Pädagogik Lars Antoch Förderung von hypoaktiven Kindern in der Grundschule - Möglichkeiten einer kontinuierlichen Entwicklung in Zusammenarbeit von schulischer und außerschulischer Betreuung Examensarbeit
1 Universität Potsdam Institut für Grundschulpädagogik WS 2004/2005 Förderung von hypoaktiven Kindern in der Grundschule - -
2 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung...1 2 Theoretische Einordnung...3 2.1 Besonderheiten der Aufmerksamkeitsstörungen... 4 2.1.1 Mögliche externe und interne Konflikte der ADS-Kinder...7 2.2 Entdeckung der eigenen Selbstwirksamkeit... 10 2.3 Nosologie des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms... 12 2.3.1 DSM-IV und ICD-10 im Vergleich... 13 2.4 Ein Spezialfall... 17 2.5 Möglicher Verlauf des ADS... 18 2.5.1 Das Säuglingsalter... 18 2.5.2 Das Vorschulalter... 19 2.5.3 Die Schulzeit... 20 2.5.3.1 Rechnen... 21 2.5.3.2 Rechtschreibung... 24 2.5.3.3 Lesen... 29 2.5.4 Das Jugendalter... 32 3 Ursachen... 34 4 Interventionsmöglichkeiten... 37 4.1 Medikamentöse Interventionsmöglichkeiten... 39 4.2 Wirkungsweisen der Stimulanzien... 40 4.3 Effizienz von Psychopharmaka... 41 4.4 Praktische Umsetzungen in der außerschulischen Förderung... 44 4.4.1 Das Arbeiten mit Verstärkerplänen... 49 4.5 Hilfe zur Selbsthilfe... 52 4.6 Komplikationen... 54
3 5 Zusammenfassung und Ausblick... 57 Verzeichnis der Abbildungen... 65 Literaturverzeichnis... 68
4 1 Einleitung Schulische Leistungsdefizite resultieren bei vielen Kindern aus der Unfähigkeit, dem Unterrichtsgeschehen aufmerksam folgen zu können. Nicht wahrgenommene Unterrichtsinhalte führen zu Informationslücken, was starke Probleme bei der Bewältigung des Schulalltags nach sich ziehen kann. Eine mögliche Ursache ist dabei das so genannte Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (kurz: ADS), was keinesfalls nur als medizinisches Problem verstanden werden sollte. Möglichkeiten der Förderung dieser Kinder und ein theoretischer Hintergrund sollen Hauptgegenstand dieser Arbeit sein. Die Aspekte der außerschulischen Arbeit als Alternative und der zusätzlichen Unterstützung der Eltern wird untersucht und am Beispiel eines Nachhilfeinstitutes exemplarisch erläutert. Durch die langjährige Arbeit mit Kindern in einer Nachhilfeschule sollen Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Förderung aufgezeigt und beschrieben werden. Fokussiert wird dabei das ADS ohne Hyperaktivität. Neben dem hyperkinetischen Syndrom nimmt ADS ohne Hyperaktivität als Variante des Aufmerksamkeitsdefizits eine untergeordnete Rolle ein, was mit dem Erscheinungsbild dieser Störung zusammenhängen dürfte. Solche Kinder wirken nach Elisabeth Aust-Claus und Petra-Marina Hammer im Unterrichtsgeschehen eher unauffällig, ruhig und angepasst (vgl. Aust-Claus und Hammer 2001, S. 17). Uta Reimann-Höhn weist in diesem Zusammenhang auf eine Studie hin, die Mitte der neunziger Jahre in den USA durchgeführt wurde (vgl. Reimann-Höhn 2003, S. 10). Hieraus ergab sich ein doppelt so hohes Vorkommen des Aufmerksamkeits-Defizit- Syndroms ohne Hyperaktivität im Gegensatz zu der Variante des hyperkinetischen Syndroms. Nach Dieter Krowatschek sind Mädchen statistisch stärker betroffen. Betroffene Schüler benötigen auch im außerschulischen Bereich eine besondere Zuwendung, beispielsweise beim Verfassen ihrer Hausaufgaben (vgl. Krowatschek in: Lernchancen 30/2002). Das Wesen solcher hypoaktiven Kinder wird aus eigener Erfahrung als angenehm empfunden und somit zeigen sich erst bei genauerer Beobachtung die Schwierigkeiten und Komplikationen, mit denen verträumte und passive Kinder konfrontiert sind. Deren Eltern zeigen sich in Gesprächen oftmals hilflos und folgen dem Rat vieler Kinderärzte, diesem Problem medikamentös entgegen zu wirken. Stimulanzien sollen den ADS-Kindern dabei helfen, ihre Aufmerksamkeit auf den schulischen Unterricht besser fokussieren zu können. Doch berichteten viele Eltern von Nebenwirkungen wie Einschlafschwierigkeiten oder einer
5 verstärkten Zunahme der angeregten körperlichen Aktivität, sodass die Verabreichung von Psychopharmaka kritisch betrachtet werden muss 1. Durch die Arbeit in kleinen Gruppen mit bis zu maximal vier Kindern in einer Nachhilfeeinrichtung zeigten sich Erfolge durch ein Training der eigenen Arbeitsweise. Hypoaktive Kinder werden so mit ihrer Aufmerksamkeitsschwäche vertraut gemacht und lernen diesem Manko entgegen zu wirken. Aust-Claus und Hammer beschreiben dabei die Idee des Optimind-Konzeptes, bei dem Eltern, Lehrer, Ärzte bzw. Therapeuten zusammenarbeiten müssen, um das Kind in seinem Alltag zu unterstützen (vgl. Aust-Claus und Hammer 2001, S. 161 ff.). Diese Bezugspersonen müssen dabei nicht separat, sondern als Team zusammenarbeiten, was eine interne Absprache voraussetzt. Aus eigener Erfahrung ist eine außerschulische Förderung nur mit Rücksprache der Eltern und der einzelnen Lehrer obligatorisch. Etwaige Veränderungen des schulischen Verhaltens, der möglichen Medikamentverabreichung oder der familiären Situation müssen beim Umgang und bei der Gestaltung des Unterrichts bedacht und angepasst werden. Alleine wären die betroffenen Kinder hilflos und etwaige Probleme und Misserfolge würden schnell in ein negatives Selbstwertgefühl und Resignation ausarten. Schließlich ist es ratsam, mit den Kindern selber über ihre Lernschwierigkeiten zu sprechen. Ihnen muss verdeutlicht werden, dass sie weder unbegabt noch unintelligent sind. In Gesprächen mit ihnen soll dieses Aufmerksamkeitsdefizit erklärt und als zu bewältigen dargestellt werden, wenn gewisse Regeln und Hilfen eingehalten und wahrgenommen werden. Diese Alltagsregeln betreffen alle beteiligten Parteien und sorgen für positive Ergebnisse und Erfahrungen im schulischen und außerschulischen Alltag (ebd.). So ist eine gute Förderung von hypoaktiven Kindern möglich, wenngleich auch das Arbeiten mit ihnen zeitintensiver ist und vieler Vorüberlegungen bedarf. Solche Arbeit mit Kindern in ihrer Freizeit wirkt auf sie motivierend, behebt mögliche Zweifel an den eigenen Leistungen und realisiert so eine kontinuierliche Entwicklung von Schule und außerschulischer Betreuung. 1 Sinnvoll wäre auch eine kontinuierliche Zusammenarbeit von Ärzten, Eltern und Lehrern, um Veränderungen im Verhalten des Kindes rechtzeitig zu registrieren und darauf zu reagieren. Manchmal verlieren oder verändern Medikamente auch ihre Wirkung. Die Kinder wirken apathisch, das Medikament muss angepasst, ausgetauscht oder abgesetzt werden. (Reimann-Höhn in: www.familienhandbuch.de).
6 2 Theoretische Einordnung Die Aufmerksamkeitsstörungen der hypoaktiven und hyperaktiven Kinder sind in einigen Punkten kompatibel und treten verstärkt bei so genannten fremd bestimmten Tätigkeiten, in denen eine längere Aufmerksamkeitsspanne vorausgesetzt wird, etwa bei Hausaufgaben oder im Schulunterricht auf (vgl. Manfred Döpfner in: Franz Petermann 2000, S. 152). Bei dem hyperkinetischen Syndrom können noch Hyperaktivität bzw. Impulsivität dem Erscheinungsbild beitreten, was den oftmals schwer steuerbaren Bewegungsdrang dieser Kinder begründet. Döpfner nennt Varianten komorbider Störungen, welche verstärkt bei aufmerksamkeitsgestörten Kindern auftreten. Abbildung 1: Häufige komorbide Störungen Quelle: Döpfner in: Petermann 2000, S. 153 Viele dieser zusätzlichen Störungen resultieren aus dem ADS 2. So sei die Frustrationstoleranz bei ihnen sehr gering und bereits kleinste Irritationen könnten impulsive Verhaltensmuster wie Wutausbrüche zur Folge haben (ebd.). Nach Henryk Holowenko haben zwischen 20 und 40 Prozent der Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung zusätzlich mit mindestens einer weiteren Lernart in der Schule Schwierigkeiten (vgl. Holowenko 1999, S. 23). Diese Kombination dürfte die Bewältigung der Aufgaben für die betroffenen Kinder erschweren und die Interaktion zwischen ihnen, den Eltern, den Lehrern und Freunden auf eine Bewährungsprobe stellen. So unterschiedlich das äußere Erscheinungsbild beider Störungen ist, die Hauptproblematik ist in beiden Fällen die Konzentrationsschwäche. Ihre Unfähigkeit, aufmerksam zu sein, wird nicht selten als schlechter Wille oder Desinteressiertheit 2 Nach Döpfner sind oppositionelle Verhaltensstörungen bei hyperaktiven Kindern am häufigsten. An zweiter Stelle stehen dabei die für hypoaktive Kinder relevanten emotionalen Störungen, wie meist Ängste oder Depressionen (vgl. Döpfner 2000 in: Petermann 2000, S. 153 ff.).