Ursachen jugendlicher Gewaltbereitschaft

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Transkript:

Martin Karolczak Diplom-Pädagoge wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Hamburg Bargteheide, 05. Oktober 2010

Fehlerquellen bei der Bestimmung von Jugendgewalt: Konjunkturthema Jugendgewalt Medienberichterstattung Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS): TV-Statistik, Abhängigkeit vom Personalschlüssel Anzeigebereitschaft: verändertes Selbstverständnis, veränderter Umgang Gewaltprävention als Ware

Die Quote der Jugendlichen, die nach eigenen Angaben in den zwölf Monaten vor der Befragung mindestens eine Gewalttat begangen haben, ist in keiner der acht Städte angestiegen, überwiegend sogar beträchtlich gesunken C. Pfeiffer: Jugendliche in Deutschland als Täter und Opfer von Gewalt. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, 2009

Daten: Mindestens eine Gewalttat begangen: 1998/1999 zwischen 17,3% und 24,9% 2005/2008 zwischen 11,5% und 18,1% Raufunfälle : Abnahme um 31,3% Prozent zwischen 1997 und 2007 C. Pfeiffer: Jugendliche in Deutschland als Täter und Opfer von Gewalt. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, 2009

Erklärungsansätze und ihre Folgen: Psychologische Erklärungsansätze Soziologische Erklärungsansätze Integrative Ansätze (vgl. Schubarth 2000) Kritik am Jugendgewaltbegriff: Einseitiger Blick auf Jugendliche als Täter Gewalt durch Jugendliche, Gewalt an Jugendlichen

Triebtheorie: Aggression als spontaner und natürlicher Impuls des menschlichen Organismus Aggression kanalisieren (z. B. Boxsack in Klassenzimmern) Ausleben emotionaler Spannungszustände Raum geben für Aktivitäten

Frustrationstheorie: Aggression wird durch Frustration hervorgerufen Ärgergefühle ansprechen Situation anders interpretieren Förderung der Frustrationstoleranz und Affektkontrolle Entspannungsübungen

Lerntheorien: Aggression wird gelernt Elternhaus, Schule, Medien auf aggressive Modelle hin untersuchen Erwünschtes Verhalten bekräftigen, unerwünschtes kritisieren Erlernen alternativer, prosozialer Verhaltensweisen

Psychoanalytische Theorien: Aggression als Folge von Persönlichkeitsstörungen Erkennen verborgener Ängste (Traumatisierungen) Evtl. Einzelfallhilfe Bindungen (Vertrauen, Geborgenheit) schaffen Anerkennung fördern Selbstverletzungen vermeiden

Entwicklungspsychologische Ansätze: Aggression in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand Verständnis für entwicklungsbedingte Normalität von Aggression Aufbau von Aggressionshemmungen Förderung prosozialen Verhaltens

Anomietheorie: Abweichendes Verhalten als Ausdruck nicht erreichter kultureller Ziele und der Überwindung sozialstruktureller Verhältnisse Verbesserung der Lebensverhältnisse Abbau sozialer Ungleichheiten Chancengleichheit verbessern Fördermaßnahmen und Hilfen für Benachteiligte

Subkulturtheorie: Abweichung als Anpassung Anpassung an jeweilige Kultur Herauslösen aus antisozialen Gruppen (Clique, Peergroup) Alternative Integrationsangebote schaffen

Labeling-Theorien: Abweichung durch Definitions- und Zuschreibungsprozesse Vermeidung von Etikettierungen Verstärkung der positiven Seiten

Individualisierungstheorie: Gewalt als Folge von Modernisierungsprozessen Desintegrations- und Verunsicherungserfahrungen in der Folge Beratung und Hilfe bei Problemen Partizipationsmöglichkeiten schaffen Solidarische Erfahrungen und Integrationserfahrungen ermöglichen

Schulbezogener anomietheoretischer Ansatz: Gewalt als Folge anomischer Strukturen in der Schule Ausbau sozialräumlicher und sozialpädagogischer Elemente in der Schule Stärkung der Schule als soziales System

Sozialisationstheoretischer Ansatz: Gewalt als produktive Realitätsverarbeitung Verbesserung der Lebensbedingungen Entwicklung sozialer Handlungskompetenzen Schule als sozialemotionaler Erfahrungsraum

Geschlechtsbezogener Ansatz: Jugendgewalt ist Jungengewalt Gewalt als Form männlicher Lebensbewältigung Gewalt als gelebte Männlichkeit Abbau patriarchalischer Strukturen Kritik vorherrschender Männerbilder Entwurf alternativer Formen von Männlichkeit Männliche Lehrkräfte, Pädagogen

Schulbezogener Ansatz: Gewalt als Verarbeitungsform der Beziehungen zwischen schulischer Umwelt und Schüler/innen Gestaltung einer gerechten Chancenstruktur, Entwicklung von Schulqualität Entwicklung der Lehr- und Lernkultur Schulentwicklung als Qualitätsprozess

Zusammenfassung: Familie Schule Gleichaltrigengruppe Massenmedien Persönlichkeitsmerkmale Situative Einflüsse Gesellschaftliche und politische Bedingungen

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit