A. Das Prinzip der indirekten Austauschbarkeit

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Transkript:

C. C. von Weizsäcker A. Das Prinzip der indirekten Austauschbarkeit Die Feststellung des relevanten Marktes ist Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck. Der Zweck ist die Beantwortung der Frage, ob ein bestimmtes Unternehmen U wesentlichem Wettbewerb ausgesetzt ist oder über eine marktbeherrschende Stellung verfügt. Das Verfahren, mit dessen Hilfe man zur Bestimmung des relevanten Marktes kommt, muss kompatibel sein mit der Zwecksetzung der Feststellung der Wettbewerbsverhältnisse. Bei anstehenden Fusionsverfahren oder dem Nachweis des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung geht es insbesondere um die Frage, ob Produkte zueinander im Wettbewerb stehen, die nur indirekt, nicht aber direkt gegeneinander substituierbar sind. Die Antwort kann aus ökonomischer Sicht nur lauten: "im Prinzip ja". Im Detail kommt es dann auf das Ausmaß der Substituierbarkeit an. Um die prinzipiell positive Antwort zu rechtfertigen, betrachten wir folgende hypothetische Situation mit vier unterschiedlichen Gütern A, B, C, D. Gut A und Gut B seien leicht gegeneinander austauschbar; Gut C und Gut D seien leicht gegeneinander austauschbar. Unter welchen Bedingungen übt nun Gut D auf Gut A Wettbewerbsdruck aus? Wenn Gut B und Gut C perfekte Substitute sind und über Märkte Arbitragemöglichkeiten zwischen B und C existieren und wenn schließlich das Angebot von B oder C wettbewerblich erfolgt, dann gibt es Wettbewerbsbeziehungen zwischen A und D. Perfekte Substitute können 1:1 gegeneinander ausgetauscht werden. Ist nun der Preis von B höher als der von C, dann können die Arbitrageure den Nutzern von B ein Angebot machen, zum gleichen Preis minus ε das Gut C zu beziehen. Dies führt zu einer vermehrten Nachfrage nach C und zu einer verminderten Nachfrage nach B, worauf hin sich die Preise der beiden Güter aufeinander zu bewegen, bis der Preis von B und C gleich ist. Unterstellen wir nun, dass der Preis von D um 10 % sinkt. Wegen der leichten Substituierbarkeit von C und D müssen die Anbieter von C mit einer Preissenkung reagieren. Die Preise von C sinken dann zum Beispiel um 8 %. Das aber bedeutet gleichzeitig eine Preissenkung von B um 8 %. Damit gerät aber Gut A unter den Druck, seinen Preis ebenfalls zu reduzieren. Es 1

besteht kein Zweifel, dass unter diesen Bedingungen Wettbewerb zwischen A und D herrscht, obwohl A und D nicht direkt gegeneinander austauschbar sind. Bei dieser Situation ist es sinnvoll, D in den relevanten Markt von A mit einzubeziehen. Würde man dies nicht tun, dann wären Marktanteile von A in dem falsch abgegrenzten relevanten Markt nicht aussagekräftig, um Markmacht des Anbieters von A zu ermitteln. Wenn B und C zwar gut aber nicht perfekt gegeneinander austauschbar sind, muss man mehr ins Detail gehen. Führt etwa eine Preissenkung von D um 10 % zwar zu einer Preissenkung von C um 8%, dies aber wegen der nicht perfekten Austauschbarkeit zwischen C und B nur zu einer Preissenkung von B um 4 %, dann ist der Wettbewerbsdruck von D auf A geringer als im vorhin besprochenen Fall. Je nach den sonstigen Details der Märkte sollte man hier D in den relevanten Markt von A einbeziehen oder auch nicht. Besteht gar keine Austauschbarkeit zwischen B und C auf der Nachfrage- oder Angebotsseite, so gibt es auch keine Wettbewerbsbeziehung zwischen A und D. Sind B und C gar Kuppelprodukte, dann wird man auch bei den Preisen von A und D eine negative Korrelation feststellen: Sinkt der Preis von D, dann übt dies einen Druck auf Senkung des Preises von C aus. Um die gemeinsamen Kosten von B und C decken zu können, werden die Anbieter nunmehr verstärkt versuchen, den Preis von B zu erhöhen, was der Tendenz nach auch zu einem höheren Preis von A führt. B. Anwendung des Prinzips der indirekten Austauschbarkeit auf die Bestimmung des relevanten geographischen Marktes. Wir können uns vorstellen, dass die Güter A, B, C, D etc. sachlich gut austauschbare Produkte sind, die nur an unterschiedlichen Standorten erzeugt werden. Wenn aus Transportkostengründen nur A und B, B und C, C und D, nicht aber A und C und nicht A und D, sowie auch nicht B und D im Normalfall gegeneinander ausgetauscht werden, kann dennoch seitens D erheblicher Wettbewerbsdruck auf A ausgeübt werden. Nimmt zum Beispiel die Nachfrage bei den Kunden von D stark ab, dann werden sich die Anbieter von D verstärkt um Aufträge 2

bei den Kunden von C bemühen. Die Anbieter von C geraten unter Druck und müssen ihre Preise in vergleichbarem Ausmaß senken wie es die Anbieter von D getan haben. Zudem werden sie sich nunmehr verstärkt um Aufträge bei den B-Kunden bemühen, so dass die B- Lieferanten dadurch unter Druck geraten und ihre Preise senken. Dies führt zu Preissenkungsdruck auch beim Anbieter von A. Zwischen den Anbietern von A und D besteht eine Beziehung der indirekten Austauschbarkeit. D-Produkte ersetzen direkt C-Produkte, deren Anbieter daraufhin veranlasst werden, B- Produkte zu ersetzen, die ihrerseits A-Produkte ersetzen. Es ist grundsätzlich in Frage zu stellen, ob es bei dem Vorhandensein von solchen Substitut i- onsketten sinnvoll ist, die Wettbewerbsverhältnisse mit Hilfe des Begriffs des relevanten Marktes zu beschreiben. Wir möchten uns bei dieser Grundsatzfrage im Rahmen dieses Gutachtens nicht weiter aufhalten, sondern am Begriff des relevanten Marktes festhalten. Aber dieser Begriff macht nur Sinn, wenn man den relevanten Markt nicht in jedem Fall allein auf die direkten Austauschbeziehungen beschränkt, sondern die indirekte Austauschbarkeit dann berücksichtigt, sofern von ihr massiver Wettbewerbsdruck auf das in Frage stehende Gut A ausgeht. Nicht jede indirekte Austauschbarkeit übt massiven Wettbewerbsdruck aus. Wenn das typ i- sche geographische Absatzgebiet einen Radius von 10 km hat, dann werden zwei Produktionsstandorte mit einer Entfernung von 300 km zwar möglicherweise Teil derselben Kette von Beziehungen direkter Austauschbarkeit sein. Aber die Kette hat so viele Zwischenglieder, dass sich die Verhältnisse an einem Ende der Kette kaum noch am anderen Ende auswirken. Jedes Zwischenglied in der Substitutionskette schwächt den Wettbewerbseffekt ab. Dass bei den geographischen Marktbeziehungen aber die indirekten Substitutionsbeziehungen sehr bedeutsam sind, liegt insbesondere auch an der Zweidimensionalität des geographischen Raumes. Wir unterstellen für das folgende schematische Beispiel, dass Transporte nur horizontal oder vertikal erfolgen können (ein rechtwinklig angelegtes Straßennetz; siehe Abbildung). 3

D4 D3 C3 D5 D2 C2 B2 C4 D6 D1 C1 B1 A B3 C5 D7 D12 C8 B4 C6 D8 D11 C7 D9 D10 Hat ein Standort A vier direkte Nachbarn B1 (nach Westen), B2 (nach Norden), B3 (nach Osten) und B4 (nach Süden), mit denen allein eine direkte Austauschbarkeit gegeben ist, so kommen schematisch im Rahmen einer völlig gleichmäßigen Verteilung der Standorte in der Fläche acht Standorte C1 bis C8 dazu, zu denen A in einer indirekten Austauschbarkeitsbeziehung erster Ordnung steht: diese acht Standorte stehen in einer direkten Austauschbarkeitsbezie hung zu mindestens einem der Standorte B1 bis B4. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass wegen der Indirektheit der Austauschbarkeit der Wettbewerbsdruck zwischen irgendeinem Ci (i= 1,2,...8) und A nur halb so groß ist wie der Wettbewerbsdruck zwischen einem Bi (i =1,2,3,4) und A, so ist der summierte Wettbewerbeffekt der C-Standorte auf A angesichts ihrer doppelt so großen Anzahl genau so groß wie der Wettbewerbseffekt der B- Standorte. In dieser rein schematischen, abstrakten Analyse kommen dann 12 Standorte D1 bis D12 hinzu, zu denen A in einer Beziehung indirekter Austauschbarkeit zweiter Ordnung steht, nä m- lich über einen B-Standort und einen C-Standort. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Wettbewerbsdruck eines D-Standorts auf den Standort A nur halb so groß ist wie der eines C- Standorts, also nur ein Viertel so groß wie der eines B-Standorts, so ergibt sich aus der Anzahl 12 von D-Standorten ein summierter Wettbewerbseffekt, der 75 % des Wettbewerbseffekts der B-Standorte ausmacht. Bei den E-Standorten mit einer Beziehung indirekter Aus- 4

tauschbarkeit dritter Ordnung ergibt sich eine Anzahl von 16, die gemeinsam gemäß der Annahme der Halbierung des Wettbewerbseffekts pro Standort für jede weitere Ordnung der Indirektheit einen summierten Wettbewerbseffekt von 50 % des Wettbewerbseffekts der B- Standorte ausmacht. Bei den F-Standorten ergibt sich ein summierter Wettbewerbseffekt von 31,25 % des B-Wettbewerbseffekts usw. Summiert man in diesem vollkommen schematischen Modell alle Wettbewerbseffekte auf, dann ergibt sich ein wettbewerblicher Gesamteffekt, der um den Faktor Vier größer ist als der Wettbewerbsdruck, der allein aus den Beziehungen direkter Austauschbarkeit resultiert. Die Wettbewerbseffekte aus indirekter Austauschbarkeit sind um den Faktor Drei größer als die Wettbewerbseffekte, die sich aus direkter Austauschbarkeit ergeben. Nun beansprucht dieses rein schematische Modell nicht, das Abbild eines realen Marktgeschehens zu sein. Es dient nur dazu, uns die Augen für die große quantitative Bedeutung der indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen zu öffnen. In einem konkreten Fall mag der Verlust an Wettbewerbsdruck pro Kettenglied größer oder kleiner als ( wie oben schematisch unterstellt ) 50 % sein. Wenn zwischen zwei benachbarten Kettengliedern eine perfekte Austauschbarkeit besteht, dann nimmt der Wettbewerbsdruck durch Hinzufügung dieser Kettenverbindung überhaupt nicht ab. Wenn umgekehrt die direkte Austauschbarkeit zwischen zwei benachbarten Kettengliedern recht begrenzt ist, dann kann der Grad des Wettbewerbsdrucks durch Hinzufügung dieser Kettenverbindung stark abnehmen. Es gibt allerdings Gründe dafür, dass die Schwundrate von 50 % pro Kettenglied für die geographische Dimension des Wettbewerbs bei einer gut entwickelten Transportinfrastruktur ungefähr realistisch ist. In einem konkreten Fall wird auch nie die Gleichverteilung aller Produktionsstandorte in der Fläche gegeben sein. Aus Abweichungen von dieser Gleichverteilung kann eine Verminderung des Wettbewerbsdrucks durch indirekte Austauschbarkeit relativ zur direkten Austauschbarkeit erfolgen. Wenn zum Beispiel, wie bis 1990 die Bundesrepublik Deutschland, das geographische Gesamtgebiet in der Richtung Nord-Süd eine sehr viel größere Ausdehnung als in der Richtung Ost-West hat, dann mag der Zuwachs an Standorten mit steigender Indirektheit der Austauschbeziehung langsamer erfolgen als in dem obigen schematischen Modell. Immerhin, selbst wenn die geographische Welt quasi eindimensional wäre (und nicht, wie im schematischen Modell angenommen, zweidimensional), ergäbe sich aus der Einbezie- 5

hung der indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen eine Verdopplung des Wettbewerbsdrucks im Verhältnis zu dem aus den direkten Austauschbarkeiten abgeleiteten (bei einer unterstellten "Schwundrate" von 50 % pro Ordnung der Indirektheit). Jedenfalls also spricht manches dafür, dass selbst bei vorsichtiger Abschätzung der Wettbewerbsdruck, der aus der indirekten Austauschbarkeit resultiert, mindestens so groß ist wie der Wettbewerbsdruck, der aus der direkten Austauschbarkeit resultiert. Denn das wirtschaftliche Geschehen spielt sich, was die Geographie betrifft, in einem grundsätzlich zweidimensionalen Gebilde ab. An dieser Stelle soll kurz bemerkt werden, was eines der Probleme einer Marktanalyse mithilfe des Begriffs des relevanten Marktes grundsätzlich ist. Indem man mithilfe des relevanten Marktes die Marktanteile ermittelt und von deren Wert auf die Anwesenheit oder Abwesenheit von Marktbeherrschung schließt, berücksichtigt man den Wettbewerbsdruck, der von anderen Gütern ausgeht, entweder mit einem gleichen positiven Wert oder gar nicht. Wie aber die Analyse der geographischen Marktbeziehungen nahelegt, gibt es unterschiedliche Grade von Wettbewerbsdruck. Güter mit direkter Austauschbarkeit üben einen stärkeren Wettbewerbsdruck aus als solche mit indirekter Austauschbarkeit erster Ordnung, und diese einen stärkeren Wettbewerbsdruck als Güter mit indirekter Austauschbarkeit höherer Ordnung. Das Verfahren mithilfe des relevanten Marktes begeht also zwei mögliche Fehler. Einerseits kann es den Wettbewerbsdruck überschätzen, wenn durch die Hereinnahme von Gütern, die einen kleineren Wettbewerbsdruck ausüben als andere Güter, alle Güter im relevanten Markt so behandelt werden als seien sie so gut austauschbar wie die am besten austauschbaren Güter. Andererseits kann es den Wettbewerbsdruck unterschätzen, indem Güter, die sehr wohl einen wenn auch kleineren Wettbewerbsdruck ausüben, nicht in den relevanten Markt aufgenommen werden. Handhabt man das Verfahren der Ermittlung des relevanten Marktes mit einiger Geschicklichkeit, dann kann man hoffen, dass sich diese beiden gegenläufigen Fehler ungefähr aufheben. Aus diesen Überlegungen folgt, dass in der Regel die indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen in geeigneter Form im relevanten geographischen Markt repräsentiert sein müssen, sofern dieser seine "Relevanz" behalten soll. Da wir festgestellt haben, dass die indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen in der Regel einen mindestens so hohen Wettbewerbsdruck ausüben wie die direkten, ist es sinnvoll, stellvertretend für alle indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen diejenigen erster Ordnung in den relevanten Markt mit einzubeziehen. Zugleich sollen die indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen höherer als erster Ordnung nicht in den 6

relevanten geographischen Markt einbezogen werden. Dieses Verfahren ist im Vergleich zu einer korrekten Analyse des Wettbewerbsdrucks mit einem doppelten Fehler behaftet. Man hofft, dass sich diese beiden Fehler ungefähr kompensieren. Indem wir einerseits die indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen erster Ordnung voll in den relevanten Markt einbeziehen, begehen wir einen Fehler, weil wir den Abschwächungseffekt auf den Wettbewerbsdruck, der aus der Indirektheit resultiert, ignorieren. Dieser Fehler führt zu einer Überschätzung des Wettbewerbsdrucks. Andererseits begehen wir einen Fehler, weil wir die indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen höherer Ordnung nicht in den relevanten Markt einbeziehen, also ignorieren. Dies führt zu einer Unterschätzung des Wettbewerbsdrucks, der von den indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen herrührt. Vergleicht man die Analyse der Wettbewerbsverhältnisse mithilfe des so konstruierten relevanten geographischen Markts mit einer korrekten Analyse, dann wird bei dem schematischen Modell der homogenen Fläche, das oben besprochen wurde, der Wettbewerbsdruck unterschätzt. Wir hatten dort gefunden, dass die indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen dreimal mehr Wettbewerbsdruck erzeugen als die direkten. Bezieht man nun die Standorte C neben den Standorten B in den relevanten Markt mit ein, ignoriert aber die Standorte D, E, F etc. dann erscheint der Wettbewerbsdruck, der von den indirekten Austauschbarkeitsbeziehungen ausgeübt wird, doppelt so groß wie derjenige, der aus den direkten Austauschbarkeitsbeziehungen resultiert. Denn es gibt doppelt so viele C-Standorte wie B-Standorte. Diese Standorte werden aber jetzt alle gleich gewichtet. Im Ergebnis wird bei dem so konstruierten relevanten Markt der Wettbewerbsdruck um 25 % unterschätzt. Bei der Vorstellung einer nur eindimensionalen geographischen Struktur heben sich die beiden Fehler gerade auf, sofern der wirkliche Wettbewerbsdruck sich mit jedem zusätzlichen Grad der Indirektheit gerade halbiert. Denn dann tragen die Güter, mit einer indirekten Austauschbarkeit höherer Ordnung gerade so viel zum Wettbewerbsdruck bei wie die Güter ind i- rekter Austauschbarkeit erster Ordnung. Indem nun die Güter höherer Ordnung nicht in den relevanten Markt einbezogen werden, halbiert man den Wettbewerbsdruck, der von den Gütern indirekter Austauschbarkeit ausgeht. Indem andererseits die Güter indirekter Austauschbarkeit erster Ordnung in den relevanten Markt einbezogen und gleich gewichtet werden wie die Güter direkter Austauschbarkeit, überschätzt man den Wettbewerbsdruck der Güter indi- 7

rekter Austauschbarkeit um den Faktor 2. Die beiden Fehler um den Faktor 2 in entgegengesetzter Richtung kompensieren sich gerade. Die Einbeziehung der Güter indirekter Austauschbarkeit erster Ordnung, aber nicht der Güter indirekter Austauschbarkeit höherer Ordnung, in den relevanten Markt, erscheint uns als eine pragmatisch sinnvolle Lösung des Problems, wie man den Wettbewerbsdruck indirekter Austauschbarkeit erfassen kann. Ehe wir nun zum konkreten Vorgehen für die Ermittlung eines relevanten geographischen Marktes übergehen, sei eine zusätzliche Begründung gegeben, warum man den relevanten Markt nicht auf das Gebiet der direkten Austauschbarkeit begrenzen kann. Am klarsten sieht man den Grund bei dem hypothetischen Grenzfall, dass wir es mit einem Gut zu tun haben, welches absolut homogen ist, mit Ausnahme des Orts der Verfügbarkeit. Wenn wir unterstellen, dass die Anbieter des Gutes dieses den Kunden frei Haus liefern, dann ist das einzige Entscheidungskriterium der Kunden der Preis. Sie kaufen immer beim preiswertesten Anbieter. Es werde nun der relevanten Markt eines Anbieters A mit Produktionsstandort A nach dem Vorgehen definiert, dass diejenigen Produkte dazu gehören, die von Käufern erworben werden, die innerhalb des Lieferradius dieses Anbieters liegen. Benachbart zum Anbieter A liegen Anbieter B1, B2,...Bn (im Fall unseres schematischen Modells oben war n =4). Wenn nun A von seinen Kunden einen bestimmten Preis p 0 verlangt, dann kauft ein Kunde bei A, sofern alle benachbarten Anbieter entweder einen höheren Preis verlangen oder wegen zu hoher Transportkosten bei ihrem zwar niedrigeren Preis diesen Kunden wegen zu hoher Transportkosten nicht beliefern. Senkt jetzt A seinen Preis um eine bestimmten Betrag p und tun dies die benachbarten Anbieter auch, so dass die Preisunterschiede so sind wie zuvor, dann verändern sich die Kundenwünsche bezüglich des Anbieters nicht. Allerdings werden jetzt einige Käufer, deren Standort näher an A als an jedem benachbarten Konkurrenten von A liegt, die bisher von einem preiswerteren Konkurrenten Bi bedient wurden, von diesem nun hören, dass er sie wegen zu hoher Transportkosten nicht mehr beliefern kann. Die geschrumpfte Marge zwischen Preis und Herstellungskosten reicht nicht mehr aus, um die Transportkosten zu decken. Je niedriger also das Preisniveau ist, desto stärker wiegt der Transportkostenvorteil eines Anbieters in der Belieferung der verschiedenen Kunden. Die Absatzgebiete der einzelnen Anbieter entmischen sich zunehmend mit sinkendem Marktpreisniveau. Der Endpunkt ist dann ein Preisniveau, bei dem die Absatzgebiete aller Anbieter vollkommen homogen sind: jeder Anbieter bedient sämtliche Konsumenten im Rahmen sei- 8

nes Lieferradius. In seinem mithilfe des Lieferradius festgelegten relevanten Marktes hat er an diesem Tiefpunkt des Preisniveaus einen Marktanteil von 100 %. Oder allgemeiner: je niedriger das Preisniveau für das Gut, desto höher wird der Marktanteil eines Anbieters in seinem "relevanten Markt". Wenn wir davon ausgehen, dass bei einem homogenen Gut die Intensität des Wettbewerbs, der hier nur Preiswettbewerb sein kann, daran gemessen werden kann, wie niedrig der Preis ist, den die Kunden zu zahlen haben, dann ergibt sich das paradoxe Resultat einer positiven Korrelation zwischen der Intensität des Wettbewerbs und dem Marktanteil der Anbieter auf ihrem jeweiligen "relevanten" geographischen Markt. Dieses "Paradox" ist keines: es dreht sich nur um eine verkehrte Methode der Feststellung des relevanten geographischen Marktes. Um den Wettbewerb in diesem Geschehen richtig zu erfassen, ist es eben notwendig, den Wettbewerbseffekt der indirekten Austauschbarkeit auch bei der Abgrenzung des relevanten geographischen Marktes zu berücksichtigen. Was heißt das konkret für die Ermittlung eines relevanten geographischen Marktes? Es sei ein Standort A vorgegeben. Das Bundeskartellamt geht bisher so vor, dass es den von den Transportkosten abgeleiteten Lieferbereich dieses Standorts ermittelt und für diesen einen Radius r ermittelt. Angenommen das Bundeskartellamt setzt diesen Radius für ein bestimmtes Gut mit 150 km fest. Damit erfasst es die direkten Austauschbarkeitsbeziehungen in der Form aller Standorte, deren Distanz zum Standort A nicht höher ist als r. Nach dem hier gemachten Vorschlag der Einbeziehung der indirekten Austauschbeziehungen erster Ordnung wäre der Radius des relevanten geographischen Marktes mit ungefähr 2r festzusetzen. Die B-Standorte direkter Austauschbarkeit haben im Fall von r = 150km einen Abstand von bis zu 150km. Die C-Standorte indirekter Austauschbarkeit erster Ordnung haben folglich einen Abstand bis zu 300 km. Dies gilt, sofern die vom Bundeskartellamt festgesetzten 150 km korrekt ermittelt worden sind. Denn, bei einer guten Verteilung der Produktionsstandorte in der Fläche und einer guten Verkehrsinfrastruktur (wie sie in Deutschland gegeben ist) wäre ein Standort, der bis zu 2r von A entfernt ist, entweder in einer direkten Beziehung der Austauschbarkeit zu A oder in einer indirekten Beziehung der Austauschbarkeit erster Ordnung zu A, d.h. in einer Beziehung direkter Austauschbarkeit zu einem Standort B, der seinerseits höchstens einen Abstand r von A hat. In aller Regel geht es ja um Unternehmen mit zahlreichen Standorten. Hier nun kann man sinnvollerweise so vorgehen: Wird ein bestimmter relevanter geographischer Markt vorgeschlagen, z.b. das Land Nordrhein-Westfalen, dann geht man vom geographischen Zentrum 9

dieses vorgeschlagenen Gebiets aus, also im Fall Nordrhein-Westfalens ungefähr von der Stadt Essen. Um dieses Zentrum schlägt man einen Zirkel mit einem Radius 2r, also bei r = 150km einen Radius von 300 km. Überschreitet das so abgegrenzte Gebiet das ursprünglich vorgeschlagene Gebiet erheblich, dann war dieses zu klein und muss zumindest durch das so abgegrenzte Gebiet ersetzt werden. In diesem neuen Gebiet schätzt man nun die Marktanteile ab. Wird umgekehrt ein größeres Gebiet vorgeschlagen, also zum Beispiel Deutschland, dann wäre festzustellen, ob es in diesem Gebiet ein Teilgebiet mit Radius 2r gibt, in dem die Marktanteile des untersuchten Unternehmens massiv höher liegen als im Durchschnitt des ganzen größeren Gebiets. Kann ein solches Gebiet nicht gefunden werden, dann ist es sinnvoll und praktisch, von dem großen Gebiet, in dem Beispiel also Deutschland, als dem relevanten geographischen Markt auszugehen. 10