Sind wir nicht alle ein bisschen musikalisch? Untersuchung musikalischer Erfahrenheit in Deutschland Nora K. Schaal, Katharina Bauer und Daniel Müllensiefen
Übersicht Hintergrund Der englische Goldsmiths Musical Sophistication Index Übersetzungsprozess ins Deutsche und Erhebung einer Normstichprobe Auswertung und Ergebnisse der Normstichprobe Gold-MSI in Verbindung mit sozioökonomischen Status Fazit, Ausblick und Materialien
Der Englische Goldsmiths Musical Sophistication Index Motivation: Bisher kein standardisiertes Fragebogeninstrument zur Erfassung von musikalischen Fähigkeiten Bisher Dauer von Instrumentalunterricht häufig Index für musikalische Fähigkeiten und musikalisches Verständnis Neu: Musikalität ~ multiple Facetten von musikalischer Expertise (z.b. Fähigkeiten von DJs, Musikjournalisten, Musikproduzenten) Neu: Verbindung von Fragebogen (Selbstauskunft) und Hörtests (Messung von Fähigkeiten) in einem freiverfügbaren Forschungsintrument
Definition Musical Sophistication (musikalische Erfahrenheit): Psychometrisches Konstrukt, das musikalische Fähigkeiten, Expertise, Leistungen und zugehörige Verhaltensmuster über eine Spannbreite von Facetten und auf verschiedenen Teilskalen misst. Annahmen: Facetten von musical sophistication können sich durch aktive Beschäftigung mit Musik entwickeln. Hoher Grad von musical sophistication ist gekennzeichnet durch: Häufigere Ausübung musikalischer Fertigkeiten Größere Leichigkeit, Genauigkeit oder größeren Effekt beim Ausüben des musikalischen Verhatens Größeres Repertoire an musikalischen Verhaltensweisen
Verwandte Ansätze Selbstauskunftsfragebögen: Cuddy, Balkwill, Peretz, & Holden (2005), Ollen (2006), Werner, Swope, & Heide (2006), MacDonald & Stewart (2008), Chin & Rickard (2012) Musikalitätstests: Seashore, Lewis, & Saetveit (1960), Wing (1962), Bentley (1966), Gordon (1989), Wallentin et al. (2010) Forschunsansätze: Es fehlt: Hallam & Prince (2003), Bigand (2006), Levitin (2012), Law & Zentner (2012) (Fokus auf musikalischer Expertise) x (Breite von musikalische Fertigkeiten) x (Verbindung von Fragebogen und Hörtests)
Gold-MSI v1.0 Entwicklung und Validierung von Fragebogen anhand großer Online-Stichprobe (N=147663) mit Hilfe der BBC Struktur: 5 Facetten + 1 allgemeiner Faktor von musical sophistication (38 Kernfragen) Gute Reliabilitäten (α >.79) Relativ hohe Korrelationen mit AMMA-Musikalitätstest (r ~.45) Nur schwache Zusammenhänge mit soziodemographischen Faktoren
Ziel Erstellung eines äquivalenten Forschungsinstrumentes für den deutschsprachigen Raum
Übersetzungsprozess Es gibt keine einheitlichen Standards für die Übersetzung von Fragebögen aber einige Richtlinien Ziel: semantische (gleicher Inhalt), konzeptionelle (wird das gleiche gemessen?) und normative (angemessene soziale Normen) Äquivalenz
Wie sind wir vorgegangen? 1. 3 individuelle Übersetzungen von deutschen Muttersprachlern (mit sehr guten Englischkenntnissen/bilingual) vom Englischen ins Deutsche 2. Vergleich dieser 3 Fassungen Angleichen zu einer deutschen Musterfassung (Korrekturlesen auf Verständlichkeit) 3. Rückübersetzung von einer professionellen Übersetzerin (englischen Muttersprachlerin) ins Englische
4. Vergleich der Rückübersetzung mit dem Originalen 5. Diskussion über kleine Unterschiede und Verbesserungsvorschläge für die deutsche Endfassung 6. Endkorrektur von deutschen Kollegen
Beispiele 1 Original: When I sing, I have no idea whether I'm in tune or not. Ü1: Wenn ich singe, weiß ich nicht, ob ich richtig singe. Ü2: Wenn ich singe habe ich keine Ahnung ob ich richtig oder falsch singe Ü3: Wenn ich singe, habe ich keine Idee, ob ich richtig bin oder nicht 4Wenn ich singe, habe ich keine Ahnung, ob ich richtig oder falsch singe. Rück-Ü: When I m singing I have no idea whether I m singing out of tune.
Beispiel 2 Original: I can sing or play music from memory. Ü1: Ich kann ein Lied auswendig singen oder spielen. Ü2: Ich kann Musikstücke aus dem Gedächtnis singen oder spielen. Ü3: Ich kann Musik auswendig singen oder musizieren. 4Ich kann auswendig singen oder musizieren. Rück-Ü: I can sing or play by heart. 4Ich kann auswendig singen oder Musik spielen.
Unsere Stichprobe Paper-Pencil Methode Gold-MSI Fragebogen Sozio-ökonomische Variablen: Bildung nach ISCED-1997 Einkommen Sozioökonomischer (Berufs-)Status nach ESeC N= 641 430 Frauen (67,1%), 180 Männer (28,1%), 31 o.a. Alter: M= 31.65 Jahre (18-84 Jahre, SD: 15.93; 20 o.a.)
Berücksichtigung von möglichst allen sozialen Schichten und Berufsgruppen Breite geographische Verteilung von 21 Teilstichproben in NRW, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Bayern
Ergebnisse Ist Faktorenstruktur der Deutschen Version kongruent? Zusammenhang zwischen Facetten musikalischer Erfahrenheit und sozio-ökonomischen Variablen Normdaten
Faktorenstruktur Konfirmatorische Faktorenanalyse der Struktur des Englischen Gold-MSI mit deutschen Daten Gute Fit-Indizes von Daten und Modell: RMSEA =.060 SRMR =.066 CFI =.861 Gute Reliabilitäten aller Teilskalen: 0.72 0.91
Faktorstruktur
Musikalische Erfahrenheit <=> sozioökonomische Variablen Strukturgleichungsmodell -.126*** Akt Umgang Bildung.513***.176*** Wahrnehmungsfähigkeiten.630***.415***.601*** Einkommen Mus Ausbildung.200***.567***.465***.258*** SES.102** Gesangsfähigkeiten.368***.461***.600***.703*** Emotionen
Normdaten Alle Teilskalen außer Musikalischer Ausbildung zeigen eine annähernde glockenkurvige Verteilung
Fazit Deutsche Version des Gold-MSI besitzt selbe Struktur wie die Englische Gute psychometrische Eigenschaften Einfluss sozioökonomischer Variablen auf musikalische Erfahrenheit ist gering musikalische Erfahrenheit ist weitgehend unabhängig von sozialer Schicht
Ausblick Übersetzungen der Gold-MSI Hörtests Neue Datenerhebung mit repräsentativer Stichprobe Verwendung als Experimentell- oder Kontrollzwecken Daten in Deutschen Labs (Experimente in Düsseldorf und Oldenburg)
Vielen Dank an Andreas Lehmann und Sue Cubitt für deren Hilfe beim Übersetzungsprozess! Fragebogen und Excel-Auswertungsskripte zum freien Download unter: http://www.gold.ac.uk/music-mind-brain/gold-msi/ nora.schaal@uni-duesseldorf.de katharina.bauer@uni-oldenburg.de d.mullensiefen@gold.ac.uk