Kündigung - verhaltensbedingt: betriebliche Beeinträchtigung

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Transkript:

Kündigung - verhaltensbedingt: betriebliche Beeinträchtigung Inhaltsübersicht 1. Allgemeines 2. Die Vertragsverletzung als Störung 3. Die betrieblichen Beeinträchtigungen 4. Rechtsprechungs-ABC 4.1 Außerdienstliches Verhalten 4.2 Betriebliche Beeinträchtigung - 1 4.3 Betriebliche Beeinträchtigung - 2 4.4 Betriebliche Beeinträchtigung - 3 4.5 Grundsatz 4.6 Maßstab 4.7 Rücksichtnahmepflicht 4.8 Störung des Betriebsfriedens 4.9 Verspätungen Information 1. Allgemeines Der Arbeitgeber darf ordentlich verhaltensbedingt kündigen, um damit zukünftigen Vertragsstörungen vorzubeugen. Die Vertragsstörung muss, soll sie die Kündigung stützen, in der Regel zu einer betrieblichen Beeinträchtigung führen oder geführt haben. Das kann unter anderem eine Störung der Betriebsabläufe, ein Vertrauensverlust oder eine Störung der betrieblichen Ordnung sein. Da nicht jede betriebliche Beeinträchtigung das gleiche Gewicht hat, erfolgt einer Korrektur der Feststellung über die Interessenabwägung am Schluss des Prüfungsschemas. Praxistipp: In vielen Anleitungen und Checklisten wird die betriebliche Beeinträchtigung einfach unterstellt oder erst am Ende im Zusammenhang mit der Interessenabwägung angesprochen. Wenn man den Punkt "Beeinträchtigung" dann nicht vergisst, ist das unschädlich. Sinnvoller ist es jedoch, den Punkt betriebliche Beeinträchtigung in einem eigenen Schritt anzusprechen. Er gerät damit nicht in Vergessenheit. Erst die Bewertung der Schwere der betrieblichen Beeinträchtigung ist dann der Interessenabwägung vorbehalten. Es gibt Vertragsstörungen, die auf den ersten Blick keine betriebliche Beeinträchtigung erkennen lassen - mit Ausnahme der Vertragsstörung als solcher. In diesen Fällen hilft man sich damit, die Vertragsstörung selbst als betriebliche Beeinträchtigung anzusehen. Auch hier erfolgt die Korrektur am Ende über die Interessenabwägung. In anderen Fällen ist eine Gewichtung der betrieblichen Beeinträchtigung vorzunehmen - wobei einmalige geringfügige Beeinträchtigungen ohne weitere Umstände wohl nur in Ausnahmefällen kündigungsrelevant sein dürften. Die Feststellung der betrieblichen Beeinträchtigung ist der dritte Schritt des Prüfungsschemas für eine erfolgreiche verhaltensbedingte Kündigung. 2. Die Vertragsverletzung als Störung Grundsätzlich kann nur ein vertragswidriges Fehlverhalten - also eine Vertragsverletzung - eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Ohne Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten ist eine verhaltensbedingte Kündigung ausgeschlossen. Sie soll ja die Reaktion des Arbeitgebers auf die 1 2017 aok-business.de - PRO Online, 16.10.2017

Vertragsverletzung sein und dazu dienen, zukünftige Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten zu verhindern. Beispiel: Arbeitnehmer N1 arbeitet bei Arbeitgeber A im Wechsel mit Arbeitnehmer N2 als Pförtner. Die Schicht des N1 beginnt morgens um 06:00 Uhr und endet nachmittags um 14:00 Uhr. Danach beginnt die Schicht des N2, die um 22:00 Uhr abends endet. In der Zeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr sind die Arbeitsräume von N1 und N2 nicht besetzt. Das Firmentor ist geschlossen. N1 nimmt am Morgen des 23.07. seine Tätigkeit vertragsgemäß auf und stellt einen Einbruchsdiebstahl fest. Dieser Diebstahl passierte in der Zeit von Mitternacht bis 02:00 Uhr. A kann den N1 nun nicht verhaltensbedingt kündigen, weil er seinen Aufgaben als Pförtner nicht nachgekommen ist. Für N1 bestand im Tatzeitraum keine arbeitsvertragliche Pflicht, die er verletzen konnte. N1 hatte arbeitsplanmäßig frei. Es gibt aber auch Vertragsverletzungen, die sich nicht konkret greifbar störend auf die Betriebsabläufe auswirken. Beispiel: In Arbeitgeber A's Betrieb wird Kurzarbeit gefahren. Mitarbeiter M kommt morgens an mehreren Tagen zu spät zur Arbeit. Da ohnehin nicht für alle Arbeitnehmer genug Arbeit da ist, fallen M's Verspätungen nicht ins Gewicht. Die vorhandenen Arbeiten werden von seinen Kollegen erledigt, die dadurch weder über Gebühr beansprucht noch sonst beeinträchtigt werden. In diesem Fall reicht die Vertragsverletzung selbst als Vertragsstörung aus. Ob sie geeignet ist, eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, ist eine Frage, die dann im Rahmen der Interessenabwägung beantwortet werden muss. 3. Die betrieblichen Beeinträchtigungen In der Regel ist es so, dass Vertragsverletzungen eindeutige betriebliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Beispiele: (1) Arbeitnehmer N1 hat seinen Privat-Pkw über Monate hinweg vertragswidrig über die Firmenkarte betankt. Er hat damit nicht nur einen Betrug begangen und sich auf Kosten seines Arbeitgebers bereichert. Er hat damit auch die Buchhaltung mit Mehrarbeit belastet, das betriebliche Miteineinader gestört und nachhaltig das zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer notwendige Vertrauensverhältnis zerstört. (2) Arbeitnehmer N2 hat sich trotz 2-maliger Abmahnung wieder nicht pünktlich arbeitsunfähig krank gemeldet. Arbeitgeber A muss kurzfristig die Arbeitsabläufe umorganisieren. Dabei bleibt die zunächst Arbeit eines anderen Mitarbeiters liegen. Außerdem muss die verspätete Krankmeldung des M2 in der Lohnbuchhaltung nachbearbeitet werden. Ganz abgesehen davon kann das Verhalten des N2 Nachahmer finden und sich auf diese Weise zusätzlich störend auswirken. (3) Arbeitnehmer N3 hat über seinen Arbeitsplatz-PC Dateien mit rechtswidrigen und verfassungsfeindlichen Inhalten zum Download angeboten. Abgesehen davon, dass Arbeitgeber A die private Nutzung des Arbeitsplatz-PC untersagt hatte, sorgte das Verhalten des N3 in der Öffentlichkeit für Aufsehen, als sein Tun bekannt und der Betrieb des A mit den Straftaten in Zusammenhang gebracht wurde. Hier liegt nicht nur ein Verstoß gegen die betriebliche Ordnung vor, hier hat N3 auf A's Kosten Arbeitszeit für private Zwecke verbraucht und sogar noch dem Ansehen seines Arbeitgebers geschadet. 2 2017 aok-business.de - PRO Online, 16.10.2017

Die Feststellung einer betrieblichen Beeinträchtigung gehört als dritter Schritt in das Prüfungsschema für eine verhaltensbedingte Kündigung. Dass eine Vertragsverletzung keine, geringe, erhebliche oder extreme Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat und insoweit zu einer entsprechenden betrieblichen Beeinträchtigung führt (oder nicht), ist ein Umstand, der bei der Interessenabwägung Berücksichtigung findet. Praxistipp: Arbeitgeber machen häufig den Fehler, zu subjektiv und emotional an die Bewertung der betrieblichen Beeinträchtigung heranzugehen. Die Feststellung einer oder mehrerer betrieblichen Beeinträchtigungen ist zunächst nach völlig objektiven Gesichtspunkten zu treffen. Die Bewertung dieser Beeinträchtigungen ist dann in der Regel sehr subjektiv geprägt - und spätestens jetzt kann man die Verärgerung des Arbeitgebers über das vertragswidrige Verhalten seines Mitarbeiters menschlich verstehen. Trotzdem haben subjektive Momente hier nichts verloren. Der Arbeitgeber muss - auch wenn es schwer fällt - einen objektiven Bewertungsmaßstab anlegen. Eine geringfügige Vertragsverletzung - zum Beispiel eine kurze Verspätung - reicht als Kündigungsgrund nicht. Es muss schon eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung eingetreten sein. Und da im Rahmen der Interessenabwägung alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, muss in die abschließende Betrachtung auch ein Fehlverhalten des Arbeitgebers - zum Beispiel eine unpünktliche Lohnzahlung - einfließen (so: LAG Rheinland-Pfalz, 25.04.2005-7 Sa 29/05 ). Was in der Literatur oft unklar wiedergegeben wird: Das BAG setzt schon eine betriebliche Beeinträchtigung für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung voraus. Es ist nach seiner Auffassung nur konsequent zu unterscheiden: Bei der Frage, ob eine Pflichtverletzung an sich als Kündigungsgrund geeignet ist, kommt es nicht darauf an, ob eine Störungen im Betriebsablauf eingetreten ist ( BAG, 17.01.1991-2 AZR 375/90 ). Ob eine betriebliche Beeinträchtigung vorliegt, ist ein Punkt, der bei der Interessenabwägung zu prüfen und zum Nachteil des Arbeitnehmers zu bewerten ist, weil sie ein zusätzliches belastendes Gewicht hat ( BAG, 17.01.1991-2 AZR 375/90 ). Danach kommt das BAG zu dem Ergebnis: "Das Vorliegen derartiger konkreter Störungen ist aber nicht unabdingbare Voraussetzung für eine Kündigung" ( BAG, 17.01.1991-2 AZR 375/90 ). 4. Rechtsprechungs-ABC An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema betriebliche Beeinträchtigung bei einer verhaltensbedingten Kündigung in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt: 4.1 Außerdienstliches Verhalten Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht berechtigt, auf den privaten Lebensbereich seiner Mitarbeiter Einfluss zu nehmen. Bloß dort, wo sich das private Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirkt, kann der Mitarbeiter ausnahmsweise seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzen. Die Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung durch außerdienstliches Verhalten setzt allerdings generell eine konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses voraus ( BAG, 23.10.2008-2 AZR 483/07 - mit dem Hinweis, dass es für die betriebliche Beeinträchtigung vor allem auf die Art des Arbeitsverhältnisses und die Tätigkeit des Arbeitnehmers ankommt). 4.2 Betriebliche Beeinträchtigung - 1 Die soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung verlangt nach 1 Abs. 2 KSchG neben der Feststellung einer schuldhaften Vertragspflichtverletzung, der negativen Prognose und einer fehlenden zumutbaren Weiterbeschäftigungsmöglichkeit stets eine umfassende Interessenabwägung. In diese 3 2017 aok-business.de - PRO Online, 16.10.2017

Interessenabwägung fließt dann auch eine mögliche Störung des Betriebsfriedens ein. "Bei der Interessenabwägung kann - neben anderen Aspekten - berücksichtigt werden, ob es neben der Verletzung einer Vertragspflicht auch noch zu konkreten negativen Auswirkungen im Bereich des Arbeitgebers oder des betrieblichen Geschehens gekommen ist" ( BAG, 24.06.2004-2 AZR 63/03 ). 4.3 Betriebliche Beeinträchtigung - 2 Eine ordentliche Kündigung ist nach 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nur dann sozial gerechtfertigt, wenn ein (in der Regel) schuldhaftes Fehlverhalten des Arbeitnehmers vorliegt, dieses Verhalten auch eine betriebliche Auswirkung hat, im Regelfall zumindest eine Abmahnung vorausgegangen ist, danach ein weiteres einschlägiges schuldhaftes Fehlverhalten mit betrieblichen Auswirkungen vorliegt und "eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der betrieblichen Auswirkungen des Fehlverhaltens oder der Schlechtleistung das Überwiegen des Interesses des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses des Arbeitsverhältnisses" als Ergebnis hat ( LAG Rheinland-Pfalz, 13.02.2008-7 Sa 704/07 - mit Hinweis auf BAG, 24.06.2004-2 AZR 63/03 ). 4.4 Betriebliche Beeinträchtigung - 3 "Eine Kündigung aus Gründen des Verhaltens des Arbeitnehmers i.s.v. 1 Abs. 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - i.d.r. schuldhaft - erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit anderer Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint" ( BAG, 23.06.2009-2 AZR 283/08 ). 4.5 Grundsatz "Ein die Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigender Grund nach 1 Abs. 2 KSchG liegt vor, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - schuldhaft - verletzt, das Arbeitsverhältnis dadurch konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien billigenswert und angemessen erscheint" ( BAG, 24.06.2004-2 AZR 63/03 ). 4.6 Maßstab Die verhaltensbedingte Kündigung verlangt ein Verhalten des Arbeitnehmers, mit dem das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird. Ob eine Beeinträchtigung vorliegt, entscheidet sich nicht nach der Auffassung des Arbeitgebers, sondern nach einem objektiven Maßstab. So kommt als verhaltensbedingter Kündigungsgrund nur ein Umstand in Betracht, der einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zu einer Kündigung bestimmen kann ( LAG Düsseldorf, 26.06.2008-13 Sa 506/08 ). 4.7 Rücksichtnahmepflicht Ein Schuldverhältnis - und das ist auch das Arbeitsverhältnis - kann "nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten" ( 241 Abs. 2 BGB ). Missbraucht ein Arbeitnehmer eine Sachbezugsregelung, um dadurch an Stelle der Sachleistung Bargeld zu erhalten, verletzt er seine Rücksichtnahmepflicht aus 241 Abs. 2 BGB. Zu den geschützten Interessen des Arbeitgebers gehört nämlich auch sein Interesse, nicht in einem weitergehenden Umfang in Anspruch genommen zu werden, als die Verpflichtung aus dem Vertrag reicht. So kann das bewusste und gewollte - und damit vorsätzliche - Zuwiderhandeln des Arbeitnehmers gegen die Verwendungsbestimmungen einer Sachbezugsregelung - auch wegen des damit verbundenen Vertrauensbruchs - an sich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen ( BAG, 23.06.2009-2 AZR 103/08 ). 4.8 Störung des Betriebsfriedens Die Annahme eines verhaltensbedingten Kündigungsgrunds ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Arbeitsverhältnis durch das Verhalten des Arbeitnehmers konkret beeinträchtigt wird. Eine Kündigung 4 2017 aok-business.de - PRO Online, 16.10.2017

wegen Störung des Betriebsfriedens setzt keine abstrakte Gefährdung, sondern eine tatsächliche Störung des Betriebsfriedens voraus. So kann beispielsweise das Betreten von Räumen eines bestimmten Arbeitsbereichs zwecks Aufsuchen der Pausenecke ohne Hinzutreten weiterer Umstände, durch die andere Arbeitnehmer beeinträchtigt oder konkret gefährdet worden wären, eine verhaltensbedingte Kündigung nicht rechtfertigen ( LAG Hamm, 04.04.2003-10 Sa 33/03 ). 4.9 Verspätungen Wiederholte und schuldhafte Verspätungen können nach einschlägiger Abmahnung Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung sein. Schon die Unpünktlichkeit bewirkt eine Störung des Arbeitsverhältnisses im Leistungsbereich. Der Arbeitnehmer verletzt nämlich mit der nicht rechtzeitigen Aufnahme seiner Arbeit die Hauptleistungspflicht aus seinem Arbeitsvertrag und beeinträchtigt so das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. "Ob es darüber hinaus zu konkreten Störungen des Betriebsablaufs oder des Betriebsfriedens kommt, ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen" ( LAG Baden-Württemberg, 08.09.2004-2 Sa 66/04 ). Siehe auch Kündigung - verhaltensbedingt: Abgrenzung Kündigung - verhaltensbedingt: besonderer Kündigungsschutz Kündigung - verhaltensbedingt: betriebliche Beeinträchtigung Kündigung - verhaltensbedingt: Darlegungs- und Beweislast Kündigung - verhaltensbedingt: Einzelfall-ABC Kündigung - verhaltensbedingt: Interessenabwägung Kündigung - verhaltensbedingt: Mitbestimmung Kündigung - verhaltensbedingt: Negativprognose Kündigung - verhaltensbedingt: Tatsachenfeststellung Kündigung - verhaltensbedingt: Ultima-Ratio-Prinzip Kündigung - verhaltensbedingt: Prüfungsschema Kündigung - verhaltensbedingt: Verdachtskündigung Kündigung - verhaltensbedingt: vermeidbare Fehler Kündigung - verhaltensbedingt: Verschulden 5 2017 aok-business.de - PRO Online, 16.10.2017