Sozialräumliche Aspekte der Integration von Flüchtlingen. Flüchtlingsmigration Anforderungen an Stadt und Region 08. Juni 2016 I Kaiserslautern

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Transkript:

Sozialräumliche Aspekte der Integration von Flüchtlingen Flüchtlingsmigration Anforderungen an Stadt und Region 08. Juni 2016 I Kaiserslautern

Migration und Flucht Aufenthaltstitel Integration Arbeitsmarkt Wohnungsmarkt Gliederung Fallbeispiel Kaiserslautern: Gemeinschaftsunterkünfte Soziale Integration vor Ort Handlungserfordernisse für eine sozialräumliche Integration 2

Migration und Flucht Migration: Verlagerung des Lebensmittelpunktes in ein anderes Land, um Lebensaussichten zu verbessern Wechsel von einem Gesellschaftssystem in ein anderes Motive: Not, Armut, Bildung, Arbeit, Familie, Umwelt, Klima, Typen: Freiwillig oder unter Zwang, temporär oder dauerhaft, Einzelne, Gruppen-, Ketten- oder Massenmigration Flucht: Zwangsmigration, kann zu Asyl berechtigen Gründe: Politische Verfolgung, Folter, (Bürger-)Krieg, Terror, Todesstrafe, (sexuelle Orientierung), (Vergewaltigung), Epidemien, Hungersnot, Naturkatastrophen keine sinnvolle Alternative mehr vorhanden 3

Flüchtlinge nach Aufenthaltsrecht (2015: 630 Tsd.) laufendes Verfahren: Aufenthaltsgestattung Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz: Aufenthaltserlaubnis Abschiebung ausgesetzt: Duldung Bleibeberechtigte nach Härtefall Resettlement zur Ausreise Verpflichtete seit 2009 kontinuierlich steigende Zahlen an Asylanträgen: Hinweis darauf, dass viele bleiben Robert Bosch Stiftung 2016: Was wir über Flüchtlinge (nicht) wissen, S. 10. 4

Vier Dimensionen (nach Esser 1980, 2015) Kulturation: Wissen (Sprache, Normen) Platzierung: Rechte, ökonomisches Potential (Bildungssystem, Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt) Interaktion: kulturelles und soziales Kapital (Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben) (Identifikation) (Soziale) Integration Umstrittener Begriff: zielt auf Zuwandernde, weniger auf Aufnahmegesellschaft Gefordert, ihn zu vermeiden und neutralere Begriffe zu verwenden: Wechselseitige Anpassung, Vielfalt, Offenheit, Inter-, Multi-, Transkulturalität, Zweiheimischkeit, Vergesellschaftung (Yildiz 2016), (Super-)Diversität (Vertovec 2006) 5

Arbeitsmarkt Problem: Aufenthaltstitel Aufenthaltsgestattung (bis zum Abschluss des Asylverfahrens): nach 3 Monaten und Genehmigung von Ausländerbehörde und Arbeitsagentur (Arbeitsmarkt- und Vorrangprüfung), Beschäftigung möglich. Ausnahme: Praktika, Ausbildung Asylberechtigung: zunächst 3 Jahre, nach Prüfung Niederlassung Subsidiärer Schutz: 1 Jahr, dann 2 Jahre, nach 5 Jahren Niederlassung Abschiebeverbot: 1 Jahr, Arbeitserlaubnis nach Genehmigung der Ausländerbehörde Duldung: 3-6 Monate, häufig Kettenduldung: wie bei Aufenthaltsgestattung. Sehr großes Problem: Abwandern in Illegalität 6

Arbeitsmarkt Probleme: Unsicherheit über Dauer des Aufenthalts, (Fach-) Sprache, Qualifikation Passfähigkeit regionale und branchenspezifische Unterschiede, Weiterbildung, lokale Ökonomie, wirtschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten Entwertung von Qualifikationen und Kompetenzen Frustration, Resignation Erwerbstätigenquote von 3,5 % bei Empfängern von Leistungen nach AsylbLG (18-65 Jahre); 8 % im Zuzugsjahr, 50 % nach 5 Jahren (Robert Bosch Stiftung 2016: S. 17, aber alte Verhältnisse 2013) Bisher: Tätigkeiten mehrheitlich im Niedriglohnsektor (Segment der gering Qualifizierten insb. in Gastronomie) Diskriminierungserfahrungen, Frauen!, Minderjährige > 16 Jahre 7

Wohnungsmarkt Problem: Aufenthaltstitel Aufenthaltsgestattung: Gemeinschaftsunterkünfte, Erstaufnahmeeinrichtungen, Notunterkünfte Asylberechtigung, Flüchtling, Abschiebeverbot, Duldung: eigene Wohnung, sofern möglich und zugänglich Ende 2013: 50 % der Bezieher von AsylbLG in Gemeinschafts-, Massenunterkünften; heute höherer Anteil, aber: Einschränkungen durch AsylbLG fehlender günstiger Wohnraum Diskriminierung bei der Wohnungssuche 8

Fallbeispiel Kaiserslautern: Gemeinschaftsunterkünfte 9

Gemeinschaftsunterkünfte und soziale Teilhabe Bilder und Tabelle: Christine Guth 2016: Untersuchung der Integrationspotenziale von Flüchtlingen in Kaiserslautern unter besonderer Berücksichtigung planerischer Aspekte. Masterarbeit im Fachgebiet Stadtsoziologie. 10

Erfahrungen in Kaiserslautern Ansatz: Hauptsächlich Gemeinschaftsunterkünfte (583 Plätze) statt dezentrale Unterbringung (374 Plätze), keine Zelte oder Turnhallen (Stand 31.12.2015) Positiv: keine Überbelegung, Familien in abgeschlossenen Räumen, kultursensibel, etwa 200 ehrenamtliche Helfer, keine Übergriffe, Unterstützung nach anfänglicher Ablehnung in der Nachbarschaft, Bildungspaten, Fußball (einige), Bauprojekte, Nähkurse Negativ: nach Erstaufnahme wieder Leben im camp, langer Aufenthalt wg. langer Verfahren, Sprachkurse bei hoher Bleibewahrscheinlichkeit, andere nur ehrenamtliche Kurse, Bildungsintegration schwierig in Schulen (Personal, Konzentration auf eine Schule) Post: teilweise unsichtbar Erzhütte: keine Infrastruktur aber nachbarschaftliche Einbettung Asternweg: überforderte Nachbarschaft 11

Soziale Integration vor Ort (gesellschaftliche Teilhabe) Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben? Ein typischer Alltag: Essen, Schlafen, Freunde treffen, TV, Spazierengehen, Einkaufen, individueller Sport (kein Verein), Ausländerbehörde, Kartenspielen, Rauchen: verordnetes Rumhängen (Robert Bosch Stiftung 2016: S. 39) Kontakte über Gemeinschaftseinrichtungen, Nebeneinander statt Nachbarschaft, teilweise angespanntes Verhältnis Problem: Erscheinungsbild, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Wunsch nach normalem Leben, aber häufig Frustrationen (Wohnungsmarkt, Arbeitsmarkt, Diskriminierungserfahrungen, Kettenduldungen, Enttäuschungen) Folge: In ethnischen Enklaven einrichten mit ihren spezifischen Solidaritätsformen und sozialen Normen? Parallelgesellschaften 12

Handlungserfordernisse für eine sozialräumliche Integration Quartier, Dorf: zentrale Bedeutung von Kümmerern und Paten (für Wohnungswirtschaft, Eigentümer, Unternehmen, Bildung) Kommune: Bauland, Infrastruktur, Neubau, soziale Stadt Region: auf Grund- und Mittelzentren konzentrieren (SPNV), Landkreise: Stabsstellen bilden, Kommunikation Information Kooperation, Plattformen schaffen, Dialogangebote, Eigenorganisation stärken, Austausch, kulturelle Kompetenz ausbauen sehr hohe Investitionen tätigen: regionale Ausgleichspolitik in großem Maßstab, Infrastrukturen stärken, aus- und umbauen, koordiniertes Regionalmanagement Bund: BAMF: Wartezeiten verringern, (Ketten-)Duldung abschaffen, Finanzieller Ausgleich: kommunaler Finanzausgleich; Förderprogramme (Wirtschaft) gute Beispiele präsentieren, Leitbilder ergänzen, MORO: Integration in ländlichen/verdichteten Regionen; Forschung und Monitoring 13

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! annette.spellerberg@ru.uni-kl.de 14