Indikationen für eine Insulintherapie. Indikationen unabhängig von der Stoffwechseleinstellung.

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Transkript:

CURRICULUM Schweiz Med Forum Nr. 21 23. Mai 2001 550 Insulintherapie beim Diabetes mellitus Typ 2 P. Wiesli a, K. Scheidegger b, G. A. Spinas a a Abteilung Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsspital Zürich b Ärztehaus Vadianus, St. Gallen Korrespondenz: Dr. med. P. Wiesli Abteilung Endokrinologie und Diabetologie Universitätsspital Zürich CH-8091 Zürich peter.wiesli@dim.usz.ch Vorstellung der Autoren P. Wiesli arbeitet als Fachassistent an der Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie des Universitätsspitals Zürich, welche unter der Leitung von Professor G. A. Spinas steht. K. Scheidegger führt in St. Gallen eine endokrinologisch-diabetologische Schwerpunktpraxis. In der UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes Study) wurde gezeigt, dass bei Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 mit jeder Senkung des HbA1c das Risiko zur Entwicklung mikrovaskulärer Spätkomplikationen reduziert werden kann [1]. Der Charakter des Diabetes mellitus Typ 2 ist progressiv. Eine kontinuierliche Verschlechterung der β -Zellfunktion und die zunehmende Insulinresistenz sind verantwortlich für den HbA 1c-Anstieg im zeitlichen Längsverlauf der Krankheit, der auch in der UKPDS beobachtet wurde. Um eine gute Blutzuckereinstellung aufrecht erhalten zu können, müssen ungefähr 5% der Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 pro Jahr auf eine Behandlung mit Insulin umgestellt werden. Indikationen für eine Insulintherapie beim Diabetes mellitus Typ 2 Indikationen in Abhängigkeit der Stoffwechseleinstellung. Bei der Behandlung des Diabetes mellitus wird im allgemeinen ein HbA 1c von unter 7% angestrebt (bzw. HbA 1c bis 1% über der oberen Norm). In Abhängigkeit vom Alter des Patienten und der Komorbidität kann im Einzelfall ein höheres HbA 1c toleriert werden. Falls die individuell und rational für den Patienten festgelegten Therapieziele trotz adäquater Massnahmen betreffend Ernährung und körperlicher Aktivität sowie dem Einsatz oraler Antidiabetika nicht erreicht werden, ist der Einsatz von Insulin gerechtfertigt. Ist die Stoffwechsellage dekompensiert und der Patient katabol, ist eine mindestens vorübergehende Behandlung mit Insulin unumgänglich. Klinische Zeichen der Stoffwechseldekompensation sind Müdigkeit, Muskelschwäche, Gewichtsabnahme und Depression. Bei einer länger dauernden schlechten Stoffwechseleinstellung kommt es zu einer zusätzlichen Verschlechterung der β -Zellfunktion und zu einer Zunahme der Insulinresistenz durch die Hyperglykämie selbst («Glukotoxizität»). Eine Durchbrechung dieses Circulus vitiosus ist meist nur mit einer Insulintherapie möglich. Hat sich der Glukosestoffwechsel über einige Wochen stabilisiert, kann möglicherweise wieder auf eine Behandlung mit oralen Antidiabetika gewechselt werden. Indikationen unabhängig von der Stoffwechseleinstellung. Mindestens 10% aller als Typ- 2-Diabetiker klassifizierten Patienten haben in Wirklichkeit einen Diabetes mellitus Typ 1 und sollten mit Insulin behandelt werden. Spricht ein Patient mit einem neu entdecktem Diabetes mellitus Typ 2 nicht oder nur vorübergehend auf die Behandlung mit Diät und oralen Antidiabetika an, muss ein Typ-1-Diabetes in Betracht gezogen werden. Klinische Prädiktoren für das Vorliegen eines Diabetes mellitus Typ 1, welcher in jedem Lebensalter auftreten kann, sind fehlendes Übergewicht, eine negative Familienanamnese sowie eine labile Stoffwechsellage mit schwankenden Blutzuckerwerten und Neigung zu Hypoglykämien. Mit dem Nachweis von Insel- und β -Zell-spezifischen Antikörpern (Inselzellantikörper, anti-gad oder anti-ia2) kann aufgrund der sehr hohen Spezifität das Vorliegen eines Diabetes mellitus Typ 1 mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Die Sensitivität der Antikörper ist aber nicht derart hoch (bis 80%), dass bei einem negativen Antikörpernachweis ein Diabetes mellitus Typ 1 ausgeschlossen werden kann. Im weiteren ist eine Insulintherapie in verschiedenen klinischen Situationen mindestens vorübergehend indiziert. Während schweren akuten Erkrankungen oder bei grösseren Operationen ist eine genügende Diabeteseinstellung nur mit Insulin zu erreichen und der Einsatz verschiedener oraler Antidiabetika kontraindiziert. Insulin kann im Gegensatz zu den oralen Antidiabetika auch bei erheblicher Komborbidität (z.b. Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz oder Leberinsuffizienz) sicher eingesetzt werden. Diabetiker mit einem akuten Myokardinfarkt sollten während mindestens drei Monaten intensiviert mit Insulin behandelt werden, da mit einer Insulintherapie die Prognose der Patienten deutlich verbessert werden kann [2]. Schwangerschaft, hochdosierte Glukokortikoidtherapie sowie die schmerzhafte periphere Polyneuropathie sind weitere Indikationen für die Behandlung des Diabetes mit Insulin.

CURRICULUM Schweiz Med Forum Nr. 21 23. Mai 2001 551 Art der Insulintherapie beim Diabetes mellitus Typ 2 Erstaunlicherweise gibt es auch heute noch keinen Konsens über die optimale Strategie der Insulintherapie beim Diabetes mellitus Typ 2. Es existieren nur wenige, meist kurzfristig angelegte Vergleichsstudien, welche die verschiedenen Strategien der Insulintherapie prospektiv untersucht haben. Aufgrund der fehlenden Evidenz aus prospektiven Studien sollte die Wahl der Strategie der Insulinbehandlung aufgrund der beim Patienten vorherrschenden Pathophysiologie (Insulinresistenz und Insulinsekretionsstörung) sowie aufgrund der individuellen Bedürfnisse des Patienten erfolgen. Tabelle 1. Übersicht langwirksame Insulinpräparate. Verzögerungsprinzip Beispiele Protamin: NPH-Insulin Insulatard HM Huminsulin Lilly Basal Zink: Zink-Insulin Monotard HM, Ultratard HM Huminsulin Lilly Long, Ultralong Langwirksames Analoginsulin Glargine (Lantus ) Kombinationstherapie Insulin mit oralen Antidiabetika. Wird ein Patient mit einem Diabetes mellitus Typ 2 auf eine Behandlung mit Insulin umgestellt, ist die Kombination von Insulin mit oralen Antidiabetika als Einstieg in die Insulintherapie sinnvoll, sofern keine Kontraindikationen gegen die verwendeten Tabletten vorliegen und deren Einsatz beim Patienten rational erfolgte. Die Applikation eines Verzögerungsinsulins vor der Bettruhe («bedtime- Insulin») ist dabei ein einfacher und sicherer Beginn der Insulinbehandlung und eignet sich vor allem für Patienten mit einem erhöhten Nüchternblutzucker bzw. mit einem Anstieg des Blutzuckers über die Nacht. Diese Art der Insulinbehandlung kann mit jeder oralen antidiabetischen Therapie sinnvoll kombiniert werden und ist vor allem bezüglich Einfachheit anderen Insulinregimen überlegen. Bei übergewichtigen Patienten ist die Kombination von «bedtime-insulin» mit Metformin ideal, während bei normalgewichtigen Patienten bevorzugt Sulfonylharnstoffe oder Glinide mit «bedtime-insulin» ergänzt werden. Die Kombination von «bedtime-insulin» mit Metformin hat gegenüber der Kombination mit einem Sulfonylharnstoff den Vorteil einer geringeren Gewichtszunahme und einer geringeren Häufigkeit von Hypoglykämien [3]. Aufgrund der pharmakodynamischen Eigenschaften wird im allgemeinen ein NPH-Insulin als «bedtime-insulin» verwendet (Tab. 1). Der Insulinbedarf zur Hemmung der nächtlichen hepatischen Glukoneogenese ist in der ersten Nachthälfte geringer als in den frühen Morgenstunden. Es ist daher sinnvoll, das Verzögerungsinsulin möglichst spät zu applizieren (23.00 bis 24.00Uhr). Da das NPH-Insulin eine Suspension ist, ist die korrekte Durchmischung des Insulins durch häufiges Wenden des Pens vor der Injektion sehr wichtig, um eine reproduzierbare Resorption zu gewährleisten [4]. Wir beginnen in der Regel mit 8 bis 12 IE eines NPH-Insulins vor der Bettruhe. Die Injektion des Verzögerungsinsulins erfolgt in den Oberschenkel, da hier das Insulin langsamer resorbiert wird als z.b. abdominal. Die Dosis wird alle drei bis sieben Tage durch den Patienten um 2 bis 4 IE erhöht, bis ein Nüchternblutzucker am folgenden Morgen von unter 8 mmol/l erreicht wird. Kann mit einer Insulindosis von 0,5 IE NPH-Insulin pro kg Körpergewicht der Nüchternblutzucker nicht befriedigend gesenkt werden, empfehlen wir einen Wechsel der Strategie der Insulintherapie. Neben der Gabe eines Verzögerungsinsulins vor der Bettruhe («bedtime-insulin») wurden verschiedene rationale und weniger sinnvolle Strategien der Insulintherapie in Kombination mit oralen Antidiabetika publiziert, die hier nicht näher diskutiert werden können [5]. Wird eine Insulintherapie mit oralen Antidiabetika kombiniert, muss die Therapie pathophysiologisch und pharmakologisch rational begründbar sein. Der Patient muss gegenüber der finanziell meist günstigeren Insulinmonotherapie einen Vorteil haben, der über die Einsparung einiger Einheiten Insulin hinausgeht. Hat die Kombinationstherapie keinen Vorteil bezüglich Stoffwechseleinstellung, Anzahl Injektionen, Hypoglykämierisiko oder Gewichtszunahme, empfehlen wir eine Insulinmontherapie durchzuführen. Insulinmonotherapie. Etablierte Therapiestrategien beim Diabetes mellitus Typ 2 sind die zweimal tägliche Applikation eines Mischinsulins und die Basis-Bolus-Therapie. Die Basis- Bolus-Therapie, also die Gabe eines kurzwirksamen Insulinpräparates zum Essen («Bolus») und die Applikation eines Verzögerungsinsulins auf die Nacht («Basis»), wird beim Diabetes mellitus Typ 2 meist sekundär eingesetzt, wenn mit Mischinsulin keine befriedigende Stoffwechselkontrolle erreicht wird. Andere Strategien der Insulintherapie wie die einmal tägliche Injektion eines länger wirksamen Zinkinsulins oder die zweimal tägliche Injektion eines NPH-Insulins sind aufgrund der Pathophysiologie des Diabetes mellitus Typ 2 nicht sinnvoll.

CURRICULUM Schweiz Med Forum Nr. 21 23. Mai 2001 552 Insulintherapie mit Mischinsulin Die zweimal tägliche Applikation eines Mischinsulins ist eine weit verbreitete Therapiemodalität des Diabetes mellitus Typ 2. Am häufigsten wird ein Mischinsulin mit einem Anteil von 30% Normalinsulin und 70% NPH-Insulin verwendet (Tab. 2). Wegen des Anteils an Normalinsulin ist ein Spritz-Ess-Abstand einzuhalten. Wird ein Mischinsulin mit einem kurzwirksamen Analoginsulin verwendet, kann die Injektion direkt vor der Mahlzeit erfolgen. Kurzfristig kann die Therapie mit Mischinsulin einer Basis-Bolus-Therapie bezüglich Stoffwechseleinstellung, Hypoglykämien und Gewichtsverlauf gleichwertig sein [6]. Obwohl es einigen Patienten gelingt, durch eine regelmässige Lebensführung mit dieser starren Therapiestrategie auch längerfristig eine gute Stoffwechseleinstellung zu erreichen, hat die Therapie mit Mischinsulin gegenüber einer flexiblen prandialen Insulintherapie verschiedene Nachteile, die im folgenden diskutiert werden. Die Dosis des Mischinsulins kann aufgrund des Anteils des Verzögerungsinsulins (z.b. 70% Verzögerungsinsulin) nicht oder nur ungenügend variiert werden. Somit sind Korrekturen erhöhter Blutzuckerwerte ebenso unmöglich wie die Anpassung der Insulindosis an die Kohlenhydratmenge, die gegessen wird. Die Therapie mit einem Mischinsulin setzt voraus, dass jeden Tag die gleiche Kohlenhydratmenge zu den Mahlzeiten eingenommen wird. Das Mittagessen wird bei der Behandlung mit Mischinsulin mit dem Verzögerungsinsulin abgedeckt, so dass häufig postprandiale Blutzuckerspitzen auftreten. Wird das Mittagessen verspätet eingenommen oder gar ausgelassen, besteht eine erhebliche Gefahr der Hypoglykämie. Die Gefahr einer Hypoglykämie ist vor dem Mittagessen besonders gross, da die Wirkung des Normalinsulins und des Verzögerungsinsulins zu diesem Zeitpunkt ungünstig kumulieren. Die Einnahme von Zwischenmahlzeiten zur Prävention von Hypoglykämien und eine zeitlich regelmässige Einnahme der Mahlzeiten wird daher empfohlen. Mit der Applikation des Mischinsulins vor dem Abendessen liegt die maximale Wirkung des Verzögerungsinsulins genau in der ersten Nachthälfte und die Wirkung in den frühen Morgenstunden ist bereits abgeschwächt. Da der Insulinbedarf in den frühen Morgenstunden besonders gross ist, ist der Nüchternblutzucker mit der Applikation eines Mischinsulins vor dem Abendessen schlecht beeinflussbar. Zudem besteht bei einer hohen Abenddosis des Mischinsulins ein erhebliches Hypoglykämierisiko in der ersten Nachthälfte. Aufgrund der oben beschriebenen Nachteile ist die Therapie mit Mischinsulin nur selten die primäre Therapieoption in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 mit Insulin. Die Morbidität und Mortalität des Diabetes mellitus Typ 2 ist zu hoch, um die Injektionshäufigkeit als wichtigstes Anliegen des Therapiekonzepts anzusehen. Ist der Patient nach einer Aufklärung über die verschiedenen Therapiemodalitäten für eine intensivierte Therapie mit mehr als zwei täglichen Injektionen nicht motivierbar oder ist eine gute Stoffwechseleinstellung nicht das primäre Motiv der Insulintherapie, kann unter der Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse eine Therapie mit Mischinsulin indiziert sein. Die Häufigkeit des Typ-2-Diabetes nimmt allgemein zu. Da in Zukunft auch viele junge Typ-2-Diabetiker mit Insulin behandelt werden müssen, sollte die Therapie mit Mischinsulin nicht generell die erste Wahl unter den verschiedenen Strategien der Insulintherapie des Diabetes mellitus Typ 2 darstellen. Prandiale Insulintherapie Insulinresistenz und Störung der Insulinsekretion sind die zentralen pathophysiologischen Probleme bei Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2. Die schnelle prandiale Insulinausschüttung durch die β -Zellen ist bereits Tabelle 2. Übersicht Mischinsuline. Mischinsulin mit Normalinsulin Mischinsulin mit Analoginsulin Beispiele Mixtard HM 30 NovoMix 30 Huminsulin Lilly Profil III Humalog Mix 25 Kurzwirksames Insulin 30% Normalinsulin 30% Kurzwirksames Analog* Verzögerungsinsulin 70% NPH-Insulin 70% Protamin-verzögertes Analog* Spritz-Ess-Abstand Ja Nein Zwischenmahlzeiten Ja (Nein) * Humalog Mix 25:25% kurzwirksames Analoginsulin und 75% Protamin-verzögertes Analoginsulin

CURRICULUM Schweiz Med Forum Nr. 21 23. Mai 2001 553 Quintessenz Die Insulintherapie ist eine effiziente und sehr sichere Behandlungsform des Diabetes mellitus Typ 2. Wird das individuelle und rational festgelegte Therapieziel trotz adäquater Massnahmen bezüglich Diät, körperlicher Aktivität und dem Einsatz oraler Antidiabetika nicht erreicht, ist eine Insulintherapie indiziert. Als primäre Strategie der Insulintherapie hat sich die Kombinationstherapie oraler Antidiabetika mit der Injektion eines Verzögerungsinsulins vor der Bettruhe («bedtime-insulin») durchgesetzt. Die prandiale Gabe eines kurzwirksamen Insulinpräparates (Normalinsulin oder kurzwirksames Analoginsulin), welche im Fall erhöhter Nüchternblutzuckerwerte mit der Gabe eines NPH-Insulins vor der Bettruhe ergänzt wird, ist aus pathophysiologischen Gesichtspunkten die Strategie der ersten Wahl im Falle einer Insulinmonotherapie. Die Insulintherapie mit Mischinsulin hat gegenüber der prandialen Insulintherapie mit kurzwirksamen Insulinpräparaten und der allfälligen Gabe eines Verzögerungsinsulins vor der Bettruhe mehrere Nachteile und ist darum nicht die Therapiestrategie der ersten Wahl beim Diabetes mellitus Typ 2. früh im Krankheitsverlauf (häufig schon bei der Diagnosestellung) schwer eingeschränkt. Diese fehlende Frühphase-Insulinsekretion kann durch die Applikation eines schnell wirksamen Insulinpräparates zum Essen imitiert werden («Bolus» oder «Prandiale Insulintherapie»). Neben der gestörten Insulinsekretion liegt bei vielen Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 eine Insulinresistenz von Leber, Muskelgewebe und Fettgewebe vor. Die Insulinresistenz manifestiert sich einerseits durch eine verminderte periphere Glukoseaufnahme und anderseits durch eine vermehrte hepatische Glukoseproduktion. Kann die Glukoneogenese der Leber in der postprandialen Phase aufgrund der Insulinresistenz und der ungenügenden Insulinsekretion durch die β -Zellen nicht supprimiert werden, kommt es zu einem postprandialen Blutzuckeranstieg. Die effizienteste Therapie hierfür ist die Injektion eines kurzwirksamen Insulinpräparates vor dem Essen. Die prandiale Insulintherapie hat den Vorteil, dass die applizierte Insulinmenge dem gemessenen Blutzucker angepasst werden kann und so allfällig erhöhte Blutzuckerwerte korrigiert werden können. Die Mahlzeiten können zeitlich flexibel eingenommen oder auch ausgelassen werden. In einem zweiten Schritt kann der Patient nach adäquater Schulung die Insulinmenge der gegessenen Kohlenhydratmenge selbständig anpassen. Die prandiale Insulintherapie erlaubt somit auch eine Flexibilität bezüglich der Ernährung. Hypoglykämien sind bei einer prandialen Insulintherapie selten, da nur kurzwirksame Insulinpräparate zu den kohlenhydrathaltigen Mahlzeiten appliziert werden. Für die prandiale Insulintherapie stehen Normalinsulin oder kurzwirksame Insulinanaloga zur Verfügung (Tab. 3). Ob Normalinsulin oder ein Analoginsulin verwendet wird, hängt vor allem von den Bedürfnissen des Patienten ab. Ist ein Spritz-Ess-Abstand erwünscht oder bevorzugt der Patient die Einnahme kleiner Zwischenmahlzeiten, sollte Normalinsulin verwendet werden. Sofern der Patient die Insulinapplikation lieber direkt vor der Mahlzeit durchführt und auf Zwischenmahlzeiten verzichtet, empfehlen wir den Einsatz von kurzwirksamen Insulinanaloga. Die kurzwirksamen Analoginsuline haben gegenüber Normalinsulin den Vorteil, dass weniger Hypoglykämien auftreten und der postprandiale Blutzucker besser kontrolliert werden kann [7]. Kurzwirksame Insulinpräparate werden in das subkutane Bauchfett gespritzt, da die Resorption dort schneller erfolgt als am Oberschenkel. Die Behandlung kann mit einem einfachen Schema eingeleitet werden, bei welchem die Insulindosis in Abhängigkeit des präprandialen Blutzuckers variiert wird. Das Schema kann später dem individuellen Blutzuckerverlauf angepasst werden. Durch eine eingehende Schulung können einzelne Patienten in einem weiteren Schritt die prandiale Insulindosis anhand der Kohlenhydratmenge und des präprandialen Blutzuckers selbstständig festlegen. Typischerweise ist beim Typ-2-Diabetes die hepatische Glukoseproduktion v.a. in der Nacht erhöht. Hinweisend für eine vermehrte nächtliche Glukoseproduktion der Leber ist ein er- Tabelle 3. Übersicht kurzwirksame Insulinpräparate. Normalinsulin Kurzwirksames Analoginsulin Beispiele Huminsulin Lilly Normal, Actrapid HM Insulin Lispro (Humalog ), Insulin Aspart (NovoRapid ) Spritz-Ess-Abstand Ja Nein Zwischenmahlzeiten (Ja) Nein

CURRICULUM Schweiz Med Forum Nr. 21 23. Mai 2001 554 höhter Nüchternblutzucker. Die nächtliche hepatische Glukoseproduktion kann mit der Applikation eines Verzögerungsinsulins vor der Bettruhe effizient gehemmt werden. Einzelheiten der Therapie wurden bereits oben diskutiert («bedtime-insulin»). Nicht alle Patienten, welche mit einer prandialen Insulintherapie («Bolus») behandelt werden, brauchen ein Verzögerungsinsulin über die Nacht («Basis»), der Begriff Basis-Bolus-Therapie ist darum irreführend. Die Applikation eines Verzögerungsinsulins vor der Bettruhe ist dann sinnvoll, wenn der Nüchternblutzucker erhöht ist oder der Blutzucker während der Nacht ansteigt. Die prandiale Insulintherapie mit allfälliger Applikation eines NPH-Insulins vor der Bettruhe ist aufgrund der Pathophysiologie des Typ-2-Diabetes eine rationale Strategie der Insulinbehandlung. Längerfristig hat diese Art der Behandlung gegenüber der Therapie mit Mischinsulin den Vorteil einer besseren Stoffwechselkontrolle bei einer geringeren Gewichtszunahme und Hypoglykämiehäufigkeit [8]. Die Notwendigkeit häufigerer Injektionen wird durch den Vorteil einer erhöhten Flexibilität bezüglich der Ernährung kompensiert. Es ist nachgewiesen, dass die Lebensqualität der Typ-2-Diabetiker geprägt wird durch das Vorhandensein mikro- und makrovaskulärer Komplikationen. Eine intensivierte Behandlung des Diabetes schränkt die Lebensqualität nicht ein [9]. Wenn mit multiplen Insulininjek- tionen die Stoffwechseleinstellung verbessert werden kann, ist diese Art der Therapie auch kosteneffizient [10]. Ausschau/Zukunft Der Trend in der Insulintherapie des Diabetes mellitus Typ 2 geht in Richtung multiple Injektionen kurzwirksamer Insulinpräparate. Möglicherweise kann die bald verfügbare Inhalation von Normalinsulin dazu beitragen, die Skepsis von Patienten und Ärzten gegenüber häufigen Insulininjektionen abzubauen. Die Einführung langwirksamer Insulinanaloga in der Schweiz wird bald erwartet. Diese Präparate bieten einen Vorteil bezüglich geringerer Variabilität der Resorption und die klaren Insulinlösungen müssen vor der Applikation im Gegensatz zu den NPH-Insulinen nicht durchmischt werden. Durch den verzögerten Wirkungseintritt sind nächtliche Hypoglykämien bei der Verwendung langwirksamer Insulinanaloga seltener als bei der Verwendung eines NPH-Insulins. Dies könnte vor allem bei Patienten, die früh ins Bett gehen, ein Vorteil sein. Andererseits ist die Wirkungsdauer z.b. von Insulin Glargine länger, als dies für die Hemmung der nächtlichen hepatischen Glukoseproduktion nötig wäre. Der Stellenwert dieser neuen Insulinpräparate in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 ist noch nicht festgelegt. Literatur 1 UK Prospective Diabetes (UKPDS) Group. Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33). Lancet 1998;352:837-53. 2 Malmberg K. Prospective randomised study of intensive insulin treatment on long term survival after acute myocardial infarction in patients with diabetes mellitus. DIGAMI (Diabetes Mellitus, Insulin Glucose Infusion in Acute Myocardial Infarction) Study Group. BMJ 1997;314:1512-5. 3 Yki-Jarvinen H, Ryysy L, Nikkila K, Tulokas T, Vanamo R, Heikkila M. Comparison of bedtime insulin regimens in patients with type 2 diabetes mellitus. A randomized, controlled trial. Ann Intern Med 1999; 130:389-96. 4 Jehle PM, Micheler C, Jehle DR, Breitig D, Boehm BO. Inadequate suspension of neutral protamine Hagendorn (NPH) insulin in pens. Lancet 1999;354:1604-7. 5 Buse J. Combining insulin and oral agents. Am J Med 2000; 108 Suppl 6a:23S-32S. 6 Yki-Jarvinen H, Kauppila M, Kujansuu E, Lahti J, Marjanen T, Niskanen L, et al. Comparison of insulin regimens in patients with non-insulin-dependent diabetes mellitus. N Engl J Med 1992;327:1426-33. 7 Anderson JH, Brunelle RL, Keohane P, Koivisto VA, Trautmann ME, Vignati L, DiMarchi R. Mealtime treatment with insulin analog improves postprandial hyperglycemia and hypoglycemia in patients with non-insulin-dependent diabetes mellitus. Arch Intern Med 1997;157:1249-55. 8 Willms B, Pabst R, Nagel-Reuper C, Schröter W, Lübben R. Comparison of two insulin regimens in type-2- diabetes concerning metabolic control and body weight. EASD 2000, PS 62: p. 780. 9 Prospective Diabetes Study Group. Quality of life in type 2 diabetic patients is affected by complications but not by intensive policies to improve blood glucose or blood pressure control (UKPDS 37). U.K. Diabetes Care 1999;22:1125-36. 10 Wake N, Hisashige A, Katayama T, Kishikawa H, Ohkubo Y, Sakai M, Araki E, Shichiri M. Cost-effectiveness of intensive insulin therapy for type 2 diabetes: a 10-year follow-up of the Kumamoto study. Diabetes Res Clin Pract 2000;48:201-10.