Über die Ausstellung. Dr. Chris Gerbing. Dr. Chris Gerbing

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Transkript:

Dr. Chris Gerbing Dr. Chris Gerbing ist freiberuflich als Kuratorin, Autorin, Lektorin und Lehrbeauftragte an den Universitäten Karlsruhe (TH) und Stuttgart tätig. Ihre Themen reichen von einem klassischen Begriff und Verständnis der Kunstgeschichte des Kirchenbaus nach 1800 und der Entwicklung der Kunst im öffentlichen Raum bis zur Geschichte der aktuellen medialen Kunst, wobei sie speziell an den Randbereichen zu anderen Disziplinen interessiert ist. Nach dem Studium der Kunstgeschichte mit den Nebenfächern Baugeschichte und Neuere und Neueste Geschichte an den Universitäten Karlsruhe (TH), Universität Basel, Schweiz und Université des Sciences Humaines de Strasbourg, Frankreich, promovierte Sie bei PD Dr. Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archivs Berlin, an der Technischen Universität (TU) Berlin zum Thema Chancen, Möglichkeiten und Grenzen von Kunst im Unternehmen. Auf dem Weg dorthin erwarb sie verschiedene Stipendien und Auszeichnungen wie z.b. ein Vollstipendium des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) für das Praktikum im Philadelphia Museum of Art, Philadelphia, USA, das vom der Smithonian Institution Washington gefördert wurde und Teilstipendien im Rahmen des EUCOR-Programms. 30 Fotografie Dr. Chris Gerbing Über die Ausstellung Dr. Chris Gerbing

Im Auge des Benutzers Von aktivierten Betrachtern, von Künstlern als Ideen-Generatoren und den Auswirkungen auf andere Kunstgattungen Absichtserklärung 1. Der Künstler kann das Objekt selbst herstellen. 2. Das Objekt kann von anderer Seite hergestellt werden. 3. Das Objekt muss nicht hergestellt werden. Jede dieser Möglichkeiten entspricht auf gleiche Weise der Intention des Künstlers. Die Entscheidung liegt beim Empfänger, wenn er seine Annahmebereitschaft erklärt hat. Lawrence Weiner (1969) 1 I. Die»Absichtserklärung«von Lawrence Weiner führt dem Zeitgenossen aktueller Kunst, respektive dem Betrachter von Medienkunst, die Optionen vor Augen, die sich ihm, aber auch dem Künstler selbst, im Angesicht dieser Arbeiten stellen: der Betrachter kann, muss sich aber nicht auf die Arbeit einlassen; aber vielmehr noch: letztlich hängt es von seiner Bereitschaft, sich darauf einzulassen ab, ob ein Kunstwerk unter aktiver Beteiligung des aus seiner Passivität heraustretenden Betrachters entsteht. Insofern hat Weiner bereits Ende der 1960er Jahre, als die Medienkunst noch in den Kinderschuhen steckte, ihre wesentlichen Prinzipien formuliert und uns damit ein auch heute noch valides Instrument zur Herangehensweise an Medienkunst an die Hand gegeben. 31 1 Lawrence Weiner, zit. nach: Kemp, Wolfgang (Hrsg.): Zeitgenössische Kunst und ihre Betrachter. Köln 1996 (=Jahresring 43, hrsg. im Auftrag des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft), S. 12.

32 Medienkunst folgt offensichtlich anderen Prinzipien als Malerei, Grafik, Plastik oder Fotografie, sie hängt häufig genug von der Bereitschaft des Betrachters ab, aus seiner passiven rezeptiven Rolle heraus- und in eine aktive, partizipatorische hineinzuschlüpfen. Beteiligt sich das Gegenüber des Kunstwerks nicht, tritt er nicht ein in einen Austausch mit ihm, bleibt es ihm verschlossener, als dies bei einer anderen Gattung der Fall wäre, da eine Interaktion oft vom Künstler intendiert ist und sich darin das Kunstwerk vollendet. Daraus ergibt sich eine andere Herangehensweise an das Medienkunstwerk im wahrsten Sinne des Wortes, denn zur aktiven Beteiligung am Entstehungs- bzw. Vollendungsprozess muss der Betrachter bereit sein und sich darauf einlassen wollen, ansonsten bleiben sich Kunstwerk und Betrachter fremd fremder, als dies bei den anderen Kunstgattungen der Fall ist, da sie im Regelfall auch ohne eine Beteiligung vollendet sind. Ausgehend von der Ausstellung Verbindungen im Haus der Wirtschaft in Stuttgart, zu der die Hochschule der Medien I Fachbereich Audiovisuelle Medien (AM) I die begehbare Installation senses reconnected beisteuerte, soll im Folgenden dem Verhältnis von Künstler und Betrachter und der intendierten Interaktion zwischen Kunstwerk und Betrachter nachgegangen werden, innerhalb dessen dieser zum aktivierten Betrachter, zum Benutzer, teils sogar zum Auslöser und Vollender des Kunstwerks wird. Interessant ist bei der vorgegebenen Konstellation vor allem, dass sich die Multi-User-Arbeit senses reconnected in einem Raum wiederfand mit»klassischen«zeitgenössischen Arbeiten, d.h. mit Gemälden, Zeichnungen, einem Film und Plastiken. Der Besucher der Ausstellung wechselte zwischen den Genres, musste sich dabei aber selbst klar werden über sein Verhalten im Raum und den Kunstwerken gegenüber. II. Verbindungen herzustellen, meint, ein Netzwerk aufzubauen, Kontakte herzustellen, eine Auseinandersetzung zuzulassen, in Dialog zu treten mit anderen Worten und bezogen auf die Ausstellung: mit und über Kunst zu kommunizieren. Da die Ausstellung Verbindungen bereits in ihrem Titel diesen kommunikativen Ansatz vermittelt, lohnt sich zunächst der nähere Blick auf diesen Aspekt, der zudem wichtiger Bestandteil der Rezeption von Medienkunst ist.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Kommunikationsforschung parallel zu den künstlerischen Bestrebungen der 1960er Jahre und ihrem gesellschaftsbezogenen Ansatz einen Aufschwung erlebt. Jürgen Habermas und Niklas Luhmann sind als ihre Protagonisten zu benennen, wobei sich inzwischen das Forschungsfeld und die Theorien, was Kommunikation bedeutet, ausdifferenziert haben. Für die hier angestellte Betrachtung ist insbesondere die intentionale Interaktion zwischen Betrachter und Kunstwerk bzw. die kommunikationsstiftende Wirkung von Kunstwerken von Relevanz. Letztere weist wiederum auf die zwischenmenschliche Kommunikation hin, die sich dadurch auszeichnet, dass nicht nur natürliche Anzeichen interpretiert werden, sondern auch künstliche Zeichen (Symbole). 2 Deshalb kann über die Interaktion zwischen Menschen hinausgehend überhaupt erst ein Austausch mit einem zeichenhaften Objekt, wie dies ein Kunstwerk sein kann, zustande kommen. Die Humankommunikation wird also im Zusammenhang mit Kunstwerken ausgeweitet zu einer Kommunikation, die zwischen Kunstwerk und Betrachter zustande kommen kann, zum anderen wird sie zielgerichtet eingesetzt, wenn zwei oder mehrere Betrachter sich über das Kunstwerk austauschen und zum Dritten kann diese sachorientierte Kommunikation dazu führen, dass Denkprozesse angeregt werden, die ohne diese Anregung von außen so nicht möglich gewesen wären. Zeitgenössische Kunst fordert damit den Betrachter zur Auseinandersetzung heraus, schließt folglich, um es mit Wolfgang Kemp zu formulieren, eine agonale Grundstellung aus. Verstehen lässt sich bekanntlicherweise nicht erzwingen. Aber es lässt sich fordern und fördern, durch gegenseitige Herausforderung stärken. 3 Bei dem Vorgang der Kommunikation handelt es sich üblicherweise um einen dialogischen Informationsaustausch zwischen mindestens zwei Menschen, wobei sich die daran beteiligten Menschen aktiv um das Entstehen einer Kommunikation, also von Aktion und Reaktion, bemühen müssen. Deutlich wird, dass menschliche Kommunikation eine Handlung ist, bei dem die Rückkopplung zwischen Sender und Empfänger wesentlicher Bestandteil der Mitteilung ist. 4 Daher kann erst, nachdem Kommunikation stattgefunden hat, von ihr gesprochen werden, ansonsten handelt es sich nur um den Ansatz oder den Versuch zur Kommunikation. 33 2 Beck (2007), S. 28. Ruth Emundts weist darauf hin, dass Zeichen und Symbole auch das zentrale vermittelnde Medium der unternehmenskulturellen Kommunikation sind, die komplexe Kommunikationsinhalte (Konnotationen) [vermitteln], die vom jeweiligen Sender und Empfänger, wie auch vom jeweiligen Kontext abhängen (Emundts (2003), S. 222). 3 Kemp (1996), S. 13 43, hier: S.22. 4 Beck (2007), S.16 f.

34 Der Prozess der Kommunikation ist immer dann eine Handlung, wenn die Bedeutungsvermittlung von den beteiligten Akteuren intentional [Hervorhebung des Autors] angestrebt wurde. 5 Die neuere Forschung stellt der dialogischen Kommunikation die einseitige Kommunikation zur Seite, bei der nur in eine Richtung kommuniziert wird, der Empfänger der Informationen aber keine Möglichkeit zur Reaktion hat. 6 Gerade im Hinblick auf den Zugang zu zeitgenössischer (und respektive zu Medien-) Kunst ist dieser Aspekt von Relevanz, obwohl darauf hingewiesen werden muss, dass der wechselseitige Bezug der beteiligten Akteure letztlich die Voraussetzung für eine intentionale Bedeutungsvermittlung ist. 7 Bleibt es bei dem einseitigen Kommunikationsangebot, den ein Kunstwerk letztlich nur bieten kann, ohne dass der Betrachter bereit ist, sich darauf einzulassen, kann kein Austausch und damit keine Kommunikation stattfinden. Dennoch ist dieser Aspekt insbesondere im Hinblick auf die kommunikativen Aspekte von Kunstwerken von besonderem Interesse, weil hier ein Objekt Sender von Informationen ist, aber eher selten als Empfänger fungiert. Tatsächlich ist es erst seit den 1990er Jahren mit dem Aufkommen von Medienkunstwerken möglich, von einer im Kunstwerk bereits technisch angelegten Interaktion zu sprechen. 8 Dass diese Diskussion inzwischen auch den Präsentationsort der Kunstwerke, das Museum, erreicht hat, machen Publikationen deutlich, die sich mit der Rolle des Besuchers in Bezug auf Medienkunstwerke auseinandersetzen 9 eine Diskussion, die nicht zuletzt durch das ZKM in Karlsruhe (das eine Vorreiterrolle in Bezug auf die Neuen Medien einnimmt) angestoßen wurde und auch dort nach wie vor geführt wird. III. Hans Peter Schwarz und Jeffrey Shaw bezeichneten in ihrer editorischen Notiz»Perspektiven der Medienkunst«von 1996 diese als offene Kunstwerke, da sie in der Lage sind, Realität zu simulieren und damit Sinnverkörperungen innerhalb selbstständiger interaktiver Systeme [zu] erschaffen 10 Dabei ist die neu geschaffene Realität ortsunabhängig. Das bedeutet, dass der Nutzer des Kunstwerks sich nicht nur eine eigene Realität schaffen kann, sondern diese häufig genug virtuell ist und als Netzkunst die weltweite Zugänglichkeit, ergo: der weltweite Kontakt mit weiteren Usern erfolgt. 11 5 6 7 Baetzgen (2007), S.39. Steffenhagen (1983), S.23 f. Vgl. Baetzgen (2007), S.40. Zur Wirkung von Kommunikation und möglichen daraus 8 resultierenden Konsequenzen vgl. Dahlhoff (1983). Sakane weitet den Begriff der Interaktion auf und bezeichnet sowohl den inneren Prozess des Künstlers als auch jenen des Betrachters als eine Interaktion, deren Ab- und Eingrenzung er dennoch als notwendig erachtet (Sakane (1989), 9 10 S.4). Vgl. z.b. Graf/Müller (2005), Noschka-Roos/Hauser/Schepers (2005) und Mangold/Weibel/Woletz (2007). Schwarz/Shaw (1996), S.8.

Auch Kommunikation ist durch diese Aufweitung des Kunstwerks in virtuelle Welten nicht mehr ortsgebunden, sondern kann zu jeder Zeit rund um den Globus erfolgen. Dadurch ändern sich der Fokus auf das Kunstwerk, der Zugang zu ihm und der Umgang mit ihm. 12 Der Betrachter wird zum User, zum Benutzer einer Arbeit, er interagiert mit ihr, partizipiert an ihrer zumindest temporären Vollendung und wird auf diese Weise selbst zum Gestalter, d.h. zum Mit-Künstler an einer letztlich als»idee in Vollendung«zu bezeichnenden Arbeit. Wenn nun aber der Künstler zum Generator von Ideen wird, die er mit Hilfe Dritter umsetzt (denn zumeist benötigt der Medienkünstler das technische Wissen anderer, um seine künstlerischen Vorstellungen realisieren zu können), der Betrachter selbst in die Rolle des Mit-Künstlers schlüpft, damit sich das Kunstwerk durch seine Beteiligung vollende, so ändert sich nicht nur das Verhältnis des Künstlers zu seinem Werk (wobei er gleichzeitig in den Hintergrund rückt), 13 sondern auch das des Betrachters zum Kunstwerk und letzteres in zweifacher Hinsicht: Wenn eine Mitwirkung nicht nur erwünscht, sondern erwartet wird, so verändert sich auch der Weg des Betrachters zum Kunstwerk und sein Verhalten ihm gegenüber. War es im 18. Jahrhundert nur einigen ausgewählten Besuchern möglich, auf persönliches Ersuchen hin die vom Adel zusammengetragenen Kunstschätze zu studieren, so wuchs im Zeitalter der Aufklärung die Bereitschaft zur Öffnung der Sammlungen. 14 Allerdings wurde den damaligen Besuchern vorgeschrieben, wie sie sich im Angesicht des Kunstwerks zu verhalten und welche Kleidung sie zu tragen hätten, was zum Ausschluss von Teilen der Bevölkerung führte, die dieser Kleiderordnung nicht nachkommen konnten. Und obwohl aufgrund der Demokratisierungswellen, die auch vor dem Museum nicht Halt gemacht haben, ihr Besuch inzwischen jedermann offensteht, stehen wir im»klassischen«kunstmuseum immer noch ehrfurchtsvoll vor den Kunstwerken, unterhalten uns leise mit unserem Nachbarn über das Werk und sorgen damit für eine sakral anmutende Stille. Wir haben uns also den Verhaltenskodex aus dem 19. Jahrhundert zu Eigen gemacht und verhalten uns nach wie vor ihm entsprechend. Das ändert sich im Miteinander der Medienkunst radikal, letztlich auch mit Auswirkungen auf die anderen Kunstgattungen. 15 35 11 De Kerckhove (1995) stellt die These auf, man müsse vielleicht bald von geliehener Subjektivität sprechen, da der Benutzer bei Netzkunstwerken zudem in die Lage versetzt werde, in die Rolle eines vorhergehenden Betrachters zu schlüpfen oder sich eine andere Persönlichkeit zuzulegen (S.345). 12 Aufbauend auf Arnold Gehlen konstatiert Beatrix Zug, dass für das Kunstwerk als Ergebnis der Handlung gilt, dass es der Idee nach nicht mehr fertig wird. (Zug (2007), S.134 f.) 13 Weiterführend zu möglichen Rollenbildern des Künstlers im 20. Jahrhundert vgl. Graevenitz (2000), bes. S.165 f. 14 Haase (1990), S.156 f.

36 Und man kann insofern trefflich fragen: tragen die Medienkunst und die ihr zugrunde liegenden Prinzipien, die den Betrachter in eine aktive Rolle drängen, zu einer Veränderung unseres Verhaltens als Besucher gegenüber den anderen Gattungen bei? Oder sorgt das Kunstwerk im»zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«16 nun auch noch nachdem das Hier und Jetzt des Originals, [das] den Begriff seiner Echtheit aus[macht] 17, weggefallen ist und dadurch seine Aura verkümmerte für Verwirrung, weil es den Betrachter zu seiner Vollendung benötigt? Die Aura, die Benjamin noch am Originalitätsbegriff festmachte, scheint heute aus der Interaktion und der Kommunikation mit dem Kunstwerk sowie der aktiven Partizipation des Betrachters heraus zu erwachsen und zahlreiche Medienkunstwerke sind in der Tat hochpoetisch und haben auratische Qualitäten, obwohl sie sich im Moment und stets neu vollenden. Insofern tritt die Bedeutung der Aufgabe der klassischen hermeneutischen Interpretation des Kunstwerks, die Intention des Künstlers im Zusammenhang mit seinen sozialen, historischen und geistigen Kontexten herauszufinden, immer weiter in den Hintergrund. Denn Rollenverteilung und Beziehungsgeflechte zwischen Betrachter, Künstler und Werk haben sich zwischenzeitlich verändert. 18 IV. Der Künstler tritt einen Schritt zurück, holt den Betrachter herein zur Vollendung seines Kunstwerks und setzt damit einen Demokratisierungsprozess in Gang, der, wie zuvor bereits angedeutet, auch Auswirkungen auf den Umgang mit den anderen Kunstgattungen haben kann. Der Künstler (eigentlich müsste, mit Blick auf die Medienkunst zumeist vom Künstlerkollektiv gesprochen werden, denn auch seine Rolle hat sich, wie bereits dargelegt, fundamental verändert) bietet dem Betrachter nichts weniger als die aktive Teilhabe an seiner Arbeit an, er wird zum Ideen-Generator; seine Ideen werden von anderen umgesetzt und in der Ausstellung dann vollendet: the starring actor is the viewer himself and the artist can be regarded as a producer in the interaction between the viewer and the work of art. 19 Das Prozesshafte des Medienkunstwerks tritt in den Vordergrund, wobei es unterschiedliche Beteiligungsgrade gibt: Manches Kunstwerk bedarf eines einzigen Users, um 15 Vgl. weiterführend Gehlen (21965), bes. S.217. 16 So der Titel von Walter Benjamins wegweisendem Aufsatz von 1963. 17 Benjamin (271999), S.12. 18 Hünnekens (1997), S.175. 19 Sakane (1989), S.4. 20 Lüdeking (1996), S.161. Vgl. weiterführend auch Zug (2007), bes. S.77 ff.

sich zu vollenden, andere wachsen dadurch, dass sich viele an der Vollendung beteiligen. Während die einen sich immer wieder im Angesicht des Betrachters vor seinen Augen vollenden, sind andere eher als»work in progress«zu verstehen. So kann sich der Betrachter stets von Neuem in seiner Rolle reflektieren und sein Verhältnis zum Kunstwerk ausloten. Eine neue Mündigkeit dem Kunstwerk gegenüber ist dabei zu betrachten, die weit entfernt ist von dem ehrfürchtigen Verharren, das unsere Altvorderen dem zu quasireligiösen Weihen erhobenen Kunstwerk entgegenbrachten. Hinzu kommen, wie Karlheinz Lüdeking treffend bemerkt, eine neue Wahrnehmung, neue Sichtweisen auf das Kunstwerk, die ausgelöst werden durch den je unterschiedlichen Zugang, den der einzelne Betrachter mitbringt: ob ich mich dem Werk verweigere oder das Angebot, das es mir macht, annehme, macht letztlich den großen Unterschied in meiner Rezeption. Gefragt ist außerdem der eigene Erfahrungshorizont, die eigenen Seh-Erfahrungen das Kunstwerk tritt entsprechend aus einem öffentlichen in einen privaten Bereich hinein, die leibhaftige Präsenz wird durch die Repräsentation und die Reproduktion ersetzt 20, ein Vorgang, der dem Strukturwandel unserer Öffentlichkeit folgt. Und so tritt ein weiterer kommunikativer Vorgang hinzu, der gerade bei zeitgenössischer Kunst zwingend notwendig und doch häufig genug vernachlässigt wird: der der Kunstvermittlung. Denn wo der persönliche Erfahrungsschatz eine Rolle beim Rezeptionsverhalten des einzelnen Betrachters spielt, braucht dieser (vielleicht umso mehr) eine»betriebsanleitung«, die das Lesen des Kunstwerks möglich macht. Insofern lässt sich festhalten, dass insbesondere Medienkunst an die Rezeption des aktivierten Betrachters hohe Anforderungen stellt, häufig seiner Bereitschaft zur Partizipation und Interaktion bedarf, um sich zu vollenden, der Betrachter also (seine Bereitschaft vorausgesetzt) zum Mit-Künstler wird, der dann aufgrund seiner aktiven Rolle gezwungen ist, auf Augenhöhe mit Künstler und Kunstwerk zu kommunizieren. Eine solche aktive Rolle des Betrachters dürfte nicht folgenlos bleiben für die Rezeption anderer Kunstgattungen! 37