Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin

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Transkript:

DEPARTMENT of HUMANITIES in LIFE SCIENCES INSTITUT für GESCHICHTE der MEDIZIN Mariacarla Gadebusch Bondio Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin

KURSPLAN GTE 14.01.09 EINFÜHRUNG: Was ist medizinische Ethik? Historische Grundlagen, aktuelle Richtungen und Themenbereiche M. Gadebusch Bondio SEMINARE SEMINARE 04.02.09 PODIUMSVERANSTALTUNG (prüfungsrelevant) 15.15-17.30 HS Anatomie: Probleme im klinischen Alltag Ethische Minimalinvasive Therapieverfahren Fluch oder Segen, K.-J. Klebingat Ethische Fragen auf der Kinderkrebsstation, R. Fischer Ethische Fragen und Probleme der palliativen Chemotherapie, M. Lerch SEMINARE SEMINARE Hartmut Bettin Mariacarla Gadebusch Bondio http://www.medizin.uni-greifswald.de/geschichte/lehre/querschnitt2_ws08_09.html

KURSPLAN GTE LITERATUR Urban Wiesing (Hg.): Ethik in der Medizin Reclam TB, Stuttgart 2004, 2.Aufl. Zusätzliche Texte unter: http://www.medizin.uni-greifswald.de/geschichte/lehre/quer Login medizinstudieren Passwort ethos 25.02.09 KLAUSUR (16 Uhr, HS Makarenkostraße)

GTE I. Problemfelder und Grundbegriffe: Moral, Ethik, medizinische Ethik I. Zur Genese der medizinischen Ethik: Der hippokratische Eid (Entstehungskontext, Inhalt und Struktur) I. Wirkungsgeschichte

I. Problemfelder und Grundbegriffe: Moral, Ethik, medizinische Ethik

I. PROBLEMFELDER Anfang des Lebens Ende des Lebens Medizinisch assistierte Fortpflanzung Optimierung des Menschen oder positive Eugenik? Sterberecht Sterbebegleitung versus aktive/passive Sterbehilfe Intensivversorgung Patientenautonomie

I. Bio-psycho-soziale Dimension der Medizin Gesellschaft Macht Patientenbetreuung Institutionen Forschung Gutes tun/ unterlassen Sterben Tod Ärztin / Arzt Krankheit Patient / Patientin Individuum heilen / therapieren Gesundwerden Leben Machtlosigkeit Familie Medizin = téchne + epistéme = Handlungswissenschaft

I. Begriffe Ethik: worum geht es? Ethik das Gute tagathón, gr. Aristoteles (384-322 v Chr.) Bereich der praktischen Philosophie Eudemische Ethik Nikomachische Ethik Große Ethik das, wonach alles strebt Nik. Eth. 1094 a3 Sitte, Gewohnheit, Brauch ( qoj) éthos, gr. Charakter = geübtes sittliches Handeln (Ãqoj)

I. Begriffe mos, moris, lat. Sitte, Charakter, Temperament Moral gelebte Sittlichkeit: nach historisch u. kulturell bedingten Normen handeln Was ist moralisch richtig oder falsch? Ethik/ Moralphilosophie Moraltheorie Gegenstand: moralische Fragen und deren Begründung Warum ist etwas moralisch richtig oder falsch?

I. ARGUMENTATIONSMODELLE Deontologie deon gr. die Pflicht betreffend Fragt, ob die Handlung den moralischen Pflichten entspricht Konsequentialistische Ethik Fragt nach der moralischen Qualität der Folgen einer Handlung Tugendethik Metaethik Stellt den Charakter des Handelnden in den Vordergrund und fragt, ob seine Handlungen/Einstellungen moralisch angemessen sind Klärt Begriffe und Strukturen ethischer Argumentationen

I. ETHIK IN DER MEDIZIN Arzt-Patient-Beziehung Ethik in der Medizin Medizinische Ethik Bioethik Diagnostische Untersuchung Therapeutisches Handeln Medizinische Forschung Wie kann die Medizin etwas gutes tun? Darf die Medizin, was sie kann? Kann die Medizin, was sie darf?

II. Zur Genese medizinischer Ethik Der hippokratische Eid (Entstehungskontext, Inhalt und Struktur)

II. DIE BEDEUTUNG DES EIDES Erste ethisch-moralische Selbstverpflichtung von Ärzten Wirkung des Eides vom 5 Jh. v. Chr. bis heute Schwer zu interpretierender, dichter Text Adaptierungen Zahllose Metamorphosen des Eides Vorstellung einer humanen Medizin, die über sich reflektiert, die ihre eigenen Grenzen festlegt

II. ENTSTEHUNGSKONTEXT Der Eid im Corpus hippocraticum Der Eid gehört zu den ca. 70 Schriften des Corpus Unsichere Datierung und Autorenschaft - um 500/425 v. Chr. in Kos - Hippokrates oder seine Schüler

II. ENTSTEHUNGSKONTEXT UND FUNKTION Ungeregeltes Gesundheitssystem in der griechischen Antike - Ärzte, Priesterärzte, Hebammen, Magier und Scharlatane Eid als Instrument der Abgrenzung und Interessenvertretung Gruppe standesbewusster Ärzte - fachinterne Qualifizierung und Disziplinierung - Medizin = techne: erlernbare Kunstfertigkeit mit Regeln, Zielen und Berufsethos

II. FUNKTION Eid als Selbstverpflichtung des Arztes gegenüber: Göttern Lehrern und Schülern Patienten Normierung von Beruf und Leben des Arztes: Professionalität Vertrauensbildung Ansehen

II. STRUKTUR Eine Ringkomposition Götteranrufung [1] Gebot / Lehrvertrag [2] Gebot [3] Verbot [4] Lauterkeitsgebot [5] Verbot [6] Gebot [7] Gebot [8] Selbstverfluchung [9]

II Religiöse Inhalte [1, 5, 9] 1. Ich schwöre und rufe Apollon den Arzt und Asklepios und Hygieia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde. 5. Rein (hagnòs = integer*) und fromm (hosìos gesetzestreu *) werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren. 9. Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil. Übersetzt von Hans Diller, (1962) 1994, S. 8-10. * Kudlien (1978)

II. STRUKTUR Eine Ringkomposition Götteranrufung [1] Gebot / Lehrvertrag [2] Gebot [3] Verbot [4] Lauterkeitsgebot [5] Verbot [6] Gebot [7] Gebot [8] Selbstverfluchung [9]

II Verbote [4, 6] nicht töten 4. Auch werde ich niemandem ein tödliches Mittel geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und werde auch niemanden dabei beraten; auch werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel [pessòn phtórion, fruchtabtreibendes Zäpfchen*] geben. 6. Ich werde nicht schneiden, sogar [oudè mén, jedenfalls nicht**] Steinleidende nicht, sondern werde das den Männern überlassen, die dieses Handwerk ausüben. * Deichgräber (1983); Rütten (1996) ** Kudlien (1978) 5

II. STRUKTUR Eine Ringkomposition Götteranrufung [1] Gebot / Lehrvertrag [2] Gebot [3] Verbot [4] Lauterkeitsgebot [5] Verbot [6] Gebot [7] Gebot [8] Selbstverfluchung [9]

II Gebote [3, 7] nützen und nicht schaden 3. Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden. 7. In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen, frei von jedem bewussten Unrecht und jeder Übeltat, besonders von jedem geschlechtlichen Missbrauch an Frauen und Männern, Freien und Sklaven.

II. STRUKTUR Eine Ringkomposition Götteranrufung [1] Gebot / Lehrvertrag [2] Gebot [3] Verbot [4] Lauterkeitsgebot [5] Verbot [6] Gebot [7] Gebot [8] Selbstverfluchung [9]

II Gebote [2, 8] Lehrvertrag / Schweigegebot 2. Ich werde den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleich meinen Eltern achten, ihn an meinem Unterhalt teilnehmen lassen, ihm, wenn er in Not gerät, von dem Meinigen abgeben, seine Nachkommen gleich meinen Brüdern halten und sie diese Kunst lehren, wenn sie sie zu lernen verlangen, ohne Entgelt und Vertrag. Und ich werde an Vorschriften, Vorlesungen und aller übrigen Unterweisung meine Söhne und die meines Lehrers und die vertraglich verpflichteten und nach der ärztlichen Sitte vereidigten Schüler teilnehmen lassen, sonst aber niemanden. 8. Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.

II. DEUTUNGEN nützen und nicht schaden primum nil nocere Hauptziel Verbote als pars pro toto? kein tödlich wirkendes Mittel verabreichen kein Gebrauch v. keimtötenden Zäpfchen den Steinschnitt nicht selbst ausführen Euthanasieverbot? Abtreibungsverbot? Chirurgieverbot?

I. Wirkungsgeschichte

III WIRKUNGSGESCHICHTE Früheste Erwähnungen bei Ärzten und Nichtärzten Christianisierung des Eides - Jesus anstatt Asklepios - humanitas, charitas, misericordia Mittelalterliche Tradierung und Rezeption des Eides ab dem 9. Jh.: arabische Übersetzungen Renaissance: Neohippokratismus Bestandteil von Promotionseiden (1. Jh. n. Chr.) 1518 Wittenberg, 1550 Ingolstadt, 1558 Jena, 1570 Basel, 1607 Gießen

III WIRKUNGSGESCHICHTE: Gründe Der Eid als autoritative Traditionssicherung - Konkurrenz zwischen Laienund Universitätsmedizin - Abgrenzungsbedarf von ausgebildeten Ärzten - Moralisierung der Medizin

III WIRKUNGSGESCHICHTE der Nürnberger Prozess 1946/47

III DER NÜRNBERGER ÄRZTEPROZESS Angeklagte: 23 Ärzte (22 Männer, 1 Frau) Verbrecherische medizinische Experimente Euthanasie Aktionen ( medical killing ) Veröffentlichte Dokumente zum Nürnberger Ärzteprozess: A. Mitscherlich/F. Mielke, Das Diktat der Menschenverachtung, Heidelberg 1947 A. Mitscherlich/F. Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses (1. Aufl. 1960) Frankfurt /M. 1995

Telford Taylor, Brigadengeneral, Vertreter der Anklage, 9.12.1946 : All of them violated the Hippocratic commandments which they had solemny sworn to uphold and abide by, including the fundamental principle never do to harm primum non nocere. Annas/Grodin: The Nazi Doctors and the Nuremberg Code, 1992, S. 87 Eid als Fundament der Anklage

Eid als zweifelhafter Bezugspunkt für den Arzt als Forscher Gefährliche medizinische Versuche an Freiwilligen würden dem hippokratischen Eid nicht widersprechen Andrew Ivy, Zeuge und Sachverständiger für Medizinische Ethik Richtlinien für neue Heilbehandlung und Versuche an Menschen (Reichsgesundheitsblatt, Bd.6, 1931 S. 174f. Dt. med. W.schr., Bd. 57, S. 509) Eid als überholtes Dogma: Verteidiger und Angeklagte Robert Servatius, Verteidiger Karl Brandts (1904-1948), SS-Generalleutnant, Reichskommissar f. Sanitätsund Gesundheitswesen, Begleitarzt Hitlers): Ob Malaria-Versuche an USA-Gefangenen (1945) mit dem hippokratischen Eid vereinbar seien?

Karl Brandt (nimmt Bezug auf W. Leibbrand, Zeuge der Anklage) [Zu dem] Abschnitt, durch den der Arzt aufgefordert wird, kein Gift, auch auf Verlangen, einem Kranken zu geben. Es ist ein Dogma, das [ ] in dieser Form sicher nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Ich bin überzeugt, dass, wenn Hippokrates heute leben würde, er seinem Eid eine andere Fassung gäbe [ ] Wenn heute der alte Hippokrates zitiert wird, wird gesagt, man soll Kranken und Schwerleidenden kein Gift geben, und ein Arzt, der so etwas einfach deklamiert und behauptet, ist entweder verlogen, oder es ist das eine Heuchelei. Aus: Mitscherlich / Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, 1995, S. 266

III DEKLARATIONEN Nach dem Nürnberger Ärzteprozess -1947: das amerikanische Gericht (Ärzte und Juristen) formuliert die 10 Grundsätze für zulässige medizinische Versuche Nürnberger Kodex -1948: in der Tradition des Eides, World Medical Association Serment d Hippocrate, Formule de Genève Das Genfer Gelöbnis (Deutsche Berufsordnung)

III ENDE EINES MYTHOS? Welche Bedeutung für heutige Ärzte? Der Eid ist kein zeitloses Grundgesetz Traditionsbezugspunkt Garant für ethisches Bewusstsein in der Medizin Noch gültige Aussagen: Wohl des Patienten Schadensvermeidung Schweigepflicht Kein Missbrauch ärztlicher Macht

ANKÜNDIGUNG 27. Januar 2009 (Dienstag) Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus In halbrealen Räumen, am Ende der Wirklichkeit. Bruno Schulz und polnisch-jüdisches Erzählen vor dem Holocaust Referenten: Prof. Dr. Ulrike Jekutsch und Marco Bahr Moderation: Mariacarla Gadebusch Bondio Ort: Konferenzsaal im Hauptgebäude der Universität Greifswald, Domstraße 11, Eingang 2 Zeit: 20:00 Uhr

SEMINARVORBEREITUNG 1. Grundlagen und Modelle ethischer Argumentation (Kap. 1, S. 21-29) 2. Arzt-Patient-Verhältnis (Kap. 5, S. 91-121) Zusätzliche Texte für alle: http://www.medizin.uni-greifswald.de/geschichte/lehre/quers Login: medizinstudieren Passwort: ethos Gadebusch: gadebu@uni-greifswald.de Bettin: hartmut.bettin@uni-greifswald.de