Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Kapitel 2: Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsprogramme

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Transkript:

Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Kapitel 2: Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsprogramme Wintersemester 07/08 1 Inhalt der Vorlesung 1. Gegenstand der BWL und Betriebswirtschaftliche Funktionen 2. Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsprogramme 3. Entscheidungen als Grundelemente der BWL 4. Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Entscheidens 5. Konstitutive Entscheidungen 6. Management - Strategische Unternehmensführung 2

Wozu betreiben wir Wissenschaft? Kognitives Ziel Ausgangspunkt: Intellektuelle Neugier Erkenntnisinteresse Praktisches Ziel Ausgangspunkt: Bewältigung von Lebensproblemen Gestaltungsinteresse 3 Was liefert uns Wissenschaft? Begriffe Aussagen Beschreibungen Erklärungen Prognosen Gestaltungsaussagen 4

Inhalte von (wissenschaftlichen) Aussagen 5 Wie gelangen wir zu gültigen Aussagen? Durch Anwendung von wissenschaftlichen Methoden Methode: regelgeleitete Grundlage einer Vorgehensweise, festgelegtes Regelsystem eines Verfahrens, das überprüfbare Ergebnisse liefern soll (Langenscheidt Fremdwörterlexikon, http://services.langenscheidt.de/fremdwb/fremdwb.html) Wichtig im Wissenschaftskontext: intersubjektiv nachvollziehbares Verfahren Methodologie = Lehre von den Methoden (in der Wissenschaft) 6

Forschungsmethoden 7 Begriffsbildung (Entwicklung von Definitionen) Festlegen, welche Sachverhalte unter einen Begriff fallen und welche nicht. Beispiel für eine Definition: Umweltzustände sind intern bzw. extern gesetzte Daten (Begrenzungen), die sich vom Entscheidungsträger innerhalb des Planungshorizonts nicht verändern lassen (Bea/Friedl/Schweitzer 2004: 9) 8

Klassifizierung Zusammenfassung von Objekten, die sich in der Ausprägung eines Merkmals gleichen, zu einer Klasse Beispiel: Ein Mensch (ein Objekt) ist der Klasse Student zuzuordnen, wenn das Merkmal Gültige Immatrikulation an einer wissenschaftlichen Hochschule zutrifft; wenn Merkmal nicht zutrifft, soll das Objekt der Klasse Nicht-Student zugeordnet werden. 9 Typisierung Nicht nur ein Merkmal zur Einordnung, sondern mehrere. Beispiel: Merkmal Immatrikulation (ja/nein ) und Merkmal Geschlecht ( männlich/weiblich ) einfache Typologie zur Beschreibung von Studierenden bzw. Nicht- Studierenden mit vier Ausprägungen vier Typen: Männliche Nicht-Studierende, männliche Studierende, weibliche Nicht-Studierende, weibliche Studierende. Achtung: Bei Bea/Friedl/Schweitzer (2004: 70f.) etwas anders! 10

Theoriebildung und Theorieanwendung Eine Theorie ist ein Aussagenzusammenhang mit mindestens einer gesetzesartigen Aussage. Beispiel für eine Theorie, die nur eine einzige Aussage enthält: Wenn auf ein Verhalten ein Verstärker folgt, erhöht sich die Auftrittswahrscheinlichkeit dieses Verhaltens. Oder: Alle Menschen maximieren ihren Nutzen. Wie kommt man zu Theorien? induktive und deduktive Vorgehensweise 11 Induktion Als induktive Methode wird ein Schlussfolgerungsverfahren bezeichnet, nach welchem von einer endlichen Zahl beobachteter Einzelsachverhalte zu einer Hypothese mit Allgemeingültigkeit fortgeschritten wird. (Bea/Friedl/Schweitzer 2004: 72) 12

Induktion Beispiel Beobachtet: in vielen Betrieben gibt es einen Zusammenhang zwischen Preis und abgesetzter Menge (Preis-Absatz-Funktion z) Folgerung : in allen Betrieben gilt Preis-Absatz-Funktion z Man folgert aus Beobachtungen einer endlichen Zahl von Betrieben eine Gesetzmäßigkeit für alle Betriebe. Aber: Verallgemeinerung aus einer begrenzten Menge von Beobachtungen Keine streng logische Folgerung! Als Grundprinzip für empirische Wissenschaften problematisch, vgl. v. a. K. Popper 13 Deduktion Deduktion = Herleitung von Aussagen (Konklusionen, Theoremen) aus Grundaussagen (Prämissen, Axiomen) unter Verwendung logisch-wahrer Ableitungen (Bea/Friedl/Schweitzer 2004: 73). 14

Deduktion - Anwendung bei der Theorieprüfung durch Verifikation und Falsifikation Theorieprüfung durch Verifikation: Wenn Zusammenhang A & B (kurz: Theorie T) viele Male gefunden wurde, dann wird Theorie T auch in Zukunft (immer) gelten. Theorie gilt als bewahrheitet. Induktives Vorgehen! Nach Popper ist Verifikation grundsätzlich nicht möglich Theorieprüfung durch Falsifikation: Wenn Zusammenhang A & B (kurz: Theorie T) zumindest ein Mal nicht gefunden wurde (obwohl Theorie T ihn voraussagt), dann ist Theorie T falsch Gelang eine Widerlegung der Theorie T bislang nicht, ist sie als vorläufig wahr anzusehen Nur dieser Grad an Sicherheit wissenschaftlicher Aussagen ist nach Popper möglich 15 Weitere Möglichkeit der Theoriebildung: Analogieschluss Übertragung von Aussagen aus einem Erfahrungsbereich auf einen anderen, weil Ähnlichkeiten vermutet/beobachtet werden Der Analogieschluss hat keine wissenschaftliche Beweiskraft! Als Methode zur Ideengenerierung kann er wichtig sein. 16

Beispiel für Analogieschluss Bohr sches Atommodell: Die Elektronen umkreisen den Atomkern (Protonen und Neutronen) in kreisbzw. ellipsenförmigen Bahnen wie die Planeten die Sonne Abgeleitet aus Analogie in der Struktur von Coulombschem Gesetz (elektromagnetische Kraft) und Newtonschem Gravitationsgesetz Weitere Forschungen, insbesondere die Quantentheorie, haben gezeigt, dass dieses Modell nicht zutreffend ist 17 Weitere wissenschaftliche Methodik: Hermeneutik (Kunst-)Lehre des Verstehens Grundkonzept: hermeneutischer Zirkel Vorverständnis Korrigiertes Verständnis Hermeneutische Erfahrung: Auseinandersetzung mit Text, Bild Bedeutung v. a. in Theologie, Rechtswissenschaft, Sprachwissenschaft und Kunstgeschichte 18

Hermeneutik - Beispiel Pablo Picasso: Frau mit gelbem Haar 1931 Guggenheim Collection Hommage an seine Muse Marie-Thérèse Walter 19 Modellierung und Algorithmus Modellierung: Sprachliche Reproduktion eines realen Sachverhaltes nach präzisen Abbildungsregeln Ergebnis einer Modellierung = Modell (strukturgleiche oder strukturähnliche Abbildung eines Realitätsausschnittes) Algorithmus = Rechenvorschrift Beispiel: Algorithmen zur Optimierung. 20

Begriffsarten 21 Aussagearten 22