12 RECHT UND POLITIK Wahrung der Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht Es vergeht kaum eine Woche, in der wir in den Medien nicht Åber einen spektakulåren Prozess vor Gericht informiert werden. Ein jångstes Beispiel dafår ist der Prozess des bekannten Wettermoderators JÇrg Kachelmann, der wegen Vergewaltigung seiner Ex-Freundin angeklagt war, vor dem Landgericht Mannheim. Der nachfolgende Text soll aufzeigen, welche MÇglichkeiten es gibt, in Fachgerichten Prozesse zu fåhren, und welche Aufgaben das Bundesverfassungsgericht wahrnimmt, wie es aufgebaut ist und mit welchen Sachverhalten es sich beispielsweise zu befassen hatte. Von Dipl.-Hld. Werner Hau, Studiendirektor, Mainz I. Die Fachgerichtsbarkeiten Jeder Einzelne kann einmal in eine unangenehme Lebenslage geraten, die es notwendig macht, durch ein Gericht eine Entscheidung herbeifåhren zu lassen. Dabei ist es erforderlich zu wissen, welches Gericht im Hinblick auf eine bestimmte Angelegenheit in Anspruch genommen werden soll. Beispiele 1. Der Arbeitnehmer Jens Schön möchte nicht akzeptieren, dass ihm die Arbeitgeberin Randy Crawford kündigt mit der Begründung, er sei zu häufig krank. 2. Romina Power möchte prozessieren, weil sie davon überzeugt ist, dass ihr ein höherer Beitrag an Elterngeld zusteht. 3. Die Eltern des Schülers Bruno Fernandez beschweren sich beim Bildungsministerium, weil sich ein Lehrer im Konflikt mit ihrem Sohn befindet. 4. Erna Brickell verklagt Jutta Habnichts, da diese ihr seit 14 Monaten noch 1.500 T schuldet, sich also in Zahlungsverzug befindet. 5. Jasmin Eigenbrot möchte vor Gericht Klage erheben, um eine Bestätigung dafür zu bekommen, dass sie bestimmte Werbungskosten im Rahmen der Berechnung des Einkommens, das zu versteuern ist, geltend machen kann. Sie haben nun fånf Fålle gelesen, bei denen deutlich wird, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung erfolgen wird oder kann. In jedem dieser Fålle ist ein anderes Gericht anzusprechen. Folglich werden in der Gerichtsbarkeit unterschiedliche Fachgerichte tåtig. Eine Ûbersicht Åber die Fachgerichte sehen Sie im Folgenden:
13 Fall Sachverhalt Gericht Gerichtsbarkeit 1. Kündigung eines Arbeitsverhältnisses Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsbarkeit 2. Einforderung von Elterngeld Sozialgericht Sozialgerichtsbarkeit 3. Streit mit der Schulverwaltung Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtsbarkeit 4. Zahlungsverzug Amtsgericht Ordentliche Gerichtsbarkeit 5. Auseinandersetzung mit dem Finanzamt Finanzgericht Finanzgerichtsbarkeit Personen, die einen Prozess anstreben, werden am Ende manchmal mit einem Urteil zu ihren Ungunsten konfrontiert, das sie nicht erwartet haben. In diesem Fall besteht die MÇglichkeit, in der nåchsten Instanz ein Rechtsmittel einzulegen, um auf diesem Wege zum erhofften Recht zu kommen. Das Rechtsmittel in der zweiten Instanz ist z. B. in der Ordentlichen Gerichtsbarkeit vor dem Landgericht die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil vor dem Amtsgericht. Wird ein weiteres Rechtsmittel in der dritten und letzten Instanz eingelegt, so handelt es sich vor dem Bundesgerichtshof um eine Revision gegen ein Urteil in zweiter Instanz. Der Bundesgerichtshof ist gemåß Grundgesetz ein sog. Oberster Gerichtshof und damit ein hçchstinstanzliches Rechtsmittelgericht. In folgender Ûbersicht sind alle im Grundgesetz genannten obersten GerichtshÇfe aufgelistet. Rechtsgrundlage: Grundgesetz Art. 95 Oberste Gerichtshöfe Sitz in Internet-Adresse 1. Bundesgerichtshof Karlsruhe www.bundesgerichtshof.de 2. Bundessozialgericht Kassel www.bundesozialgericht.de 3. Bundesverwaltungsgericht Leipzig www.bverwg.de 4. Bundesfinanzhof München www.bundesfinanzhof.de 5. Bundesarbeitsgericht Erfurt www.bundesarbeitsgericht.de Zusammenfassend kann man feststellen: Prozesse werden je nach Zuståndigkeit in der jeweiligen Gerichtsbarkeit vor einem Fachgericht gefåhrt. Gegen die Entscheidungen von Gerichten (wie Urteile oder BeschlÅsse) kçnnen Rechtsmittel eingelegt werden. Als letzte MÇglichkeit in Deutschland ist es in der jeweiligen Gerichtsbarkeit mçglich, ein Rechtsmittel beim zuståndigen Obersten Gerichtshof gegen das Urteil der Vorinstanz einzulegen. II. An Beispielen ist nun dargestellt worden, welche MÇglichkeiten es gibt, in Fachgerichten Prozesse zu fåhren bis hin zu den obersten GerichtshÇfen. Oftmals wird das Bundesverfassungsgericht nach einer verçffentlichten Entscheidung beispielsweise mit dem Bundesgerichtshof, einem Obersten Gerichtshof, verwechselt. Beide Gerichte haben die Gemeinsamkeit, dass sich ihr Sitz in Karlsruhe befindet. Wenn das Bundesverfassungsgericht tåtig wird, so hat es die Aufgabe zu ÅberprÅfen, ob es sich um einen Verstoß gegen ein im Grundgesetz enthaltenes Grundrecht handelt. Eine Ûbersicht Åber ausgewåhlte Grundrechte finden Sie auf der folgenden Seite.
14 RECHT UND POLITIK Ausgewählte Grundrechte Artikel Nr. Text im Grundgesetz 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar... 2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.... 3 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. 4 (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. 5 (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. (2)... 6 (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2)... III. Aufbau des Bundesverfassungsgerichts Wer sich die Frage stellt, wie das Bundesverfassungsgericht aufgebaut ist, der sollte das Gesetz Åber das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz, BVerfGG) zur Hand nehmen. Hier wird man in Erfahrung bringen, dass es sich bei diesem Gericht um einen allen Åbrigen Verfassungsorganen gegen- Åber selbstståndigen und unabhångigen Gerichtshof des Bundes handelt. Zu den Verfassungsorganen zåhlen u. a. der Bundestag und der Bundesrat. Wer sich das Bundesverfassungsgericht einmal nåher vor Ort anschauen mçchte, der muss zu seinem Sitz nach Karlsruhe fahren. Es erscheint sinnvoll, sich zuvor beim Besucherdienst zu informieren. Dies geht auch per Mail: besucherdienst@bundesverfassungsgericht.de. besteht aus zwei Senaten mit insgesamt 16 Richtern. Bundesverfassungsgericht 2BVerfGG Senat I 8 Richter Kammern je 3 Richter Senat II 8 Richter Kammern je 3 Richter Richter am Bundesverfassungsgericht måssen die Befåhigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt und zudem das 40. Lebensjahr vollendet haben. Die Richter jedes Senats werden je zur Hålfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewåhlt. wird von einem Pråsidenten (Mann oder Frau) geleitet. Ist dieser abwesend, so wird er vom Vizepråsidenten vertreten. Bundestag und Bundesrat wåhlen im Wechsel den Pråsidenten des Bundesverfassungsgerichts und den Vizepråsidenten. Der Vizepråsident ist aus dem Senat zu wåhlen, dem der Pråsident nicht angehçrt. Der Bundespråsident ernennt die Gewåhlten. Die Amtszeit der Richter betrågt zwçlf Jahre, långstens bis zur Altersgrenze. Die Altersgrenze ist das Ende des Monats, in dem der Richter das 68. Lebensjahr vollendet. In den beiden Senaten gibt es mehrere Kammern mit jeweils drei Mitgliedern. Die Kammern befinden vor allem daråber, ob eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen wird. Die Kammer ist allerdings auch befugt, einer Verfassungsbeschwerde stattzugeben, falls die verfassungsrechtliche Frage schon durch das Bundesverfassungsgericht entschieden wurde und die Klage offensichtlich begråndet ist ( 93b BVerfGG). Sofern ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung des anderen Senates abweichen will, wird das Plenum um eine Entscheidung gebeten. Es besteht aus allen 16 Richtern der beiden Senate. Beschlussfåhig ist es, wenn von
15 jedem Senat 2 /3 der Richter anwesend sind ( 16 BVerfGG). IV. Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts Nachdem einigermaßen Klarheit Åber den Aufbau des Bundesverfassungsgerichts besteht, stellt sich die Frage, welche Aufgaben das Gericht konkret zu erfållen hat aus der Statistik ergibt sich zumindest, dass sich in den letzten Jahren die Anzahl der Verfahrenseingånge beim Bundesverfassungsgericht von Jahr zu Jahr stets erhçht hat. wird nicht durch Erhebung einer Klage, sondern nur auf Antrag tåtig. Ein Katalog von Verfahrensarten schreibt vor, wann das Gericht angerufen werden kann. Die Einzelheiten sind im Grundgesetz und im Gesetz Åber das Bundesverfassungsgericht geregelt. Die wichtigsten Verfahren sind folgende Verfassungsstreit Normenkontrollverfahren Verfassungsbeschwerde 1. Verfassungsstreit Mit einem Verfassungsstreit ist das Bundesverfassungsgericht nicht allzu håufig beschåftigt. Grundsåtzlich kann es aber dann angerufen werden, wenn beispielsweise zwischen Bund und Låndern Meinungsverschiedenheiten Åber die gegenseitigen verfassungsmåßigen Rechte und Pflichten bestehen. Gegenstand eines sog. Organstreits kçnnen beispielsweise Fragen des Parteien-, Wahl- oder Parlamentsrechts sein. Im Bund-Lånder-Streit geht es håufig um Kompetenzprobleme, also um die Frage, ob ein Bundesland zuståndig ist oder der Bund. Ein Beispiel dafår ist das in Parteien diskutierte Problem, ob der Bundesrat, also die Låndervertretung, eingeschaltet werden muss, wenn es um die Abschaltung der Kernkraftwerke geht. Ferner ist das Gericht u. a. auch får WahlprÅfungsbeschwerden und Parteiverbote zuståndig. 2. Normenkontrollverfahren Im Falle eines Normenkontrollverfahrens handelt sich um eine Verfahrensart, bei der zu ÅberprÅfen ist, ob ein Gesetz oder z. B. auch ein Verwaltungsakt rechtmåßig ist. An konkreten Beispielen låsst sich verdeutlichen, welcher rechtliche Sachverhalt sich hinter diesem Begriff verbirgt. Im Jahr 1999 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Hennenhaltungsverordnung aus dem Jahr 1987 deshalb nichtig ist, weil die in dieser Rechtsgrundlage angegebene Flåche får Hennen in der Kåfighaltung nicht vereinbar ist mit den Anforderungen der Rechtsnormen, die das Tierschutzgesetz beinhaltet 1. Es kann zu einem Normenkontrollverfahren kommen, wenn beispielweise das Bundesland Rheinland-Pfalz einen sog. Normenkontrollantrag stellt, um ÅberprÅfen zu lassen, ob eine Rechtsnorm (ein Paragraf) in einem Gesetz gegen das Grundgesetz verstçßt. Eine Person kann sich aber auch gegen einen sog. Verwaltungsakt einer BehÇrde wehren. Nehmen wir an, Sie melden bei der zuståndigen BehÇrde einer Stadt eine Demonstration an. Diese wird aber verboten. Dann haben Sie die MÇglichkeit, vor dem Bundesverfassungsgericht einen Normenkontrollantrag stellen. Damit wollen Sie erreichen, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens ÅberprÅft, ob damit das Recht auf Versammlungsfreiheit gemåß Artikel 8 Grundgesetz eingeschrånkt wurde. 3. Verfassungsbeschwerde In jångster Zeit kam es beispielsweise zu einer Verfassungsbeschwerde durch den Vater eines nichtehelichen Kindes. Es ging dabei um die Frage, ob es verfassungsgemåß ist, dass der Vater eines nichtehelichen Kindes nur dann die elterliche Sorge får das Kind mit der ansonsten allein sorgeberechtigten Mutter gemeinsam tragen kann, wenn er und die Mutter des Kindes entsprechende Sorgeerklårungen abgeben oder einander heiraten ( 1626a BGB). kam zu folgendem Beschluss: Der Ausschluss des Vaters eines nichtehelichen Kindes von der elterlichen Sorge bei Zustimmungsver- 1 Vgl. Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht Nr. 111/2010 vom 2. Dezember 2010 zum Beschluss vom 12. Oktober 2010:,,Legehennenhaltung verfassungswidrig.
16 RECHT UND POLITIK Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte mit 7 : 1 Stimmen entschieden, dass die angegriffenen zivilgerichtlichen Entscheidungen die BeschwerdefÅhrerin in ihren Grundrechten der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzen, und hat diese daher aufgehoben. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Frankfurt am Main zuråckverwiesen. weigerung der Mutter ist verfassungswidrig 2 3. Zu diesem Sachverhalt hat das Bundesverfassungsgericht oben stehenden Leitsatz verfasst. V. Konkreter Fall einer Verfassungsbeschwerde Mit der Ûberschrift Versammlungsfreiheit gilt auch im Frankfurter Flughafen hat die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts im Februar Åber ein Urteil vom 22. Januar 2011 informiert 3. In dem Verfahren ging es darum, dass die BeschwerdefÅhrerin als Mitglied einer Initiative gegen Abschiebungen von Auslåndern sich gegen die Abschiebung unter Mitwirkung privater Fluggesellschaften wendet. Sie hatte im Mårz 2003 an einem Abfertigungsschalter Flugblåtter verteilt, die sich gegen eine Abschiebung richteten. Die Fraport AG erteilte ihr daraufhin ein Flughafenverbot mit dem Hinweis, dass gegen sie ein Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs erstattet werde, sobald sie erneut unberechtigt auf dem Flughafen angetroffen werde. Mit einem erlåuternden Schreiben wies die Fraport AG die BeschwerdefÅhrerin unter Bezugnahme auf ihre Flughafenbenutzungsordnung darauf hin, dass Sammlungen, Werbungen sowie das Verteilen von Flugblåttern ihrer Einwilligung bedårfen und dass sie nicht abgestimmte Demonstrationen im Terminal aus GrÅnden des reibungslosen Betriebsablaufes und der Sicherheit grundsåtzlich nicht dulde. Die BeschwerdefÅhrerin klagte auf Feststellung, dass das erteilte Demonstrations- und Meinungskundgabeverbot får das Gelånde des Flughafens Frankfurt rechtswidrig sei. Die von der BeschwerdefÅhrerin vor den Zivilgerichten gegen die Fraport AG erhobene Klage, blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rågte die BeschwerdefÅhrerin unter anderem eine Verletzung ihrer Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit durch die angegriffenen zivilgerichtlichen Entscheidungen. Hinweis In der kommenden Ausgabe von,,die Reno finden Sie ein Interview mit Prof. Dr. Dr. Hans-Joachim Jentsch, einem ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht, der Fragen zu seiner Person und auch zu den Vorgängen am Bundesverfassungsgericht beantwortet. 2 21. Juli 2010 1 BvR 420/09 3 Vgl. Bundesverfassungsgericht Pressemitteilung Nr. 18/2011 vom 22. Februar 2011, Urteil vom 22. Januar 2011; 1 BvR 699/06