Kapitel 4. Arbeit und Energie. 4.1 Ein Ausflug in die Vektoranalysis. 4.1.1 Linienelement

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Transkript:

Kapitel 4 Arbeit und Energie 4.1 Ein Ausflug in die Vektoranalysis 4.1.1 Linienelement Das Linienelement dr längs einer Kurve im Raum lautet (Siehe Abb. 4.1): ds dr = d dy dz (4.1) y dr d dy dz z Abbildung 4.1: Linienelement dr längs einer Kurve im Raum. 97

98 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 4.1.2 Orientiertes Flächenelement 4.1.2.1 Definition Für Rechnungen mit gekrümmten Oberflächen führt man das orientierte Flächenelement bzw. den differentiellen Flächenvektor da ein (Siehe Abb. 4.2). In kartesischen Koordinaten lautet er: da = dy dz dz d d dy (4.2) da Fläche A Abbildung 4.2: Eine endliche Fläche A wird in infinitesimale ebene Flächenelemente da unterteilt. Falls die Oberfläche durch die Parameter (u, v) beschrieben wird, also wenn r y z = (u, v) y(u, v) z(u, v), (4.3)

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 99 gilt da = (y, z) (u, v) (z, ) (u, v) (, y) (u, v) du dv (4.4) Koeffizienten wie z.b. (y, z)/ (u, v) sind die Jacobideterminanten der Koordinatentransformation: y y (y, z) (u, v) = u v y z z u z v y v z (4.5) u u v 4.1.2.2 Beispiel: Kugel Wir verwenden Kugelkoordinaten mit r = R = konst. Dann sind u = ϑ (4.6) v = ϕ (4.7) mit ϑ als Polar- und ϕ als Azimutwinkel. Die Koordinaten eines Punktes r auf der Oberfläche der Kugel lauten dann: r y z = r sin ϑ cos ϕ r sin ϑ sin ϕ r cos ϑ Die drei Jacobideterminanten ergeben sich zu: (y, z) (ϑ, ϕ) (z, ) (ϑ, ϕ) (, y) (ϑ, ϕ) = {r cos ϑ sin ϕ 0} {r sin ϑ cos ϕ ( r sin ϑ)}, (4.8) = r 2 sin 2 ϑ cos ϕ (4.9) = {( r sin ϑ) ( r sin ϑ sin ϕ)} {0 r cos ϑ cos ϕ} = r 2 sin 2 ϑ sin ϕ (4.10) = {r cos ϑ cos ϕ r sin ϑ cos ϕ} {( r sin ϑ sin ϕ) r cos ϑ sin ϕ} = r 2 sin ϑ cos ϑ (4.11)

100 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 1 1 2 f(ϑ) = cos ϑ π 2 π ϑ 1 2-1 Abbildung 4.3: Kosinusfunktion des Polarwinkels ϑ. Der Flächenvektor für die Kugel ist damit gleich: sin ϑ cos ϕ da = sin ϑ sin ϕ r 2 sin ϑ dϑ dϕ (4.12) cos ϑ = ˆr r 2 sin ϑ dϑ dϕ (4.13) Der Flächenvektor zeigt also erwartungsgemäss in Richtung des Radiusvektors r! Der Betrag da da des Flächenvektors ist dann gleich Den Term sin ϑ dϑ formen wir noch wie folgt um: da = r 2 sin ϑ dϑ dϕ (4.14) d cos ϑ = sin ϑ dϑ (4.15) d cos ϑ = sin ϑ dϑ (4.16) da = r 2 d cos ϑ dϕ (4.17) Das negative Vorzeichen kommt zustande, weil bei einer Zunahme des Winkels ϑ der Kosinus abnimmt (siehe Abb. 4.3). Das lässt sich durch Änderung der Integrationsrichtung kompensieren. Damit berechnet sich die Oberfläche der Kugel zu: 1 2π A = r 2 d cos ϑ dϕ = 2 2πr 2 = 4πr 2 (4.18) 1 Oft ist es auch vorteilhaft, die Fläche da zu normieren: 0 dω := da = d cos ϑ dϕ (4.19) r2

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 101 ϑ 1 z ρ 1 ϑ 2 r ρ 2 O r ρ i = r sin ϑ i Abbildung 4.4: Radius ρ i des Kleinkreises für den Polarwinkel ϑ i auf einer Kugel. mit dem infinitesimalen Raumwinkel dω. Dies entspricht einer Projektion der Fläche da auf die Einheitskugel,. Auf entsprechende Weise wurde auch der ebene Winkel durch die Projektion einer beliebigen Linie auf den Einheitskreis definiert (siehe Kap. 1.2.2). Den endlichen Raumwinkel Ω erhält man wieder durch Integration. Der maimal mögliche Raumwinkel ist Ω ma = 1 d cos ϑ 2π dϕ = 2 2π = 4π (4.20) 1 0 Obwohl der Raumwinkel die Dimension 1 aufweist, kann man, in Entsprechung zur Einheit Radiant (1 rad) beim ebenen Winkel, mit der Einheit Steradiant kennzeichnen: [Ω] = 1 sr (4.21) Gleichung 4.14 kann man auch direkt durch geometrische Überlegung herleiten (siehe dazu Abb. 4.4): Für einen vorgegebenen Polarwinkel ϑ ist der Radius ρ des dazugehörenden Kleinkreises 1 gleich ρ = r sin ϑ (4.22) 1 Der Kleinkreis auf der Kugel ist der geometrische Ort aller Punkte auf der Kugeloberfläche mit Polarwinkel ϑ.

102 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 z dy dz da 2 da 1 y d Abbildung 4.5: Ein infinitesimales Volumenelement dv = d dy dz. Die Fläche da eines Kreisrings beim Polarwinkel ϑ mit Winkelöffnung dϑ ist gleich: da = 2πρ (r d cos ϑ) = 2π r 2 sin ϑ dϑ (4.23) Statt des vollständigen Kreisrings erhält man entsprechend für ein Teilstück der Breite dϕ: da = dϕ r 2 sin ϑ dϑ (4.24) 4.1.3 Volumenelement Das Skalarprodukt aus dem differentiellen Flächenvektor d dy mit dem Vektor dz ergibt das sogenannte Spatprodukt dv : dv := (d dy) dz (4.25) So wie der Flächenvektor eigentlich ein Bivektor ist, ist das Spatprodukt ein Trivektor. Bei Rotationen des beschreibenden Koordinatensystems verhält sich das Spatprodukt aber wie ein Skalar, das heisst, sein Wert ädert sich nicht. Damit ist dv das Volumenelement und gleich dem Produkt der Beträge d, dy und dz (Siehe Abb. 4.5): dv = d dy dz (4.26) 4.1.4 Gradient 4.1.4.1 Definition Gegeben sei ein skalares Feld u(r). Abb. 4.6 zeigt als Beispiel die Funktion u(, y) = 2e (2 +y 2 ).

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 103 u(, y) = 2e (2 +y 2 ) y u(, y) Abbildung 4.6: Graphische Darstellung einer Funktion u(, y). Gesucht ist die (richtungsabhängige) differentielle Änderung du des Feldes: du = u d + u y dy + u dz z (4.27) u = ( d, dy, dz ) u y u (4.28) z Die Änderung du des Feldes ist demnach gleich dem Skalarprodukt des Richtungsvektors mit dem Gradienten grad u des Feldes u: du = ds grad u ds u (4.29)

104 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 mit grad u u = u u y u z (4.30) Der Gradient der Funktion in Abb. 4.6 ist als Beispiel in Abb. 4.7 wiedergegeben. u(, y) = 2e (2 +y 2 ) u(, y) = 2u(, y) r y Abbildung 4.7: Graphische Darstellung des Gradienten der in Abb. 4.6 dargestellten Funktion u(, y).

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 105 4.1.4.2 Niveauflächen Niveauflächen sind Flächen mit u = konst. Für Richtungsvektoren ds 0, welche tangential zur Niveaufläche sind, folgt daraus du = 0: 0 = du = ds 0 u (4.31) u ds 0 (4.32) Der Gradient des Feldes steht demnach senkrecht auf der Niveaufläche und zeigt in die Richtung der grössten Änderung (Siehe Abb. 4.8 für ein ebenes Feld u(, y)). y u 3 u = 1 16 2 + 1 9 y2 u 2 u ds 0 u 1 Abbildung 4.8: Niveaulinien u = u i eines skalaren Feldes u(, y). 4.1.4.3 Eigenschaft des (speziellen) Vektorfeldes u Gegeben sei der Gradient grad u eines skalaren Feldes als ein spezielles Vektorfeld 2 v = u (4.33) Das Linienintegral vom Ort r 1 zum Ort r 2 lautet: r 2 r 1 v ds = r 2 r 1 u ds = r 2 r 1 du = u 2 u 1 (4.34) In diesem Fall ist das Integral unabhängig vom Weg! Da sich das Vorzeichen des Integrals bei der Integration in umgekehrter Richtung umkehrt, gilt: u ds = 0 (4.35) 2 Es gibt nämlich auch Vektorfelder, welche nicht als Gradient eines skalaren Feldes darstellbar sind!

106 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 Φ > 0 Φ = 0 Φ < 0 da ϑ F da ϑ F da ϑ F Abbildung 4.9: Definition des Flusses durch eine infinitesimale Fläche da. 4.1.5 Fluss eines Vektorfeldes 4.1.5.1 Definition Der Fluss dφ eines Vektorfeldes durch eine infinitesimale Fläche da wird definiert als: dφ = F da = F da cos ϑ (4.36) wobei da ein Vektor ist, der dem infinitesimalen Flächenelement da entspricht. Offensichtlich ist der Fluss ein Skalar. Der Winkel ϑ ist der Winkel zwischen dem Vektor F und dem Vektor des Flächenelements da. Siehe Abb. 4.9. Der Fluss ist gleich dem Produkt aus der Komponente des Vektors F, die senkrecht zur Oberfläche der Fläche da steht, und dem Betrag der Fläche da. Für eine endliche Fläche von beliebiger Form wird der Fluss durch Integration über die infinitesimalen ebenen Flächenelemente gewonnen. Der gesamte Fluss durch die Oberfläche A ist deshalb gleich Φ = F da (Integration über die gesamte Fläche A) (4.37) A Häufig sind wir am Fluss durch eine geschlossene Oberfläche interessiert. Definitionsgemäss zeigen in diesem Fall die infinitesimalen Flächen da an jedem Punkt der Oberfläche nach aussen.

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 107 z dy v 2 dz da 2 da 1 y d v 1 Abbildung 4.10: Zur Definition der Divergenz v. 4.1.6 Divergenz (Ergiebigkeit, Quellstärke) 4.1.6.1 Definition Gegeben sei der gesamte Fluss eines Vektorfeldes v aus einem kleinen Volumen V heraus (siehe Abb. 4.10): Φ = V v da (4.38) Die Divergenz des Vektorfeldes im Punkt r ist gleich dem totalen Fluss aus einem diesen Punkt umschliessenden differentiellen Volumen V heraus, geteilt durch das Volumen. 1 div v v = lim V 0 V v da = dφ dv (4.39) In Komponenten: ( ) v v = + vy y + vz z (4.40) 4.1.6.2 Der Gaußsche Satz Wir betrachten zwei sich in einer Seitenfläche berührende kleine Würfel mit Volumen V (siehe Abb. 4.11). Wir berechnen den totalen Fluss Φ 1 + Φ 2 aus dem Gesamtvolumen heraus. Dabei ist zu beachten, dass die Flüsse aus gemeinsamen Flächen sich kompensieren, da dort die Flächenvektoren entgegengesetzt gleich gross sind: Φ innen = (v da 1 ) + (v da 1 ) = 0 (4.41)

108 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 z v 2 v 0 da 2 da 1 da 1 da 0 y v 1 Abbildung 4.11: Zur Herleitung des Gaußschen Satzes: Da sich die Flüsse des Feldes v auf der gemeinsamen Seitenfläche der sich berührenden Würfel kompensieren, ist der Gesamtfluss nur der Fluss durch die Aussenflächen. Deshalb ist der Gesamtfluss nur über die äussere Oberfläche zu berechnen! Für makroskopische Körper mit Volumen V und Oberfläche V erhalten wir durch Multiplikation von Gleichung (4.39) mit dv und anschliessender Integration: v da = div v dv v dv (Gaußscher Satz) (4.42) V V V Man kann also mithilfe des Gaußschen 3 Satzes ein Volumenintegral durch ein Oberflächenintegral ersetzen! Ein Feld, für das div v = 0 gilt, nennt man quellenfrei. Nach Gleichung 4.42 folgt daraus, dass der Gesamtfluss aus einer beliebigen, die Quelle umgebenden Oberfläche, ebenfalls gleich null sein muss. 4.1.7 Rotation 4.1.7.1 Zirkulation Wir betrachten ein Vektorfeld v(r) in einer offenen Fläche A. Das Umlaufintegral um die Umrandung A der Fläche 3 Carl Friedrich Gauß (1777-1855), siehe Abb. 4.12

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 109 Abbildung 4.12: Carl Friedrich Gauß (1777-1855) Z := v ds (4.43) wird als Zirkulation bezeichnet (siehe Abb. 4.13). A 4.1.7.2 Rotation Die Rotation eines Vektorfeldes ist ein Vektor, dessen Betrag gleich der Zirkulation einer infinitesimalen offenen Fläche, geteilt durch deren Flächeninhalt ist, und dessen Richtung gleich der Richtung des Flächenvektors ist: ds v 3 1 (r) Z > 0 ds v 3 2 (r) Z = 0 ds 4 ds 2 ds 4 ds 2 ds 1 ds 1 Abbildung 4.13: Zur Definition der Zirkulation A v ds.

110 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 ds 3 u(r) ds 3 ds 4 ds 2 ds 4 ds 2 ds 1 ds 1 Abbildung 4.14: Zur Herleitung des Stokesschen Satzes. Die Beiträge zur Zirkulation kompensieren sich an der gemeinsamen Kante, so dass die gesamte Zirkulation gleich der Zirkulation durch die gemeinsame Aussenkante ist. rot v v = lim A 0 A v ds A A A = dz da da da (4.44) In Komponenten: v = y vz z vy z v vz vy y v (4.45) 4.1.8 Der Stokessche Satz Wir betrachten zwei sich in einer Seitenfläche berührende kleine Quadrate der Fläche A (siehe Abb. 4.14). Wir berechnen die totale Zirkulation Z 1 + Z 2. Dabei ist zu beachten, dass sich die Beiträge an gemeinsamen Kanten kompensieren, da dort die Richtungsvektoren entgegengesetzt gleich gross sind: (v ds 1 ) + (v ds 1 ) = 0 (4.46) Deshalb ist die Zirkulation nur um die Umrandung der Gesamtfläche herum zu berechnen!

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 111 Für makroskopische offene Flächen mit Oberfläche A und Umrandung A erhält man durch Multiplikation von Gleichung (4.44) mit da und anschliessender Integration: v ds = rot v da ( v) da (Stokesscher Satz) (4.47) A A A Man kann also mithilfe des Stokesschen 4 Satzes ein Flächenintegral durch ein Linienintegral ersetzen! 4.1.9 Rechenregeln für den -Operator 4.1.9.1 Allgemeine Regeln 1) Man schreibe den Ausdruck als formales Produkt mit. 2) Linearkombinationen werden formal ausmultipliziert: (c 1 X + c 2 Y ) = c 1 X + c 2 Y (4.48) Dabei sind c 1, c 2 skalare Konstanten und X = X(r), Y = Y (r) skalare oder vektorielle Funktionen von r. 3) Ein Produkt der Form (XY ) schreibt man entsprechend der Kettenregel als und entsprechend (XY ) = ( XY ) + (X Y ) (4.49) (XY Z) = ( XY Z) + (X Y Z) + (XY Z) (4.50) Dabei wird der Differentialoperator nur auf den mit einem senkrechten Pfeil gekennzeichneten Term angewendet. 4) Man forme die Ausdrücke ( XY ), (X Y ) usf. streng nach den Regeln der Vektoralgebra so um, dass nur noch Grössen mit Pfeil rechts von stehen. Dabei behandle man als Vektor. 5) Anschliessend schreibe man die formalen Produkte mit dem Nablaoperator wieder als Ausdrücke der Vektoranalysis, z.b.: 4 George Gabriel Stokes (1819-1903) U( V ) = U grad V (4.51)

112 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 W = F s s F α F Abbildung 4.15: Zur Definition der Arbeit W. 4.1.9.2 Beispiel grad(f G) = ( F G) + (F G) (4.52) Es ist Damit ergibt sich: a (b c) = b(a c) c(a b) (4.53) b(a c) = a (b c) + (a b)c (4.54) und (F G) = F ( G) + (F )G (4.55) ( F G) = G ( F ) + (G )F (4.56) grad(f G) = F ( G) + G ( F ) + (F )G + (G )F (4.57) 4.2 Arbeit, Leistung 4.2.1 Mechanische Arbeit Verschiebt sich der Angriffspunkt einer Kraft F längs eines geraden Wegstückes s (siehe Abb. 4.15), so leistet diese Kraft die Arbeit: W = F s = F s = F s = F s cos α (4.58)

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 113 m m mg mg m v mg m W < 0 m W > 0 W = 0 Abbildung 4.16: Von der Gravitationskraft an der Masse m geleistete Arbeit. Im Spezialfall, wenn F parallel zu s ist, erhalten wir W = F s. Falls hingegen F senkrecht auf s steht, wird W = 0 5. Abb. 4.16 verdeutlicht die Auswirkung des Winkels zwische Kraft und Richtungsvektor auf die geleistete Arbeit. Falls die Kraft F vom Ort abhängt oder ihr Angriffspunkt auf einem gekrümmten Weg Γ von r 1 nach r 2 verschoben wird (siehe Abb. 4.17), so müssen wir die Definition von W verallgemeinern: W = r 2(Γ) r 1(Γ) F ds = r 2 r 1 F ds (4.59) Dabei ist F die Summe aller äusseren Kräfte. Die Einheit der Arbeit (und der Energie) im SI-System ist das Joule 6. Sie ergibt sich aus der Definition (Kraft Weg): 1 N m = 1 J = 1 m2 kg s 2 = 1 W s (4.60) Beispiele für Bewegungen ohne Arbeit: 1) Gleichförmige Kreisbewegung: 5 An dieser Stelle soll erneut betont werden, dass der physikalische Begriff der Arbeit sich wesentlich vom umgangsprachlichen Begriff Arbeit unterscheidet. Falls Sie einen Koffer von A nach B schleppen, wobei A und B die gleiche Höhe haben, leisten Sie keine Arbeit. Eine Umzugsfirma, die einen Konzertflügel vom obersten Stockwerk eines Hauses auf die Strasse wuchtet, leistet im Sinne der Physik nur negative Arbeit - trotzdem fordert sie aber eine positive Anzahl von Franken für die geleistete Arbeit. 6 Joule wird als Dschuul ausgesprochen

114 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 y F b dr b dr a F a F c dr c dr e dr 1 F 1 r 2 dr d r 1 F d F e Abbildung 4.17: Ein Teilchen bewegt sich entlang einer Bahnkurve Γ in zwei Dimensionen, die zwei Punkte 1 und 2 verbindet. Die Kraft wird als eine Funktion des Ortsvektors definiert. Die Arbeit wird berechnet entlang der Bahn. Es wirkt die Zentripetalkraft F ZP = m v2 r Das Wegelement ist gegeben durch ˆr (4.61) ds = v dt ˆr W = F ds = 0 (4.62) 2) Reibungsfreies horizontales Gleiten: F ds = ( 0 mg ) ( d 0 ) = 0 (4.63) 4.2.2 Leistung Als Leistung (Power, P ) definieren wir die pro Zeit geleistete Arbeit: P = dw dt (4.64) Die Einheit der Leistung ist im SI-System das Watt: 1 N m s = 1 m2 kg s 3 = 1 J s = 1 W (4.65)

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 115 P = F v v α Abbildung 4.18: Leistung bei Bergfahrt. Veraltete, ungesetzliche Einheiten sind PS und m kp: 1 PS = 75 m kp s = 735 W (4.66) Wird der Angriffspunkt einer Kraft F mit der Geschwindigkeit v verschoben, so beträgt die zugehörige Leistung: P = F ds dt = F v (4.67) Beispiel: Ein Automobil mit der Masse m = 1000 kg soll mit einer Geschwindigkeit v = 72 km/h = 20 m/s eine Strasse mit der Steigung tan α = 10 % hinauffahren (siehe Abb. 4.18). Dazu ist eine Leistung von P 1 = G v sin α m g v α 20 kw (4.68) erforderlich. Soll das Vehikel (bei der gleichen Geschwindigkeit) eine Beschleunigung von a = 5 m s 2 erreichen, so muss der Motor zusätzlich die Leistung P 2 = m a v = 100 kw (4.69) abgeben. Zur Überwindung der Reibung in der Luft ist eine Leistung erforderlich, die sogar mit der 3. Potenz der Geschwindigkeit zunimmt: P 3 = c w A ρ 2 v2 v v 3 (4.70)

116 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 4.3 Kinetische Energie Unter der Annahme einer konstanten Masse können wir die Arbeit W für einen Massenpunkt folgendermassen umformen: W = r 2 W = m r 1 F dr = v 2 r 2 r 1 dv m dt dr = r 2 r 1 dv m dt v dt (4.71) v dv (4.72) v 1 = m [ ] v 2 v 2 2 v 1 = m 2 v2 2 m 2 v2 1 (4.73) Dabei ist v i die Geschwindigkeit am Ort i. Definition: Die kinetische Energie T eines Massenpunktes mit Masse m und Geschwindigkeit v ist gleich: T := 1 2 m v2 = p2 2m Beachte: Diese Gleichung gilt nur für v c! Aus Gl. (4.74) folgt dann: Beachte: 1) Gl. (4.73) gilt für beliebige Kraftfelder! (4.74) W = T (r 2 ) T (r 1 ) (4.75) 2) Bei gleichförmiger Kreisbewegung ist v = konst.. v 2 = konst. T (r2 ) T (r 1 ) = 0 = W! (4.76) 3) F steht für die Summe aller Kräfte, die am Massenpunkt angreifen. 4.4 Potentielle Energie und konservative Kräfte 4.4.1 Konservative Kräfte Es sei F (r) ein Kraftfeld und U(r) = U(, y, z) eine stetige (stückweise differenzierbare) Funktion, so dass gilt: F (r) = U = grad U (4.77)

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 117 Dann nennt man F (r) ein konservatives Kraftfeld (siehe dazu auch Kap. 4.1.4.3)! 4.4.2 Potentielle Energie und Potential Wir berechnen die Arbeit, die ein konservatives Kraftfeld beim Verschieben eines Massenpunktes von r 1 nach r 2 verrichtet (siehe Abb. 4.17 und Gln. (4.29) und (4.34)): W = r 2 r 1 r 2 = r 2 F dr = r 1 ( U) dr (4.78) r 1 du = U(r 1 ) U(r 2 ) (4.79) Vorsicht: Die vom Kraftfeld verrichtete Arbeit ist offensichtlich stets positiv! Um eine negative Arbeit zu erzeugen, muss man von aussen eine zum Kraftfeld entgegengesetzte Kraft wirken lassen, z.b., um einen Körper im Gravitationsfeld hochzuheben. Die Funktion U(r) wird als Potential, die Potentialdifferenz {U(r 1 ) U(r 2 )} als potentielle Energie bezeichnet. Der grosse Vorteil des Potentialfelds ist die Tatsache, dass U(r) ein skalares Feld ist, so dass man zur Beschreibung der Wechselwirkung an jedem Ort nur eine statt drei Grössen beim Kraftfeld benötigt. Die potentielle Energie U 2(1) des Punktes r 2 bezüglich des Punktes r 1 ist damit gleich: r 2 U 2(1) := U(r 2 ) U(r 1 ) = r 1 F dr (4.80) Bei konservativen Kraftfeldern hängt die zum Verschieben eines Massenpunktes erforderliche Arbeit nicht vom Weg, sondern nur von den Endpunkten ab! Man beachte: Eine vom Kraftfeld auf dem Weg von r 1 nach r 2 geleistete positive Arbeit führt zu einer Verringerung der potentiellen Energie! Wir beweisen nun die Wegunabhängigkeit der Arbeit beim konservativen Kraft-

118 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 feld mithilfe des Stokesschen Satzes: F dr = = A ( U) dr rot( U) da = 0 (4.81) } {{ } 0 Beachte: Zeitabhängige Kraftfelder F (r, t) oder geschwindigkeitsabhängige Kraftfelder F (r, v) sind im allgemeinen nicht konservativ! Das Potentialfeld U ist nur bis auf eine additive, willkürliche Konstante bestimmt: U := U + c (4.82) U = (U + c) = U + 0 (4.83) F = U (4.84) Man kann also den Nullpunkt des Potentials willkürlich festlegen. Physikalisch besitzt er keine Bedeutung, da er nicht messbar ist! Potentialfelder sind nur bis auf eine willkürliche additive Konstante bestimmt, da eine Änderung des Potentialfeldes um eine Konstante, U = U +c, zur selben Kraft F (r) führt. Man legt diese Konstante beispielsweise bei Feldern mit unendlicher Reichweite meistens derart fest, dass das Potentialfeld im Unendlichen verschwindet. Messbar dagegen ist die Kraft, und damit verbunden über F ds, die Änderung in der potentiellen Energie! 4.4.2.1 1. Beispiel: Gravitationskraft nahe der Erdoberfläche Wir wählen die z-achse für die Vertikale und können aus Symmetriegründen die 2. horizontale Achse vernachlässigen (Siehe Abb. 4.19). Es ist F dr = (0, mg) ( d dz ) (4.85) = m g dz (4.86) Da wir den Bezugspunkt für die potentielle Energie nach dem oben Gesagten willkürlich festlegen können, wählen hier dazu r 1. Ausserdem setzen wir

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 119 z 2 z W A = W B = mg (z 2 z 1 ) r 2 Weg A W A Weg B W B z 2 z 1 ds A ds B z 1 r 1 Abbildung 4.19: Zur Wegunabhängigkeit der Arbeit im Gravitationsfeld. U(r 1 ) U 1 = 0. Dann ist die potentielle Energie U 2(1) bezüglich r 1 gleich r 2 U 2(1) U 2 U }{{} 1 = =0 r 1 F dr (4.87) z 2 = m g dz (4.88) z 1 U 2(1) = m g (z 2 z 1 ) (4.89) 4.4.2.2 2. Beispiel: Gespannte Feder In Kap. 3.9.3 hatten wir das Hookesche Gestz für die Federkraft kennengelernt (Siehe Abb. 4.20). Wir sind nun in der Lage, die potentielle Energie bzw. das Potential dazu zu berechnen. Die von der Feder ausgeübte Kraft ist gleich: F R = k ( 0 ) (4.90)

120 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 m F R = + > 0 F R < 0 m m F R = 0 F R = 0 = < 0 F R > 0 0 + Abbildung 4.20: Federkraft-Diagramm. Weil die Federkraft versucht, die Feder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen, spricht man von Rückstellkraft F R. Da das Problem eindimensional ist, haben wir die Kraft als eindimensionalen Vektor dargestellt. F R ist also nicht gleich dem Betrag eines Vektors, sondern kann sowohl positive als auch negative Werte annehmen! Als Bezugspunkt wählen wir hier die Ruhelage 0 = 0. Dann ist U (0) U() U(0) = F ( ) d (4.91) }{{} =0 0 = k d (4.92) 0 U() = 1 2 2 (4.93) Dies ist das Potential des harmonischen Oszillators (Siehe Kap. 3.8.1). Die Abb. 4.21 zeigt das Potential in Funktion der Auslenkung. U() Abbildung 4.21: Potential einer gespannten Feder.

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 121 Na Cl Cl Na Cl Na Na Cl Abbildung 4.22: Ausschnitt aus dem Kristallgitter von NaCl. 4.4.2.3 3. Beispiel: Potential im NaCl-Kristall Abb. 4.22 zeigt einen Ausschnitt aus dem Kristallgitter von Kochsalz (NaCl). Das Potential des Cl -Ions im durch die Na + -Ionen erzeugten Feld in Abhängigkeit vom Abstand wird durch die Funktion in Abb. 4.23 wiedergegeben. Die auf das Cl -Ion wirkende Kraft lautet: F = U (4.94) Bei kleinen Abständen wirkt die Kraft stark abstossend, bei grossen dagegen anziehend. Damit ermöglicht dieses Potential eine stabile Bindung. 4.4.2.4 4. Beispiel: Zentralfeld Die potentielle Energie U(r) der Gravitation stellt ein Zentralfeld dar, da sie nur vom Abstand r vom Gravitationszentrum abhängt. m 1 m 2 U(r) = U(r) = G N + U 0, U 0 = konst. (4.95) r ( ) 1 F = U = G N m 1 m 2 ; (4.96) r

122 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 U() F = du d 1 F 1 0 0 F 2 2 du/d < 0 abstossend du/d > 0 anziehend Abbildung 4.23: Potential von Cl im Feld von Na +. ( ) 1 = r r = ( 1) r 1 ( r) r r y r z r 2 = r r 2 ; (4.97) (4.98) Aus Symmetriegründen genügt es, nur die erste partielle Ableitung in Gl. (4.98) zu berechnen: r = 2 + y 2 + z 2 (4.99) = 2 + y 2 + z = (4.100) 2 r

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 123 r = r y r z r Damit folgt für die Gravitationskraft: = 1 r y z = r r = ˆr (4.101) ( ) 1 = ˆr (4.102) r r 2 F (r) = G N m 1 m 2 ˆr r 2 (4.103) Für die potentielle Energie muss noch die Konstante U 0 festgelegt werden. Häufig verlangt man, dass U im Unendlichen verschwindet (siehe Abb. 4.24), also: U 0 := lim U(r) = 0 (4.104) r Es ist in diesem Zusammenhang unwesentlich, dass das Potential stets negativ ist, da, wie bereits mehrfach erwähnt, allein die Potentialdifferenz eine physikalische Bedeutung besitzt. 4.4.3 Die geometrische Form des Gradienten Wir betrachten die Bewegung eines Körper, auf den nur konservative Kräfte wirken. Diese Kräfte können durch eine potentielle Energie dargestellt werden: E pot = E pot (r) = E pot (, y, z) (4.105) Wenn der Körper sich eine Strecke dr = (d, dy, dz) bewegt, ändert sich seine potentielle Energie: de pot = E pot ( + d, y + dy, z + dz) E pot (, y, z) (4.106) Wir können diese Änderung mit Hilfe der partiellen Ableitungen ausdrücken: de pot = E pot d + E pot y dy + E pot dz (4.107) z oder de pot = E pot (d, dy, dz) = E pot dr (4.108) Mit dieser Beziehung können wir die folgenden Situationen diskutieren:

124 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 U(r) 0 r F (r) = U = G N m 1 m 2 ˆr r 2 Abbildung 4.24: Gravitationspotential. 1) Wenn die Verschiebung dr in dieselbe Richtung wie der Gradient zeigt, ist die Änderung der potentiellen Energie positiv, und die potentielle Energie des Körpers nimmt maimal zu. 2) Wenn die Verschiebung dr senkrecht zum Gradienten steht, ist die Änderung der potentiellen Energie gleich null, und die potentielle Energie des Körpers bleibt konstant. 3) Wenn die Verschiebung dr in entgegengesetzte Richtung des Gradienten zeigt, ist die Änderung der potentiellen Energie negativ, und die potentielle Energie des Körpers nimmt ab. Der Gradient zeigt in die Richtung der maimalen Änderung der potentiellen Energie. Äquipotentiallinien. Wir betrachten die Flächen, die durch die folgende Gleichung definiert werden: E pot (r) = E pot (, y, z) = konst. (4.109)

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 125 a) U() b) U() c) U() 0 0 0 Abbildung 4.25: a) Stabiles, b) labiles und c) indifferentes Gleichgewicht. Auf diesen Flächen ist die potentielle Energie konstant. Ein Körper, der sich auf einer solchen Fläche bewegt, besitzt eine konstante potentielle Energie. Wenn wir zwei Dimensionen betrachten, werden diese Flächen durch Höhenlinien dargestellt. Die Höhenlinien entsprechen den Linien, entlang welchen die potentielle Energie konstant ist. Wegen der Definition der Kraft, nämlich F = E pot, (4.110) zeigt die Kraft abwärts und senkrecht zu den Höhenlinien, da wenn dr tangential zur Höhenlinie verläuft. de pot = E pot dr = 0 (4.111) 4.4.4 Gleichgewichtslage Ein Massenpunkt ist im Gleichgewicht, wenn die resultierende Kraft gleich null ist. Das Potential hat dann eine waagrechte Tangente. man unterscheidet je nach Potentialverlauf stabile, labile und indifferente Gleichgewichtslagen (siehe Abb. 4.25) 4.4.5 Spezifische Potentiale und Energiepotentiale In Kap. 3.9.1, Gl. (3.89) hatten wir ein Kraftfeld F (r, t) als Produkt dargestellt: F (r, t) = γ f(r, t) Dabei ist γ eine Grösse, die sich nur auf das einzelne Teilchen bezieht, wie z.b. die Masse oder die Ladung des Teilchens, während f(r, t) die Wirkung der restlichen (n 1) Teilchen beschreibt. Der Vorteil dieser Darstellung legt darin, dass man für unterschiedliche Teilchen stets nur ein Feld benötigt!

126 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 Das spezifische Potential wird entsprechend gebildet: V (r) = 1 γ U(r), (4.112) wobei U(r) die Potential darstellt. Zur besseren Unterscheidung werden wir in dieser Vorlesung Potentiale vom Typ U(r) als Energiepotentiale oder auch nur als Potentiale, Potentiale vom Typ V (r) dagegen als spezifische Potentiale bezeichnen! 4.5 Energieerhaltung 4.5.1 Energiesatz der Mechanik Im abgeschlossenen System folgt für konservative Kraftfelder aus Gln. (4.73) und (4.79): W = 1 2 m v2 2 1 2 m v2 1 = U(r 1 ) U(r 2 ) (4.113) { } { } 1 1 2 m v2 1 + U(r 1 ) = 2 m v2 2 + U(r 2 ) E ges (4.114) Die Summe der potentiellen und der kinetischen Energien bleibt für alle Zeiten konstant. Die Gesamtenergie ist demnach konstant und wird als Erhaltungsgrösse der Bewegung bezeichnet. Man beachte aber, dass der mechanische Energiesatz nur dann gilt, wenn ausschliesslich konservative Kräfte vorkommen. Sobald Reibung im Spiel ist, dürfen wir dieses Gesetz nicht mehr verwenden, da wir sonst unter Umständen ganz unsinnige Resultate erhalten können. Wir werden deshalb später den Energiebegriff noch wesentlich erweitern müssen, indem wir auch die Ruheenergie mc 2 und die ungeordnete kinetische Energie (d.i. die Wärmeenergie Q der Moleküle) mit in unsere Betrachtungen einschliessen. Erst damit erhalten wir dann den eigentlichen Energiesatz (für ein abgeschlossenes System): E = mc 2 + T + U + Q +... = konstant (4.115)

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 127 Der Energiesatz besagt auch nicht, ob und wieweit es gelingt, die verschiedenen Energieformen ineinander zu verwandeln. Auf diese Frage werden wir erst eingehen können, nachdem wir den 2. Hauptsatz der Wärmelehre besprochen haben. Im Kapitel über Relativitätstheorie schliesslich werden wir noch den Zusammenhang zwischen Energie und Masse (die berühmte Formel von Einstein, E = m c 2 ) klären. Aus dem Energiesatz folgt sofort, dass es unmöglich ist, ein Perpetuum Mobile 1. Art zu bauen: Es gibt keine Maschine, die ununterbrochen Arbeit liefert, ohne dass von aussen Energie zugeführt würde oder dass Veränderungen im System entstünden. Selbst wenn es manchmal schwierig ist, bei einer komplizierten Konstruktionszeichnung herauszufinden, wo der Fehler versteckt ist, wissen wir von vornherein, dass mit keinem derartigen Trick Arbeit gewonnen werden kann. Falls sowohl konservative Kräfte F K als auch nichtkonservative Kräfte F NK auftreten, gilt: r 2 W ges = = r 2 r 1 F dr = r 2 r 1 F K dr } {{ } =U 1 U 2 := U r 2 r 1 + (F K + F NK ) dr r 2 F NK dr = (T 2 T 1 ) } {{ } r 1 := T (4.116) r 1 F NK dr = T + U = E ges (4.117) 4.5.2 Anwendung: Bewegung eines Balles in einer Kreisschleife Wir betrachten einen Ball, der sich in der in Abb. 4.26 gezeigten Schleife bewegen kann. Was ist die Mindesthöhe, von welcher der Ball starten muss, um die Schleife erfolgreich zu beenden? Wir nehmen zur Vereinfachung des Problems an, dass der Ball, ohne zu rollen und ohne Reibung gleitet, und dass seine Ausdehnung vernachlässigbar klein ist. Der Ball gewinnt an Geschwindigkeit, während er sich abwärts bewegt, und verliert Geschwindigkeit, wenn er sich aufwärts bewegt. In jedem Punkt der Bahn wirken zwei Kräfte auf den Ball (siehe Abb. 4.27): 1) Die Gravitationskraft mg, die stets nach unten zeigt. 2) Die von der Bahn ausgeübte Normalkraft N, deren Richtung von der Position des Balls abhängt.

128 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 h z A v A = 0 2R v B B R Abbildung 4.26: Bewegung in einer Schleife von Punkt A zu Punkt B. h z A v = 0 2R B N 1 N B = 0 mg F 1 mg N 3 N 2 F 3 mg mg Abbildung 4.27: Bei der Bewegung in einer Schleife auftretende Kräfte. An den Punkten 1 und 3 sind die resultierenden Kräfte F 1 und F 3 eingezeichnet.

Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007 129 Die Bedingung dafür, dass sich der Ball im Kreis bewegt, lautet gemäss Gl. (2.40): a = v2 R, wobei R der Radius der Kreisschleife ist. Damit ist die auf den Ball wirkende resultierende Kraft gleich N + mg = ma = m v2 r ˆr (4.118) Da sowohl die Schwerkraft als auch die für die Bewegung im Kreis erforderliche Kraft bekannt sind, kann man daraus die von der Bahn auf den Ball ausgeübte Normalkraft bestimmen: ( ) v 2 N = m r ˆr g (4.119) Wir bemerken: Am höchsten Punkt der Schleife (Punkt B) zeigen die Gravitationskraft, die Normalkraft und die Zentripetalkraft in dieselbe Richtung und nach unten. Am Punkt B gilt demnach: ( ) v 2 N = m r g (4.120) Da der Betrag der Kraft N immer positiv oder null ist, muss die minimale Geschwindigkeit des Balles, wenn er einen Kreis beschreiben soll N = 0 oder mg = m v2 (4.121) r entsprechen. In diesem Fall bestimmt die Gravitationskraft allein die Kreisbewegung des Balls. Damit erhalten wir: v = gr (4.122) Wenn die tatsächliche Geschwindigkeit geringer als die minimale Geschwindigkeit ist, wird sich der Ball vom Kreis lösen. Um die entsprechende Höhe h zu berechnen, bestimmen wir die gesamte Energie in den Punkten A und B der Figur 4.27: Punkt A: E A = 1 2 v2 A + mgh = 0 + mgh (4.123) Punkt B: E B = 1 2 m ( gr ) 2 + mg (2R) = 1 2 mgr + 2mgR = 5 2 mgr Wenn wir die Energieerhaltung anwenden, erhalten wir: (4.124) h = 5 2 R (4.125)

130 Physik I, Prof. W. Fetscher, HS 2007