernden Bedingungen gesund zu bleiben; Resilienz ist die psychische Widerstandskraft, die Gesundheit erhält und Krankheit verhindert. Diese psychische Widerstandkraft kann erhöht werden, wenn wir die Gesundheitsressourcen von Kindern und Jugendlichen fördern. Nach neuesten Erkenntnissen aus der Neurologie und der Psychologie sind es ganz entscheidend die seelischen Ressourcen, die neben körperlicher Ertüchtigung Menschen in ihrer Gesundheit stärken dennoch rangiert die psychoemotionale und psychosoziale Förderung in der Gesundheitsbildung immer noch weit hinter körperlichen Gesundheitsangeboten. Marcel Hunecke ist Professor für Psychologie und Umweltpsychologie. Er stützt die erfahrungsbasierte These von Volker zur Linden. In seinen ökopsychologischen Forschungsarbeiten zeigt er, wie wir durch die Entwicklung psychischer Gesundheitsressourcen das eigene Wohlbefinden beeinflussen können. Aber nicht nur das: 5

Wenn Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Genussfähigkeit, Achtsamkeit, Solidarität und Sinnkonstruktion ihre Wirkung entfalten, dann tragen sie nicht nur zu persönlicher Zufriedenheit bei, sondern wirken sich aus auf die ökologische und soziale Gesundheit von Gesellschaften. Und zwar deswegen, weil heilsame Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen sich durch unsere Interaktionen mit der menschlichen und dinglichen Umwelt auch auf der sozialen und ökologischen Ebene heilsam entfalten. IdeenReich gründet sein Konzept auf 6 psychische Gesundheitsressourcen, wie sie auch von Marcel Hunecke in seiner Psychologie der Nachhaltigkeit beschrieben werden: Diese 6 Gesundheitsressourcen möchte ich Ihnen im Folgenden kurz vorstellen mit ein paar wenigen Anmerkungen dazu, wie wir sie im IdeenReich fördern: 6

Selbstakzeptanz ist die Annahme der eigenen Person mit all ihren Stärken und Schwächen. Selbstakzeptanz führt zu einem höheren Selbstwerterleben. Kinder und Jugendliche werden unabhängiger von gesellschaftlichen Vergleichsprozessen (Stichwort: Markenbewusstsein); sie stehen mehr zu sich; Autonomie, Selbstvertrauen und Zufriedenheit sind die Folge. Im IdeenReich fördern wir Selbstakzeptanz, indem wir den authentischen Ausdruck der Kinder - ihre EigenArt - unterstützen; es gibt kein Falsch und Richtig; statt Bewertungen erfahren und lernen die Kinder Offenheit für und Interesse an den Unterschieden und der Vielfalt, zu der jedes Kind beiträgt, wenn es sich traut, das Eigene zu zeigen. In der kreativen Deutung finden wir mit den Kindern heraus, was der Wert am vermeintlich Unwerten und Negativen ist: z.b. ganz konkret mit der Frage, was der versehentliche Farbklecks im Bild denn werden könnte. Statt das Bild zu zerreißen finden die Kinder phantasievolle Wege zur Integration des vermeintlich Falschen. 7

Selbstwirksamkeit beschreibt die subjektive Gewissheit, Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenzen bewältigen zu können; dazu gehören Handlungskompetenzen und Handlungskontrolle. Wenn Kinder Selbstwirksamkeit erleben, stärkt dies das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, etwas verändern zu können. Die Sicherheit wächst, das eigene Leben selbst gestalten zu können. Selbstwirksamkeit erzeugt das Erleben von Flow, Stolz und Stimmigkeit. Wenn wir Selbstwirksamkeit fördern, achten wir darauf, dass wir Impulse und Herausforderungen - aber keine Lösungen - anbieten. Nicht wir wissen, wie die Kinder eine Idee verwirklichen können; stattdessen begleiten wir sie in ihren kreativen Prozessen mit Fragen, die sie darin unterstützen, eigene Wege zur Umsetzung einer Idee zu finden. 8

Die zahlreichen einschlägigen Werkzeuge und Materialien, die der Kunsthandel heute anbietet, um schnell mit effektreichen Techniken ein Bild zu erzeugen, finden Sie nicht im IdeenReich. Wir arbeiten mit einfachen, hochwertigen Materialien - auch Naturmaterialien und Fundstücken -, die dazu geeignet sind, sie variabel einzusetzen. Wenn z.b. Holzräder für das aus Pappen entstandene Auto des Kindes in unserem Fundus nicht vorhanden sind, fordern wir es auf, sich im Raum umzusehen und etwas zu finden, was zu Rädern für das Auto werden könnte. So hat z.b. eine Klopapierrolle mit Zahnstocherspeichen gute Dienste geleistet und begeisterte Nachahmer gefunden. Dass das Kind diese Lösung selbst gefunden und gleichzeitig seine Kameraden damit inspiriert hat, ist für uns und natürlich für das Kind - der entscheidende Erfahrungswert. Wichtig in unserer Arbeit ist auch, dass wir die Kinder darin begleiten, ihre Ideen so lange zu gestalten, bis sie wirklich damit zufrieden sind. In Phasen des Frusts sind wir ganz nah dran am Kind und finden zielorientiert mit ihm heraus, was zum Gelingen seiner Absicht beitragen kann. Neben dem Stolz über die gefundenen Lösungen und das entstandene Werk entwickeln die Kinder so eine höhere Frustrationstoleranz und Konfliktbereitschaft. Wenn die Kinder und Jugendlichen ihr Werk am Ende liebevoll und stolz präsentieren, können wir sicher sein, dass sie eine umfassende Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenz mitnehmen. 9

Genussfähigkeit ist die Fähigkeit, positiv erlebte Sinneserfahrungen mit subjektiv empfundenen Wohlbefinden zu verknüpfen. Genussfähigkeit als angenehme Sinneserfahrung führt über immaterielle Genussquellen zu Erlebnisintensität statt Erlebnisfülle. Freude, sinnliches, ästhetisches und geistiges Wohlbefinden stellen sich ein. Sinnliche Erfahrungen ermöglichen wir den Kindern ganz unmittelbar über Materialerfahrungen: haptisch über das Spüren unterschiedlicher Materialien wie Ton, Knete, Holz, Stoffe, Sand u.v.m..; visuell z.b. über das Spiel mit Farben oder auditiv, wenn die Kinder z.b. ihr Klangerleben als Farbklänge im Bild sichtbar machen. Im unterscheidenden Wahrnehmen dessen, was ihnen gut tut, finden die jungen Menschen ihre ganz eigenen Gesundheitsquellen. Wir unterstützen sie darin, sich diese immer wieder bewusst zu machen und im Alltag zu nutzen. Ein wichtiger Erinnerungsanker sind dabei die gestalteten Werke, die die Kinder mit nach Hause nehmen. 10

Achtsamkeit ist eine absichtsvolle, fokussierte und bewertungsfreie Wahrnehmungs- und Bewusstseinshaltung im Hier und Jetzt. Achtsamkeit verhindert Automatismen und Stress; sie macht den Blick frei für Bedürfnisse und Erscheinungen im aktuellen Gewahrsein. Achtsamkeit fördert neben der Konzentration und Aufmerksamkeit auch das Sozialverhalten. Achtsamkeit entwickeln die Kinder durch fokussierte Übungen zur Körperwahrnehmung, durch Erfahrungen von Stille, durch die Entdeckung der Natur. Empathieübungen fördern die urteilsfreie Wahrnehmung von Mitmenschen und Mitwelt. So lernen die Kinder sich selbst und ihre Lebenswelt besser kennen und verändern ihren Umgang damit. Sie erkunden z.b., wie sie die Stille bzw. den Lärm erleben und geben dieses Erleben im Bild wieder. Sie stellen fest, dass manche von ihnen Ruhe brauchen, andere schätzen eher die Lebendigkeit von Geräuschen um sich herum. Nun, da die Kinder erkannt haben, wie unterschiedlich ihre Bedürfnisse in Bezug auf Lärm und Ruhe sind, finden sie gemeinsam Wege, wie sie die verschiedensten Bedürfnisse in ihrer Gruppe mit Respekt für den anderen regulieren können. 11

Solidarität ist die Ausrichtung des eigenen Handelns an der Idee einer gleichberechtigten sozialen Teilhabe und die Überzeugung, dass diese im gemeinsamen Handeln umgesetzt werden kann. Solidarität fördert das Vertrauen in die Einflussmöglichkeiten gemeinschaftlichen Handelns und führt zu positiven Emotionen der Zugehörigkeit, Sicherheit und des Vertrauens. Die Kreativitätsförderung findet zu 90% in Gruppen statt. Dies können kleine Fördergruppen von 3-4 Kindern sein, im Offenen Atelier können sich auch einmal 12 16 Kinder einfinden. Wenn Kinder zusammen kommen, bleiben Konflikte nicht aus. Im IdeenReich werden diese grundsätzlich thematisiert und als Aufgabe an die Gruppe gegeben: die Kinder finden heraus, welche Bedürfnisse gerade miteinander konfligieren und handeln Lösungen aus. Selbstbehauptung ist ebenso gefragt wie Kompromiss und kreative Alternativen. Um Gemeinschaftserfahrungen zu ermöglichen, geben wir immer wieder Impulse zu Gruppenarbeiten, bei denen die Kinder zusammen ein Werk gestalten. Von der Themenfindung bis zur Vollendung der Gestaltung bauen wir auf die 12

Selbstorganisation der Gruppen. Die Kinder selbst finden in Abstimmungsprozessen ihr Ziel und den Weg dorthin. Geleitet durch unsere Fragen klären sie untereinander, wer in der gemeinsamen Aktion aufgrund bestimmter Fähigkeiten welche Aufgaben übernehmen soll, wer wem hilft, welche Schritte geplant werden, um die Gruppenidee zu verwirklichen. Kommunikation und Konsensbildung tragen zum Gelingen bei. 13

Sinnkonstruktion ist die aktive und ergebnisoffene - also kreative - Suche nach umfassendem Verstehen von Zusammenhängen, die der Existenz Bedeutung verleihen. Sinnkonstruktion orientiert sich an transpersonalen, sozialen und geistigen Werten. Sinnkonstruktion führt zu Gelassenheit und Vertrauen. Sich selbst und die Welt in ihren Zusammenhängen zu verstehen, ist eine zentrale Gesundheitsressource, die auch Antonovsky in seinem Salutogenesemodell betont. Verständnis und Verstehbarkeit sind Voraussetzung für sinnvolles und sinnstiftendes Handeln. Sinnkonstruktionen sind Voraussetzung für geistige Orientierung. Schon Kinder machen die Erfahrung, dass das Leben bestimmten Gesetzen zwar folgt, aber eben nicht immer. Sie erleben Widersprüche und umso mehr Unsicherheit, je ausschließlicher sie auf funktionsorientierte Glaubenssysteme geprägt sind. Diesen entsprechend gibt es dann nur das, was die Sinne wahrnehmen und die Ratio erklären kann. Seelenbilder und geistige Inspiration finden hier bisweilen wenig Platz. 14

Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die Frühgeschichte der Menschheit: ganz offensichtlich haben sich unsere Vorfahren nicht nur mit Nahrungssuche und materieller Existenzsicherung beschäftigt sie haben auch Bilder gezeichnet, wie wir sie in uralter Höhlenmalerei finden. Die meisten Forschungshypothesen gehen davon aus, dass diese frühen Zeichnungen dazu dienten, dem Unfassbaren der geistigen und seelischen Erfahrung mithilfe der Projektion ins Bild Gestalt und Bedeutung und somit Verstehbarkeit und Handhabbarkeit zu verleihen. Mithilfe kreativ-künstlerischer Betätigung erfahren Kinder ganz unmittelbar und unreflektiert ihre schöpferischen Quellen. In ihrer Phantasie begegnen sie auch Bildern ihrer seelisch-geistigen Innenwelt. Jedes Mal, wenn Kinder innere Bilder und Inspirationen sichtbar gestalten und im Bild in geordnete Zusammenhänge bringen, vollziehen sie eine Integration von innerer Seelenwelt und äußerer Objektwelt. Jedem bildnerischen Werk, das nicht die ausschließliche Abbildung der Objektwelt zum Ziel hat, sind Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit eigen. Deswegen ist es gerade die aktive Beschäftigung mit den bildnerischen Medien, die Kinder dazu befähigen kann, neue Ordnungen und Zusammenhänge zu erschließen und gestaltend auszudrücken. Diese Fähigkeit der eigenständigen Sinnfindung erfordern unsere Lebenswelten heute mehr denn je, da sie sich in einer komplexen Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit manifestieren. Wenn wir unseren Kindern Orte gewähren, an denen sie in Kontakt kommen dürfen mit ihren heilen Seelenanteilen, und wenn wir sie auch darin stärken, Kohärenz und Stimmigkeit im Wechselspiel von Innenwelt und Außenwelt wahrzunehmen und selbst zu erzeugen, dann können sie zu starken Selbst- und Weltgestaltern heranreifen. 15

Literatur: Marcel Hunecke, Psychologie der Nachhaltigkeit Psychische Ressourcen für Postwachstumsgesellschaften, München 2013 Birgit Naphausen M.A. Projektleitung Lommelstraße 1 86911 Diessen Fon: 08807 8379 Fax: 08807 94 74 94 www.birgit-naphausen.de info@ideenreich-und-schule.de www.ideenreich-und-schule.de 16