Vorlesung: Pädagogische Anthropologie und pädagogische Zielfragen Pädagogische Zielfragen I

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Transkript:

Vorlesung: Pädagogische Anthropologie und pädagogische Zielfragen Pädagogische Zielfragen I Herzlich Willkommen! Annette Scheunpflug Universität Erlangen-Nürnberg Damit sind wir am Ende des Überblicks über die anthropologischen Grundlagen des Lernens angekommen. Pädagogisches Handeln lässt sich durch die biologischen Grundlagen des Lernens nicht bestimmen: In den nächsten Sitzungen stehen pädagogische Zielfragen im Mittelpunkt. Überblick 1 Zum Zusammenhang pädagogischen Handelns und pädagogischer Zielfragen 2 Logische Probleme im Umgang mit pädagogischen Zielfragen 3 Legitimationsverfahren pädagogischer Zielfragen 1

Überblick 1 Zum Zusammenhang pädagogischen Handelns und pädagogischer Zielfragen 2 Logische Probleme im Umgang mit pädagogischen Zielfragen 3 Legitimationsverfahren pädagogischer Zielfragen Anthropologische Grundlagen des Lernens: Wie lernen Schülerinnen und Schüler? Wie verhalten sich Schülerinnen und Schüler? [Keine individuellen Antworten, aber Wahrscheinlichkeiten] Pädagogische Zielfragen: Was sollen Schülerinnen und Schüler lernen? Wozu soll erzogen werden? Zusammenhang zwischen pädagogischem Handeln und pädagogischen Zielfragen: Pädagogisches Handeln ist immer intentional (beabsichtigt). Es muss die Lernmöglichkeiten von Menschen berücksichtigen. Es sollte gleichermaßen die Zielvorstellung begründet werden können. 2

Überblick 1 Zum Zusammenhang pädagogischen Handelns und pädagogischer Zielfragen 2 Logische Probleme im Umgang mit pädagogischen Zielfragen - naturalistischer Fehlschluss - Begründungsprobleme 3 Legitimationsverfahren pädagogischer Zielfragen Vermeidung des naturalistischen Fehlschluss! Aus Seins-Aussagen lassen sich keine Sollens- Vorschriften ableiten. Der naturalistischer Fehlschluss! Im Alltag leiten wir häufig aus Seins-Aussagen Sollens-Vorschriften ab: Es regnet! Nimm einen Regenschirm mit! Seins-Aussage Sollens-Vorschrift Hier fehlt die normative Prämisse. Sie wird umgangssprachlich weggelassen: Ich möchte nicht nass werden! 3

Sein-Normative Prämisse-Sollensaussagen Aus empirischen Tatsachen, wie sie beispielsweise in der naturwissenschaftlichen Anthropologie beschrieben werden, können Sollensaussagen nur durch eine zwischengeschaltete normative Prämisse abgeleitet werden. Beispiel 1: Jungen verhalten sich im Unterricht auffälliger als Mädchen. (Seins-Aussage) In unserer Gesellschaft haben Jungen und Mädchen die gleichen Rechte und die gleiche Würde. (Normative Prämisse) Jungen sollen im Unterricht alternative Verhaltensweisen kennenlernen. (Sollens-Aussage) Beispiel 2: Behinderte Kinder erhalten im statistischen Durchschnitt weniger Aufmerksamkeit als nicht behinderte. (Seins-Aussage). In unserer Gesellschaft haben Behinderte und Nicht-Behinderte die gleiche Menschenwürde und gleiche Rechte. (Normative Prämisse) Auf den Umgang mit behinderten Kindern ist besonderer Wert zu legen. (Solllens-Aussage). 4

2.2 Probleme der Begründung: Infiniter Regress... bezeichnet die Notwendigkeit, in der Begründung von Zielperspektiven immer weiter zurückgehen zu müssen. Beispiel für einen infiniten Regress: Zurückführung von Lernzielen... auf obere Bildungsziele,... auf Verfassungsziele,... auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 2.2 Probleme der Begründung: a) Logischer Zirkel der Deduktion... bezeichnet das Problem, im Begründungsverfahren auf Aussagen zurückgreifen zu müssen, die bereits als begründungsbedürftig identifiziert sind. 5

Beispiel Logischer Zirkel der Deduktion Zurückführung von Lernzielen im Fach Englisch auf die Notwendigkeit Englisch zu lernen, ein Lernziel, das selber begründungsbedürftig ist. 2.2 Probleme der Begründung: b) Abbruch des Verfahrens... an einem bestimmten Punkt, der nicht mehr begründungsbedürftig erscheint. Beispiel Abbruch des Verfahrens: Begründung von Bildungsaufgaben mit den obersten Bildungszielen der Bayerischen Verfassung. Diese Ziele sind durch Verfahren legitimiert (und nicht durch eine Begründung) und können damit einen Abbruch der Begründung ermöglichen. 6

Überblick 1 Zum Zusammenhang pädagogischen Handelns und pädagogischer Zielfragen 2 Logische Probleme im Umgang mit pädagogischen Zielfragen 3 Legitimationsverfahren pädagogischer Zielfragen Normative Legitimation Verfahrenslegitimation Diskursive Legitimation Normative Legitimation Oberste Werte und Grundüberzeugungen werden vorangestellt und auf diese bezogen eine Legitimation pädagogischer Handlungsweisen vorgenommen. Normative Legitimation - Beispiel Der aus einem evangelischen Glauben begründete Bildungsauftrag, wie er beispielsweise in der Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zur PISA-Studie beschrieben wurde. Maße des Menschlichen Evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft. Eine Denkschrift 2003 7

Verfahrenslegitimation Rückgriff auf formale, mehrheitlich anerkannte Entscheidungsverfahren (z.b. durch Parlamente). Verfahrenslegitimation - Beispiel Oberste Bildungsziele, wie sie durch die Verfassung beschrieben sind: Diese sind durch ein demokratisches Verfahren (verfassungsgebende Versammlung) politisch legitimiert. Verfahrenslegitimation - Beispiel Theorie: Saul B. Robinsohn: Verfahren zur Legitimation von Curricula Praxis: Lehrpläne werden als Gesetz oder Verordnung erlassen. 8

Diskursive Legitimation Die Gültigkeit von Normen entsteht hier durch kommunikative Rationalität. Diskursive Legitimation - Beispiel Ein Kollegium einigt sich in einer Diskussion auf gemeinsame Leitlinien der Arbeit. Eine Klasse entscheidet sich für gemeinsame Klassenregeln. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 9