7. Wohnungspolitisches Kolloquium Dortmund, 25.06.2014 Energetische Aspekte in KdU- Richtlinien Möglichkeiten und Grenzen Dr. Christian v. Malottki Institut Wohnen und Umwelt (IWU) 1
Das Institut Wohnen und Umwelt Forschungseinrichtung des Landes Hessen und der Stadt Darmstadt Ca. 45 Mitarbeiter Forschungsfelder Wohnen Energie Integrierte nachhaltige Entwicklung Forschungsprojekte in der Grundlagen- und anwendungsorientierten Forschung für Kommunen, Bundesländer, Bund, EU, Unternehmen, Verbände Ansicht des neuen IWU-Hauses, das mit Passivhaus-Komponenten saniert wurde 2
Agenda Kosten der Heizung und deren Wechselwirkungen mit den Unterkunftskosten Zusammenhang zwischen Mieten und Heizkosten bei energetischer Sanierung Gesetzgebung und Rechtsprechung zur Trennung von KdU und KdH: Problem sanierte Wohnungen Wie kann eine Heizkostengrenze empirisch bestimmt werden? Welche Möglichkeiten gibt es (auch bei Verwendung des bundesweiten Heizkostenspiegels) zur Berücksichtigung des geänderten Kostenprofils bei energetisch sanierten Wohnungen? 3
Zahlungen in pro m² Wohnfläche und Monat Energetische Sanierungen erhöhen die Kaltmiete 10 mit "wärmetechnsicher Beschaffenheit" im Mietspiegel Erhöhung nach $ 558 BGB (neue ortsübliche Vergleichsmiete) 9 8 Energetische Modernisierung 7 6 5 4 3 2 1 Heizkosten energiebedingte Mehreinnahmen Nettomiete Nettomiete+Heizkosten (ohne Energiesparmaßnahmen) ortsübliche Vergleichsmiete 0 Quelle: IWU 1999 2004 2009 2014 2019 2024 Jahre Nicht warmmietenneutral sind insbesondere vorgezogene Sanierungen (Vollkosten statt energiebedingte Mehrkosten)
Miete in /m² Energetische Sanierungen erhöhen die Kaltmiete 7,25 7 6,75 Spreizung der ortsüblichen Vergleichsmiete 6,5 6,25 6 1 2 3 4 5 Durchschnitt aller Wohnungen 2005 2009 Unsanierte Sanierte Wohnungen
Energetische Sanierungen erhöhen die Kaltmiete Quelle: Mietspiegel Darmstadt 2007, BBSR-Online-Publikation 4 / 2010
Rechtslage KdU und KdH Die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze für Unterkunftsund Heizkosten ( ) würde ( ) die Festlegung eines als abstrakt angemessen anzusehenden Heizkostenpreises ( ) erfordern. Es ist nicht erkennbar, wie ein solcher abstrakter Wert ( ) verlässlich ermittelt werden könnte. BSGE B 14 AS 33/08 R Bei einer Bestimmung [der als angemessen anerkannten Aufwendungen für die Heizung] kann eine Gesamtangemessenheitsgrenze [KDU+KDH] ( ) gebildet werden. 22b SGB II neu
Einflussfaktoren Heizkosten Individuelle Heizkosten Energieträger Energieverbrauch Energiepreis Energiebedarf Lage Whg. Heizverhalten Nutzer - Im Geb. Nachbarn verhalten Betriebs - führung Wetter des Jahres Klima des Standorts Energetische Qualität des Gebäudes Kubatur des Gebäudes Abstraktes Nutzerverhalten (im Richtwert) Konkretes Nutzerverhalten (nicht im Richtwert) 8
Rechtslage KdU und KdH Da gleichwohl auch hinsichtlich der Aufwendungen für Heizung unangemessen hohe Kosten vom Träger der Grundsicherung nicht gezahlt werden müssen, eine abstrakte Festlegung dieser "angemessenen Aufwendungen" aber nicht möglich erscheint, hat eine Prüfung der Heizkosten auf ihre Angemessenheit hin allein orientiert an den Verhältnissen des Einzelfalles zu erfolgen. Der Senat hat dabei ausgeführt, dass regelmäßig dann von unangemessen hohen Heizkosten auszugehen ist, wenn bestimmte ( ) Grenzwerte überschritten werden, die der Senat den von der co2online ggmbh ( ) erstellten ( ) "Kommunalen Heizspiegeln" bzw. dem "Bundesweiten Heizspiegel" entnimmt. BSGE B 14 AS 60/12 R 9
Bundesweiter (oder stadtspezifischer) Heizkostenspiegel Verbrauch Kosten
Rechtslage KdU und KdH Solange der jeweils örtlich zuständige Träger der Grundsicherung keine im dargestellten Sinne differenzierte Datenermittlung für den konkreten Vergleichsraum durchgeführt hat, ( ) ist die Heranziehung eines Grenzwertes aus Gründen der Praktikabilität geboten; dementsprechend ist die Rechtsprechung des BSG in der Folge vom Gesetzgeber nicht korrigiert worden. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass der hohe Grenzwert der energiepolitischen Zielsetzung eines Heizspiegels zuwiderläuft. Solche Zielsetzungen sind im Anwendungsbereich des SGB II aber nach den gesetzgeberischen Vorgaben unbeachtlich. BSGE B 14 AS 60/12 R 11
Perzentile bei Unterkunfts- und Heizkosten KdU: 20%-Perzentil der Quadratmetermieten von Mietwohnungen Kostensenkung = Verfügbarkeitsproblem Heizkostenspiegel: 90 % der Quadratmeterkosten aller Wohnungen Kostensenkung = Verhaltensproblem 12
Niedrige KdU: Angemessenheitsgrenzen: Das München-Urteil LSG Bayern (L 16 AS 127/10 und B 4 AS 77/12) 20%-Perzentil der ortsüblichen Vergleichsmieten (Mietspiegel) BSG: kann auf die Grenze 20 % zurückgegriffen werden. Dies entspricht einer Orientierung an den unteren 20 % der Einkommensbezieher. 20 % der Quadratmetermieten sind nicht (= deutlich weniger als ) 20 % der Einkommensbezieher Ortsübliche Vergleichsmiete ist nur eine verzögerte Marktmiete Nur Mieter, keine Eigentümer: 20 % der Mieter sind in München 14,8 % der Haushalte Im Regelbedarf werden die Transferleistungsempfänger ausgesondert Wohnungsgrößenklassen statt Haushaltsgrößenklassen / normative Elemente der Produkttheorie ( Wenig mal wenig ergibt sehr wenig ) Vgl. Malottki in infoalso 3 / 2014 13
Problem niedrige KdU-Grenze und hohe KdH-Grenze Umweltpolitisch: Verhinderung energetischer Sanierungen Stadtentwicklungspolitisch: fuel poverty und energetische Segregation Fiskalpolitisch: Kostenrisiko im Falle von Energiepreissteigerungen Kein Anreiz an die Nutzer zum energiesparenden Heizen
Fehlanreize bei der Übernahme tatsächlicher Kosten bis zur Angemessenheitsgrenze Fehlanreiz Sanierungshemmnis Fehlanreiz tatsächliche KdH-Übernahme KDU KDH Der Sparsame Der Wärmeliebende Altbaubewohner Der Gedämmte Der Überteuerte 330 57 15
Lösung 1: Ausdifferenzierung der KdH Energetisch gute Gebäude schlechte Gebäude mittlere Gebäude 16
Einflussfaktoren Heizkosten Individuelle Heizkosten Energieträger Energieverbrauch Energiepreis Energiebedarf des Geb. Lage Whg. Heizverhalten Nutzer - Im Geb. Nachbarn verhalten Betriebs - führung Wetter des Jahres Klima des Standorts Energetische Qualität des Gebäudes Kubatur des Gebäudes Abstraktes Nutzerverhalten (im Richtwert) Konkretes Nutzerverhalten (nicht im Richtwert) 17
Beurteilung energetischer Qualität: Bauphysik 1. Nachweismöglichkeit: Energieausweis Primärenergiekennwert 227,5 kwh/(m²a) 18
Beurteilung energetischer Qualität: Bauphysik 2. Nachweismöglichkeit: Energiepunktesystem Vereinfachte Bewertung bei Bauteilen mit nachträglicher Dämmung der gesamten Fläche Dämmstoffdicke bei Bauteilen ohne nachträgliche Dämmung der gesamten Fläche Baualterstypischer Standard Außenwand Dach bzw. oberste Geschossdecke Kellerdecke bzw. Kellerfußboden unter 2 cm 0 Punkte b is 1978 0 Punkte 2 bis 5 cm 4 Punkte 1979 bis 1994 4 Punkte von 6 bis 12 cm 6 Punkte oder ab 1995 6 Punkte von 13 bis 20 cm 7 Punkte über 20 cm 8 Punkte unter 6 cm 0 Punkte b is 1978 0 Punkte von 6 bis 12 cm 2 Punkte 1979 bis 1994 2 Punkte oder von 13 cm bis 25 3 Punkte ab 1995 3 Punkte über 25 cm 4 Punkte unter 1 cm 0 Punkte b is 1978 0 Punkte 1 bis 3 cm 1 Punkt 1979 bis 1983 1 Punkt oder 4 bis 20 cm 2 Punkte ab 1984 2 Punkte üb er 20 cm 3 Punkte Quelle: Mietspiegel Tübingen, BBSR-Online-Publikation 4 / 2010 19
Beurteilung energetischer Qualität: Bauphysik 3. Nachweismöglichkeit: Gebäudetypologien 20
Beurteilung energetischer Qualität: Bauphysik Überleitung in Verbräuche: Heilbronner Heizkostenrechner 21
Beurteilung energetischer Qualität: Statistik Regressionsanalyse der Einflussfaktoren Schritt 1: Berechnung durchschnittlicher Heizkosten Beispiel Schritt 1A: Basiskosten in pro Whg. und Monat nach Baualter und Wohnfläche Baualter Gebäude Wohnfläche bis 1918 1919-1957 1958-1968 ab 1969 45 m² 49,45 54,49 50,98 46,21 60 m² 59,93 66,65 61,97 55,61 72 m² 68,32 76,38 70,77 63,13 84 m² 76,71 86,11 79,56 70,66 72 m² 96 m² 85,09 95,85 88,36 78,18 Baualter 12 m² zus. 8,39 9,73 8,80 7,52 1960 Schritt 1B: Personenzuschläge pro Wohnung und Monat Anzahl der Personen 1 2 3 4 5 6 Haushaltsvorstand unter 30 Jahre Haushaltsvorstand 31-50 Jahre Haushaltsvorstand über 51Jahre Schritt 1A: Ihr Wert: 70,77 6,45 12,90 19,34 25,79 plus 3 Personen 32,24 38,69 Schritt 1B: Ihr Wert: 19,34 Schritt 1C: Alterszu- / -abschläge pro Wohnung und Monat -2,43 plus / Haushalts- 0,00 minus vorstand 2,52 45 Jahre Schritt 1C: Ihr Wert: 0,00 Quelle: Schritt 1D: Berechnungen Zu- / Abschläge für die den Heizungsart Kreis Offenbach pro m² und Monat 22
Verbrauchskennwert Heizung [kwh/(m²a)] Bedarf vs. Verbrauch / Bauphysik vs. Statistik Verbrauch: Gemessener Wert (Heizkostenspiegel) Bedarf: Bauphysikalisch berechnete Werte (Heibronner Heizkostenrechner) Rebound-Effekt: Sinkt der Bedarf, so sinkt der Verbrauch nur in geringerem Maße (der Nutzer erhöht sein Konsumniveau) Heteroskedastizität: Je schlechter das Gebäude, desto höher die Streuung 500 450 400 350 300 250 200 150 100 alle Gebäudegrößen Erdgas n=1178 50 y = 0,5764x R 2 = 0,105 0 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 Bedarfskennwert Heizung [kwh/(m²a)] 23
Welches Perzentil ist bei KdH angemessen? Regelbedarf: 20% (bei gleichen / bekannten Rahmenbedingungen Heilbronner Heizkostenrechner: 50 % (bei teilweise gleichen / bekannten Rahmenbedingungen in der jew. Gruppe) Heizkostenspiegel / BSG: 90 % (bei ungleichen / unbekannten Rahmenbedingungen) 24
Fazit Lösung 1: Ausdifferenzierung der KdH-Grenze Fazit: Setzt Energiesparanreiz (insbesondere, wenn die individuelle Grenze auch noch als Pauschale gezahlt wird) Aber: Kein Sanierungsanreiz Forschungsaufgaben: Detailliertere Modellierung des Zusammenhangs Gebäudequalität Energieverbrauch Kopplung mit energetischen Mietspiegeln 25
Einzelfalllösung über die Wirtschaftlichkeitsprüfung Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. 22 (1) S. 4 SGB II Wirtschaftlichkeit = bruttowarm (S. Knickrehm) 26
Lösung 2: Umschichtungssysteme KDH = 90 %-Perzentil (Worst Case für schlechte Gebäude) Undifferenzierte KDU / KDH K D H Zuschlag zur angemessenen Kaltmiete Differenzierte KDU / KDH Umlage (Zuschlag zu den KDU und Abschlag zu den KDH Bestimmung nach Kosten oder empirischen Mieten) K D U Alle Gebäude Schlechtes Gutes Gebäude 27
Lösung 2: Umschichtungssysteme Warmmietengrenze KDU+KDH Fehlanreiz Der Sparsame Der Wärmeliebende Altbaubewohner Der Gedämmte Neu angemessene Kosten Der Überteuerte 333 Gutachten Die Berücksichtigung der energetischen Gebäudequalität bei der Festlegung von Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch http://www.iwu.de/fileadmin/user_upload/dateien/wohnen/2012/120727_gutachten_dresden_energie_ver%c3%b6ffentlichung.pdf 28
Lösung 2: Umschichtungssysteme Einzelfalllösung: Wenn KdU unangemessen, dann Prüfung der Gesamtangemessenheitsgrenze KDU+KDH KDU Der Sparsame Der Wärmeliebende Altbaubewohner Der Gedämmte Addition der beiden Überschreitungen Der Überteuerte 276 333 bzw. 57 29
Operationalisierung Dem Grundsicherungsträger in Wilhelmshaven sei deshalb empfohlen, im Fall hoher Unterkunftskosten und niedriger Heizkosten (aber nicht andersherum) die Bruttowarmmiete als Summe aus dem Wert dieses Gutachtens und des bundesweiten Heizspiegels zur Anwendung zu bringen. IWU-Gutachten für Wilhelmshaven 2013 30
Lösung 2: Umschichtungssysteme Warmmietengrenze und Heizkostengrenze KDU+KDH KDH Der Sparsame Der Wärmeliebende Altbaubewohner Der Gedämmte Der Überteuerte Höhere der beiden Überschreitungen = Abzug von den tatsächlichen Gesamtkosten 276 bzw. 0 333 bzw. 57 31
Lösung 2: Umschichtungssysteme Übertragungsmöglichkeit auf Antrag mit Nachweis (Modell Bielefeld, Stadt Offenbach) KDU KDH Der Sparsame Der Wärmeliebende Altbaubewohner Der Gedämmte Der Überteuerte Übertrag Neu angemessene Kosten 276 57 32
Lösung 2: Umschichtungssysteme KDU-Angemessenheitsgrenze und KDH-Pauschale Der Sparsame KDU KDH Überschuss aus Pauschale Der Wärmeliebende Altbaubewohner Der Gedämmte Ausgleich Der Überteuerte 276 57 33
Zusatzkosten für Grundsicherungsträger? KDH = 90 %-Perzentil (Worst Case für schlechte Gebäude) Undifferenzierte KDU / KDH K D H K D U Spreizung der angemessenen Kaltmiete unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit Differenzierte KDU / KDH Absenkung gegenüber Abb. 2 Umlage (Zuschlag zu den KDU und Abschlag zu den KDH Bestimmung nach Kosten oder empirischen Mieten) Alle Gebäude Schlechtes Gutes Gebäude Steigernd: Der Gedämmte wird nun nicht mehr gekürzt. Senkend: Maßstab für die KdU-Grenze ist die unsanierte Wohnung. 34
Lösung 2: Umschichtungssysteme Fazit: Setzt alle Anreize Aber: nur solange die Sanierung warmmietenneutral ist Forschungsaufgabe: Zusammenhang zwischen einfachem Segment, Verfügbarkeit und Umlagekonzept evaluieren (erfordert Neuvertragsmietenbefragung mit energetischen Merkmalen) 35
Modellprojekt Rems-Murr-Kreis Ziel: Lokale Miet- und Energieerhebung Laufzeit: 12 / 2013 12 / 2014 Fragestellungen: Zusammenhang zwischen Miete und energetischer Qualität Energetischer Gebäudestandard im niedrigpreisigen Wohnungsmarktsegment Zusammenhang zwischen Energiebedarf und Energieverbrauch / KdH Wirkungen eines Klima-Bonus auf die Verfügbarkeit angemessener Wohnungen Kostenabschätzung für die Kommune 36
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Dr. Christian v. Malottki Institut Wohnen und Umwelt, Darmstadt c.v.malottki@iwu.de 37