Kooperation und Verantwortlichkeit im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren

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Transkript:

Kooperation und Verantwortlichkeit im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren Irmela Wiesinger, Jugendamt Main-Taunus-Kreis Hofheim und Bundesfachverband UMF

Aufenthaltsrecht Asylverfahrensrecht* Asylverfahren wie bei Erwachsenen Handlungsfähigkeit ab 16 Jahren Asylbewerberleistungsgesetz/ Existenzminimum Asylunterkünfte/Ausgrenzung/ Kein kindgerechtes Umfeld Residenzpflicht Abschreckung/Verhinderung von Zuwanderung Ziel: Rückführung - Dublin II Ordnungsrecht Wohl und Sicherheit der Gesellschaft hat garantierte Grundrechte für den Einzelnen zu beachten Jugendhilfe SGB VIII* Schutzgedanke hat Vorrang Minderjährigkeit bis 18 Jahre Hilfen und Förderung für Kinder und Familien Integration Kindeswohl ist Grundlage Integration/ Förderung der Anschlussfähigkeit an die Gesellschaft Leistungsrecht Wohl des Individuums/Staatliches Wächteramt über Familien Unterliegt dem Gebot der Wirtschaftlichkeit *Zusammenstellung von Ulrike Schwarz, ISD

Fachkräfte als Transmitter Aufenthalt + Asyl VGs Jugendhilfe SGB VIII FamGs junge Flüchtlinge Struktureller Grundkonflikt zwischen konkurrierenden Systemen dominiert Lebenswirklichkeit der Jugendlichen und Handeln der Fachkräfte

stark verdichtete Widersprüche zwischen gesetzlichen und fachlichen Aufträgen trotz Widersprüche Verstrickung der Systeme, Dilemmata und Rollendiffusion Kooperation notgedrungen, Verantwortlichkeit im Rahmen der Transmitterrolle wird negiert Bewältigungsstrategien der Fachkräfte zwischen den Extremen Kampf oder Ohnmacht, Konfrontation oder Vermeidung Double-Bind-Botschaften an die jungen Menschen

Langandauernde Unsicherheit über den Aufenthaltsstatus Heilsame Prozesse und Beziehungen werden unterbrochen oder erschwert Reaktualisierung des Traumas, Therapie kaum möglich Fördert Flucht als Lebenskonzept Gefühle von Ohnmacht und Ausgeliefertsein, auch bei Bezugspersonen Widerspruch zum Auftrag der Jugendhilfe, erschwert die Planung

Aktueller Diskurs zum Spannungsfeld zwischen Kindeswohl und Elternrecht, Beispiel: rechtliche Anerkennung eines auf Dauer angelegten Pflegeverhältnisses Ein Kind, das vorübergehend oder dauernd aus seiner familiären Umgebung herausgelöst wird oder dem der Verbleib in dieser Umgebung im eigenen Interesse nicht gestattet werden kann, hat Anspruch auf den besonderen Schutz und Beistand des Staates. (Art. 20, Abs. 1 UN-KRK)

SGB VIII berücksichtigt das kindliche Bedürfnis nach kontinuierlichen Lebensbedingungen deutlich stärker als das Familienrecht. Rechtspraxis der Familiengerichte orientiert sich einseitig am Elternrecht Prof. Dr. Salgo/Prof. Dr. Zenz postulieren Reformbedarf Das SGB VIII hat keine familienrechtliche Entsprechung, obwohl Kindeswohl die gemeinsame Norm ist

Dem Kinder-und Jugendhilferecht fehlt die aufenthaltsrechtliche Entsprechung Es besteht Nachholbedarf auf Seiten des Systems Aufenthalt und Asyl, dieses hat sich an den zentralen Normierungen des SGB VIII zu Kindesschutz und Kindeswohl zu orientieren

Pauschale Forderung nach Vorrang des Kindeswohls ist grundsätzlich richtig, aber nicht allein zielführend und ausreichend Nicht nur ein Rechtsdefizit, sondern vor allem Umsetzungsdefizit Unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 3 KRK: Kindeswohl als übergeordnetes Rechtsgut bei Verwaltungsentscheidungen: Nicht nur die Jugendämter, sondern alle Behörden haben das Kindeswohl zu beachten

Anzeichen für eine Stärkung der Rechtsposition des Kindeswohles gegenüber dem System Asyl und Aufenthalt : Concluding observations des UN-Ausschusses EU-Richtlinien, Dublin III (Orientierung am kindlichen Kontinuitätsbedürfnis) SGB VIII: UMF als reguläre Zielgruppe in Jugendhilfe angekommen, 8a, Bundeskinderschutzgesetz (Stärkung der Partizipation, Anspruch auf Beratung durch eine ISEF) Gesellschaftspolitische Debatte um Kinderrechte und Kinderschutz

Wie kann sich die Jugendhilfe in ihrer Transmitterrolle gegenüber dem als übermächtig erlebten System Aufenthalt + Asyl offensiver positionieren? Wir kann die Fachlichkeit der Jugendhilfe im aufenthalts- und asylrechtlichen Verfahren respektiert und ernstgenommen werden? Welches Selbstverständnis der Fachkräfte ist notwendig und welchen Rückhalt brauchen sie dafür?

Begriff Kindeswohl im Einzelfall mit Leben füllen Gesetzlichen Auftrag des Wächteramtes und der Garantenpflicht auch bei UMF deutlich machen durch Vormund und ASD z.b. Fachliche Einschätzung zu Traumata, Diagnostik/Infos ABH, BAMF, Gerichten zur Kenntnis bringen, Aufgabe des Vormunds Enge Kooperation zwischen Jugendhilfeeinrichtung und Vormund

Fallübergreifende Ebene Kooperationsgespräche mit ABH, BAMF- Außenstelle, Richtern Runde Tische Infoangebote über Auftrag und Aufgaben der Jugendhilfe gemeinsame Fortbildungen Tandem Jugendamt - ABH

Gute Kooperationen innerhalb der Jugendhilfe Rückendeckung und Unterstützung durch Leitung bei freien und öffentlichen Trägern Bündnispartner, z.b. LJÄ, Sozialministerien Rückhalt durch fachpolitische Positionierungen, z.b. der Erziehungshilfeverbände, des DIJuF, der BAGLJÄ

Selbstverständnis aller Behörden und Institutionen (Jugendhilfe, Schule, Gerichte, Polizei, Gesundheitswesen, etc.) als Verantwortungsgemeinschaft für Kindeswohl Aktive Lobbyarbeit bei politischen Entscheidungsträgern Strategien und Argumente zur Umsetzung des Kindeswohls bei jungen Volljährigen

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Fragen?

Die pädagogischen Herausforderungen Das Warten gemeinsam aushalten Stabilisierung und subjektiv sichere Orte im Alltag schaffen Lebenskonzepte und szenarien entwickeln Mit Unsicherheiten und Krisen im Leben umgehen lernen Handlungskompetenzen erhalten Innere Bilder als Anker