Rechtlicher Rahmen und mögliche Auswirkungen der freiwilligen Partnerinformation Nationale Tagung 2013: Freiwillige Partnerinformation Bern, 24. September 2013 Prof. Dr. iur. Thomas Gächter, Universität Zürich Seite 2
Übersicht I. Ausgangslage / Fragestellung II. Rechtsposition der infizierten Person III. Verhältnis infizierte Person aktuelle/künftige Sexualpartner IV. Verhältnis infizierte Person frühere Sexualpartner (ev. auch Infektionsquelle) V. Verhältnis Ärztin infizierte Person VI. Verhältnis Berater infizierte Person VII. Fazit: Freiwillige Partnerinformation als Königsweg? Seite 3 I. Ausgangslage / Fragestellung Seite 4
Dimensionen der Fragestellung Strafverfolgungsbehörde Kantonsarzt Seite 5 Involvierte Interessen / Rechtspositionen (Auswahl) Grundrechte Einzelner Schutz der körperlichen Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV) Schutz der psychischen Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV) Selbstbestimmungsrecht (Art. 10 Abs. 2 BV / Art. 13 Abs. 1 BV) Öffentliche Interessen Schutz der Volksgesundheit (Verfassungsauftrag); d.h. Schutz vor Ausbreitung bösartiger Infektionskrankheiten. Damit: Schutz von Leib und Leben Einzelner. Schutz der Wirtschaftskraft der Bevölkerung. Schutz vor unnötig hohen Gesundheitskosten. Seite 6
Begrenzte Bedeutung des rechtlichen Rahmens In der Verfassung keine klare Vorgabe, wie mit der Partnerinformation umzugehen ist Staatliche Schutzpflichten gegenüber der infizierten Person und allfälligen weiteren Personen, die infiziert werden können, sind unterschiedlich umsetzbar (Relativ) grosser Gestaltungsspielraum im geltenden Recht; u.a. wegen verfassungsrechtlichem Schutz der Autonomie der Einzelnen Strategische Entscheidung für Lernstrategie (bei HIV und anderen STI) statt für Seuchenstrategie Seite 7 II. Rechtsposition der infizierten Person Seite 8
Eckpunkte Anspruch auf Persönlichkeitsentfaltung, u.a. Anspruch auf sexuelle Entfaltung Anspruch auf Schutz der Intimsphäre und informationelle Selbstbestimmung, d.h. auf seinen Umgang mit eigenen Krankheitsdaten Keine (direkten) gesetzlichen Informationspflichten, aber indirekte Pflichten (Straf- und Privatrecht) bei fehlender Information der Partner (siehe III.) Fazit: Verhaltensbeeinflussung durch Information/Aufklärung als optimale Strategie Seite 9 III. Verhältnis infizierte Person aktuelle/künftige Sexualpartner Seite 10
Eckpunkte Grundsätzlich kein Vertragsverhältnis bei einvernehmlichem Geschlechtsverkehr (ausserhalb der Prostitution) Keine direkte vertragliche oder gesetzliche Pflicht zur Partnerinformation Keine Haftung aus Vertrag bei Ansteckung Ev. Haftung aus unerlaubter Handlung (Art. 41 OR) bei Ansteckung und fehlender Einwilligung (Schadenersatz, Genugtuung) Strafrechtliche Verantwortlichkeit (siehe sogleich) Seite 11 Strafbarkeit bei fehlender Information des Partners Schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB), z.b. bei HIV- Infektion Leichte Körperverletzung (Art. 123 StGB) Ev. fahrlässige Körperverletzung (Art. 125 StGB) Bem.: Bei erfolgter Partnerinformation und einvernehmlichem Geschlechtsverkehr entfällt die Strafbarkeit bei diesen Delikten (Rechtfertigungsgrund der Einwilligung), nicht aber bei Art. 231 StGB (siehe sogleich) Seite 12
Verbreiten menschlicher Krankheiten nach geltendem Recht (Art. 231 StGB) 1. Wer vorsätzlich eine gefährliche übertragbare menschliche Krankheit verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe nicht unter 30 Tagessätzen bestraft. Hat der Täter aus gemeiner Gesinnung gehandelt, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren. 2. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Seite 13 Verbreiten menschlicher Krankheiten nach künftigem Recht (Art. 231 StGB gem. rev. EpG) Wer aus gemeiner Gesinnung eine gefährliche übertragbare menschliche Krankheit verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft. Bem.: Qualifizierte subjektive Voraussetzungen (gemeine Gesinnung) Nur noch bei Vorsatz; Fahrlässigkeitstatbestand entfällt. Seite 14
IV. Verhältnis infizierte Person frühere Sexualpartner (ev. auch Infektionsquelle) Seite 15 Eckpunkte Grundsätzlich keine direkte Informationspflicht durch infizierte Person Strafbarkeit durch Unterlassung? Ev. Information früherer Partner durch Arzt bzw. Kantonsarzt, wenn die infizierte Person Kontakte freiwillig bekannt gibt Kontaktierung früherer Partner gegen den Willen der infizierten Person? Beachtung der Verhältnismässigkeit Seite 16
V. Verhältnis Ärztin infizierte Person Seite 17 Primäre Handlungsweise: Aufklärung Aufklärung/ Information Strafverfolgungsbehörde Kantonsarzt Seite 18
Verweigerung der Partnerinformation durch Infizierten (I) EpG 28 II Seite 19 Verweigerung der Partnerinformation durch Infizierten (II) Ausnahme: Notwehr (StGB 15) Strafverfolgungsbehörde Kantonsarzt Strafverfolgungsbehörde Kantonsarzt Seite 20
Verweigerung der Partnerinformation durch Infizierten (III) Kantonsarzt Berufsgeheimnis, StGB 321. Ausnahme: Anzeigepflicht Strafverfolgungsbehörde Seite 21 VI. Verhältnis Berater infizierte Person Seite 22
Primäre Handlungsweise: Aufklärung Aufklärung/ Information Strafverfolgungsbehörde Kantonsarzt Seite 23 Verweigerung der Partnerinformation durch Infizierten (I) Information der gegenwärtigen Sexualpartner des Infizierten Keine Pflicht zur Information Ev. Verletzung einer vertraglichen Pflicht bei Information Ev. ausservertragliche Haftung aus Persönlichkeitsverletzung Ev. Verletzung eines Amtsgeheimnisses (bei amtlicher Beratung) Information früherer Sexualpartner des Infizierten Keine Pflicht zur Information. Ev. Verletzung einer vertraglichen Pflicht bei Information Ev. ausservertragliche Haftung aus Persönlichkeitsverletzung Ev. Verletzung eines Amtsgeheimnisses (bei amtlicher Beratung) Seite 24
Verweigerung der Partnerinformation durch Infizierten (II) Information des Kantonsarztes Im Rahmen der genannten Pflichten der Berater ist eine Anzeige an den Kantonsarzt nicht ausgeschlossen; ev. nicht sehr sinnvoll Anzeige bei Strafverfolgungsbehörden bei vermutetem Delikt Keine Anzeigepflicht; ausser das kantonale Recht sieht eine solche für Personen in öffentlichen Funktionen vor Anzeigerecht; ev. nicht sehr sinnvoll Seite 25 VII. Fazit: Freiwillige Partnerinformation als Königsweg? Seite 26
Fazit Freiwillige Partnerinformation als Konsequenz der Lernstrategie Vorteile der freiwilligen Partnerinformation Kann in Bereichen wirken, die sich rechtlich kaum erschliessen lassen Freiwilligkeit verhindert Stigmatisierung und ermöglicht Enttabuisierung Nachteile der freiwilligen Partnerinformation Wirksamkeit hängt vom Willen und vom Verantwortungsbewusstsein der infizierten Person ab Rechtlich lässt sich die Freiwilligkeit zwar nicht erzwingen; aber sie ist notwendig für eine wirksame Prävention Seite 27