Bürger können Planung stoppen Trotz gesetzlicher Einschränkung bleibt das Ob der Bauleitplanung bürgerentscheidsfähig Von Roland Geitmann, Kehl Bürger, die Bebauungspläne stoppen wollen, erhalten vielfach falsche Auskünfte: In Bauplanungsfragen seien Bürgerbegehren und entscheide unzulässig. So allgemein stimmt das nicht. 21 Gemeindeordnung ist laut Auskunft des Innenministeriums Baden-Württemberg offener als gedacht. Bürger schützen ihre Umwelt. Der weitere Flächenverbrauch durch Neubaugebiete muss erheblich reduziert werden. Als allgemeine Zielsetzung ist dies politischer Konsens. Doch die Wünsche von Häuslebauern, Gewerbe und Industrie locken Gemeinden immer wieder in einen bedenklichen Wettbewerb des Nachgebens. Deshalb ist es wichtig, dass Bürger aufpassen und sich aus ökologischer Verantwortung, oft gepaart mit legitimen eigenen Interessen, weiterer Versiegelung in den Weg stellen. Instrumente hierfür könnten Bürgerbegehren und entscheid sein. Seit dem Jahr 2005 sind nicht mehr nur ganz bestimmte im Gesetz genannte Angelegenheiten bürgerentscheidsfähig, sondern im Prinzip alle Fragen, für die der Gemeinderat zuständig ist. Allerdings gibt es in 21 Abs. 2 Gemeindeordnung einen Ausnahmekatalog, der bei dieser Gelegenheit um den Tatbestand Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften erweitert wurde. Bürger können Bebauungspläne verhindern. Diese Vorschrift scheint auf den ersten Blick die ökologisch wünschenswerte Bürgerbremse bei Ausweisung neuer Baugebiete zu blockieren. Doch dem ist nicht so. Das Innenministerium Baden- Württemberg hat in einer Stellungnahme an die Gemeinde Bad Wurzach schon im November 2005 klargestellt (siehe Kasten), dass die Frage des Ob bürgerentscheidsfähig bleibt und nur Fragen des Wie davon ausgenommen sind: Die Bürger könnten dem Gemeinderat, so heißt es dort, einen Auftrag zur Planung erteilen; gleiches gelte umgekehrt auch für negative Entscheidungen wie Planungsverzicht, Planungsstopp und Aufhebung von Bauleitplänen. Diese Entscheidungen seien bürgerentscheidsfähig, da keine Abwägungen im Sinne des förmlichen Verfahrens erforderlich seien. Vielschichtige Abwägungsprozesse im Wie. Schon die Begründung des Reformgesetzes von 2005 verweist darauf, dass Bauleitplanung nach dem Baugesetzbuch des Bundes vielschichtige Abwägungsprozesse erfordere und nicht auf eine Ja-Nein-Fragestellung reduziert werden könne. Grundsatzentscheidungen im
2 Vorfeld eines bauplanungsrechtlichen Verfahrens zur Gemeindeentwicklung sollen davon jedoch unberührt, also bürgerentscheidsfähig bleiben. Ähnlich argumentieren Verwaltungsgerichte selbst in jenen Bundesländern (u.a. Bayern), die den Ausnahmetatbestand Bauleitpläne bei Bürgerbegehren nicht kennen, aber aus den Abwägungs- und Verfahrenserfordernissen des Baugesetzbuchs gewisse Einschränkungen für Bürgerentscheide folgern. Umso bemerkenswerter ist, dass der Landesgesetzgeber in Baden-Württemberg laut Auskunft des Innenministeriums an dieser Stelle von direkter Bürgermitbestimmung wohl nicht mehr ausschließen will als bundesrechtlich vorgegeben. Moratorium bei Flächenplanung ist Bürgerrecht. So unbefriedigend die Reform des 21 GemO über Bürgerbegehren und entscheid angesichts vieler weiterer offen gebliebener Wünsche ist (weitere Senkung des Zustimmungsquorums, überflüssige Frist, noch keine Bürgerentscheide auf Landkreis- und Ortschaftsebene u.a.), so erleichtert kann man nach der Klarstellung des Innenministeriums sein. Denn wie die gegenüber Baden-Württemberg viel lebendigere bayerische Praxis zeigt, ist die Bauleitplanung ein vorrangiges Feld für Bürgerbegehren. Etwa zwei Drittel davon wiederum verlangen schlicht Planungsstopp. Solche Wünsche (wie auch die Aufhebung von Bauleitplänen) wären nach der Interpretation des Innenministeriums also durchaus bürgerentscheidsfähig. Allein diese Interpretation entspricht sowohl dem Gesetzeswortlaut als auch dem Sinn und Zweck sowie der Regel, Ausnahmen eng auszulegen. Bauleitpläne sind das mögliche Ergebnis mehrschrittiger Bauleitplanung. Erst das positive Resultat nach vielfältigen Entscheidungen über Einwendungen und Bedenken fällt unter den Ausschlusstatbestand. Weder die Einleitung des Verfahrens und einzelne Verfahrensschritte noch der Stopp haben solche Komplexität und Folgen. Vor allem zementieren sie nichts; denn der Stopp (wie auch Planungsverzicht und aufhebung) lässt gerade alles offen und ist angesichts der auf drei Jahre begrenzten Bindungsfrist eines Bürgerentscheids nicht mehr als ein Moratorium. Eine solche Denkpause sollten Bürger bei Flächenplanung allemal bewirken können. Bürger wollen sich auch konstruktiv beteiligen. Offen lässt das Innenministerium allerdings die Frage, inwieweit inhaltliche Vorgaben für ein Bauleitplanverfahren Gegenstand eines Bürgerentscheids sein können, z.b. die Zahl der Vollgeschosse oder die Herausnahme bestimmter Grundstücke aus dem Bauerwartungsland eines Flächennutzungsplans, und ob sich solche Vorgaben auf Grundsatzentscheidungen im Vorfeld bauplanungsrechtlicher Verfahren zur Gemeindeentwicklung beschränken. Mit Bezugnahme auf die bayerische Rechtsprechung wollte der Innenminister laut Ausschussprotokoll (Lt-Drs. 13/4495) mit dem neuen Ausschlusstatbestand nur abschließende Abwägungsentscheidungen den Bürgern vorenthalten, nicht aber Maßgaben für die Aufstellung eines Bauleitplans. Diese Sicht gäbe Raum für punktuelle Vorgaben während des Verfahrens, wie sie auch dem Gemeinderat zugebilligt werden.
3 Es wäre in der Tat kurzsichtig, den Bürgern nur das Nein zu ermöglichen und ihnen konstruktive Alternativvorschläge zu verwehren. Einen fertigen Bebauungsplan will auch künftig keine Bürgergruppe vorlegen, wohl aber einzelne Vorgaben, wie sie auch der Innenminister im Sinne hatte. Andernfalls bliebe den Bürgern nur der Weg, ihre alternativen Vorstellungen unverbindlich bleibend in die Begründung des Begehrens zu schreiben. Eine entsprechende Ergänzung der ministeriellen Stellungnahme wäre deshalb wünschenswert, die klarstellt, dass der Ausnahmetatbestand Bauleitpläne bei Bebauungsplänen nur die abschließende Entscheidung über alle Einwendungen und Bedenken mit entsprechendem Satzungsbeschluss meint und nicht punktuelle Vorgaben. Die Beteiligungsmöglichkeiten müssen bekannt sein. Besorgniserregend ist indes, dass die einschränkende Interpretation des Ausnahmetatbestands Bauleitpläne nicht allgemein bekannt ist und Gemeinden und Aufsichtsbehörden anfragenden Bürgern zu Unrecht abschlägige Auskünfte erteilen. So will in Nussloch eine Initiative die Bebauung des Freizeitgeländes Alter Berg verhindern. In Waldenburg wehren sich Bürger gegen die Bebauung des Kurgartens. Mit Rückendeckung durch das jeweilige Landratsamt haben beide Gemeinden mit Berufung auf die Gemeindeordnung mitgeteilt, dass das Begehren nicht bürgerentscheidsfähig sei. Im Interesse bürgerfreundlicher Verwaltung und ökologischer Verantwortung sollte deshalb der ministerielle Hinweis sowohl den Behörden als auch der Öffentlichkeit nachdrücklich zur Kenntnis gebracht werden.
Stellungnahme des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 22.11.2005 an die Gemeinde Bad Wurzach: Die Auslegung von 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO in der Fassung des Gesetzes vom 28.07.2005 war Gegenstand der 97. Kommunalreferentenbesprechung am 17.11.2005. Anknüpfend an die dort geführte Diskussion nehmen wir wie folgt Stellung: Neu aufgenommen in den Negativkatalog und somit ausgenommen von einem Bürgerentscheid sind Bauleitpläne sowie die örtlichen Bauvorschriften nach der Landesbauordnung für Baden-Württemberg. Entscheidungen in diesen Bereichen erfordern vielschichtige Abwägungsprozesse. Diese Abwägungen sollen dem Gemeinderat als Hauptorgan der Gemeinde vorbehalten werden und nicht auf eine Ja-Nein-Fragestellung, die zwingend Gegenstand eines Bürgerentscheids sein müsste, reduziert werden. Grundsatzentscheidungen im Vorfeld eines bauplanrechtlichen Verfahrens zur Gemeindeentwicklung sind davon nicht berührt. Die Bürgerschaft kann wie schon bisher entscheiden, ob eine Bauleitplanung erfolgen soll. Sie kann durch Bürgerentscheid dem Gemeinderat einen Auftrag erteilen, ein Verfahren der Bauleitplanung durchzuführen. Gleiches gilt umgekehrt auch für negative Entscheidungen (Planungsverzicht, Planungsstopp, Aufhebung von Bauleitplänen). Diese Entscheidungen sind bürgerentscheidsfähig, da keine Abwägungen im Sinne des förmlichen Verfahrens nach dem Baugesetzbuch erforderlich sind. Die Zulässigkeit eines Bürgerentscheids muss im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der Fragestellung geprüft werden. In der Praxis wird es letztendlich eine Frage der Auslegung durch die Gerichte sein, was formal zur Bauleitplanung gehört und damit nicht bürgerentscheidsfähig ist und was eine Grundsatzentscheidung über die weitere Entwicklung der Gemeinde ist. Bürger können Planung stoppen-anh 1doc.doc
Klicken statt tippen - Internet Anschriften: Innenministerium Baden-Württemberg, Stellungnahme v. 22. 11. 2005 an die Gemeinde Bad Wurzach: www.derwurzacher.de/rubriken/kommunales/include.php?path=content/content.php& contentid=755 Mehr Demokratie e. V., Landesverband Baden-Württemberg (mit Merkblatt für Bürgerbegehren): www.mitentscheiden.de Seminarangebot beim Kehler Hochschultag am 12. Okt. 2007 Alte und neue Probleme mit Bürgerbegehren und entscheiden (Prof. Dr. Roland Geitmann): www.fh-kehl.de/hochschultag/hst2007_10_12/hochschultag.asp Bürger können Planung stoppen-anh 2 Fass.2.doc