Der Begriff der Intuition in Rene Descartes "Regulae as directionem ingenii"

Ähnliche Dokumente
(1) Gott und Wissenschaft (und ich) WISSENSCHAFT. Dr. Holger Kaffka, Hochschulpfarrer Magdeburg

Uwe Schulz SELBSTBESTIMMUNG UND SELBSTERZIEHUNG DES MENSCHEN

Entwicklung der modernen Naturwissenschaft (speziell der Physik/Mechanik) in Abgrenzung von der mittelalterlich-scholastischen Naturphilosophie

Wittgensteins Spätphilosophie als Erkenntnistheorie

Zu Immanuel Kant: Die Metaphysik beruht im Wesentlichen auf Behauptungen a priori

Kurze Zusammenfassung und Übergang zu Praktischen Philosophie

Die Einheit der Natur

Einführung in die Wissenschaftstheorie

Was es heißt, (selbst-)bewusst zu leben. Theorien personaler Identität

Methoden des Wissenschaftlichen Arbeitens Vorlesung im Sommersemester VL 2: Was ist Wissenschaft?

Seele und Emotion bei Descartes und Aristoteles

Paul Natorp. Philosophische Propädeutik. in Leitsätzen zu akademischen Vorlesungen

Ludwig Wittgenstein - alle Philosophie ist Sprachkritik

Einleitung: Schopenhauers Antinomie des menschlichen Erkenntnisvermögens

Arbeits- und Präsentationstechniken 1

INHALTSÜBERSICHT I. TRANSZENDENTALE ELEMENTARLEHRE.. 79

Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Herrschaft und Knechtschaft

Wissenschaftliches Arbeiten und Methodenlehre 1 Teil A: Wissenschaftstheoretische Grundlagen

Wissenschaftliches Arbeiten und Methodenlehre 1

INHALTSVERZEICHNIS ERSTER TEIL: KANT VORWORT... 7 INHALTSVERZEICHNIS... 9 SIGLENVERZEICHNIS... 15

David Hume zur Kausalität

Wissenschaftstheorien

Das Böse bei Harry Potter und Kant

Karriere und Frau. Die neue Rolle der Frau.

Die analytische Tradition

2. Seinsweise, die in der Angleichung von Ding und Verstand besteht. 3. Unmittelbare Wirkung dieser Angleichung: die Erkenntnis.

Natürliche, spontane und künstliche Ordnungselemente bei Adam Smith

Gorgias und Phaidros - Platons Stellung zur Rhetorik

Kants 'guter Wille' in: "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten"

Metaphysik und Erkenntnismethode bei Descartes. - Falsch sind also nicht die Vorstellungen, sondern die Urteile, die daraus abgeleitet werden.

Otfried Höffe KANTS KRITIK DER REINEN VERNUNFT. Die Grundlegung der modernen Philosophie. C. H. Beck

Kritik der Urteilskraft

Otfried Hoffe KANTS KRITIK DER REINEN VERNUNFT

Der normativ ontologische Wissenschaftsansatz und seinen Grundlagen

Die Induktion und ihre Widersacher

Vorlesung. Beweise und Logisches Schließen

Liebe als eine Leidenschaft bei Descartes.

N. Westhof (Februar 2006)

DER DEUTSCHE IDEALISMUS (FICHTE, SCHELLING, HEGEL) UND DIE PHILOSOPHISCHE PROBLEMLAGE DER GEGENWART

DER NEUKANTIANISMUS. Theorien gegen die sich der Neukantianismus richtet

Was ist Wissenschaftstheorie?

Geometrie 0.1. Homepage zur Veranstaltung: Lehre Geometrie

Proseminar im Wintersemester 09/10, TU Dortmund Informationsgewinnung durch Experimente. Vortrag: Kim Quermann

Einleitung. Definitionen von Korpuslinguistik und das Repräsentativitätsmerkmal

Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann

Voransicht. Bilder: Optische Täuschungen.

3. Kcmstrufftirismus. Der Mensch "konstruiert" sich seine Welt. Ist die Welt so, wie wir annehmen?

Referenten: Tim Dwinger, Sven Knoke und Leon Mischlich

sich die Schuhe zubinden können den Weg zum Bahnhof kennen die Quadratwurzel aus 169 kennen

Naturverständnis und Naturdarstellung in Goethes "Die Leiden des jungen Werther"

3. Sitzung. Wie schreibe ich eine Hausarbeit?

Rhetorik und Argumentationstheorie.

DIE LOGIK ODER DIE KUNST DES DENKENS

Dr. Jörg Noller. Was ist Geist? WiSe 2017/18 Mittwochs, Uhr Raum W 401

Wissenschaftliches Arbeiten

Theoretische Konzepte der Mensch-Natur- Beziehung und Ansätze für ihre Analyse

Inwiefern nutzte Leonardo da Vinci seine wissenschaftlichen Forschungen für seine Kunst und welche Konsequenzen ergaben sich dadurch für seine Werke?

30 ECTS für die Praxisphase, der Bericht ist hierbei einer der Hauptbewertungspunkte

Der begriffliche Aufbau der theoretischen Physik

DIALOGE ÜBER NATÜRLICHE RELIGION

FAU Erlangen-Nürnberg Department Geschichte Professur für Alte Geschichte. Herzlich Willkommen zum Modul: Aufbau einer wissenschaftlichen Arbeit

Inhalt. I. Historischer Rückblick Die deutsche Pädagogik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts

Identitätstheorie bei Erikson und Freud

Psychologie für die Praxis

Geschichte. Daniel Wimmer

Die Wiedergeburt eines "neuen Menschen" in der Renaissance

DAS SCHREIBEN EINER SEMINARARBEIT

Die epikureische Erkenntnistheorie

Was ist Logik? Was ist Logik? Aussagenlogik. Wahrheitstabellen. Geschichte der Logik eng verknüpft mit Philosophie

Induktion im Lexikon: logische Herleitung allgemeiner Regeln von Einzelfällen zu allgemeinen Gesetzen aufsteigen

Martin Goldstern Der logische Denker Kurt Gödel und sein Unvollständigkeitssatz. 6.

Was ist ein Gedanke?

Ein Satz wird auch dunkel werden wo solch ein Begriff einfliest; Klar: Ist Erkenntnis wenn man die dargestellte Sache wieder erkennen kann.

Hegels»Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften«

Hermann Paul. Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften

Hans Blumenbergs Begriff der actio per distans

Die Anfänge der Logik

Proseminar Mittelalter

Paradoxien der Replikation

Auf der Suche nach dem Praktischen im Urteilen.

Folien zur Vorlesung Perspektivität und Objektivität von Prof. Martin Seel. Sitzung vom 1. November 2004

Entwicklung der modernen Naturwissenschaft (speziell der Physik/Mechanik) in Abgrenzung von der mittelalterlich-scholastischen Naturphilosophie

Die Macht der Reflexion. Zum Verhältnis von Kunst, Religion und Philosophie bei G.W.F. Hegel

Das "verligen" und das daraus resultierende Schweigegebot im "Erec" Hartmanns von Aue

MASKEN: . - ES IST EIN TRUGSCHLUSS,

Sicherer, nicht sinnvoll bezweifelbarer Ausgangspunkt des Denkens: Ich existiere.

Vorkurs Mathematik und Informatik Mengen, natürliche Zahlen, Induktion

Aufklärung als Massenbetrug.Von der Kritischen Theorie zur Kritischen Medientheorie

Erkenntnistheorie I. Der klassische Wissensbegriff: Wissen ist wahre, gerechtfertigte Überzeugung

Mathe Star Lösungen Runde /08

Dilemma im Religionsunterricht - Praxisbezogene Einsatzmöglichkeiten

Eine Untersuchung zu Verstand und Vernunft

Einführung in die Wissenschaft Vorlesung/Seminar Prof. Dr. U. Toellner-Bauer

Wissenschaftliches Arbeiten

"Gewaltfreie Kommunikation" im Mitarbeitergespräch

Relativität und Realität

Jeweils am Montag um 18:30 treffen sich Studenten in Seminarraum 3 zum gemeinsamen Lernen.

Das ägyptische Brüdermärchen und die Josefsnovelle. Gattungsanalyse und chronologische Einordnung

Wir alle spielen Theater

[DAS ÄLTESTE SYSTEMPROGRAMM

Transkript:

Geisteswissenschaft Miriam Bauer Der Begriff der Intuition in Rene Descartes "Regulae as directionem ingenii" Studienarbeit

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 02 2. Der Intuitionsbegriff bei Descartes 03 2.1. Descartes Definition des Intuitionsbegriff 05 2.1.1 Deduktion 06 2.2 Die Intuition von einfachsten Naturen 07 2.3 Das Verhältnis von Ordnung und Aufzählung zur 09 Intuition 2.4 Ein Beispiel für Intuition 10 3. Fazit: Ist Erkenntnis transzendent? 11 4. Literaturverzeichnis 12 1

1.Einleitung Descartes ist ein Vertreter des Methodengedankens, nicht Einzelerkenntnis sondern Prinzipienforschung stehen im Mittelpunkt. Er fordert ein Universalverfahren für jegliche Art der Erkenntnis und somit die Beschreibung von festen Regeln Regeln zur Lenkung des Geistes. Nur so kann die Frage nach der Gewissheit von Wahrheit gestellt werden. Die menschliche Vernunft kann sich nur als einheitlich erweisen, wenn sie eine einheitliche Methode verfolgt. In den Regulae entwirft Descartes eine Methode um zu sicherer Erkenntnis in allen wissenschaftlichen Gegenstands-gebieten zu gelangen. Descartes begann sein erstes großes Werk Regulae ad directionem ingenii 1619 und beendete es nach einigen eigenständigen Überarbeitungen wahrscheinlich 1628/29 1. Nach Gäbe war die letzte Redaktion der Regulae im Herbst 1628 2. Da Descartes sich vor Verwicklungen und Häresie-verdacht schützen wollte, wurde die Schrift erst 1701 publiziert. Dennoch blieben die Regeln unvollendet. Von den geplanten 36 Regeln stellte Descartes nur 21 auf, wobei die Regeln 19-21 nur aus der Überschrift bestehen und nicht ausformuliert wurden. Die Schrift teilt sich in drei Hauptteile mit je 12 Regeln 3 : 1.Teil: Regel 1-12 Darstellung allgemeiner Prinzipien der Methode 2.Teil: Regel 13-24 wesentliche Beschreibung der Methode der Mathematik 3.Teil 25-36 wesentliche Beschreibung der Methode der empirischen Wissenschaft Daraus ist erkennbar, dass nur der erste Teil vollständig ausgearbeitet wurde, der zweite Teil ist unvollständig und der letzte fehlt komplett. In den ersten vier Regeln ist eine allgemeine Einleitung erkennbar, wobei in Regel 2 das Ziel aller wissenschaftlichen Tätigkeit genannt: zuverlässige und evidente Erkenntnis (certa et indubitata cognitio) 4. Die Überschreibung der vierten Regel fordert eine Methode (methodus) zur wissenschaftlichen Forschung 5 und zur Erkenntnis von Dingen gelangt der Mensch nur durch Intuition (intuitus oder intuitio) und Deduktion (deductio) 6. Diese beiden Begriffe sind für das methodische Grundgerüst der cartesianischen Wissenschaft grundlegende Prinzipien. Thema dieser Hausarbeit soll der Intuitionsbegriff bei Descartes sein, da die Intuition die Basis zum Erkennen der Wahrheit bildet. Mit der Intuition erkennt der Mensch zweifelsfrei und die Deduktion leitet aus diesem intuitiv Erkannten ab. So fordert Descartes, dass man nur aus den einfachsten Naturen ableiten soll und diese einfachen Naturen können durch die Intuition in ihrer Wahrheit verstanden werden. Schon Themistius sagte, dass durch die Intuition die einfachen Dinge erfasst werden und sie sich folglich nicht täuschen kann, da Fehlurteile erst durch Ableitungen entstehen 7. Darum kann die Deduktion nicht als alleiniger Weg zur Wahrheit führen, sondern bedarf der Intuition als Basis. Intuition ist die Ein- 1 Vgl. Röd, Regulae, in Lexikon der philosophischen Werke, S.618 2 Vgl. Einleitung, in Descartes, Regulae, S. XXII 3 Gliederung übernommen von Gäbe, Descartes Selbstkritik, S.12 4 Vgl. Descartes, Regulae, AT, II, 362, 3 5 Vgl. ebd. AT, IV, 371, 2 6 Vgl. ebd. AT, III, 368, 13 In Regel 2 (AT, II, 365, 2) sagt Descartes, daß wir auf doppelten Weg zur Erkenntnis der Dinge kommen, durch Erfahrung nämlich oder durch Deduktion. Er scheint hier das Wort Erfahrung (experientia) analog in der Bedeutung `Intuition zu verwenden. 7 Vgl. Kobusch, in Historische Wörterbuch der Philosophie, S. 526 2

sicht in das Unzusammenhängende und Einfache, daraus ergibt sich auch die Aufgabe der Wissenschaft: Analysieren eines Problems, so dass es in immer einfachere Teile zerlegbar wird. Am Ende dieser Analyse stehen simple, selbsteinleuchtende Wahrheiten, die intuitiv erkannt werden. Die Klarheit und Zerlegbarkeit werden nach Descartes zu Wahrheitskriterien. So lässt sich folgende Basismethode ableiten: 1. intuitive Gewissheit 2. Zerlegung des Problems in kleinste, einfachste Teile 3. ordentliche und möglichst vollständige Gliederung Ein Vorbild dafür sind mathematische Aussagen, da diese evident sind und von der Sinnlichkeit unberührt ins Bewusstsein treten. Darum gelten für Descartes auch die Arithmetik und Geometrie als Ideale unter den anderen Wissenschaften 8, da nur diese beiden auf zuverlässigen und unzweifelhaften Erkannten beruhen. Descartes will eine Methode mit ebenso zuverlässigen wie leicht zu befolgenden Regeln und wer sich an diese hält, kann nichts Falsches als wahr betrachten. Das cartesianische Streben nach einer allgemeinen Wissenschaft (mathesis universalis) kommt dementsprechend zum Ausdruck, der Mensch braucht bei dieser allgemeinen Methode keine untergliederten Wissenschaften mehr. Nach Descartes sind alle Wissenschaften nichts anderes [ ] als die menschliche Weisheit, die immer ein und dieselbe bleibt, auf wie viele verschiedene Gegenstände sie auch angewendet sein mag (Reg, AT, I, 360, 7-9). Es gibt nur eine Erkenntnis und damit auch nur eine Wissenschaft. Zugleich sind alle Wissenschaften miteinander verbunden und bedürfen wechselseitiger Förderung. Dies zeigt sich auch in Descartes Forderung nach einem allgemeinen Ziel und nicht der Blick auf das Besondere. 2. Der Intuitionsbegriff bei Descartes Im klassischen Latein besitzt das Verb intueor den terminologische Sinn von `ansehen oder `betrachten, wobei das Substantiv intuitus zusätzlich noch eine Beurteilung meinen kann. Bei diesen Wortinhalten tritt immer das Auge mit in den Blickpunkt, da ich mit ihm sehe und betrachte. Dadurch bekommt die Intuition einen empirischen Aspekt beigemischt. Trotz der Vieldeutigkeit des Begriffes, gebraucht ihn Descartes nur für die Erkenntnis einsichtiger Wahrheiten 9. Er versteht darunter nicht die ungeklärte Sinneswahrnehmung oder das täuschende Ergebnis der Einbildungskraft, sondern die absolut unbezweifelbare, klare und deutliche Vernunftserkenntnis. Nach König gibt es drei Grundmomente, die die Intuition auszeichnen 10 : Sie wäre 1. ein `Erfassen von Etwas, 2. ein Erfassen mit Etwas, 3. ein Erfassen der Sache selbst. Auch hier zeigen sich Analogien zum empirischen Sehen, wobei aber nur bei der Intuition ein geistiges Erfassen stattfindet wir erkennen die Selbstheit des Gesehenen 11. Die empirische Anschauung ist nur ein leeres bezogen sein. Intuition wird zu einer Form des direkten Schlusses, ein spontanes logisches Denken. Wenn der Mensch eine Intuition hat, ist er von etwas erfasst und begreift diese Sache in ihrer Gesamtheit. Die intuitive Erkenntnis wird durch eine eigentümliche Anwesenheit des Erkennten charakterisiert, d.h. der Abstand zwischen Erkenntnis und Erkannten ist in der Intuition überwunden. Dadurch wird ihr zumeist ein besonderes Maß an Sicherheit zugesprochen (Evidenz).Im Gegensatz 8 Vgl. Descartes, Regulae, AT, II, 363, 19-22 9 Vgl. Regenbogen, Wörterbuch, S. 325 10 Vgl. König, Intuition, S. 3 11 Vgl. ebd. S. 4 3