UE SS 2007 1 Lösung Fall 4 I. Strafbarkeit des B Wegnahme der sich in der Handtasche befindlichen 500 1) Raub, 142 Abs 1: I TB 1. Obj. TB: - Gewalt gegen eine Person: Gewalt = Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft oder eines zerstörerischen Mittels. Die physische Kraft muss sich bei 142 gegen eine Person richten. Fraglich und ein Abgrenzungsproblem zu 127 ist, ob man bei einem überraschenden Entreißen von Gegenständen, wie zb hier von Handtaschen, von Gewalt gegen eine Person sprechen kann. Gewalt und damit Raub ist etwa anzunehmen bei einem gewaltsamen Zerren an der vom Opfer festgehaltenen Sache oder bei einem Entreißen einer Handtasche mit solcher Intensität, dass die Laschen abreißen. Keine Gewaltanwendung gegen eine Person und damit 127 ist dann gegeben, wenn lediglich die Abwehrbereitschaft des Opfers listig umgangen wird oder diese durch die Schnelligkeit und Plötzlichkeit des Vorgangs ausgeschaltet wird, wie zb bei einem ruckartigen Herausziehen der unter dem Arm geklemmten Tasche. Es gibt zwei Hinweise im SV, die auf das Verneinen einer für 142 notwendigen Gewaltanwendung gegen eine Person hindeuten: Einerseits ist durch das Fragen nach der Uhrzeit durch B die Abwehrbereitschaft der A listig umgangen worden und andererseits ist lt SV der Griff der Tasche durch das Wegreißen nicht beschädigt worden; daraus ist abzuleiten, dass keine für 142 erforderliche Gewaltanwendung gegen eine Person stattgefunden hat und daher das Abgrenzungsproblem zugunsten von Diebstahl gem 127 zu entscheiden ist. Mangels Gewalt gegen eine Person entfällt Strafbarkeit wegen Raubes gem 142 Abs 1.
UE SS 2007 2 2) Diebstahl, 127 hinsichtlich des Geldes: I TB 1. Obj. TB: - Tatobjekt: fremde bewegliche Sache Sache: jeder körperliche Gegenstand mit nicht unerheblichem Tauschwert. 500 sind ein körperlicher Gegenstand mit nicht unerheblichen Tauschwert; Fremd: das Geld steht im Alleineigentum der A und ist daher für C fremd. Beweglich: das Geld kann außerdem fortgeschafft werden und ist daher beweglich; - Tathandlung: Wegnahme Wegnahme: = Bruch des bisherigen Gewahrsams an der Sache und Begründung neuen Gewahrsams. Indem B der A die Handtasche mit dem darin enthaltenen Geld entreißt und damit fortläuft, bricht er den bisherigen Gewahrsam der A daran und begründet neuen Gewahrsam. C hat der A das Geld daher weggenommen. 2. Subj. TB: a) Tatvorsatz: - Hinsichtlich fremder beweglicher Sache: B weiß, dass das Geld nicht in seinem Alleineigentum steht; Wissentlichkeit hinsichtlich der Fremdheit der Sache. B weiß zudem, dass Geld beweglich ist und dass das Geld einen nicht ganz unerheblichen Tauschwert hat. Insgesamt also Wissentlichkeit hins des Tatobjekts is von 5 Abs 3. - Hinsichtlich Wegnahme: Aus der offenbar gut geplanten Wegnahmeaktion und der Tatsache, dass sich B in Geldnot befand und er diese laut SV lindern wollte, kann darauf geschlossen werden, dass es B darauf ankam, zu Geld zu kommen. Die Wegnahme der 500 war aus Sicht des B daher notwendiges Durchgangsstadium zur Erreichung dieses Ziels. Die Wegnahme erfolgte folglich absichtlich is des 5 Abs 2. b) Erweiterter Vorsatz: Bereicherungsvorsatz B kam es offenbar darauf an, zwecks Linderung seiner Geldnot sich durch Zueignung der 500 zu bereichern; Absicht is des 5 Abs 2.
UE SS 2007 3 Dass die Bereicherung unrechtmäßig war, weiß B, weil er weiß, dass er keinen Anspruch auf das Geld hat. Subj TB erfüllt. II RW: unproblematisch III Schuld: unproblematisch B ist gem 127 strafbar. 3) Entwendung, 141 Abs 1: Verkürzte Prüfung: Bei den 500 handelt es sich nicht um eine Sache geringen Werts, weil dafür die Obergrenze 100 ist. Das Wegwerfen der Tasche in ein Gebüsch Vorbemerkung: Bezüglich der Tasche wird kein 127 geprüft, weil im Zeitpunkt des Gewahrsamsbruches durch B kein Bereicherungsvorsatz darauf gegeben war; Indiz: nachträgliches Wegwerfen der Tasche in ein Gebüsch. 1) Dauernde Sachentziehung, 135 Abs 1: I TB 1. Obj. TB: - Tatobjekt: fremde bewegliche Sache Fremd: die Tasche steht im Alleineigentum der A und ist daher für B fremd. Beweglichkeit: die Tasche ist beweglich;
UE SS 2007 4 Sache: umstritten ist bei 135, ob nur Sachen mit Tauschwert oder auch solche mit bloßen Gebrauchswert dauernd entzogen werden können. Nach der Rsp ist bei 135 auf den Tauschwert abzustellen; richtigerweise reicht aber bereits ein nicht unerheblicher Gebrauchswert aus. Die Tasche hat jedenfalls einen nicht ganz unerheblichen Gebrauchswert und ist daher als Sache is des 135 anzusehen. - Tathandlung/Taterfolg: Schädigung durch dauernden Entzug der Sache aus dem Gewahrsam des Geschädigten, ohne sich oder einem Dritten die Sache zuzueignen: Dauernder Entzug der Sache aus dem Gewahrsam: Nach überwiegender Meinung erfordert 135 wie 127 einen Bruch des Gewahrsams eines anderen, dh die fremde Sache muss sich im Zeitpunkt des Entziehens im Gewahrsam eines anderen befunden haben und der Entziehungsvorsatz muss schon zu diesem Zeitpunkt bestanden haben. Die Gegenansicht dehnt 135 auch auf solche Fälle aus, in denen ein Entziehungsvorsatz erst nach Gewahrsamserlangung gefasst worden war, sog Anschlussentziehung, ein Gewahrsamsbruch wird daher nicht verlangt. Es genüge nach dieser Ansicht für die Verwirklichung des 135, wenn der Täter bewirkt, dass ein anderer dauernd den Gewahrsam an der Sache nicht hat. Im Hinblick darauf, dass die neuere Rsp verstärkt auch zu dieser Ansicht tendiert, ist diese vorzuziehen. Der Gewahrsamsentzug muss zudem dauernd sein, dh durch die Tat muss ein überproportionales Rückerlangungsrisiko für das Opfer geschaffen worden sein; dies ist dann der Fall, wenn eine Situation eingetreten ist, welche die Rückerlangung der Sache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ernstlich in Frage stellt. Indem B die Tasche ins Gebüsch wirft, entzieht er die Tasche aus dem Gewahrsam der A dauernd, weil er damit eine Situation schafft, in der die Rückerlangung der Tasche für die A nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ernstlich in Frage gestellt ist. Zudem hat B die Tasche dadurch weder sich selbst noch einem Dritten zugeeignet, auch diese Voraussetzung des 135 ist daher erfüllt. Damit hat B die A auch geschädigt. Dieses Merkmal der Schädigung hat keine eigenständige Bedeutung, weil es im Gesetz ausschließlich mit dem dauernden Gewahrsamsentzug konkretisiert wird (arg dadurch, dass.. ). Eine zusätzliche Prüfung, worin der Schaden im Einzelnen bestanden hat, ist daher nicht erforderlich. 2. Subj. TB: Tatvorsatz hinsichtlich - Tatobjekt: fremde bewegliche Sache
UE SS 2007 5 B weiß, dass A Alleineigentümerin der Tasche ist, dass diese beweglich ist und dass diese einen nicht ganz unerheblichen Gebrauchswert hat; Wissentlichkeit is von 5 Abs 3 hinsichtlich des Tatobjekts. - Tathandlung/Taterfolg: Schädigung durch dauernden Entzug der Sache aus dem Gewahrsam des Geschädigten, ohne sich oder einem Dritten die Sache zuzueignen: B hält es ernstlich für möglich und findet sich damit ab, dass er die Tasche aus dem Gewahrsam der A dauernd entzieht, indem er diese in ein Gebüsch wirft, weil er damit billigend in Kauf nimmt, dass die Rückerlangung der Tasche für die A ernstlich in Frage gestellt wird; bedingter Vorsatz is des 5 Abs 1, zweiter Hs. Dass er damit die Tasche weder sich noch Dritten zugeeignet hat, hält B für gewiss; Wissentlichkeit is von 5 Abs 3. II und III B verwirklicht 135 Abs 1. 2) Kein 141 (Entwendung) hinsichtlich der Tasche, weil Hinweise zum Wert der Handtasche im SV fehlen, sodass nicht einfach Geringwertigkeit angenommen werden darf; ebenso wenig ist eines der besonderen Schuldmerkmale des 141 (Not, Unbesonnenheit bzw Befriedigung eines Gelüstes) erfüllt. Geldnot ist nicht automatisch mit einer Not is des 141 gleichzusetzen; für eine Bejahung von Not is des 141 fehlen Anhaltspunkte im SV. Das Wegwerfen der Tasche mit Reisepass in ein Gebüsch Urkundenunterdrückung gem 229 Abs 1: I TB 1. Obj. TB: - Tatobjekt: Urkunde, über die der Täter nicht oder nicht allein verfügen darf: Urkunde: Voraussetzungen nach 74 Abs 1 Z 7 und hm: 1) Schriftlichkeit: Der Reisepass ist schriftlich;
UE SS 2007 6 2) Rechtserhebliche Gedankenerklärung: Der Reisepass enthält eine rechtserhebliche Gedankenerklärung, weil er insb Beweis über die Identität des Betreffenden liefert. 3) Erkennbarkeit der Ausstellers: Weil die ausstellende Behörde auf dem Reisepass genannt ist, ist Erkennbarkeit der Ausstellers gegeben. Ein Reisepass erfüllt den strafrechtlichen Urkundenbegriff. Fehlende Verfügungsberechtigung: Weil B nicht über den Reisepass der A verfügen darf, sich insb keine Anhaltspunkte im SV für eine etwaige Verfügungsberechtigung ergeben, ist dieses Merkmal unproblematisch erfüllt. - Tathandlung: in Betracht kommt das Unterdrücken der Urkunde. Unterdrücken = jede Handlung, die die Urkunde zwar unversehrt erhält, den Berechtigten jedoch, wenn auch nur vorübergehend, um die Möglichkeit bringt, sich der Urkunde zu bedienen. Indem B den Reisepass ins Gebüsch wirft, bringt er die A als Verfügungsberechtigte um die Möglichkeit, sich ihres Reisepasses zu bedienen; B unterdrückt also den Reisepass is von 229. 2. Subj. TB: a) Tatvorsatz: hinsichtlich - Tatobjekt: Urkunde, über die der Täter nicht oder nicht allein verfügen darf: Urkunde = normatives TB-Merkmal. Bei diesen genügt PWidLS, dh der Täter muss nicht die erforderliche rechtliche Wertung juristisch exakt nachvollzogen haben, sondern es genügt, dass er den sozialen Bedeutungsgehalt des normativen Merkmals richtig erfasst hat. B hat den sozialen Bedeutungsgehalt des Reisepasses als Identitätsnachweis für A richtig erfasst; ihm ist bekannt, zu welchen Zwecken ein Reisepass dient. Fehlende Verfügungsbefugnis: B weiß, dass er über den Reisepass nicht verfügen darf; Wissentlichkeit is von 5 Abs 3. Unterdrückung: B weiß, dass er den Reisepass unterdrückt, indem er diesen in ein Gebüsch wirft. b) Erweiterter Vorsatz: Gebrauchsverhinderungsvorsatz Vorsatz, zu verhindern, dass die Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde. B hielt es für gewiss, dass er, indem er den Reisepass ins Gebüsch warf, verhindert, dass A den Ausweis im Rechtsverkehr zum Beweis ihrer Identität gebrauchen kann;
UE SS 2007 7 Gebrauchsverhinderungsvorsatz in Form der Wissentlichkeit is des 5 Abs 3. Möglich auch Annahme von lediglich dolus eventualis is von 5 Abs 1, zweiter Hs. II und III B verwirklicht 229 Abs 1. Das Wegwerfen der Tasche mit der Bankomatkarte in ein Gebüsch Entfremdung unbarer Zahlungsmittel gem 241e Abs 3: I. TB 1. OTB: - Unbares Zahlungsmittel: Legaldefinition in 74 Abs 1 Z 10; eine Bankomatkarte ist ein personenbezogenes körperliches Zahlungsmittel, das den Aussteller erkennen lässt (die jeweilige Bank), das durch Codierung und Unterschrift gegen Fälschung oder missbräuchliche Verwendung geschützt ist; zudem dient die Bankomatkarte zweifellos der Ausgabe von Bargeld bzw die Bankomatkarte hat auch bargeldvertretende Funktion. - Fehlende Verfügungsberechtigung: Weil B nicht über die Bankomatkarte der A verfügen darf, sich insb keine Anhaltspunkte im SV für eine etwaige Verfügungsberechtigung ergeben, ist dieses Merkmal unproblematisch erfüllt. - Tathandlung: in Betracht kommt das Unterdrücken. Unterdrücken = jede Handlung, die das unbare Zahlungsmittel unversehrt erhält, den Berechtigten jedoch, wenn auch nur vorübergehend, um die Möglichkeit bringt, sich des Zahlungsmittels zu bedienen. Indem B die Bankomatkarte ins Gebüsch wirft, bringt er die A als Verfügungsberechtigte um die Möglichkeit, sich dieser Karte zu bedienen; B unterdrückt also das unbare Zahlungsmittel. 2. Subj. TB: a) Tatvorsatz: hinsichtlich
UE SS 2007 8 - Tatobjekt: Unbares Zahlungsmittel, über das der Täter nicht oder nicht allein verfügen darf: Unbares Zahlungsmittel = normatives TB-Merkmal. Bei diesen genügt PWidLS, dh der Täter muss nicht die erforderliche rechtliche Wertung juristisch exakt nachvollzogen haben, sondern es genügt, dass er den sozialen Bedeutungsgehalt des normativen Merkmals richtig erfasst hat. B hat den sozialen Bedeutungsgehalt der Bankomatkarte als Mittel zur Geldbehebung richtig erfasst; ihm ist bekannt, welchen Zwecken eine Bankomatkarte dient. Fehlende Verfügungsbefugnis: B weiß, dass er über die Bankomatkarte der A nicht verfügen darf; Wissentlichkeit is von 5 Abs 3. b) Erweiterter Vorsatz: Verwendungsverhinderungsvorsatz Vorsatz, zu verhindern, dass das unbare Zahlungsmittel im Rechtsverkehr verwendet wird. B hielt es für gewiss, dass er, indem er die Bankomatkarte der A ins Gebüsch warf, verhindert, dass A die Bankomatkarte im Rechtsverkehr verwendet; Verwendungsverhinderungsvorsatz in Form der Wissentlichkeit is des 5 Abs 3. Möglich auch Annahme von lediglich dolus eventualis is von 5 Abs 1, zweiter Hs. II und III B verwirklicht 241e Abs 3. Ergebnis: B verwirklicht 127 (Geld), 135 (Tasche), 229 (Reisepass) und 241e Abs 3 (Bankomatkarte) in echter Konkurrenz.
UE SS 2007 9 II. Ad a) Strafberufung gem 283 Abs 1 StPO. Die Strafbemessung ist eine Ermessensentscheidung des Gerichts, welche mit Strafberufung bekämpft werden kann. Nur bei Verstößen gegen zwingendes Recht kommt eine Nichtigkeitsbeschwerde gem 281 Abs 1 Z 11 StPO in Betracht. Über die Strafberufung entscheidet das OLG als GH II. Instanz ( 280 StPO). Ad b) Strafberufung gem 464 Z 2 StPO aus den gleichen Gründen. Darüber entscheidet gem 463 StPO der GH I. Instanz. Dabei handelt es sich konkret um das Landesgericht als Senat von 3 Richtern ( 31 Abs 5 Z 1 StPO-neu).