Professor Dr. med. Rainer Sabatowski Leiter des UniversitätsSchmerzCentrums, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden

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Transkript:

Leipzig, 13.04.2016

Professor Dr. med. Rainer Sabatowski Leiter des UniversitätsSchmerzCentrums, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden 1982 1989 Studium der Humanmedizin an der Universität zu Köln 1989 2007 Facharztausbildung und Tätigkeit als Facharzt für Anästhesiologie an der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universität zu Köln (Direktor: Prof. Dr. W. Buzello) 2003-2007 Leiter der Schmerzambulanz der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universität zu Köln 2004 Habilitation seit 2007 Leiter des UniversitätsSchmerzCentrums der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin; Mitglied der Prüfungskommission Spez. Schmerztherapie Landesärztekammer Sachsen; Editorial Board Der Schmerz ;

Dr. med. Rüdiger Scharnagel MSc UniversitätsSchmerzCentrum Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden Geboren 1969 Annaberg/Buchholz 1991 1998 Medizinstudium an der Universität Leipzig 1998 Promotion zum Dr. med., Universität Leipzig 2004 Abschluss der Facharztweiterbildung, Gebietsbezeichnung Anästhesiologie 2007 Erwerb der Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie 2009 Erwerb der Zusatzbezeichnung Palliativmedizin 2010 MSc in Palliative Care seit 2007 stellvertretender Leiter des UniversitätsSchmerzCentrums am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Multimodale Schmerztherapieprogramme Interdisziplinarität, Beteiligung einer psychotherapeutischen Fachrichtung und Teambesprechungen Chronischer Schmerz ist eine eigenständige Erkrankung, bei der körperliche, seelische und soziale Faktoren eine wichtige Rolle spielen (bio-psycho-soziales Schmerzmodell) und die entsprechend in der Therapieplanung berücksichtigt werden müssen. Multimodale Schmerztherapieprogramme stellen dabei einen wichtigen Therapiebaustein in der Behandlung dieser Patientengruppe dar. Im Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS Version 2015) mit der Ziffer 8-919x existiert eine Definition des Verfahrens Multimodale Schmerztherapie. Diese sieht Interdisziplinarität und Gleichzeitigkeit der Anwendung übender Verfahren sowie die Beteiligung einer psychotherapeutischen Fachrichtung vor und fordert Teambesprechungen sowie ein multidisziplinäres Aufnahmeverfahren. Problematik In der praktischen Umsetzung jedoch sehen nach wie vor viele dieser Programme eher wie eine Vielkomponententherapie aus, in der der teamorientierte integrative Ansatz nicht ausreichend abgebildet wird. Um die multimodale Schmerztherapie zu definieren und sie entsprechend von unimodalen Programmen bzw. Programmen abzugrenzen, an denen mehrere Disziplinen nebeneinander und nicht integrativ beteiligt sind, hat eine Ad-hoc Kommission der Deutschen Schmerzgesellschaft weiterreichende und präzisere Definitionen erarbeitet. Definition Multimodale Schmerztherapie Die Ad-hoc Kommission der Deutschen Schmerzgesellschaft beschreibt Multimodale Schmerztherapie als gleichzeitige, inhaltlich, zeitlich und in der Vorgehensweise aufeinander abgestimmte umfassende Behandlung von Patienten mit chronifizierten Schmerzsyndromen, in die verschiedene somatische, körperlich übende, psychologisch übende und psychotherapeutische Verfahren nach vorgegebenem Behandlungsplan mit identischem, unter den Therapeuten abgesprochenem Therapieziel eingebunden sind.

Multimodale Schmerztherapieprogramme Behandlungsteam aus verschiedenen Ärzten Die Behandlung muss in einem Team aus Ärzten, Psychologen bzw. Psychotherapeuten und weiteren Disziplinen (z.b. Physio-, Ergotherapeuten) durchgeführt werden, wobei alle Therapieformen und beteiligten Disziplinen als gleichberechtigte Partner anzusehen sind. Zentraler Punkt dieses Konzepts sind die regelmäßig stattfindenden Teamsitzungen und der am Behandlungsende gemeinsam beurteilte Behandlungsverlauf und die daraus resultierende gemeinsame einheitliche Empfehlung an den Patienten bzw. die nachbehandelnden Therapeuten. Behandlungsziel Das zentrale Behandlungsziel ist die Wiederherstellung der objektiven und subjektiven Funktionsfähigkeit. Dies beinhaltet u.a. die Erhöhung des Aktivitätsniveaus, den Abbau inadäquaten Krankheitsverhaltens (z.b. Schonung und Rückzug), die Steigerung des Kontrollerlebens (verbesserte Selbstwirksamkeit) und den Abbau von Angst und Depressivität. Bei der Therapie kaum Einsatz von Spritzen, Massage und Medikamenten Im eigentlichen Behandlungssetting wird eine in der Regel standardisierte Therapie durchgeführt, die sich aus unterschiedlichen Bausteinen der einzelnen Fachrichtungen zusammensetzt. Die Programme sind regelhaft zeitintensiv, d.h. sollten nach bisherigem Kenntnisstand eine Gesamttherapiedauer von 100 Stunden nicht unterschreiten. Die mit dem Patienten durchgeführten therapeutischen Maßnahmen umfassen fachspezifische Behandlungsansätze (z.b. Optimierung der Analgetikatherapie, Erkennen maladaptiver Kognition, Entwicklung und Umsetzung eines körperlich übenden Programms), sind aber zum Teil auch fachübergreifend. So zählen edukative Aspekte im Sinne einer Vermittlung eines übergeordneten bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells zu den Aufgaben aller beteiligten Disziplinen. Invasive (z.b. Injektionsbehandlung), überwiegend passive Maßnahmen (z.b. Massage) oder ein rein medikamentöser Ansatz sind in der Regel nicht Bestandteil solcher Therapieprogramme. Vor Einleitung der multimodalen Therapie ist ein interdisziplinäres Assessment obligater Bestandteil. Hier wird nicht nur die Behandlungsindikation und Motivation der Patienten überprüft, sondern das Assessment dient auch als Filter und möglicher Wegweiser für andere Therapieformen und ist dementsprechend ergebnisoffen.

Multimodale Schmerztherapieprogramme Freigegebene Zitate Label multimodal wird häufig genutzt, selten umgesetzt Zitat: Obwohl in Deutschland bezüglich der Akzeptanz und Ausbreitung/Entwicklung der multimodalen Schmerztherapie insgesamt ein positives Resümee gezogen werden kann, gibt es auch problematische Aspekte. Diese umfassen u.a. sowohl die bislang fehlende Standardisierung der therapeutischen Ansätze als auch das einheitliche konzeptuelle und strukturelle Verständnis der multimodalen Therapie als solche. Entsprechend unterscheiden sich die Einrichtungen in ihrer Arbeit und Qualität zum Teil erheblich, was damit verbunden ist, dass das Label multimodal häufig genutzt wird, ohne dass die grundlegenden Konzepte nachweislich umgesetzt werden. Ambulante Versorgungsstrukturen fehlen überwiegend Zitat: Derzeit wird die multimodale Schmerztherapie überwiegend im stationären Setting erbracht. Nur ca. 10% der Leistungen finden tagesklinisch statt. Ambulante Versorgungsstrukturen, die diese Behandlungskonzeption inhaltlich und strukturell abbilden, fehlen überwiegend. Auch gibt es derzeit keine Konzepte, die die Therapieinhalte und -intensitäten in Bezug auf das Ausmaß der Schmerzchronifizierung berücksichtigen. Verzahnte interdisziplinäre Zusammenarbeiten verschiedener Berufsrichtungen Zitat: Die Stärke der multimodalen Schmerztherapie, das enge, gleichberechtigte, verzahnte interdisziplinäre Zusammenarbeiten verschiedener Berufsrichtungen mit unterschiedlichen professionellen Hintergründen, ist zugleich eine große Herausforderung. Das Ganze muss mehr sein als die Summe seiner Teile, und es lebt nur dann, wenn sowohl die Möglichkeiten und Chancen dieser Zusammenarbeit immer wieder sichtbar werden, als auch gleichzeitig den einzelnen Disziplinen deutlich ist, wo ihre Grenzen liegen.