Stellungnahme des Singener Innenstadthandels zur evtl. Ansiedlung eines Einkaufszentrums März 2014 Grundlegendes Mit der ECE interessiert sich einer der größten Betreiber von Einkaufszentren für die Stadt Singen. Die Ansiedlung eines Einkaufszentrums wäre sowohl in städtebaulicher Sicht, als auch in ihrer Auswirkung auf den Handel die größte Veränderung, die die Stadt in Jahrzehnten erfahren würde. Deshalb hat die Stadt eine evtl. Überbauung des Holzer-Areals an eine Stärkung der Singener Innenstadt gekoppelt: ein autarker Solitär soll vermieden werden. eine Konkurrenz zum bestehenden Einzelhandel soll vermieden werden. städtebaulich verträglich und wirtschaftlich langfristig tragfähig. Die Stadt hat zwei Gutachten beauftragt, nämlich GMA Potenzialanalyse zur strategischen Entwicklung des Einzelhandelsstandorts Ludwigsburg, Januar 2013 sowie Stadt und Handel: Potenzialanalyse zur städtebaulich-funktionalen Weiterentwicklung des Innenstadtzentrums von Singen (Hohentwiel) unter besonderer Berücksichtigung der städtebaulichen Integration einer diskutierten Einkaufszentrenentwicklung Februar 2014. Das Gutachten der GMA versteht sich zwar als allgemeine Potenzialanalyse und eine Aussage zu einem Einkaufszentrum gehörte nicht zur offiziellen Aufgabenstellung. Trotzdem kommt das Gutachten zum Schluss, dass die gesamte Stadt noch Bedarf an zusätzlichen 36.000 m 2 Einzelhandelsflächen habe. Davon sollen lt. GMA ca. 25000 m 2 der Innenstadt zugute kommen. Dies wird von den Innenstadthändlern als blanker Hohn empfunden. Diese Aussage gründet die GMA auf Prognosen, die äußerst unsicher sind: Steigendes Kaufkraftpotenzial in D und CH. Steigender Anteil von Schweizer Kunden, die 44 % zum Kaufkraftvolumen beitragen sollen. (Für die Berechnung wird die gesamte CH-Kaufkraft im definierten Einzugsbereich in gleicher Weise berücksichtigt wie die deutsche) Keine nennenswerten Umsatzrückgänge im stationären Handel durch Online- Einkäufe. Diese Annahmen sind viel zu unsicher, um daraus eine Begründung für ein solches Vorhaben abzuleiten, denn sie setzen unter anderem den Fortbestand der Euro Franken-Währungsdifferenzen voraus. In Summe können die Aussagen des GMA-Gutachtens in keiner Form als Grundlage für eine so weitreichende und langfristig wirkende Entscheidung dienen. 1
Im folgenden haben die Singener Einzelhändler, vertreten durch Hr. Blatter (Schuhhaus Läufer), Hr. Burzinski (City Ring), Hr. Greuter (Buch Greuter), Fr. Haid (En Vogue), Hr. Kornmayer (Heikorn), Hr. Przybylski (Karstadt), Hr. Schweizer (Intersport Schweizer), Hr. Münchow (EDEKA), Hr. Wager (City-Ring Vorstand), Hr. Waizenegger (Zinser), Hr. Wessendorf (Anna Mode, Tally Weijl), Hr. Wöhrle (Schuhhaus Wöhrle, Franco Bonoldi) die Standpunkte des Singener Handels aufgelistet. Diese beziehen sich in der Hauptsache auf das Gutachten von Stadt und Handel (Seitenangaben). Ergänzt wurden diese Aussagen durch eine Analyse von Herrn Paganini (IHK). Bei einer Bewertung, ob eine Centeransiedlung in der von ECE angestrebten Größenordnung für die Stadt verträglich ist, geht es im Wesentlichen um folgende Fragen: Welchen Umsatz müsste ein Center generieren um für den Investor rentabel zu sein? Die angesetzten durchschnittlichen Flächenproduktivitäten (Umsatz pro Quadratmeter) erscheinen eher niedrig (Tabelle 14). Das Gutachten errechnet, ausgehend von 3250 pro m² auf 12.300 m² Verkaufsfläche einen Umsatz von 40 Mio.. Ein Vergleich mit den EHI-Handelsdaten zeigt eine erhebliche Abweichung, so dass kaum vorstellbar ist, dass ein Shoppingcenter mit einer solchen Umsatzprognose überhaupt gebaut würde. Rechnet man mit den realistischen Werten von 4.000 Euro pro m², ergibt sich ein deutlich höherer Umsatz von 49 Mio und damit auch erheblich höhere Auswirkungen auf die Stadt. Die genauen Flächenwünsche der ECE liegen nicht vor. Bei größeren Flächen, z.b. 16.000 m² wäre dementsprechend von über 60 Mio Zielumsatz auszugehen! Ab einer Größenordnung von ca. 15.000 m² gelten Center als autark, sprich sie sind in ihrer Konzeption darauf ausgerichtet, Kunden möglichst exklusiv im Center zu halten. Allgemein wird als Richtwert davon ausgegangen, dass ein Center mit 20.000 m 2 Fläche etwa 1.000 Meter Fußgängerzone abbildet! D.h. ein Center mit 15.000 m 2 würde etwa 750 Meter Fußgängerzone abbilden. Außerdem existieren unterschiedliche Ansätze zur Berechnung von Flächen. Centerbetreiber geben oft nur die reinen Verkaufsflächen (abzüglich Wege, Mall, Lager, Gastronomie, etc.) an, um die Flächen kleinzurechnen! Wo sollen 40 64 Mio. zusätzlicher Umsatz herkommen? Für Singen kann nur eine begrenzte zusätzliche Kaufkraft angenommen werden! (S. 55) 2
Während das GMA-Gutachten seine Annahmen auf einen künftig zu erzielenden Anteil von rund 44 % Schweizer Kunden stützt, setzt Stadt und Handel den CH-Kunden- Anteil auf einen realistischeren Wert von ca. 15 % an. Das Gutachten von Stadt und Handel kommt in seiner zusammenfassenden Bewertung der Szenarien zum Schluss, dass nur positive Impulse aus der Schweiz weitere Flächenentwicklungen begründen (S. 57). Aber auch diese Impulse aus der Schweiz unterliegen erheblichen Unsicherheiten: Wie geht es in der Schweiz weiter? Welche Auswirkungen hat der Zuwanderungsstopp auf den Handel? Änderungen der Zoll- und Einfuhrbestimmungen sehr schnell möglich, siehe Initiative Ausländerbegrenzung. Preise in der Schweiz fallen bereits jetzt! Mittelfristig ist mit weiteren Preisangleichungen zu rechnen, weil die Schweizer Händler den permanenten Kaufkraftabfluss nicht länger hinnehmen werden. Dadurch rückläufige Ausfuhrscheine! Außerdem wird die Mehrwertsteuerrückerstattung künftig voraussichtlich auf ein elektronisches Verfahren umgestellt werden. Wenn die Erstattung nicht mehr in den Betrieben erfolgen muss, fällt ein wichtiges Kundenbindungsinstrument und in Folge auch Umsatz weg. Aus Sicht des Handels wäre es absolut unrealistisch, die Entscheidung für ein Center auf die Hoffnung auf anhaltende bzw. steigende CH-Kaufkraft zu stützen. Die Zentralität Singens ist bereits jetzt enorm hoch! Singen verfügt bereits jetzt über enorme Zentralitätswerte (Abbildung 10), die kaum mehr zu steigern sind (Zentralität von 197). Außerdem verfügt Singen über eine hohe Angebotsvielfalt. Für Singen ist nur eine begrenzte zusätzliche Kaufkraftabschöpfung möglich (S.55), da Singen bereits jetzt über eine hohe Eigenbindung (eine der höchsten Zentralitätskennziffern Deutschlands, annähernd 200) verfügt. In einzelnen Segmenten auch erheblich mehr, d.h. Bekleidung 322%, Sport 369%, Optik 261%, Schuhe 190% Hausrat 351%. Sämtliche Werte über 100% ziehen jetzt schon zusätzlichen Umsatz von außerhalb. Sie zeigen, wie dünn die Luft für flächenbezogene weitere Entwicklungen geworden ist. (Selbst die Kennziffer für PBS, Zeitschriften, Bücher von 80 % dürfte aufgrund von Onlinehandel und der Anbieter in Konstanz und Radolfzell ein Maximalwert sein.) Bei einem Einzelhandels-Umsatz der Innenstadt von rund 164,5 Mio würde ein geplantes Einkaufszentrum mit ca. 50-60 Mio Umsatz rund 30% Umsatzanteil gemessen am bisherigen Umsatz ausmachen. Dabei ist davon auszugehen, dass 70% des Umsatzes des Einkaufszentrums aus dem Bestand kommen! 3
Die Auswirkungen auf den bisherigen Einzelhandel wären folglich erheblich! Die Einzelhandels-Ausstattung der Innenstadt ist bereits jetzt ausgezeichnet. 166 Betriebe verfügen über 52.910 m² Verkaufsfläche (VK). Die Bekleidungsbranche kann 40 Betriebe mit 24.520 m² VK vorzeigen. Dass die Flächenproduktivitäten (Umsatz pro Quadratmeter) in Singen schon immer etwas niedriger waren, zeugt von einem mehr als ausreichenden Flächenangebot. Auch die Ausstattung der Innenstadt mit 4.000 Parkplätzen ist ein Pluspunkt, der zu vermerken ist (Seite 15-17). In der jüngsten Vergangenheit und in naher Zukunft sind zusätzliche Flächen entstanden / werden entstehen, die teilweise keinen Eingang in die Studien gefunden haben: Woolworth 1.650 m² H&M 2.300 m² (ca. 1.000 m² mehr als bisher) K&L Ruppert 1.800 m² (?) Alte H& M Gebäude 1.400 m² Fashion? Neu: Das Depot 600 m² Kunsthallenareal? m² So kommen beide Gutachten zum selben Schluss: Einer quantitativ sehr guten Ausstattung des Einzelhandels (GMA), Stadt und Handel schreibt auf Seite 47 ebenfalls, Singen ist hinsichtlich Einzelhandelsangebot und Vielfalt sehr gut ausgestattet! Fazit: Zusätzliche Flächen sind äußerst fraglich. Zukünftige Auswirkungen des E-Commerce / Online-Handels werden in beiden Gutachten nicht ausreichend berücksichtigt. Neueste Erkenntnisse (Prof. Gerrit Heinemann, Hochschule Niederrhein) zeigen: Vor allem in Klein- und Mittelzentren mit 30.000 bis 60.000 Einwohnern wird es gewaltige Verwerfungen geben, prognostiziert der Experte. Hier würden die Umsätze der Geschäfte bis 2023 durch den Boom des Onlinehandels voraussichtlich um rund 30 % schrumpfen! Natürlich gibt es verschiedene Prognosen, aber bis 2020 werden Online 20 25 % Einzelhandelsumsatz vorausgesagt! Beispiel: Zalando Umsatz 2013: 1,8 Milliarden Umsatzzunahme 2013: plus 50% = 600 Millionen Die Generation der so genannten digital natives, also der Menschen, die mit dem Smartphone aufwuchsen, erreicht erst in ein paar Jahren das beste Konsumalter! Stadt und Handel setzt das Wachstum des Online-Handels mit 0,5 % zu gering an: 4
Allein im letzten Jahr hat Online 3 Mrd. zugelegt (rund 10 %)! Das sind 0,7 % Wachstum vom Marktanteil! In jedem Fall ist mit weiterhin deutlichen Verschiebungen von stationär zu online zu rechnen. Für eine weitreichende Entscheidung wie ein Center, muss der potenzielle Online- Anteil unbedingt gebührend berücksichtigt werden. Städtebauliche Auswirkungen Ein Center hätte erhebliche städtebauliche Auswirkungen. Deshalb wurde von der Stadt das Ziel definiert, einen autarken Solitär zu vermeiden. Da Einkaufszentren prinzipiell ausschließlich auf den Center-Umsatz und nicht auf eine Ausstrahlung auf den übrigen Handel ausgerichtet sind, ist von folgendem auszugehen: Betriebsaufgaben... (Seite 70) Lagebeeinträchtigungen (Seite 72) / funktionierende schwächere Lagen werden kaputt gehen (Beispiel Scheffelstraße) Am stärksten würde vermutlich die Scheffelstraße von den Auswirkungen betroffen werden! Durch ihren jetzigen hohen Einzelhandelsbesatz wird es zu Trading-Down Effekten und Leerständen kommen. Ein dadurch entstehender negativer städtebaulicher Effekt ist unvermeidbar (Immobilenpreise, Verfall der Bausubstanz). Negative städtebauliche Langzeitauswirkungen / erdrückende Konzentration um den Holzer Bau wäre die Folge. Auswirkungen auf Karstadt sind lt. Gutachten im extremsten Fall die Betriebsaufgabe. Dann stünden neben einem Center 10.000 m² leer, die sicher nicht mehr vermietbar wären!!! Durch eine Ansiedlung eines Einkaufszentrums würden mögliche Potenziale quantitativen und qualitativen Wachstums in der Stadt verbraucht. Auch aus städtebaulicher Sicht birgt eine Ansiedlung eines Centers erhebliche Risiken. Fazit Das Gutachten von Stadt und Handel spricht nicht ein einziges Mal von Flächenbedarf, sondern von eingeschränkten Möglichkeiten und dies nur unter Einhaltung bestimmter Prämissen. In zwei von drei dargestellten Szenarien sieht das Gutachten deutliche Unsicherheiten und selbst das aus Sicht der ECE optimistischste Szenario 2 (Kaufkraftzuflüsse aus CH) ist mit deutlichen Fragezeichen und Unsicherheiten (S. 58) versehen. 5
Szenario 2 wäre das einzige, mit dem sich eine Centeransiedlung halbwegs rechtfertigen ließe. Da es sich aber fast nur auf Kaufkraftzuflüsse aus der Schweiz stützt, ist dies als unzureichend einzustufen. Auch was den Besatz eines eventuellen Centers angeht, sind große Unsicherheiten zu sehen: Denn sowohl Lebensmittel als auch Elektronikmärkte sind als Ankermieter äußerst fraglich! (Elektromärkte sind in Singen ausreichend vorhanden, Lebensmittel sollen im Kunsthallenareal größer angesiedelt werden.) Das Fazit der Studie ist eindeutig (Seite 70 ff.) Trotz der eher niedrig angesetzten Flächenproduktivitäten wird klar, dass die städtebaulichen Auswirkungen eines Einkaufszentrums beträchtlich wären. Auf Seite 89 kommt die Studie zum Schluss: Aufgrund der zu erwartenden absatzwirtschaftlichen wie städtebaulichen Auswirkungen eines entsprechenden Einkaufszentrums mit rund 16.000 m² Verkaufsfläche kann ein solches für die Entwicklung des Standortes Holzer-Bau aus fachgutachterlicher Sicht nur eingeschränkt und unter Prämissen empfohlen werden. Unter den genannten Prämissen (Unsicherheiten bei Schweizer Kaufkraft, E- Commerce, etc.) und der oben dargestellten Auswirkungen wäre es aus Sicht des Handels leichtfertig, den Bau eines Einkaufszentrums zu befürworten! Eine Entscheidung Pro-Center, die sich auf derart viele Unsicherheiten und vage Prognosen stützt, wäre angesichts der Tragweite und der zeitlichen Dimension nicht zu verantworten. Denn eine abwägende Entscheidung muss den Worst-Case (keine nennenswerte, zusätzliche CH-Kaufkraft, starkes Online-Wachstum, Karstadt, etc. etc.) in den Fokus rücken. Und schließlich wären auch die eingangs erwähnten gesamtstädtischen Ziele, die an eine eventuelle Überbauung des Holzer-Areals geknüpft wären, nämlich Vermeidung eines autarken Solitärs, Vermeidung von Konkurrenz zum bestehenden Einzelhandel sowie eine städtebaulich verträgliche und wirtschaftlich langfristig tragfähige Lösung mit dem Bau eines Einkaufszentrums nicht zu vereinbaren! Der Innenstadt-Einzelhandel steht für eine weiterhin positive Entwicklung der Stadt. Das Einkaufserlebnis mit Angebotsvielfalt und Ambiente muss erhalten und ausgebaut werden. Dies aber nicht ruinös und unter Vernichtung von bisherigen Strukturen in Singen. Der Handel spricht sich deshalb eindeutig gegen ein Einkaufszentrum aus. 6