11. Geometrische Extremalprobleme I Die hier behandelten geometrischen Extremalprobleme beruhen auf der Dreiecksungleichung Satz 1. Sind A, B, C drei Punkte der euklidischen Ebene mit A B, dann ist (1) AC + BC AB mit Gleichheit genau dann für C in der Strecke AB. Lemma 1. Ist P ein Punkt, g eine Gerade, und F der Normalenfußpunkt von P auf g, so ist für alle Punkte X g (2) P X P F, XP XF mit = genau für X = F (links) bzw. P g (rechts). Beweis. (von Lemma 1) Wir wenden den Satz des Pythagoras auf das Dreieck P XF an und erhalten P X 2 = P F 2 + F X 2. Beweis. (von Satz 1) Sei g die Verbindungsgerade von A und B, und F der Fußpunkt von C auf g. Dann ist (3) AC AF, BC BF mit Gleichheit genau für C g. Weiters ist (4) AF + BF AB, mit = genau dann, wenn F in der Strecke AB liegt. Aus Gl. (3) folgt zusammen mit Gl. (4) die Dreiecksungleichung (1). Gleichheit in (4) kann nur auftreten, wenn F in der Strecke AB liegt, und Gleichheit in (3) kann nur bei C g (d.h. C = F ) auftreten. Satz 2. Unter allen Streckenzügen A = A 0, A 1, A 2,..., A n = B, die zwei Punkte A, B verbinden, ist die geradlinige Strecke AB am kürzesten. Beweis. Wir wenden die Dreiecksungleichung der Reihe nach auf die Dreiecke A 0 A 1 A 2, A 0 A 2 A 3,... an. Wir sehen, daß die Gesamtlänge des Streckenzuges AB ist, mit = genau dann, wenn alle Punkte in der richtigen Reihenfolge in der Strecke AB liegen. Als Anwendung zeigen wir den folgenden Satz Satz 3. Unter allen einem spitzwinkeligen Dreieck ABC einbeschriebenen Dreiecken A B C hat das Höhenfußpunktedreieck den kleinsten Umfang. Beweis. Wir setzen die Bezeichnungen so, daß A dem Punkt A gegenüber liegt, und so weiter. Der Winkel bei C heißt γ. Wir halten C fest und variieren A, B so, daß A B +B C +C A minimal wird. Spiegeln wir C and AC und an BC, so erhalten wir Punkte E und F mit (5) A B + B C + C A = A B + A F + B E. Nach Satz 2 ist der Länge des Streckenzuges EB A F minimal, wenn B und A in dieser Reihenfolge in der Strecke EF liegen. Wegen der Spiegelung ist dann (6) (7) CC = CE, C CA = ECA CC = CF, C CB = F CB. Das Dreieck EF C ist daher gleichschenkelig, und der Winkel bei C ist gleich 2γ, unabhängig von C. Der Umfang von A B C, d.h. die Entfernung EF, hängt also nur von der Seitenlänge CE = CF = CC ab. Um sie minimal zu machen, muß daher CC minimiert werden, d.h. man muß C als Lotfußpunkt von C auf AB wählen. Dieselbe Argumentation gilt auch für A und B.
12. Flächeninhalt und Volumen: Geometrische Exhaustion I Beim Bestimmen von Flächeneninhalten und Voluma durch Exhaustion auf elementar-geometrische Art und Weise geht man so vor, daß man das gegebene Objekt durch die Vereinigung von endlich vielen kleineren Teilen annähert, deren Inhalt bekannt ist oder bekannt wird, wenn man die Teile auf andere Art und Weise aneinanderlegt. Anschließend wird ein Grenzübergang (der bei diesem naiven Zugang nicht gerechtfertigt wird) durchgeführt. Ein berühmtes Beispiel ist die Formel Fläche = Radius Umfang/2 für die Fläche eines Kreises (siehe Figur). Bezeichnen wir das Verhältnis u/r mit 2π, so folgt A = r 2 π. Die Formel Fläche ist Grundlinie Höhe für ein Parallelogramm wird für ein Rechteck als gegeben angenommen und folgt allgemein durch Zerlegung in flache Rechtecke und neues Zusammensetzen derselben. Die analoge Formel für das Dreieck folgt genauso (siehe Figur). Daß das Volumen eines geraden Prismas durch Grundfläche Höhe gegeben ist, folgt durch Zerlegen des Prismas in erzeugendenparallele Quader und der Annahme, daß für diese die Formel gilt. Für schiefe Prismen folgt die Aussage aus der vorigen auf dieselbe Art und Weise wie beim Parallelogramm.
13. Flächeninhalt und Volumen: Geometrische Exhaustion II Wollen wir nun Volumen = Grundfläche Höhe/3 für Pyramiden herleiten, so genügt es, dies für schiefe quadratische Pyramiden zu tun, weil wir jede Pyramide durch eine Vereinigung von solchen annähern können. Es genügt auch, die Formel für gerade quadratische Pyramiden nachzuweisen; Stellt man eine gerade und eine schiefe quadratische Pyramide nebeneinander und schneidet man beide in zur Basisebene parallele Schichten, so sind die Schnittflächen zueinander kongruent. Denkt man sich die Pyramiden durch eine Folge von niedrigen Quadern angenähert (siehe Figur), soe erkennt man, daß beide dasselbe Volumen besitzen. Wir bemerken auch, daß sich bei Ausüben einer Ähnlichkeit mit dem Faktor k Volumina mit dem Faktor multiplizieren: Dies gilt für Würfel, und daher auch für jeden Körper, den wir durch kleine Würfel annähern können (d.h. alle, denen wir hier unsere Aufmerksamkeit schenken). k 3 Nun zerlegen wir eine gerade quadratische Pyramide mit Höhe h, Basiskantenlänge a und unbekanntem Volumen V in eine halb so große Pyramide (Volumen V/8), vier Teile, die sich ebenfalls zu einer solchen Pyramide zusammensetzen lassen (Volumen daher je V/32), ein quadratisches Prisma mit Volumen (a/2) 2 (h/2), und vier Teile, die sich zu einem ebensolchen Prisma zusammensetzen lassen (Volumen daher je a 2 h/32). Es folgt V = V/8 + 4V/32 + a 2 h/8 + 4a 2 h/32, also insgesamt V = a 2 h/3.
14. Oberfläche und Volumen der Kugel: Geometrische Exhaustion III Eine Pyramide mit kreisförmiger Grundfläche heißt Kreiskegel, ein gerader Kreiskegel heißt Drehkegel. Sein Volumen ist nach der allgemeinen Formel für Pyramiden gegeben durch V = Gh/3 = r 2 πh/3. In der Antike wurde das Volumen einer Kugel mittels geometrischer Exhaustion dadurch bestimmt, daß man zeigte, dass das Volumen der Kugel mit dem Volumen der Differenzmenge aus einem der Kugel umschriebenen vertikalen Zylinder (Radius r und Höhe 2r) und zwei Drehkegeln übereinstimmt: Horizontale Schnitte dieser Menge werden durch niedrige Prismen angenähert, deren Basisflächen jeweils Kreisringe sind. Mit dem Satz des Pythagoras können wir den inneren Radius ρ(x) eines solchen Kreisrings in der Entfernung x von der Äquatorebene bestimmen: ρ(x) 2 = r 2 x 2. Der Flächeninhalt dieses Kreisrings ist daher gleich A(x) = (r 2 ρ(x) 2 )π = x 2 π, Dieser stimmt mit dem Flächeninhalt eines Kreises vom Radius x überein. Wir erhalten also einen der Kugel volumsgleichen Körper, indem wir die Prismen über den Kreisringen durch ebenso hohe über den Kreisscheiben mit Radius x ersetzen. Die Differenzmenge aus Zylindern und Kugel ist damit volumsgleich der Vereinigung von zwei Drehkegeln, deren Basiskreis der Äquatorkreis der Kugel ist, und deren und Spitzen jeweils Nord- und Südpol der Kugel sind. Für das Volumen der Kugel folgt nun V = r 2 π 2r 2(r 2 π r/3) = 4 3 r3 π. Um die Oberfläche der Kugel zu bestimmen, zerlegen wir die Kugel in kleine Pyramiden, deren Spitze im Mittelpunkt der Kugel zu liegen kommt. Für jeden einzelnen der Pyramiden gilt die Formel (1) V K = G Kr 3. Die Summe der Pyramidenvolumina ergibt das Kugelvolumen, und die Summe der Pyramiden- Grundflächen die noch unbekannte Oberfläche der Kugel. Durch Summation von (1) über alle Pyramiden erhalten wir also 4π 3 r3 V k = r GK O, 3 also nach Grenzübergang 4π 3 rr = r 3 O = O = 4πr2.
15. Die Eulersche Polyederformel Ein Polyeder ist ein ebenflächig begrenzter Körper. Bekannte Beispiele von Polyedern sind der Würfel, das Oktaeder, das Tetraeder, Pyramiden, Prismen, und andere. Die ebenen Flächen, die das Polyeder begrenzen, heißen Seitenflächen oder Facetten. Die Seitenflächen schneiden einander in Strecken, die die Kanten des Polyeders genannt werden, und die Kanten treffen einander in den Ecken. Es ist möglich, daß die Seitenflächen eines Polyeders keine Vielecke im gewöhnlichen Sinn sind, sondern daß der Rand einer solchen Seitenfläche aus mehren, nicht zusammenhängenden, Teilen besteht (siehe Figur). Wir wollen uns hier auf solche Polyeder beschränken, wo dies nicht der Fall ist. Alle Seitenflächen sollen Vielecke sein. Es ist möglich, einem Polyeder ein Geschlecht zuzuordnen. Dies ist, grob gesprochen, die Maximalzahl von einander nicht schneidenden Kurven, die man auf die Oberfläche zeichnen kann, ohne daß diese dadurch in zwei Teile zerschnitten wird (siehe Figur). Die zur Behandlung dieses Themas verwendeten mathematischen Methoden gehören zur kombinatorischen und algebraischen Topologie. Wir werden uns mit ihnen nicht auseinandersetzen. Polyeder vom Geschlecht 0 sind solche, wo jeder geschlossene Kantenzug die Oberfläche des Polyeders in 2 Teile teilt. Für solche Polyeder gilt: Satz 1. (Eulersche Polyederformel) Für die Anzahlen e, f, k der Ecken, Seitenflächen, und Kanten eines Polyeders vom Geschlecht 0 gilt (1) e + f k = 2 Beweis. Wir denken uns ein weißes Polyeder und zeichnen auf dessen Oberfläche schrittweise Ecken und Kanten. Wir zählen dabei die Anzahl der Ecken, der Kantenzüge zwischen den Ecken, und Flächen. 1. Wir starten mit 1 Ecke und einem geschlossenen Kantenzug, der diese Ecke enthält. Der Kantenzug zerteilt die Obefläche des Polyeders in zwei Gebiete, und wir haben e = 1, f = 2, k = 1, also e+f k = 2. 2. Einen bereits vorhandenen Kantenzug zerteilen wir durch das Anmalen einer Ecke in zwei. Dabei erhöhen sich sowohl k als auch e um 1. Der Wert von e + f k bleibt gleich. 3. Bereits angezeichnete Ecken können durch Kantenzüge verbunden werden, die die bereits eingezeichneten Kantenzüge nicht kreuzen oder berühren dürfen. Bei diesem Schritt erhöhen sich k und f um 1, der Wert von e + f k bleibt gleich. Wir führen die Schritte 2 und 3 solange aus, bis wir alle Ecken und Kanten des Polyeders angemalt haben. Der Wert von e+f k ändert sich während des Vorganges nicht, er ist also zum Schluß ebenso wie am Anfang gleich 2. Anhand von Gegenbeispielen kann man leicht nachprüfen, daß der Eulersche Polyedersatz nicht gilt, wenn Seitenflächen mehrere Randkomponenten besitzen. Weiters kann man zeigen: Sind alle Seitenflächen eines Polyeders Vielecke, so ist e + f k = 2 2g, wenn g das Geschlecht des Polyeders ist.