Klassikerseminar: Karl R. Popper Zum Abgrenzungsproblem (LdF I.4 ff., Sitzung 3: )

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Transkript:

TU Dortmund, Wintersemester 2011 Institut für Philosophie und Politikwissenschaft C. Beisbart Klassikerseminar: Karl R. Popper Zum Abgrenzungsproblem (LdF I.4 ff., Sitzung 3: 24.10.2011) 1. Das Abgrenzungsproblem Popper löst das Rationalitätsproblem (nicht: das Induktionsproblem; das hält er für nicht lösbar), indem er behauptet, dass die Wissenschaft (wenigstens was die Ebene der Rechtfertigung angeht) ohne Induktion auskommt. Dadurch wird nach Popper jedoch ein anderes Problem virulent, nämlich das Abgrenzungsproblem. Abgrenzungsproblem/Demarkationsproblem/Kantsches Problem: Grenze Wissenschaft ab; definiere Wissenschaft. Die Abgrenzung wird durch ein Abgrenzungskriterium geleistet. Bezug: Mit Wissenschaft ist die empirische Naturwissenschaft gemeint. Abgrenzung von was? Popper nennt Logik, Mathematik und Metaphysik und an anderen Stellen Pseudowissenschaft. Historisch war Poppers Interesse zunächst wohl auf die Abgrenzung von der Pseudowissenschaft gerichtet; erst durch Kontakt mit dem Wiener Kreis begann er sich für die Abgrenzung der empirischen Wissenschaften von der Metaphysik zu interessieren (Keuth 2000, S. 30). Terminologie: Kantsches Problem = Abgrenzungsproblem; Humesches Problem = Induktionsproblem. Abgrenzung auf welcher Ebene? Zunächst Sätze (S. 9). Metaphysik, empirische Wissenschaften etc. definieren Satzsysteme. Die Abgrenzung hat dann folgende Form: DX Ein Satz ist genau dann wissenschaftlich, wenn X. Zur Bezeichnung: In DX steht der erste Buchstabe für die Art von Kriterium, um die es geht ( D Demarkation), der zweite für den Inhalt des Kriteriums. Wichtigkeit: Nach Popper ist das Abgrenzungsproblem wichtiger als das Induktionsproblem, da ersteres allgemeiner sei (S. 11). Warum ist das Abgrenzungsproblem wichtig? Antwort (ohne expliziten Bezug auf Popper): Wissenschaft ist ein wertender Begriff, er wird oft gebraucht, um einem Interesse, einer Untersuchung einen besonderen Status zuzusprechen (Poppers Beispiel: Marxismus). Daher ist es wichtig, zwischen echter Wissenschaft und Pseudowissenschaft zu unterscheiden. Der Induktivismus löst das Abgrenzungsproblem, indem er sagt, dass Wissenschaft induktiv vorgeht. Das tun Logik, Mathematik und Metaphysik offenbar nicht. Problem für Popper: Der Induktivismus ist nach Popper falsch, denn die Wissenschaft gehe nicht induktiv vor. Daher braucht Popper ein neues Abgrenzungskriterium. In 4 unterscheidet Popper das Abgrenzungskriterium von einem Sinnkriterium. Bei letzterem geht es um die Frage, wann ein Satz sprachliche Bedeutung, Sinn hat. Die Positivisten (z.b. aus dem Wiener Kreis) 1 vertreten ein verifikationistisches Sinnkriterium: 1 Gemeint sind die logischen Positivisten. Positivismus von lat. ponere legen, setzen, stellen; positum das Gegebene. Die Positivisten orientieren sich als an dem in der Erfahrung Gegebenen. Popper unterscheidet ältere und neuere Positivisten. Die älteren halten nur die Begriffe für bedeutungsvoll, 1

SV Ein Satz hat genau dann Bedeutung/Sinn, wenn wir aufgrund von Erfahrung beweisen können, ob der Satz wahr oder falsch ist (Kurzform: wenn wir mit Erfahrung über die Wahrheit des Satzes entscheiden können). Dabei gelten Wahrheit und Falschheit eines Satzes durch Erfahrung beweisbar, wenn der Satz vollständig auf sog. Basissätze zurückgeführt werden kann. Diese Basissätze, so kann man grob sagen, artikulieren bloß Erfahrung und gelten daher für Empiristen und Positivisten als unproblematisch. Statt von Entscheidbarkeit durch Erfahrung spricht Popper in Hinblick auf die Positivisten auch von Verifizierbarkeit (daher verifikationistisches Sinnkriterium). Verifizieren heißt hier, die Wahrheit zu beweisen. 2 Hintergrund: Die Positivisten nehmen an, dass der Mensch nur über die Erfahrung Wissen über die Welt gewinnen kann (Empirismus). Daher entziehen sich gehaltvolle Sätze, deren Wahrheitswert wir nicht durch Erfahrung entscheiden können, für die Positivisten jedem Wissensanspruch. Das würde dann insbesondere für metaphysische Hypothesen gelten. Die Positivisten versuchten, mit SV die gesamte Metaphysik (die keine Erfahrungswissenschaft ist) als sinnlos darzustellen. Beispiel: Tractatus von Wittgenstein. Popper kritisiert den Positivismus und SV mit mehreren Argumenten. 1. Nach Popper drückt sinnlos eine Wertung aus. Diese Wertung ist aber in Bezug auf die Metaphysik nicht gerechtfertigt. Die Metaphysik ist sicher nicht empirisch, aber man macht es sich zu einfach, wenn man sie deshalb gleich für sinnlos erklärt. Popper gesteht der Metaphysik sogar positive Wirkungen für die Wissenschaft zu (als Inspirationsquelle, S. 13) Diese Kritik könnte man umgehen, indem man VS zu einem Abgrenzungskriterium für die empirischen Wissenschaften macht: DV Ein Satz ist genau dann wissenschaftlich, wenn wir anhand der Erfahrung entscheiden können, ob der Satz wahr oder falsch ist. 2. DV führt als Abgrenzungskriterium aber dazu, dass viele Sätze, die wir intuitiv als wissenschaftlich betrachten, nicht wissenschaftlich sind. Als Sinnkriterium führt es analog dazu, dass viele Sätze, die wir intuitiv als wissenschaftlich betrachten, nicht einmal sinnvoll sind. Dabei handelt es sich um Sätze wie Alle Raben sind schwarz. Diese lassen sich nicht auf tatsächliche Erfahrung zurückführen; sie gehen stets über die Erfahrung hinaus, die wir gemacht haben. Anders ausgedrückt: Ihre Wahrheit können wir nur zeigen, wenn Induktion ein akzeptables Beweisverfahren ist. Das ist sie aber nach Popper nicht. 3. Popper kritisiert auch den Status, den die Positivisten ihren Kriterien zuordnen. Sie fassen diese als Aussagen über das Wesen von Wissenschaft, Metaphysik etc. auf. Popper spricht in diesem Zusammenhang von Naturalismus (S. 10) und gibt sich selbst pragmatischer. Er versteht sein Kriterium nur als Vorschlag. Dieser sei die sich unter Rekurs auf die Erfahrung definieren lassen, aus der Erfahrung ableiten lassen (Beispiel: Locke). Die jüngeren verlagern den Schwerpunkt vom Begriff auf den Satz. Sie halten den Satz für den primären Träger von Bedeutung (vgl. G. Freges Kontextprinzip) und behaupten, dass ein Satz nur dann Bedeutung hat, wenn er vollständig in möglicher Erfahrung aufgeht. 2 Streng genommen muss man zwischen Entscheidbarkeit, ob ein Satz wahr oder falsch ist, und Verifizierbarkeit unterscheiden. Erstere erfordert Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit (S. 14). Popper ist jedoch an diesem Punkt nicht sehr genau. 2

Abgrenzung Sinn/Bedeutung Verifikationismus DV (Positivismus SV (Positivismus) abgeschwächt) Falsifikationismus DF (Popper) SF Tabelle 1: Positionen. nach seinen Konsequenzen zu überprüfen (hier bedient sich Popper offenbar der Methode, die nach ihm in der Naturwissenschaft angewandt wird). Zur Übersicht siehe Tabelle 1. Der Kern von Poppers eigenem Kriterium für Wissenschaftlichkeit ist die Falsifizierbarkeit: DF Ein Satz ist genau dann wissenschaftlich, wenn er empirisch falsifizierbar ist. Ein Satz ist empirisch falsifizierbar, wenn man im Prinzip unter Rekurs auf Erfahrung seine Falschheit zeigen kann. Das ist genau dann der Fall, wenn der Satz mit möglicher Erfahrung nicht übereinstimmt (nicht notwendig: mit wirklicher Erfahrung nicht übereinstimmt, dann ist er bereits falsch). Was das genau bedeutet, wird in Kap. 4 erklärt. Statt von empirischer Falsifizierbarkeit spricht Popper manchmal von empirischer Überprüfbarkeit. Die entscheidende Idee ist also nach Popper: Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können (S. 15). Das Kriterium DF lässt die Metaphysik und Pseudowissenschaften in der Tat als nicht wissenschaftlich erscheinen, denn metaphysische Sätze und pseudowissenschaftliche Sätze lassen sich nicht einfach durch Erfahrung widerlegen. Das Kriterium grenzt auch wahre Sätze aus der Logik von den Wissenschaften aus. Der folgende tautologische Satz Es schneit heute oder es schneit heute nicht. lässt sich nicht durch Erfahrung widerlegen. Allerdings schließt das Kriterium nicht Sätze aus, die aufgrund ihrer logischen Form falsch sind. Diese sind nämlich empirisch zu widerlegen. Den Satz Es schneit heute und es schneit heute nicht. widerlegt man z.b., indem man aufweist, dass es heute schneit. Allerdings ist eine solche Widerlegung natürlich unnötig. Da an falschen Sätzen aus der Logik kein besonderes Interesse besteht, ist es wohl kein Problem, dass für sie das Abgrenzungskriterium nicht richtig funktioniert. Etwas komplizierter ist es mit der Mathematik. Popper würde sich wohl auf den Standpunkt stellen, dass Mathematik denselben Status wie die Logik hat (was jedoch umstritten ist). Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Naturwissenschaft und Logik/Mathematik ist nach Popper auch, dass erstere synthetisch ist (d.h. nicht schon aus logischen/begrifflichen Gründen wahr, vgl. S. 13). Bemerkung zum Text: Auf S. 13 spricht Popper von drei Anforderungen an Theorien (Synthetizität, nicht-metaphysischer Charakter, empirische Auszeichnung; gemeint ist: nicht falsifiziert). Diese Anforderungen sind nicht alle Teil des Abgrenzungskriterium. Letzteres ist nach Popper bloß die empirische Falsifizierbarkeit. Popper diskutiert kurz drei Einwände gegen sein Kriterium (S. 15 f.): 3

1. Popper kennzeichnet die Wissenschaft mit empirischer Falsifizierbarkeit rein negativ. Antwort: Empirische Falsifizierbarkeit ist etwas Positives; sie bedeutet nämlich, dass ein Satz/eine Theorie etwas verbietet. Eine Theorie ist je gehaltvoller, desto mehr sie verbietet. Beispiel: Die Theorie, nach der alle Raben schwarz sind, verbietet weniger als die Theorie, dass alle Raben schwarz und kleiner als 50 cm sind. 2. Es könnte sein, dass Poppers DF ähnliche Schwierigkeiten hat wie ein DV oder SV. Popper bestreitet das mit Recht und weist auf einen logischen Unterschied zwischen Falsifikation und Verifikation hin. 3. Falsifikation könnte sich als Mythos erweisen, weil man stets ad-hoc-hypothesen einführen kann, die eine Falsifikation verhindern. Beispiel: Ich möchte den Satz, das alle Pantoffeltierchen kleiner als 1 mm sind, mithilfe von Beobachtungen durch ein Mikroskop falsifizieren und sehe in der Tat Pantoffeltierchen mit 2 mm Länge. Diese Falsifikation kann man jedoch zurückweisen, indem man sagt, dass leider heute das Mikroskop nicht richtig funktioniert hat. Popper antwortet, dass das im Prinzip richtig ist. Er schlägt aber vor zu sagen, dass das ad-hoc-modifizieren von Hypothesen nicht mehr wissenschaftlich ist. De facto erweitert er damit sein Abgrenzungskriterium. Dabei bewegt er sich erstmals weg von Sätzen und zu der Vorgehensweise des Wissenschaftlers. Die Abgrenzung erfolgt nun nicht mehr auf der Ebene von Sätzen, sondern dem Umgang mit Sätzen. Ein weiterer Einwand gegen Popper lautet, dass Existenzsätze nicht empirisch falsifizierbar sind. Beispiele: Es gibt (mindestens) drei Arten von Neutrinos. Es gibt weiße Raben. Um den zweiten Satz zu falsifizieren, müsste man zeigen, dass alle Raben nicht weiß sind. Das geht nach Popper aber nicht. Mögliche Reaktion zugunsten Poppers: Existenzsätze sind in der Tat nicht wissenschaftlich (spielen dort keine Rolle). 2. Zum Rest von Kapitel 1 In 7 8 diskutiert Popper kurz das sogenannte Basisproblem. Dabei handelt es sich grob um folgendes Problem. Bisher wurden vor allem allgemeine Allsätze in ihrer Geltung problematisiert; angenommen wurde jedoch, dass sie falsifizierbar sind. Die Idee dabei ist, dass sie Konsequenzen haben, die sich an der Erfahrung überprüfen lassen. Der Satz, dass alle Raben schwarz sind, impliziert, dass Rabe Rudi schwarz ist, und das lässt sich in der Erfahrung überprüfen. Damit scheint Popper das entscheidende Problem aber nur verschoben zu haben. Denn es fragt sich ja nun, wie der Satz, dass Rudi schwarz ist, empirisch überprüft werden kann. Das ist das Basisproblem. Die entscheidende Frage lautet also, worin die empirische Basis der Naturwissenschaften besteht. Man könnte nun sagen, dass bestimmte Sätze, nennen wir sie Beobachtungssätze, durch Wahrnehmungserlebnisse begründet werden und dass ihre Geltung daher unproblematisch wird. Popper kritisiert das, weil Wahrnehmungserlebnisse subjektiv sind und keine objektive Begründung liefern. Popper behauptet demgegenüber, dass Beobachtungssätze nur insofern eine objektive Grundlage für die Wissenschaften liefern, als sie selbst empirisch überprüfbar sind, 4

als sie deduktive Folgen haben, die sich ihrerseits empirisch überprüfen lassen. Allerdings entsteht so ein Regress ( 8). Popper behauptet aber, dass dieser Regress kein Problem für ihn ist. In Kapitel V werden wir mehr über Poppers Behandlung des Basisproblems lernen. Literatur Keuth, H., Die Philosophie Karl Poppers, UTB, Mohr und Siebeck, Tübingen, 2000. Popper, K. R., Logik der Forschung. Sechste, verbesserte Auflage, J. C. B. Mohr, Tübingen, 1976. 5