1.4 Objekt- und Metasprache

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Transkript:

1.4 Objekt- und Metasprache 17 Die heute in der Linguistik verbreitete Auffassung der Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik lässt sich auf diverse sprachphilosophische Einflüsse zurückführen, vor allem Grice (1966 67), Searle (1969) und Stalnaker (1970). Quellen 1.4 Objekt- und Metasprache Dem kleinen Vorgeschmack auf Themen und Inhalte dieses Buchs folgen nun noch ein paar vorbereitende Hinweise zu seiner Lektüre. Der erste betrifft die Doppelrolle, die die deutsche Sprache spielen wird (und oben schon gespielt hat). Zum einen nämlich ist das Buch auf Deutsch geschrieben, zum anderen handelt es vom Deutschen. Das Deutsche fungiert somit, wie man in der Semantik sagt, zum einen als Metasprache und zum anderen als Objektsprache. Dieser an sich einfache Sachverhalt führt gelegentlich zu Verwirrungen: (18) Jeder Satz beginnt mit einem Konsonanten. (19),Jeder Satz beginnt mit einem Konsonanten. (18) ist offenkundig falsch, auch wenn der Satz selbst mit einem Konsonanten beginnt; (19) trifft dagegen zu, weil,j ein Konsonant ist. Der Unterschied zwischen den beiden Sätzen besteht darin, dass in (18) von Sätzen die Rede ist, während der gleichlautende Satz (19) ein bestimmtes Nominal betrifft nämlich das Subjekt von (18). Um diesen Unterschied zu benennen, sagt man, dass die Wortfolge,jeder Satz in (18) verwendet (oder gebraucht), in (19) dagegen nur erwähnt (oder zitiert) wird. Im Schriftbild schlägt sich der Unterschied darin nieder, dass erwähnte Ausdrücke (im Fließtext) in einfachen Anführungszeichen, erscheinen; das ist die Konvention, die wir in diesem Buch befolgen. Diese Markierung erwähnter Ausdrücke dient der Eindeutigkeit und hilft, möglichen Konfusionen vorzubeugen. Den LeserInnen wird dringend empfohlen, dieser Konvention nicht nur beim Lesen Beachtung zu schenken, sondern auch beim Bearbeiten der Übungsaufgaben. Neben den einfachen Anführungszeichen gibt es noch zwei weitere Formen der Hervorhebung: * Doppelte Anführungszeichen markieren uneigentliche Verwendungen, also Bezeichnungen und Phrasen, die verwendet (und nicht erwähnt) werden, aber mit einer gewissen Distanzierung wie soeben das Wort,uneigentlich. * Die Kursivsetzung dient der Hervorhebung einzelner Ausdrücke (Emphase) sowie der Einführung von Fachtermini. Dass das Deutsche als Metasprache fungiert, hat den Vorteil, dass den LeserInnen eine hinreichende Beherrschung der Objektsprache unterstellt werden kann; sonst wären sie ja kaum in der Lage, dem (metasprachlich-)deutschen Text zu folgen. Die Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache stammt aus Tarski (1936). Quellen

18 1. Der Gegenstandsbereich - Übungsaufgaben zu 1.3 1. Listen Sie die Eigenschaften von (16) auf, aufgrund derer eine Äußerung dieses Satzes in der oben beschriebenen Interview-Situation unangemessen ist. zu 1.4 2. Betrachten Sie die folgenden beiden Sätze. Treffen sie zu? Drücken sie triviale Sachverhalte aus? a. Ein Indefinitum ist ein Indefinitum. b.,ein Indefinitum ist ein Indefinitum. 3. Übersetzen Sie (18) und (19) ins Englische. Achten Sie dabei darauf, dass Ihre Übersetzungen jeweils dasselbe besagen wie das deutsche Original; insbesondere sollte (19) durch die Übersetzung nicht falsch werden.

2. Ambiguität und Bedeutungskomposition Im Zentrum dieses Buchs steht die kompositionelle Semantik, die die grundlegenden Mechanismen der Bedeutungskomposition zu beschreiben und erklären sucht also die Bedeutung beliebig komplexer sprachlicher Ausdrücke in Abhängigkeit von ihrer syntaktischen Struktur und den Bedeutungen der Wörter, aus denen sie bestehen. In diesem Kapitel werden wir uns zunächst einige für diesen Prozess typische Phänomene ansehen; erst am Schluss werden wir eine allgemeine Strategie zur Erklärung der Bedeutungskomposition kennen lernen. Im einfachsten Fall besteht ein sprachlicher Ausdruck aus einem einzigen, monomorphemischen (unzusammengesetzten) Wort; aus Sicht der kompositionellen Semantik gibt es dann hinsichtlich seiner Bedeutung nichts zu erklären. Das Adjektiv,blond zum Beispiel bezieht sich auf eine Haarfarbe. Warum sich dieses Adjektiv auf eine Haarfarbe bezieht (und nicht z. B. auf eine geistige Verfassung) und warum ausgerechnet dieses Adjektiv diese Bedeutung hat (und nicht z. B.,blind ), lässt sich zwar sprachhistorisch erklären, ist aber den SprecherInnen in aller Regel nicht bekannt. Sowieso spielt diese Erklärung keine Rolle für die tatsächliche Verwendung dieses Adjektivs. Dass,blond gerade die Bedeutung hat, die es im gegenwärtigen Deutschen hat, muss man als SprecherIn einfach hinnehmen; es handelt sich um eine nicht weiter erklärungsbedürftige Grund-Tatsache der deutschen Semantik, die uns SprecherInnen bekannt ist, weil wir sie irgendwann im Verlauf des Spracherwerbs gelernt haben. Ganz anders verhält es sich dagegen mit der Bedeutung von syntaktisch komplexen Ausdrücken. Dass z. B. der Satz (1) das bedeutet, was er bedeutet, wissen wir SprecherInnen des Deutschen nicht, weil wir das irgendwann einmal so gelernt haben: (1) Der blonde Mann sieht die blinde Frau. Vielmehr haben wir gelernt, was die einzelnen Wörter in diesem Satz bedeuten und wie man diese Wortbedeutungen miteinander zu der Bedeutung des Satzes (1) verbindet und zwar so, dass er etwas anderes bedeutet als (2), obwohl dieser Satz aus denselben Wörtern mit denselben Wortbedeutungen besteht: (2) Der blinde Mann sieht die blonde Frau. Die Bedeutungskomposition ist gerade das, was beim Satzverständnis und beim Verstehen komplexer Ausdrücke im Allgemeinen zur Kenntnis der Wortbedeutungen hinzukommt. Es ist die Bedeutungskomposition die Art, auf die die einzelnen Wortbedeutungen sich miteinander zur Satzbedeutung aufaddieren die den Unterschied zwischen unserem Verständnis dieser beiden Sätze ausmacht. Am deutlichsten zeigt sich der Effekt der Bedeutungskomposition dort, wo er auf unterschiedliche Weisen verlaufen kann und dann zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Die Rede ist von den bereits im vorangehenden Ka-

20 2. Ambiguität und Bedeutungskomposition pitel erwähnten strukturellen Ambiguitäten. Vor allem anhand solcher Fälle werden wir auf den folgenden Seiten Einiges von der Vielfalt der Bedeutungskomposition kennenlernen. 2.1 Lexikalische Ambiguität schwache Homonymie Zunächst sei aber daran erinnert, dass auch einzelne Wörter mitunter mehrdeutig sind: (3) Der Arzt, zu einem dringenden Hausbesuch gerufen, wird an der Haustür von einer schluchzenden Frau empfangen: Sie sind umsonst 1 gekommen, Herr Doktor! Nicht umsonst 2, nur vergebens! Die ebenso geistreiche wie geschmacklose Antwort des Arztes nutzt eine Zweideutigkeit in der Form,umsonst aus, die sowohl im Sinne von,unentgeltlich (,umsonst 2 ) als auch synonym mit,vergebens (,umsonst 1 ) verwendet werden kann. In (3) haben wir die Mehrdeutigkeit durch disambiguierende Indizes aufgelöst. Das tötet zwar den Witz, macht aber zugleich deutlich, worin er besteht (bzw. bestand): die Dame des Hauses und der zynische Arzt verwenden unterschiedliche Wörter, die gleich ausgesprochen und geschrieben werden. Nur die Wortformen sind gleich, die Bedeutungen sind verschieden. Haben zwei Wortformen unterschiedliche Bedeutungen, spricht man von lexikalischer Ambiguität. Eine solche kann aus verschiedenen Gründen vorliegen: (4) Grade der lexikalischen Ambiguität a. Schwache Homonymie Zwei formal unterscheidbare Wörter besitzen eine gemeinsame (Oberflächen-)Form. b. Starke Homonymie Zwei erkennbar verschiedene Wörter sind formal ununterscheidbar. c. Polysemie Zwei formal ununterscheidbare Wörter sind nachweislich, aber nicht (unmittelbar) erkennbar verschieden. Schwache Homonymien sind leicht nachweisbar und in der Regel den SprecherInnen einer Sprache bewusst.,gehalt und,bank sind typische Fälle. Natürlich handelt es sich bei dem Geld, das der Arbeitgeber monatlich überweist, nicht um einen Gehalt (von was auch immer), sondern um ein Gehalt die Wortformen sind gleich, aber die beiden Wörter unterscheiden sich im Genus, dem grammatischen Geschlecht. Ebenso wirkt sich die politische Reglementierung der Finanzwirtschaft hoffentlich weniger auf die europäischen Bänke aus als auf die Banken die Singularformen sind gleich, aber die Wörter unterscheiden sich in den Pluralformen. Einen ähnlichen, aber etwas subtileren Unterschied kann man zwischen zwei verschiedenen Verwendungen von,teil ausmachen. Während man z.b. im Englischen mit ein und demselben Wort,part gleichermaßen Abschnitte von Büchern wie Funktionselemente von Maschinen bezeichnen kann, unterscheidet man im Deutschen zwischen dem ersten Teil einer Trilogie und dem schwer zu besorgenden Teil eines Vergasers. Wer nicht glaubt, dass es hier einen sprachli-

2.1 Lexikalische Ambiguität 21 chen Unterschied gibt, setze die beiden Teile in den Nominativ: der erste Teil ist langatmig, aber das Teil unter der Motorhaube findet man nirgends. Ganz klar: es gibt im Deutschen zwei Wörter der äußeren Gestalt,Teil, die sich im Genus unterscheiden. Beide sind Substantive, aber das eine ist maskulin, das andere ein Neutrum. Doch schwache Homonymie kann auch über verschiedene Kategorien (Wortarten) hinweg bestehen, wie die Formen,Ehe und,rasen belegen: ersteres kann ein Substantiv oder eine Konjunktion sein (die zumindest am Satzanfang ebenso groß geschrieben wird), letzteres eine Verbform oder ein Substantiv. In all diesen Fällen ist klar, dass es sich jeweils um verschiedene Wörter handelt; denn sie verhalten sich auf der Formseite, also morphologisch und syntaktisch, unterschiedlich. Eine starke Homonymie liegt dagegen vor, wenn zwei verschiedene Wörter derselben Kategorie angehören und dabei durchweg identische Formen aufweisen. Ein Standardbeispiel ist,schloss, bekanntlich ebenso eine Bezeichnung für Schließvorrichtungen wie für herrschaftliche Wohngebäude. In beiden Fällen handelt es sich um ein Substantiv neutralen Geschlechts, und auch die einzelnen Formen (,Schlosses,,Schlössern etc.) unterscheiden sich nicht voneinander. Der Unterschied liegt allein in der Bedeutung. Das hört sich zugegebenermaßen ein bisschen seltsam an:,schloss soll nicht ein Wort sein, sondern zwei Wörter auf einmal? Doch ist das eine rein terminologische Angelegenheit ohne weiteren Tiefgang. In (4) ist der Terminus Wort in dem Sinn zu verstehen, dass damit die Bedeutung mit eingeschlossen ist. Denn in der Semantik geht man davon aus, dass ein sprachlicher Ausdruck, also auch ein Wort, immer nur eine (wörtliche) Bedeutung hat. Und das heißt also tatsächlich:,schloss ist nicht ein Wort mit zwei Bedeutungen, sondern entspricht streng genommen zwei verschiedenen Wörtern mit je einer Bedeutung. Um unnötige terminologische Härten zu vermeiden, werden wir es allerdings in dieser Hinsicht nicht immer so genau nehmen und von verschiedenen Lesarten desselben Worts sprechen wobei dann mit letzterem nur die Oberflächenform gemeint ist. Starke Homonyme wirken wie zufällige lautliche und orthographische Übereinstimmungen. In vielen Fällen wird dieser Eindruck durch die Etymologie bestätigt. Als Bezeichnung für (gewisse) mehrstimmige Musikstücke ist,fuge eine Eindeutschung des italienischen bzw. lateinischen Worts,fuga (,Flucht ) so genannt, weil eine Stimme vor der anderen zu fliehen scheint; als Bezeichnung für einen Zwischenraum im Gemäuer dagegen stammt es von dem mittelhochdeutschen Wort,vuoge ab. Beide Wörter stimmen im heutigen Deutsch in allen ihren Formen überein; doch das ist offenbar ein Zufall der Sprachgeschichte. Ähnlich verhält es sich bei,base (Verwandte vs. Stoffgruppe) und,weide (Baum vs. Grasland). Doch nicht immer haben die unterschiedlichen Lesarten starker Homonyme verschiedene historische Ursprünge. So sind beide Lesarten von,schloss ursprünglich Nominalisierungen des Verbs,schließen. Bei der Bezeichnung für Schließvorrichtungen ist das wenig überraschend; bei der Gebäude-Lesart hängt dies wahrscheinlich mit der strategischen Lage von Schlössern zusammen, die oft so gebaut wurden, dass sie ein Tal abschlossen. Doch dieser Zusammenhang ist heutigen SprecherInnen in aller Regel nicht bewusst. Die beiden Lesarten werden als zwei verschiedene Wörter verwendet, auch wenn sie nur scheinbar zufällig gleich ausgesprochen, geschrieben und flektiert werden. starke Homonymie